Die Welt Kompakt am Sonntag - 25.08.2019

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16 DEUTSCHLAND & DIE WELT WELT AM SONNTAG NR.34 25.AUGUST


n einem Sommerabend im
August bläst Ismail Shalabi
Zigarettenrauch in die Lee-
re seines Wohnzimmers.
Der rechte Oberschenkel
wippt auf und ab. Die Stimme, hoch und
brüchig, bebt. „Mein Leben ist die Höl-
le“, sagt er, „ich bekomme nur Druck,
Druck, Druck.“ Der 46-Jährige sitzt auf
dem Sofa, vor ihm liegen Papiere: Rech-
nungen, die er nicht bezahlen kann. Ei-
ne Klage der Behörden in Nordrhein-
Westfalen (NRW), weil er sich mehr-
mals zu spät bei der örtlichen Polizei in
Beckum gemeldet hat. „Sollen sie mich
doch abschieben“, sagt Shalabi, „ich bin
durch mit diesem Land.“

VON IBRAHIM NABER

Der Mann, der da über sein Leben
klagt, gehört laut Einschätzung von Si-
cherheitsbehörden zu den gefährlichs-
ten Menschen Deutschlands. Ismail
Shalabi, verurteilter Terrorist, jordani-
scher Staatsangehöriger mit palästinen-
sischer Herkunft, ist einer von bundes-
weit 702 Gefährdern. Eine Person also,
der „politisch motivierte Straftaten von
erheblicher Bedeutung“ jederzeit zuge-
traut werden.
Eigentlich hätte Shalabi bereits vor
elf Jahren ausgewiesen werden sollen.
So lautete der Beschluss des Oberver-
waltungsgerichts NRW vom 10. April
2008, Aktenzeichen 18 B 350/08. Umge-
setzt wurde die Entscheidung bis heute
nicht, und das ist keine Ausnahme. Al-
lein in NRW leben aktuell etwa 80 aus-
ländische Gefährder. Das Innenministe-
rium teilt auf Anfrage mit, dass ihre
Rückführung für die Landesregierung
Priorität habe. Tatsächlich tun sich
Bund und Länder bei der Durchsetzung
aber weiterhin schwer.

MEHR ABSCHIEBUNGEN Es wäre
falsch zu sagen, dass Behörden gar
nichts gelinge. Auf Anfrage teilt das
Bundesinnenministerium mit, dass im
laufenden Jahr deutschlandweit bislang
27 ausreisepflichtige Islamisten abge-
schoben wurden. Weitere zwei wurden
in ein anderes EU-Land überstellt. Im
Vorjahr waren es insgesamt 52 Abschie-
bungen und 2017 insgesamt 57. Zum
Vergleich: 2015 und 2016 bewegten sich
die Zahlen noch im einstelligen Bereich.
Sie stiegen erst nach dem Anschlag von
Anis Amri – einem Gefährder, der das
Land hätte verlassen sollen.
Ismail Shalabi ist noch hier. Mit roten
Boxhandschuhen stürmt der vierjährige
Sohn ins Wohnzimmer, balanciert ein
Smartphone darauf. Musik dröhnt aus
dem Lautsprecher. „Chalas, Habibi“,
ruft Shalabi seinem Sohn auf Arabisch
zu, „Lass das sein“. Auf dem Sofa turnt
der dreijährige Bruder herum. Playmo-
bil und Plastikschwerter liegen in der
Ecke. Seit 2017, sagt Shalabi, lebten sei-
ne Söhne bei ihm. Von ihrer Mutter ha-
be er sich getrennt. Gäbe es die Kinder
nicht, würde er vielleicht einfach aus-
reisen.

Shalabi wurde in Deutschland gebo-
ren, wuchs jedoch im Westjordanland
auf. Mit 14 kehrte er zurück. Kurz nach
der Jahrtausendwende war er Mitglied
einer innerdeutschen Terrorzelle der is-
lamistischen Al-Tawhid-Bewegung. Ihre
Ideologie basiert auf dem militanten
Dschihad, dem Kampf gegen Ungläubi-
ge, und ganz zentral auf dem Hass ge-
gen Juden. Mit vier Glaubensbrüdern

plante er Anschläge auf jüdische und is-
raelische Einrichtungen in Deutsch-
land. Ihre Befehle erhielten sie direkt
vom späteren Al-Qaida-Anführer und
Top-Terroristen, Abu Mussab al-Sarka-
wi. Ermittlungen der Sicherheitsbehör-
den stoppten die Zelle vor ersten An-
schlägen. Die Mitglieder wurden zu Ge-
fängnisstrafen verurteilt. Shalabi erhielt
sechs Jahre. Im August 2008 kam er frei

und wurde als Gefährder eingestuft.
Seitdem drohte ihm die Abschiebung.
Schon Monate vor seiner Freilassung,
Ende April 2008, hatte Shalabi deswe-
gen Asyl beim Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge (BAMF) beantragt. Sei-
ne Begründung: Ihm drohe im Falle ei-
ner Abschiebung Folter und Haft, da
Jordanien mit dem amerikanischen Ge-
heimdienst kooperiere. Das BAMF lehn-
te den Asylantrag jedoch einige Monate
später als unbegründet ab, das zeigen
die Dokumente. Shalabis Anwalt klagte
in allen Instanzen. Am 11. April 2011 wur-
de der letzte Antrag auf Berufung abge-
lehnt. Der Gefährder verlor damit auch
endgültig seinen unbefristeten Aufent-
haltstitel.
Trotz des Urteils ist es den Behörden
bis heute nicht gelungen, die Abschie-
bung durchzusetzen. Zuständig dafür
ist der Kreis Warendorf. Auf Anfrage
verweigert der Landrat eine Antwort
zum Fall Shalabi, weist aber darauf hin,
dass sich „die Rückübernahmebereit-
schaft des Herkunftslandes“ oftmals als
„problematisch“ gestalte.

MACHTLOSE BEHÖRDENAAAuch dasuch das
Innenministerium NRW, das BAMF und
das Bundesinnenministerium nehmen
zu dem konkreten Fall keine Stellung.
WELT AM SONNTAG erfuhr jedoch:
Wie in vielen anderen Rückführungsfäl-
len scheitert die Abschiebung im Fall
Shalabi an der Kooperation mit dem
Herkunftsland. Wenn dieses die Identi-
tät eines Ausländers nicht bestätigt und
als eigenen Bürger anerkennt, sind den
deutschen Behörden quasi machtlos.
Tatsächlich ist es bei Shalabi so: Er be-
sitzt seit Jahren keine gültigen Passdo-
kumente mehr und Jordanien zeigt kein
Interesse, neue Papiere auszustellen
und ihn zurückzunehmen. Noch kom-
plizierter macht die Sache, dass die bei-
den Kinder die bulgarische Staatsange-
hörigkeit besitzen – und Shalabi sich
womöglich deshalb hierzulande aufhal-
ten darf. Was man jetzt tatsächlich un-
ternehmen kann, darüber diskutieren
Land und Bund dem Vernehmen nach.
Dass selbst schwierige Abschiebungen
möglich sind, zeigt der Fall von Sami A.,
dem mutmaßlichen Ex-Leibwächter
von Osama Bin Laden. 2007 war sein
Asylantrag abgelehnt worden. Zwei Jah-
re später hatte ein Gericht erstmals ein
Abschiebungsverbot erlassen. Mehr als
zehn Jahre beschäftigte der Fall die Jus-
tiz. Im Juli 2018 wurde A. dann aber
nach Tunesien gebracht. Wochen vor
der Abschiebung hatte Bundesinnenmi-
nister Horst Seehofer (CSU) die Ange-
legenheit zur Chefsache erklärt. Es ist
nicht klar, warum auf höchster Bundes-
ebene nicht auch bei anderen Gefähr-
dern Initiative ergriffen wird – etwa bei
Shalabi. Aus Sicherheitskreisen heißt es,
der Mann sei im Analysesystem Radar-
iTE in der roten Gefährderkategorie
eingestuft – „hohes Risiko“. Für Shalabi
bedeutet das: tägliche Meldungspflicht
bei der Polizei. Zudem darf er seinen
Wohnort Beckum nicht verlassen.

Denn sie werden ihn nicht


Ismail Shalabi gehörte zu einer


islamistischen Terrorzelle und plante


Anschläge. Seit elf Jahren kann er nicht


abgeschoben werden. Warum tun sich


deutsche Behörden damit so schwer?


A


Hat seinen unbefristeten Aufenthaltstitel verlorenIsmail Shalabi muss
sich jeden Tag bei der Polizei in seinem Heimatort Beckum melden

LARS BERG

RELEASED


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zu, „Lass das sein“. Auf dem Sofa turnt

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bil und Plastikschwerter liegen in der

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