Basisdemokratie benötigt Zeit
Nr. 31/2019 Wie die »Fridays for Future«-
Aktivisten sich organisieren –
und vor welchen Problemen sie stehen
Ich hätte einen Vorschlag für die »Fridays
for Future«-Kids: Reist doch mal in Länder
wie Nigeria, Indien oder Indonesien. Er-
zählt den Menschen, die sich aus der größ-
ten Armut befreit haben: »Ihr dürft euch
keine Autos, Tiefkühltruhen oder Klima-
anlagen kaufen, weil das schlecht fürs
Klima ist.« Und dann achtet auf die Reak-
tionen der Menschen auf die tollen Ideen
verwöhnter Europäer. Aber ich weiß, das
könnt ihr nicht machen, denn ihr müsstet
dorthin fliegen, und das geht nun wirklich
nicht.
Martin Neumann, Lippstadt (NRW)
Manches Mal erinnert mich Greta an »Des
Kaisers neue Kleider«: Sie sagt das Offen-
sichtliche, und auf einmal sehen es die
Menschen, obwohl es schon immer da war.
Es ist allerdings ein sehr weiter Weg zwi-
schen »sich bewusst sein« und »wirklich
etwas tun«.
Erich Würth, München
Die flotten Formulierungen »Panikmacher
treffen Panikrocker« und »Dem Mädchen,
das die Welt in Panik versetzen will« als
Einleitung halte ich für unangemessen,
denn der Begriff »Panik« bezeichnet laut
Pschyrembel ein unerwartet auftretendes
intensives Angstgefühl bei einzelnen Per-
sonen oder Gruppen, etwa bei Massenpa-
nik mit chaotischen Fluchtreaktionen. We-
der sind die Fakten der Klimaveränderung
unerwartet, noch kann »die Welt« in Panik
versetzt oder mal kurz gerettet werden.
Wer wirklich panisch reagiert, zeigt sich
vielmehr in den »Fluchtreaktionen« all
derjenigen, die von der bislang praktizier-
ten Ignoranz gegenüber der Zerstörungs-
kraft ihres Verhaltens und Wirtschaftens
profitierten. Und da muss sich wohl jede
und jeder bedenkenlose Konsument/in an
die eigene Nase fassen.
Arne Kruse, Hamburg
121
Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe
([email protected])gekürzt
sowie digital zu veröffent lichen und unter
http://www.spiegel.dezu archivieren.
Briefe
Flexibel runterfahren
Nr. 31/2019 Sozialminister Hubertus Heil
will Selbstständige vor Altersarmut schützen
Wenn es das Selbstverständnis unseres So-
zialstaates ist, niemanden ins Bodenlose
fallen zu lassen, dann kommt man nicht
an einer für alle Bürger gesetzlich ver-
pflichteten Rentenkasse vorbei. Es ist nicht
einzusehen, wie wohlhabende Menschen
ihr Vermögen durch Spekulation verlieren
oder es mit extensivem Lebensstil verpras-
sen und danach Menschen mit bescheide-
nem Einkommen über die Steuer für deren
Lebensunterhalt aufkommen müssen.
Werner Ulrich, Kaarst (NRW)
Hubertus Heil bezieht sich nur darauf, wie
viele Selbstständige aktuell in die gesetz-
liche Rentenversicherung einzahlen. Er be-
rücksichtigt weder private Rentenversiche-
rungen, die »Rürup-Rente«, Immobilien,
Aktiendepots, den Wert der eigenen Firma
noch Rentenansprüche aus vorheriger An-
gestelltentätigkeit. Seine Aussage basiert
auf lückenhaften Daten und soll Selbst-
ständige in die gesetzliche Rentenversiche-
rung zwingen. Eine Studie des Deutschen
Instituts für Wirtschaftsforschung aus dem
Herbst 2016 belegt, dass unter Berücksich-
DER SPIEGELSehr geehrter Herr Kruse,
mit Ihrer medizinischen Definition liegen
Sie natürlich richtig. Wir haben das
Wort Panik nur verwendet, weil Greta
Thunberg selbst es mehrmals getan hat:
»Ich will, dass ihr in Panik geratet«, hat
sie im Januar auf dem Weltwirtschafts -
forum in Davos gesagt, und auch das Ta-
schenbuch mit ihren gesammelten Reden
heißt so.
Annette Bruhns, SPIEGEL-Redakteurin
Meine Enkelin, zwölf Jahre, hat es mir er-
klärt: Für ihre Teilnahme an der »Fridays
for Future«-Demo hat sie sich bereit er-
klärt, den versäumten Unterricht nachzu-
arbeiten. Dafür nutzte sie das schulfreie
Wochenende. Ihr Plakat sagt es: »Wir
Schwänzen nicht, wir Kämpfen!«
Wolfgang Stühmer, Nettelsee (Schl.-Holst.)
Ich finde, Ihr Text liest sich mitunter
wie ein SPIEGEL-Artikel aus den Neun -
zigerjahren. Damit meine ich die ge -
zwungene Tonalität, die suggeriert, et-
was Skandalöses aufgedeckt zu haben.
Sicherlich, es ist für die Öffentlichkeit
relevant, Informationen zu erhalten, wie
sich diese Bewegung strukturiert, or -
ganisiert und finanziert. Hier sind seit
gerade sieben Monaten Schülerinnen,
Schüler und Studierende bundesweit
am Werk. Ich verstehe nicht, wieso ihr
Erfolg automatisch so effizient sein muss
wie professioneller politischer Protest.
Basisdemokratie benötigt Zeit. Natürlich
fällt es einer solchen Bewegung, die in
kürzester Zeit entstanden ist, schwer, rei-
bungslos und stets im Konsens zu agieren.
Natürlich werden auch falsche Entschei-
dungen getroffen und Probleme erzeugt.
Das lässt sich aber sachlich und ohne
zwanghafte Suche nach Konflikten auf-
schreiben.
Julian Mertens, Wuppertal
WOLFGANG STÜHMER
Von Leser Stühmer übersandtes Plakat
Die Formulierung, führende Politiker im
»Osten« verlangten »mehr Milde gegen-
über Moskau«, dokumentiert ein wesent-
liches Problem des Politikverständnisses
in unserem Land: Es geht nicht um »mehr
Milde«, sondern um klarere und berechen-
barere Maßstäbe in der Bewertung politi-
scher Zusammenhänge. Solange das Mes-
sen mit verschiedenen Maßstäben nicht
aufhört, wird eine ebenso moralische wie
intellektuelle Kluft bestehen bleiben.
Dr. Jürgen Buhr, Bützow (Meckl.-Vorp.)
Als eingefleischter Sympathisant der »Eu-
ropäischen Idee« verfolge ich seit gerau-
mer Zeit das schwierige Verhältnis des
Westens zu Russland. Besonders im Ukrai-
ne-, Iran- und Syrienkonflikt braut sich ge-
rade in diesen Monaten und Tagen eine
große Gefahr für den Weltfrieden zusam-
men. Es ist für mich als Beobachter be-
ängstigend, mit welcher diplomatischen
Fantasielosigkeit die handelnden politi-
schen Akteure ihr Handwerk versehen.
Hans-Jürgen Ferdinand, Aachen
ALEXEY NIKOLSKY / AFP
Gesprächspartner Kretschmer, Putin
tigung der genannten Möglichkeiten der
»weit überwiegende Teil« der Selbststän-
digen fürs Alter vorsorgt.
Johannes Hohenthaner, München
Die Aussage, man müsse seine Beiträge
auch flexibel runterfahren können, zeigt
die ganze Wahrheit: Wenn das Geschäft
nicht mehr läuft, wird nicht mehr vorge-
sorgt, und im Alter darf die Gemeinschaft
der Steuerzahler den Schaden zahlen.
Läuft das Geschäft hingegen, möchte man
sich nicht solidarisch beteiligen. Gerade
für solche Unternehmer ist eine zwangs-
weise Rentenfinanzierung dringend nötig.
Thomas Fischer, Mainaschaff (Bayern)