den nächsten Waffenladen gehen, um sei-
nen persönlichen Bürgerkrieg anzuzetteln.
»Wenn so viele Weiße in den USA durch
Waffen getötet würden wie Schwarze,
dann würde sehr schnell etwas passieren«,
sagt David Hemenway. Kaum jemand
kennt sich mit dem Waffenwahn der
Amerikaner so aus wie er. Hemenway ist
74 Jahre alt und Professor an der Harvard
School of Public Health. Seit 30 Jahren er-
forscht er das Verhältnis seiner Landsleute
zu Waffen. Das Recht auf den Besitz einer
Waffe wurde vor über 200 Jahren, am
- Dezember 1791, als zweiter Zusatz -
artikel der Verfassung ratifiziert. Es ist vie-
len heilig. Hemenway fordert kein Verbot
von Feuerwaffen, sondern eine sinnvolle
Regulierung – schon das wäre für die USA
ein großer Schritt.
Dazu gehört für ihn ein Verbot großer
Magazine, wie es auch schon die Schüler
von Parkland nach dem Attentat auf ihre
Schule forderten. Bei beiden Schießereien
am vergangenen Wochenende
benutzten die Täter Waffen, die
ursprünglich für das Militär ent-
worfen wurden. Der Schütze
von Dayton hatte ein Gewehr,
dessen Magazin bis zu 100 Pa-
tronen fassen kann. »Niemand
braucht diese Waffen zur Selbst-
verteidigung«, sagt Hemenway.
»Ihr einziger Zweck ist es, viele
Menschen schnell zu töten.«
Trump sagte am Mittwoch, er
sehe keinen »poli tischen Appe-
tit« im Kongress für ein Verbot
von Sturmgewehren oder gro-
ßen Magazinen – ganz so, als
hätte er es als Präsident nicht in
der Hand, die Republikaner für
schärfere Gesetze zu gewinnen.
Trump wird sich auch schwer-
tun, Internetplattformen zu re-
gulieren, auf denen sich Attentäter wie Cru-
sius radikalisieren. Das berüchtigte Forum
8chan, in dem Crusius und zuvor andere
ihre Pamphlete verbreitet haben, ist zwar
inzwischen offline. Aber nur, weil der In-
ternetdienstleister der Website ihren Server
entzog. In geschlossenen Gruppen des Mes-
sengers Telegram wird Crusius weiter ge-
feiert. »Der heutige Tag wird in die Ge-
schichte eingehen als Wendepunkt für das
Selbstbewusstsein der weißen Rasse«,
schrieb dort nach dem Massaker von El
Paso ein Nutzer.
»Wir müssen anerkennen, dass das In-
ternet verstörten Geistern den Weg in die
Radikalisierung öffnet«, sagte Trump am
Montag. Für ihn sind an den vielen Mas-
senerschießungen in den USA psychisch
kranke Menschen schuld, nicht das Waf-
fenrecht und rechtsextreme Täter.
Außerdem sei der Täter von Dayton,
Connor Betts, so Trump am Mittwoch, im
Gegensatz zu Crusius ein »Fan von Eliza-
beth Warren und Bernie Sanders« gewe-
sen, ein Linker also. Zwar stimmt es, dass
Betts auf Twitter entsprechende Tweets
verfasste, aber er scheint laut FBI vor al-
lem mit verschiedenen gewalttätigen Ideo-
logien sympathisiert zu haben, außerdem
prüfen die Ermittler, ob er Verbindungen
zu sogenannten Incels hat – radikalen
Frauenhassern. Anders als Crusius hat er
seine Tat zudem nicht politisch begründet,
sein Motiv ist nach wie vor unklar – unter
den neun Opfern war seine Schwester.
Nach der Tat von El Paso haben viele
Angehörige von Minderheiten Angst, sie
fühlen sich von ihrem Präsidenten nicht
beschützt, sondern zum Abschuss freige-
geben. Trump lässt wenig Zweifel daran,
dass er sich vor allem als Präsident der
Weißen sieht, und zwar als Präsident jener
30 Prozent, die in jedem Fall nächstes Jahr
für ihn stimmen wollen.
Das wirft Fragen auf für die Präsident-
schaftswahl im kommenden Jahr: Kann
Trump gewinnen, indem er nur auf weiße
Wähler setzt? Und auf das nackte Ressen-
timent? Die Weißen stellen nur noch
knapp zwei Drittel der US-Bevölkerung,
und unter ihnen sind viele von Trump an-
gewidert. 18 Prozent sind Latinos, 13 Pro-
zent Schwarze. Den Sieg bei der Wahl
2016 hat Trump vor allem den Eigenheiten
des US-Wahlsystems zu verdanken. Es
sorgte dafür, dass Staaten aus dem Mittle-
ren Westen, wo es überproportional viele
Weiße gibt, den entscheidenden Ausschlag
gaben. Trump konnte gewinnen, obwohl
Hillary Clinton fast drei Millionen Stim-
men mehr auf sich vereinte.
Aber die politische Landkarte der USA
ändert sich – nicht aufgrund einer Ver-
schwörung, sondern durch demografi-
schen Wandel. Nirgendwo lässt sich das
genauer studieren als in Texas, dem Bun-
desstaat, in dem Crusius lebte. In den ver-
gangenen Jahrzehnten war Texas eine
Hochburg der Republikaner und der NRA,
Heimat von Rednecks in Cowboystiefeln –
so zumindest das Klischee. Aber es stimmt
immer weniger mit der Realität überein.
Heute sind 41,5 Prozent der Texaner Wei-
ße ohne lateinamerikanische Wurzeln,
aber die Latinos holen schnell auf, sie stel-
len 39,6 Prozent, ihr Anteil wächst.
Bei den Kongresswahlen 2018 gaben
64 Prozent der texanischen Hispanics dem
demokratischen Senatskandidaten Beto
O’Rourke die Stimme, der aus El Paso
stammt – und der nur knapp verlor. Sie
gaben zudem mit den Ausschlag dafür,
dass die Republikaner die Mehrheit im Re-
präsentantenhaus einbüßten. Wenn die
Hochburg Texas verloren geht, hätte das
für die Republikaner katastrophale Folgen.
Texas gehört mit der Zahl von 38 Wahl-
leuten zu den bedeutendsten Staaten, die
über den nächsten Präsidenten entschei-
den. Wenn sie in die Hände der Demokra-
ten fallen sollten, wird es für diese deutlich
leichter, das Oval Office zu erobern. Das-
selbe gilt für Staaten wie Ari-
zona und Georgia. Sie werden
demokratischer, während tra-
ditionell demokratische Staa-
ten mit vielen Arbeitern im
Norden republikanischer wer-
den – die Frage ist, wo sich die-
ser Wandel bis 2020 schneller
auswirkt.
Raul Arenas steht in seinem
Haus in El Paso und schüttelt
den Kopf. Nein, sagt er, Trump
werde er auf keinen Fall wäh-
len. Der sei ein »Hater«, ein
»Dummkopf«, findet er: »Das
Netteste, das man über unse-
ren Präsidenten sagen kann, ist,
dass er kindisch ist.« Arenas ist
seit rund dreißig Jahren US-
Staatsbürger. Als 19-Jähriger
kam er aus der mexikanischen
Stadt Ciudad Juárez, die man vom Park-
platz des Walmart in El Paso aus gut sehen
kann, illegal in die USA.
Er kaufte eine gefälschte Greencard,
fand Arbeit, stellte nach fünf Jahren einen
Antrag auf Einbürgerung. Er hat drei Kin-
der, die auf US-Boden geboren wurden
und folglich Amerikaner sind. Alle haben
Bestnoten und studieren hier. Mittlerweile
hat Arenas ein eigenes Dachdecker-Unter-
nehmen in El Paso und ist ein gemachter
Mann. Seine private Invasion hat den USA
erkennbar gutgetan.
»Die wahren Invasoren von Texas«, sagt
Arenas und lacht, seien – wenn über-
haupt – die Weißen. Die seien im 19. Jahr-
hundert nach Texas gekommen und hätten
die Mexikaner vertrieben. Aber Arenas
will keine engherzigen Sprüche klopfen.
Das überlässt er lieber dem Präsidenten.
Anna Clauß, Roman Höfner, Juan Moreno,
René Pfister, Martin Schlak
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ERIN TOBERMAN / FACEBOOK
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