ist inzwischen alles möglich«, twitterte
Erika Steinbach, die inzwischen AfD-nahe
ehemalige Präsidentin des Bundes der
Vertriebenen, mit drei weinenden Emojis.
Bald folgten in sozialen Netzwerken wi-
derwärtige Forderungen, »in den Flieger
in die Bananenrepublik zurück«, »abschie-
ben«, »abknallen«.
Dagegen stemmte sich die Hamburger
Seebrücke, eine Organisation, die sich für
geflüchtete Menschen einsetzt: »Statt ei-
ner kleinlichen Diskussion über seine Iden-
tität, die an der Realität auf den tödlichen
Migrationsrouten völlig vorbeigeht, hat
Jatta die Unterstützung seines Arbeit -
gebers und seiner Stadt verdient.« Die
sicherte der Sportvorstand
des Hamburger SV, Jonas
Boldt, Jatta zu – und empörte
sich: »Ich persönlich finde es
unglaublich und erschütternd,
dass sich unser Spieler wegen
dieser öffentlichen Diskussion
teilweise einem gesellschaft -
lichen Spießrutenlauf ausge-
setzt sieht.«
Dabei darf sich der HSV
nicht wundern, dass der
Fall diese Wucht entfaltet.
Interne Dokumente zeigen,
dass der Verein selbst schon
vor dreieinhalb Jahren Zwei-
feln am Alter und am Namen Jattas nach-
ging.
Bakery Jatta ist laut Behördenangaben
am 12. Juli 2015 nach Bremen eingereist,
zu diesem Zeitpunkt musste sich Bremen
bereits um viele Hundert weitere un -
begleitete minderjährige Flüchtlinge
kümmern. Da er keinen Asylantrag stellte
und laut seinem gambischen Pass noch
unter 18 war, war die Ausländerbehörde
zuständig.
Im November 2015 wurde Jatta erken-
nungsdienstlich behandelt. Dass bis dahin
vier Monate vergingen, soll an der Über-
forderung der Behörden in dieser Zeit ge-
legen haben.
Die Behörde schickte seinen Namen
durch die Datenbanken. Sie fand zu die-
sem Zeitpunkt keine dokumentierten Be-
rührungspunkte mit ausländischen Behör-
den, etwa in Italien, Griechenland oder
Spanien, die eine Route durch die Wüste
und übers Mittelmeer nach Deutschland
belegen würden.
Das war im Sommer 2015 nicht unge-
wöhnlich. Eine genauere Prüfung seiner
Identität gab es offenbar nicht. Viele ju-
gendliche Flüchtlinge laufen ohne Papiere
bei den Behörden auf und werden erst ein-
mal bis zu ihrem 18. Geburtstag geduldet.
So auch Jatta.
In einer Einrichtung nahe Bremen be-
gann sein Aufstieg in die Fußballwelt. Im
Januar 2016 wurde Jatta für ein zweitägi-
ges Probetraining zum Hamburger SV ver-
mittelt. Er maß sich mit gestandenen Profis
und Nationalspielern – und überzeugte.
Der damalige Trainer Bruno Labbadia
sagte, Jattas Potenzial sei direkt zu sehen
gewesen. Aufgrund von Fifa-Regularien
musste der HSV jedoch warten, bis Jatta
18 war, dann erst nahm er ihn unter Ver-
trag. Einen Monat zuvor soll er eine Auf-
enthaltserlaubnis aus »humanitären Grün-
den« erhalten haben.
Mit Jatta ging auch seine Akte nach
Hamburg. Die zuständige Behörde hat
ihm einen Aufenthaltstitel, der an die
Vertragslaufzeit beim HSV gekoppelt ist,
gegeben. Eine solche Aufenthaltserlaubnis
zum Zweck der Berufsausübung kann laut
einer Sprecherin des Einwohnerzentral-
amts Hamburg jeder bekommen, der die
Bedingungen erfüllt.
Für Jatta zuständig war nun das Wel -
come Center des Bezirksamts Hamburg-
Mitte, das auch über die Betreuung und
Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis
entscheidet. Die Behörde geht jetzt den
Hinweisen nach, ob Jatta seine Identität
korrekt angegeben hat. Dazu kann er
angehört und mit den Vorwürfen konfron-
tiert werden – sollte er seinen Pass ge-
fälscht haben, muss er mit einem Rücknah-
meverfahren seiner Aufenthaltsgenehmi-
gung rechnen.
Im September 2016 hatte Jatta seinen
ersten Einsatz in der zweiten Mannschaft
des HSV in der Regionalliga Nord (vierte
Liga), schoss zwei Tore. Im April 2017 de-
bütierte er in der Bundesliga. Das Mär-
chen war nun perfekt. Für den HSV war
er ein Schnäppchen, er verdiente jährlich
120 000 Euro, sein Mitspieler Lewis Holt-
by 30-mal so viel.
Jatta ist ein ungewöhnlicher Athlet, bul-
lig und dennoch sehr schnell. Seine Ball-
führung bei hohem Tempo erstaunt. Er
kann mit beiden Füßen schießen und flan-
ken. Er bleibt auch nicht zu lange am Ball,
er nimmt einen Pass an, spielt ab, läuft
sich wieder frei. Jatta ist längst Stammspie-
ler beim HSV, er dürfte inzwischen Millio-
nen wert sein.
Die sportliche Entwicklung Jattas, ge-
paart mit seiner berührenden Biografie,
lässt vermuten, dass der HSV wenig
Interesse hatte, mögliche Ungereimt -
heiten aufzuklären. Dabei hatte der
Verein schon frühzeitig Hinweise, dass
etwas nicht stimmen könnte. In Dokumen-
ten der Enthüllungsplattform Football
Leaks zeigt sich, wie sich der Klub
Anfang 2016 um den Gambier kümmerte,
sich um seine medizinische Behandlung
sorgte, mit seinem Agenten in Kontakt
stand – und Jattas Vergangenheit er -
forschte.
Bereits am 18. Januar 2016 wies ein
Spielerberater einen HSV-Mitarbeiter da-
rauf hin, was er aus verlässlichen Quellen
in Gambia erfahren habe: »Bakery Jatta
soll mit dem richtigen Namen
Bakary Daffeh heißen«,
schrieb der Berater, nannte
einen ehemaligen Verein und
verschickte zwei Links, die
den Spieler zeigen sollten. Die
Neuigkeiten landeten bei Diet-
mar Beiers dorfer und Peter
Knäbel, damals Vorstands-
chef und Sportdirektor des
HSV.
Tatsächlich versuchte ein
Mitarbeiter des Vereins, den
Spuren weiter nachzugehen.
Doch offenbar hatte er
keine Beweise, die Jatta
hätten belasten oder entlasten können.
Nur eine Tendenz. Sein »Hauptverdacht«
sei, so schreibt er Ende Januar 2016 in
einer Mail, »dass es sich bei dem Spieler
tat sächlich um Bakary Daffeh handeln
könnte«.
Am Donnerstag, dreieinhalb Jahre
später, teilte HSV-Sportdirektor Jonas
Boldt mit, dass Jatta »uns gegenüber
die Korrektheit seiner Pass angaben
noch einmal bestätigt« habe. Das deutet
an, dass auch der HSV keine weiteren
Belege für dessen Angaben einholen
konnte.
Obwohl es im Februar 2016 noch in
einem »Update für Vorstand« hieß, dass
»die Suche nach dem Spieler ›Bakary
Daffeh‹« weitergehe, »um ausschließen zu
können, dass es sich bei diesem Spieler
um Bakery Jatta handelt«.
Vermutlich war das Interesse der
Beteiligten groß, dass das deutsche Fuß-
ballmärchen nicht so schnell zu Ende geht.
In einer internen Mail warnte ein HSV-
Mitarbeiter: »Bislang wird ja kommuni-
ziert (auch vonseiten des Spielers), dass
es keinen ehemaligen Verein gab. Uns
liegen aber entsprechende Hinweise vor.
Will/soll man das kommunizieren? Zer-
stört natürlich ein wenig die Story des
Wunder-Flüchtlings.«
Rafael Buschmann, Hubert Gude,
Udo Ludwig, Danial Montazeri,
Andreas Ulrich, Christoph Winterbach
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Sport
Jatta-Duldungsdokument von 2015: »Beruhen auf eigenen Angaben«