Handelsblatt - 23.08.2019

(Rick Simeone) #1

I


n großen Buchstaben steht „Integrität“ auf
einer Tafel im Büro von Hiltrud Werner.
Für die 53-Jährige ist das Wort Programm:
„Vorstand für Integrität und Recht“ lautet
der offizielle Titel der einzigen Frau im
Konzernvorstand von Volkswagen. Der Posten
wurde vor knapp vier Jahren in Wolfsburg ge-
schaffen, nachdem der Dieselskandal das Unter-
nehmen erschüttert hatte. Zu ihren zentralen Auf-
gaben gehört die Zusammenarbeit mit Monitor
Larry Thompson, den das US-Justizministerium
nach dem Schuldeingeständnis von Volkswagen
als zusätzlichen Kontrolleur in Wolfsburg einge-
setzt hatte.

Zwei von drei Jahren des Monitorprozesses von
Larry Thompson sind inzwischen vorüber. Was ist
in dieser Zeit passiert?
Mitte 2016 haben wir die Konzernstrategie bis 2025
entwickelt und 2017 unsere Verhaltensgrundsätze
neu formuliert, dies schon mit der Unterstützung
durch den Monitor. Außerdem haben wir die
grundlegende Ursachenanalyse zum Dieselskandal
vertieft. Das war eine ganz zentrale Aufgabe: Nur
wenn man genau weiß, was falsch gelaufen ist,
greifen Veränderungen an der richtigen Stelle. Die
Compliance wurde organisatorisch und personell
gestärkt, ein Hinweisgebersystem zusätzlich zum
Ombudsmann-System geschaffen, das Integritäts-
management aufgebaut und weitreichende Kultur-
initiativen gestartet.

Die Entwicklungsabteilung war der Kern der Die-
selaffäre. Was ist dort geschehen?
Wir haben Motorentwicklung, Prüfstände und Zu-
lassungsbereich organisatorisch voneinander ge-
trennt sowie „goldene Regeln“ für die Fahrzeugent-
wicklung aufgestellt. Mehr als 2 000 Mitarbeiter ha-
ben neue Aufgabenbeschreibungen bekommen,
gut 20 000 Seiten Prozessbeschreibungen wurden
aktualisiert. Klarheit von Kompetenzen und Pro-
zessen wird dazu beitragen, dass es keine Gesetzes-
verstöße mehr gibt. Auch dies wurde in einem sehr
engen Dialog mit dem Monitor erreicht.

Wichtig sind die Zwischenberichte des Monitors.
Das stimmt. Im März 2018 hat Larry Thompson sei-
nen ersten Bericht abgegeben, ein Jahr später sei-
nen zweiten. Beim ersten Mal sind uns 32 Hand-
lungsfelder, hauptsächlich in den Feldern Compli-
ance, Integrität, Risikomanagement und Unterneh-
menskultur aufgezeigt worden, beim zweiten Mal
waren es 15 weitere.

Und jetzt im November wird es einen dritten Be-
richt geben?
Wenn wir alle Empfehlungen aus dem ersten und
zweiten Monitorbericht umgesetzt und die entspre-
chenden Prozesse installiert haben, haben wir da-
mit die messbaren Zertifizierungskriterien erfüllt.
Allerdings ist das Monitorverfahren keine Übung
zum Abhaken, wo sich Larry Thompson einfach
nur einzelne Prüfkriterien ansieht. Die Zertifizie-
rung beinhaltet auch eine subjektive Bewertung
durch den Monitor, wobei das gesamte Bild des Un-
ternehmens eine zentrale Rolle spielt. Und ja: Wir
werden noch einen weiteren Bericht Ende des Jah-
res erhalten.

Welche Veränderungen wünscht sich Larry
Thompson denn?
Es geht darum, dass wir mögliches Fehlverhalten
schon im Vorfeld identifizieren und es gar nicht
erst zu Problemen kommen lassen und dass wir
unsere Fahrzeuge gesetzeskonform entwickeln und
produzieren. Außerdem müssen die Umweltaufla-
gen aus den Vereinbarungen mit den US-Behörden
erfüllt werden.

Anders formuliert: Das sind alles Auflagen, um ei-
nen zweiten Dieselskandal zu verhindern?
Durchaus. In unseren Prozessen muss beispielswei-
se sichergestellt werden, dass Transparenz gegen-
über den Behörden herrscht, etwa durch eine kla-
re Nachvollziehbarkeit der technischen Dokumen-

„Gelassen


bin ich nicht“


Die VW-Rechtsvorständin spricht über die Aufarbeitung
der Dieselaffäre und darüber, dass noch viel zu tun bleibt, bis
US-Aufpasser Thompson dem Konzern bescheinigen kann,
dass der Skandal abgehakt ist.

Hiltrud Werner:
„Entscheidend ist,
dass das Unterneh-
men konsequent,
schnell und ent-
schlossen reagiert.“

Michael Loewa/laif


tation. Hier müssen wir auch jetzt noch Vertrauen
zurückgewinnen, deshalb ist es wesentlich, dass
wir auch jetzt noch intensiv daran arbeiten.

Lassen sich die ersten zwei Jahre so zusammenfas-
sen: Unter der Aufsicht des Monitors ist ein institu-
tioneller Rahmen entstanden. Jetzt in der ab-
schließenden Testphase wird überprüft, ob alles
funktioniert?
So kann man es formulieren. In den ersten zwei
Jahren haben wir langfristige, nachhaltige Verände-

rungen angestoßen, wussten aber nicht genau, wo
2020 die Messlatte liegt, weil wir die Zertifizie-
rungskriterien nicht kannten. Aus den Empfehlun-
gen in den Zwischenberichten des Monitors wissen
wir heute, in welche Richtung wir gehen und wie
wir priorisieren müssen. Auch ohne weitere Moni-
tor-Empfehlungen wissen wir, was wir konzernweit
und weltweit noch zu tun haben.

Sie haben den institutionellen Rahmen verändert,
indem Mitarbeiter etwa in Sachen Compliance ge-

Hiltrud Werner


Unternehmen


& Märkte


(^16) WOCHENENDE 23./24./25. AUGUST 2019, NR. 162
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