Moritz Koch, Klaus Stratmann
Berlin
A
us deutscher Sicht ist
schon der Name eine
Anmaßung: „Gesetz
zum Schutz der euro-
päischen Energiesi-
cherheit“ heißt die jüngste Sankti-
onsdrohung aus Washington. Sie
richtet sich gegen ein zentrales ener-
giewirtschaftliches Projekt, an des-
sen Umsetzung gerade die Bundesre-
publik großes Interesse hat: die Pipe-
line Nord Stream 2, die noch mehr
russisches Gas nach Deutschland lei-
ten soll. Noch sind die Regelungen
nicht beschlossen, sie bahnen sich
derzeit in Washington ihren Weg
durch Senat und Abgeordnetenhaus.
Aber im weiteren Gesetzgebungsver-
fahren ist kaum Widerstand zu er-
warten. Beim Thema Russlandsank-
tionen herrscht, was im politisch ge-
spaltenem Amerika nur noch selten
existiert: überparteilicher Konsens.
„Ihr müsst verstehen“, erklärte Jon
Huntsman, US-Botschafter in Mos-
kau, europäischen Gesprächspart-
nern kürzlich, „Russland ist in Wa-
shington zu 100 Prozent schlecht.“
Der Sanktionsdrang ist inzwischen so
groß, dass die möglichen Konsequen-
zen der Strafmaßnahmen in den USA
kaum Beachtung finden. Dabei könn-
te auch die amerikanische Öl- und
Gasbranche unter den neuen Sank-
tionen leiden.
Denn um die schon zu 75 Prozent
fertiggestellte Nord-Stream-2-Pipeline
noch zu stoppen, zielen die Amerika-
ner auf die europäischen Spezialfir-
men, die damit beauftragt sind, die
Pipeline zu verlegen: Allseas mit Sitz
in der Schweiz und Wurzeln in den
Niederlanden sowie Saipem aus Ita-
lien. Beide Unternehmen sind nur
Experten ein Begriff, aber sie spielen
auf dem globalen Energiemarkt eine
Schlüsselrolle. Mit hochspezialisier-
ten Schiffen können sie Pipelines in
großen Tiefen verlegen. Der Entwurf
des Sanktionsgesetzes schreibt der
US-Regierung vor, gegen Unterneh-
men vorzugehen, „die in der Pipe-
line-Verlegung in Tiefen von 100 Fuß
(etwa 30 Meter) unter dem Meeres-
spiegel aktiv sind“. Diese Formulie-
rung wurde bewusst gewählt, um All-
seas und Saipem zu treffen. Aller-
dings hat Saipem seine Arbeit für
Nord Stream 2 schon erledigt, was
das Sanktionsrisiko für die Italiener
mindert.
Die Unternehmen sind mit ihren
Spezialschiffen nicht nur in Nord-
und Ostsee, sondern seit Jahren ins-
besondere auch im Golf von Mexiko
unterwegs – als Subunternehmen für
US-Konzerne wie Chevron und Ex-
xon Mobil. Sie verlegen dort Pipe-
lines, die Schiffe von Saipem bohren
zusätzlich auch nach Öl oder Gas. Da-
mit stünden im Fall einer Sanktionie-
rung auch Projekte im Golf von Mexi-
ko auf der Kippe.
Die Dienstleistungen der Unterneh-
men lassen sich nicht auf die Schnel-
le ersetzen. Auch die US-Ölindustrie
betrachtet daher die Bestrebungen in
Washington, Allseas und Saipem auf
die Sanktionsliste zu setzen, mit Un-
behagen. In Branchenkreisen heißt
es, die US-Energiewirtschaft habe in
Washington mehrfach darauf hinge-
wiesen, die beiden Unternehmen
würden im Golf von Mexiko dringend
gebraucht und seien unverzichtbar.
Die beiden Unternehmen selbst
sind sehr verschlossen. Sowohl Sai-
pem als auch Allseas lassen Anfragen
zu den Sanktionen regelmäßig unbe-
antwortet.
Die US-Wirtschaft sieht die Sanktio-
nen im Zusammenhang mit Nord
Stream 2 insgesamt kritisch. In einem
gemeinsamen Schreiben, in dem sich
der National Foreign Trade Council
(NFTC) und der US-Russia Business
Council Ende Juli an verschiedene Se-
natoren wandten, heißt es, es sei
„strategisch kontraproduktiv“ für die
USA, sich von Verbündeten zu ent-
fremden und die transatlantische Zu-
sammenarbeit bei wichtigen außen-
politischen Zielen zu gefährden, in-
dem man versuche, „einseitig ein
kommerziell ausgehandeltes Projekt
wie Nord Stream 2 zu verbieten“.
Sanktionen würden außerdem den
US-Gasexporteuren schaden, indem
sie die europäischen Importeure ver-
anlassten, ihre zukünftigen Importe
von US-LNG zugunsten von LNG-Lie-
ferungen aus anderen Ländern zu re-
duzieren.
Die Bundesregierung verfolgt den
Gesetzgebungsprozess genau. Das
Sanktionsrisiko wird in Berlin als
hoch eingeschätzt – trotz des Bume-
rangeffekts der Sanktionspläne. Aus
gutem Grund: Republikaner und De-
mokraten sind sich einig, dass Russ-
land Energielieferungen einsetzt, um
Abhängigkeiten zu schaffen und
Macht auszuüben. Zwar strebt Do-
nald Trump eine Verständigung mit
Russland an, doch paradoxerweise
verstärkt das die Sanktionsdynamik
sogar noch. Weil selbst die Republi-
kaner der Russlandpolitik ihres Präsi-
denten nicht trauen, zeigt sich der
Kongress fest entschlossen, der Re-
gierung Strafmaßnahmen zu diktie-
ren. Die Wut auf Moskau speist sich
aus der Einmischung in den amerika-
nischen Präsidentschaftswahlkampf
und dem Angriff auf die territoriale
Integrität der Ukraine.
Der neue Sanktionskatalog sieht
Einreisesperren gegen Manager der
betroffenen Verlegefirmen vor, auch
ihre Dollar-Vermögen könnten einge-
froren werden. De facto würde es für
Allseas und eventuell auch Saipem
kaum noch möglich sein, in den USA
Geschäfte zu machen. Die deutsche
Wirtschaft und die Bundesregierung
halten trotz des Streits mit den Ame-
rikanern an Nord Stream 2 fest. Die
zusätzlichen Gaskapazitäten seien nö-
tig, um die Versorgungslücken zu fül-
len, die durch den Kohle- und Atom-
ausstieg entstehen. Nord Stream 2
trage dazu bei, die Gasversorgung
Europas sicherer zu machen.
Erdgasversorgung
USA schaden sich selbst
Geplante US-Sanktionen gegen Verlegeschiffe zielen auf Nord Stream 2,
könnten aber auch Öl- und Gasprojekte der USA im Golf von Mexiko treffen.
Verladung von Rohren
für Nord Stream 2
in Mukran auf Rügen:
Die beteiligten Unterneh-
men sind auch im Golf
von Mexiko aktiv.
Axel Schmidt/REUTERS
75
PROZENT
der Ostsee-Pipeline
sind mittlerweile
fertiggestellt.
Quelle: Nord Stream 2
AG
Chronologie des Projekts „Nord Stream 2“
Zeitstrahl mit ausgewählten Ereignissen seit 2012
Oktober 2012 Die Aktionäre des Projekts
Nord Stream prüfen die vorläufigen
Ergebnisse der technischen und wirt-
schaftlichen Studie für den Bau eines
dritten und vierten Strangs der Pipeline
und kommen zu dem Schluss, dass deren
Bau wirtschaftlich sinnvoll und technisch
machbar sei.
- September 2015
Das Projekt wird
erstmals in den
Medien erwähnt.
April 2017 Die Nord
Stream 2 AG unterzeichnet
Finanzierungsvereinba -
rungen zum Projekt der
Pipeline mit den Konzer-
nen Engie, OMV, Shell,
Uniper und Wintershall.
Ende 2019 Geplante Fertig-
stellung des Projekts.
- Juni 2015 Gazprom, Eon,
Shell und OMV unterzeichnen eine
Absichtserklärung zum gemein -
samen Bau von zwei Strängen der
Pipeline mit summarischer Jahres-
kapazität von 55 Milliarden
Kubikmetern von Russland durch
die Ostsee bis zur deutschen Küste. - September 2015
Gazprom, BASF, Eon,
Engie, OMV und Shell
unterschreiben ein
Aktionärsabkommen
zum Bau des Pipeline-
systems. - März 2018
Die Ostseepipeline für
Nord Stream 2 wird in
Deutschland bewilligt.
Wirtschaft & Politik
DIENSTAG, 27. AUGUST 2019, NR. 164
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