Süddeutsche Zeitung - 29.08.2019

(Grace) #1
OhneVersicherungwürdedieIndustrie
nicht funktionieren.KaumeineBank
würdeGeldfüreinengroßenNeubaulei-
hen,wennderBauherrsichnichtgegen
Feuerversichernwürde.NeueVerfahren,
großefinanzielleRisikenausBetriebsun-
terbrechungen,Warentransporteper
LuftoderSee–allesdasistversichert
undfunktioniertdeshalbgut.
Allerdings:DieJahrhundertealtePart-
nerschaftzwischenWirtschaftundVersi-
cherungstehtzurzeituntererheblichem
Druck.DieIndustriehatsichinerstaunli-
chemTempodigitalisiert.DieVersiche-
rungswirtschafthinkthinterher.DieFol-
ge:DieVersichererkönnenDatenderIn-
dustrienurmitMüheverarbeiten,weiter-
hinwerdenExcel-Sheetsverschickt,im-
mernochmüssenZahlenkolonnenmehr-
malsperHandneueingegebenwerden.
WiesehrdasProblemdieVersicherer
quält,zeigtdiejüngsteEntscheidungdes
Ergo-Konzerns.DieMunichRe-Tochter
willmitdenAutoherstellerninsGeschäft
kommen,derMarktgiltalslukrativund
zukunftsträchtig.Allerdingshabendie
HerstellerdemVersichererklargemacht,
dassdiesmitderveraltetenITschwierig
ist.ErgomusstedeshalbMillionenEuro
investieren,umeineSpeziallösungnur
fürdiesenGeschäftsbereichbauenzulas-
sen–eineInsellösungmitteninderältli-
chenErgo-Software.
VersicherersindDienstleister.Siemüs-
sensichneuenBedürfnissenderKunden
anpassen.Deshalbhabensiedringenden
Handlungsbedarf.Dasgiltnichtnurfür
dieDigitalisierungderVersicherungs-
brancheselbst,sondernauchfürdieArt
derRisiken,diesieabsichern.WeralsVer-
sichererheutekeineCyberrisikenderIn-
dustrieabdeckt,hatüberkurzoderlang
einProblemmitseinenKunden.
DieIndustriehatrecht,wennsieguten
Serviceverlangt.AllerdingsdürfendieRi-
sikomanagerdergroßenKonzerneauch
nichtvergessen,dasssieindenvergange-
nenJahrendenVersicherungsschutz
sehr,sehrbilligbekommenhaben.Zuge-
geben,dasistnichtihreSchuld–schließ-
lichhabensichdieAnbietergegenseitig
unterboten.WereinerseitsbestenSer-
vicefordert,aberandererseitsPreisstei-
gerungenheftigkritisiert,istunglaub-
würdig.LangfristignutztderIndustrie
nureineVersicherungswirtschaft,die
funktioniertundimSchadenfallauch
zahlenkann–undnichtvoneinoder
zweiKatastrophenfinanziellindieKnie
gezwungenwird. 



A


chtMonatestanddieBayernoil-Raf-
finerieinNeuburganderDonau
still.NacheinerschwerenExplosion
undeinemGroßbrandam1.Septem-
ber2019konntedieAnlageerstAnfang
MaidiesesJahreswiedergestartetwerden.
BeidemUnfallwaren15Menschenverletzt
worden,mehrals1000umliegendeHäuser
wurdendurchdieDruckwellebeschädigt.
FührenderVersichererwardieHannovera-
nerGesellschaftHDIGlobal,danebenwar
dieOilInsuranceLimitedbetroffen,ein
Unternehmen,dasAnbieternausderEner-
giebranchegehört.DieendgültigeScha-
denhöheistnochunklar,Schätzungenrei-
chenvon100MillionenEurobis500Milli-
onenEuro,derHDIwillsichdazunicht
äußern.FürdenVersichererlieferteder
GroßschadenimvergangenenJahreingu-
tesArgumentfürdieanstehendenVer-
handlungenmitdenKunden.Kurzzuvor
hatteerangekündigt,für20Prozentsei-
nerVerträgediePrämienbis2020um
20Prozenterhöhenzuwollen.
JahrelangwarendiePreiseinderFeuer-
versicherungfürIndustriekundenniedrig.
MittlerweilehatbeidenVersicherernein
Umdenkeneingesetzt.BeidenVertragser-
neuerungenAnfang2019erhöhtendieAn-
bieterbereitsdiePrämien–teilweisedeut-
lich.„VorreiterwarderHDI,derMarkthat
dannnachgezogen“,sagtKai-FrankBüch-
ter,derbeimVersicherungsmaklerAon
VorsitzenderderGeschäftsführungist.

DieVersichererkönnenguteGründean-
führenfürdiesteigendenPreise.Imver-
gangenenJahrbetrugdieSchaden-und
KostenquoteinderIndustrie-Feuerversi-
cherung124Prozent,sagtBüchter.Das
heißt,dassdieVersichererfürjedenEuro
Prämie,densievonihrenKundenein-
genommenhaben,1,24Euroausgegeben
habenfürSchäden,Verwaltungs-undVer-
triebskosten.DieIndustriehatgrundsätz-
lichVerständnisfürdieNötederVersiche-
rer.„WirwollennatürlichVersichererha-
ben,dieüberlebenkönnen,unddieesauch
inzehnJahrennochgibt“,sagtChristian
Böhm,VersicherungschefbeiderFreuden-
berg-Gruppe,dieunteranderemalsAuto-
mobilzulieferertätigist.Erbetontaber
auch:„DiePrämienwurdenmitdenVersi-
cherernvereinbart,nichtdieKundensind
schuldanderSituation.“
NichtalleUnternehmensindvonder
ForderungnachhöherenPreisengleichbe-
troffen.Chemie,Recycling,Holz,Fleisch-
verarbeitung,aberauchGalvanik–Unter-
nehmenausdiesenBranchenmüssenmit

deutlichhöherenPreisenfürihreFeuerver-
sicherungrechnen,wenndieAnbietersie
nichtsogarganzablehnen.DieseBranchen
sindbeidenVersicherernschonseitJah-
rennichtsehrbeliebt,einzelneGesellschaf-
tenlehntenmanchederRisikenkomplett
ab.„IndiesenSpartengabesindenvergan-
genenJahreeinigeGroßschäden“,sagt
Aon-MaklerBüchter.„JetztistderDruck
extremhoch.“
LautBüchtermüssenindiesenBran-
chenauchUnternehmen,dieindenvergan-
genenJahrenkeineSchädenhatten,mit
steigendenPreisenrechnen.„EinigeVersi-
cherererhöhenhierteilsdeutlich,alswür-

densiedieVerträgegarnichtzeichnenwol-
len“,sagter.ImSchnittverlangendieGe-
sellschaften10bis15Prozentmehr.Bei
schadenbelastetenVerträgenflatternden
UnternehmenauchschonmalAngebote
mitdemdreifachenPreisaufdenTisch,be-
richtetderMakler.BöhmvonFreuden-
berg,dersichauchimGesamtverbandder
versicherungsnehmendenWirtschaftund
imBundesverbandderdeutschenIndus-
trieumVersicherungsbelangekümmert,
fordertAugenmaßvondenGesellschaf-
ten.„VoreinerErhöhungderPrämiesoll-
tenalleanderenMöglichkeitenwiedieVer-
besserungdesBrandschutzesoderhöhere

Selbstbehalteausgeschöpftwerden.“Die
SituationwirddurchdieKonsolidierung
aufdemMarktverschärft.Währendbis
vorwenigenJahrenstetigfrischesKapital
indenMarktströmteundneueAnbieter
aufdendeutschenMarktkamen,hatsich
dieZahlderhierzulandetätigenIndustrie-
versichererzuletztverringert.Axahatden
RivalenXLübernommen,dieAnbieterAm-
linundMapfrehabensichausDeutsch-
landverabschiedet,voreinigenJahren
gingschondiebritischeRSA.
NebendensteigendenPrämiensorgt
einweiteresThemafürUnmutbeidenUn-
ternehmen.DerVorwurfandieVersiche-

rer:Vorallembeikleinenundmittelständi-
schenFirmenverzögernsieimSchaden-
falldieZahlungensolange,bisdieKunden
sichnotgedrungenmiteinemgeringeren
Betragzufriedengeben.„Ichhabekeine
Statistiken,diedassauberbeweisen“,sagt
AlexanderMahnke,Versicherungschefbei
SiemensundVorsitzenderderKundenlob-
byGVNW.„AufderanderenSeiteistnatür-
lichschonfestzustellen,dasseherFronten
aufgebautalsSchädenreguliertwerden.“
Errät,dassUnternehmenbeiderAuswahl
einesVersicherersdasThemaSchadenbe-
arbeitungnochstärkerberücksichtigen
sollen.

DieFlughäfensindüberfüllt,dieZahlder
KollisionenzwischenFlugzeugenaufdem
Bodensteigt.Kleinflugzeugezerschellen
indenAlpenodervoreinerBaumarkt-
wand.GroßeKatastrophenwarenbisvor
kurzemselten.AberdasistseitdenAbstür-
zenzweierBoeing737Maxundderdarauf
folgendenStilllegungallerFlugzeugean-
ders.
DieLuftfahrtversicherersindunter
Druck,weildiePreiseniedrigsind.„Esist
klar,dassdieVersicherermehrGeldbrau-
chen“,sagtReinerSiebert,Geschäftsfüh-
rerbeimGesamtverbandderversiche-
rungsnehmendenWirtschaft(GVNW).Bis
2018warerfürdieVersicherungstöchter
unddenSchutzderLufthansazuständig.
„Esistabsolutnotwendig,dassdiePrä-
mienangepasstwerden.DasMaßistaller-
dingsentscheidend.“
DerMarktfürLuftfahrtversicherung
hatdreiBereiche:PolicenfürFluggesell-
schaften,fürHerstellerundFlughäfenso-
wiefürPrivatfliegervonkleinenSportma-
schinenbiszudenPrivatjetsderPromis
oderderKonzerne.InderFachsprache
heißtdasGeneralAviation.
LiefinderVergangenheiteinerderBe-
reichewegengrößererSchädeneinmal
nichtsoprofitabel,habendieanderendas
inderRegelausgeglichen,berichtetSie-
bert.„Dashatsichstarkgeändert.“Denn
jetztsinddieSchädenüberallhoch,dieNot
beidenVersicherernistdeshalbsogroß.
DieseEinschätzungbestätigtdieMak-
lerfirmaAJGallagher.SohatderBereich
GeneralAviationauchinternationalim
zweitenQuartaldiesesJahreseineReihe
tödlicherVorfälleerlebt:InMexikostar-
benelfMenschenbeimAbsturzeinesFir-
menjets,inBrasilienmachtederCrashei-
nesFlugzeugsmitPopstarGabrielDinizan
BordSchlagzeilen,derdabeistarb.Angeb-
lichwarderFliegernichtalsFlugtaxilizen-
siert.DerFallerinnertandenFußballer
EmilianoSala,derAnfangdesJahresüber
demÄrmelkanaltödlichverunglückte.

DanebensprichtAJGallaghervonzahl-
reichenkleinenUnfällenmitBeulenund
Kratzern,dieinsgesamtzuhohenKosten
führen.„Zusammenstellendiesetägli-
chenEreignisseeinenerheblichenAnteil
derjährlichenSchädendarundbleibenda-
hereinbesorgniserregenderBereichfür
dieLuftfahrtversicherer.“
ImBereichGeneralAviationgibtesin
derRegelkeinenSelbstbehalt,erklärt
GVNW-MannSiebert,sodassSchäden
komplettandieVersichererdurchgereicht
werden.BeigroßenJetsgibteszwarSelbst-
behaltebiszueinerMillionenDollar.Aller-
dingswerdendiesezumeistdurcheinewei-
tereVersicherung,diesogenannteKasko-

Franchise-Police,deutlichreduziertund
liegendannauchnurbeietwa50000Dol-
lar.DamitwerdenselbstkleineReparatu-
renandenFliegernschnellzueinemFall
fürdieVersicherung.
NatürlichstelltderFallBoeinginseiner
DimensionalleanderenSchädeninden
Schatten.ZweiAbstürzemithundertenTo-
teninnerhalbkurzerZeit,dasfolgende
FlugverbotfüralleBoeing737-Max-Ma-
schinen,KlagenvonAngehörigenundPilo-
ten–derSchadenfürdenHerstellerBoe-
ingwirdderzeitaufrundfünfMilliarden
Dollargeschätzt,Tendenzsteigend.Wird
nachgewiesen,dassfürdieAbstürzebeiEt-
hiopianAirlinesundLionAirdieSysteme
vonBoeingverantwortlichwaren,istdies
einFallfürdessenProdukthaftpflichtpoli-
ce.SiehatnachBranchenangabeneineDe-
ckungssummevon2,5MilliardenDollar.
ZahlenwerdenindiesemFallallegroßen
internationalenLuftfahrtversicherer.Füh-
rendbeiBoeingistGlobalAerospace.Das
isteinPoolausVersicherern,derfederfüh-
rendvondemMünchnerRückversicherer
MunichReverwaltetwird.
AußerdemwerdendiebetroffenenFlug-
gesellschaftenBoeingfürihresogenann-
tenGrounding-Kostenverantwortlichma-
chen,alsoalleKosten,dieihnendurchdas
Flugverbotfürdie737-Max-Maschinen
entstandensind.DieVersicherungssum-
mebeiBoeingsollindiesemBereichbei
500MillionenDollarliegen,dieKosten

werdendaswohlübersteigen.Deshalbist
auchfürdieEinkäuferderUnternehmen
klar,dasshöherePreiseunvermeidlich
sind.DasUS-FachmagazinFlyingerklärt,
dassesauchimeigenenInteressederLuft-
fahrtfirmensei,höherePrämienbiszuei-
nemgewissenGradezuakzeptieren.
„WennderMarktsolcheVeränderungen
nichtakzeptiert,werdensichernochmehr
VersichererdenBereichLuftfahrtverlas-
sen.“UndwenigerKonkurrenzwerdeun-
ausweichlichzunochhöherenPrämien
führen,warnendieExpertendesMaga-
zins.
DieseEntwicklungsiehtMarion
Schmidt,dielangeJahrealsUnderwriterin
fürLuftfahrtversichererPolicenverhandel-
te,bereitsimGange:DieKapazitätenseien
durchZusammenschlüsseundÜbernah-
menimMarktbereitsgesunken.Auchwür-
dendieUnderwritersichdieeinzelnenRisi-
kengenaueranschauenund„Risikenmit
schlechtemSchadenverlaufgarnichtoder
nurmitgeringerenAnteilenundgegebe-
nenfallshöhererPrämiezeichnen“.
WiehochderAnstieggenauausfällt,
wirderstgegenEndedesJahresklarer.
DannwerdentraditionelldiemeistenPoli-
cenerneuert.Siebertfürchtet,dassderAn-
stiegohneMaßseinwird,underinnertan
dieFolgendes11.September2001.Nach-
demTerroristenbeidenAngriffeninden
USAFlugzeugezuihrenWaffengemacht
hatten,stiegendiePrämieninderLuft-
fahrtversicherungexorbitantan.Wenige
Jahrespäterfielensieaberumsostärker
wiederab,sodassdieVersichererbisheute
mitdiesenniedrigenPrämienkämpfen.

SiebertsHoffnung:„DerMarkthataus
9/11gelernt.“AuchSchmidtsiehtkeinen
AnlassfürgroßeUnruhebeidenKunden:
„DerDruckaufdiePrämiendürftesehr
überschaubarbleiben,weilesinsgesamt
weiterhinÜberkapazitätenindiesem
Marktgebenwird.“SchmidtundSiebert
betonen,dassdasLuftfahrtgeschäftfür
Versicherergenerellinteressantist,weiles
mitanderenRisikenwiederEntwicklung
beiNaturkatastrophennichtkorreliert,al-
sounabhängigdavonist.
FüreinzelneAirlinesistesschwierig,
selbstetwasgegenhöhereVersicherungs-
kostenzuunternehmen,erklärtSiebert.
Natürlichkönnensieimmerversuchen,
dieFrequenzvonKleinschädenzuverrin-
gernunddamitzueinembesserenRisiko
fürdieVersichererzuwerden.Eineweitere
MöglichkeitzurReduzierungvonPrämien
isteinhöhererSelbstbehalt.GrößereUnter-
nehmenwiedieLufthansakönnensichdas
leisten.„IndenvergangenenJahrenhat
sichdasnichtgelohnt,aberdaskönnte
sichjetztändern.“ 

INDUSTRIEVERSICHERUNG

Neustart


erforderlich


Teurer Schutz


DieFeuerversicherungistfürdieAnbietereinMinusgeschäft.RisikoreicheBranchenwieChemie,Recycling,Holz,
PapieroderFleischverarbeitungmüssenmitdeutlichhöherenPreisenrechnen

Unter Druck


LuftfahrtversichererhabenmithohenSchädenzukämpfen.EsdrohteinMangelanAnbietern


FürAirlinesseiesschwierig,
etwasgegenhöhereKosten
zuunternehmen

DerSchadenfürBoeing
wirdderzeitaufrund
fünfMilliardenDollargeschätzt

MancheFirmenwerden
vondenVersicherern
abgelehnt

28SZSPEZIAL– KONZERNE VERSICHERN Donnerstag,29.August2019,Nr.199 DEFGH


RELEASED RELEASED RELEASED


BY


"What's


News" News" News"


vk.com/wsnws
t.me/whatsnwst.me/whatsnwst.me/whatsnws
Free download pdf