Süddeutsche Zeitung - 29.08.2019

(Grace) #1


W


ennLorenzHaneltüberdieneus-
tenpolitischenVorstößeinSa-
chenbetrieblicherAltersversor-
gung(baV)redet,klingtdasnichtgerade
schmeichelhaft.„WirhabendieWahlzwi-
schenPestundCholera“,sagtderGe-
schäftsführerdeszuLufthansagehören-
denfirmeneigenenVersicherungsvermitt-
lersAlbatrosVersicherungsdienste.„Wir
solltenCholerawählen.“
GemeintistdamitdasneueSozialpart-
nermodell,mitdemdieBundesregierung
dieVerbreitungvonBetriebsrentenankur-
belnwill.DiebAVkommtnichtvoran–ob-
wohlesmitderDirektversicherung,der
UnterstützungskassesowiePensionskas-
se,-fondsund-zusagebereitsfünfsoge-
nannteDurchführungswegegibtundAr-
beitnehmerseit2002einengesetzlichen
Anspruchdaraufhaben,dassderArbeitge-
bereinenTeilihresGehaltsineineBe-
triebsrentesteckt.VerfügtenlautBundes-
arbeitsministerium2013noch58,9Pro-
zentdersozialversicherungspflichtigBe-
schäftigtenübereinebAV-Anwartschaft,
warenes2017noch55,6Prozent.

Umdaszuändern,hatderGesetzgeber
mitdemBetriebsrentenstärkungsgesetz
(BRSG)nocheinenweiterensechsten
Durchführungsweggeschaffen,dasSozial-
partnermodell.Esbrichtmiteinemwichti-
genPrinzipderbAV:ZumerstenMalsollen
ArbeitgebernichtmehrfürdieBetriebsren-
teninbestimmterHöhehaftenmüssen.
Dassollsiedazuanimieren,ihrenArbeit-
nehmernmehrbAV-Angebotezumachen.
DetailssollenArbeitgeberundGewerk-
schafteninTarifverträgenvereinbaren.
ObwohldasseitAnfang2018möglichist,
hatsichbishernochnichtvielgetan.
FürHaneltvonAlbatroshatdaszumei-
nendamitzutun,dassesbeimSozialpart-
nermodellwegendesHaftungsverzichts
auchkeineGarantieleistungenmehrfürAr-
beitnehmergibt.Dasheißt,dassdieRen-
tenauchsinkenkönnen.„Dasmussman
denGewerkschaftsmitgliedernerstmal
vermitteln“,sagter.Zumanderenhälter
auchdieVerquickungdesModellesmitTa-
rifverträgenfüreinProblem.„Daszwin-
gendeVorliegeneinesTarifvertragsistein
Systemfehler“,sagtHanelt.Kleineundmit-
telgroßeUnternehmenohneTarifvertrag
sollenzwarauchvondemModellprofitie-
renkönnen,indemsiesichandiedortige
Regelunganlehnen.Daswerdeaberkaum
eineFirmamachen,glaubtHanelt.Die
Angstseigroß,dassdannauchandereVer-
einbarungenausdenTarifverträgenüber-

nommenwerden,wennsichdieUnterneh-
mendemVertragbeimSozialpartnermo-
dellannähern.
Ihmwäreesliebergewesen,wennder
GesetzgeberdasbestehendeSystemver-
einfachthätte,statteinneuesModellzu
schaffen.„WenndieAutobahnkaputtist,
sollteichmirkeinenneuenRennwagen
kaufen,sonderndieAutobahnreparieren“,
meinter.DerGesetzgeberhatnachHa-
neltsSichtdieChanceverpasst,diebAVzu

entschlacken.„ImPrinzipreichenzwei
Durchführungswegeaus,einerüberdie
Unternehmensbilanz,eineraußerhalbder
Bilanz“,sagtHanelt.„Wirbraucheneine
Vereinfachungundnichteinenzusätzli-
chenDurchführungsweg.“
DasSozialpartnermodellmusstrotzall
seinerFehlerfunktionieren.„Dasistdie
letzteChance,eineprivatwirtschaftliche
LösungauffreiwilligerBasisumzusetzen“,
warntHanelt.„Wenndasnichtklappt,

wirdderGesetzgebereineZwangsrente
durchsetzen.“Dannwerdeeinestaatlichor-
ganisierte,verpflichtendeEinheitslösung
kommenwiesieschonunterdemSchlag-
wortDeutschlandrentefürandereBerei-
chederAltersvorsorgevorgeschlagenwor-
denist,glaubtHanelt.ArbeitgeberundVer-
sichererfürchtendieseLösung,weilsieih-
nenGestaltungsfreiheitnehmenwürde.
BeiHaneltistdasinseinemPest-undCho-
lera-Vergleichdas,waseralsPestbezeich-

net.HaneltsMeinungnachkönntedieVer-
sicherungswirtschaftbeimSozialpartner-
modellmitgutemBeispielvorangehen.
DerArbeitgeberverbandderVersiche-
rungsunternehmeninDeutschland(AGV)
solltezusammenmitderGewerkschaft
VerdifürdieBeschäftigteninderVersiche-
rungsbrancheeineBlaupausevorlegen,
findetHanelt.„Wiewillmanetwasverkau-
fen,wasmanselbstnichthat?“VieleVersi-
chererhoffen,mitdenSozialpartnernins

Geschäftzukommen.Siehabensichzu
KonsortienmitNamenwie„DasRenten-
werk“,„DeutscheBetriebsrente“und„Initi-
ativeVorsorge“zusammengetanundent-
sprechendeAngeboteentwickelt.
DerAGVwinktallerdingsab.„Wirma-
chenderzeitindiesemBereichnichts“,
sagtMichaelNiebler,geschäftsführender
VorstanddesVerbands.Zumeinengebees
keineInitiativevonVerdi,zumanderenhät-
tenbereitsmehrals80ProzentderBe-
schäftigteninderVersicherungsbranche
eineBetriebsrente.„Wennwirdenersten
Tarifvertragmachen,könntedasalsPR-
Gagmissverstandenwerden“,erklärter.
EsgebeandereBranchen,diedasSozial-
partnermodellnötigerhätten,wiederEin-
zelhandeloderdieSystemgastronomie.
„DieseBranchensolltenvorangehen.“

AllerdingsschicktsichnachAngaben
vonVerdieineinzelnerVersichereran,mit
derGewerkschaftineinemHaustarifver-
tragfürseine5000Mitarbeitersolchein
Sozialpartnermodellzuvereinbaren.Ein
UnternehmenausderLuftfahrtindustrie
planeähnliches,hattediestellvertretende
Verdi-VorsitzendeAndreaKocsisaufeiner
VeranstaltungMitteMärz2019angekün-
digt.DasseienaberinersterLiniePilotpro-
jekte,diezeigensollen,dassdasSystem
funktioniert.EinigeExpertenbefürchten,
dassesvielleichtsogarschonzuspätist,
umdiestaatlicheEinheitslösungzuverhin-
dern.DieGefahrseigroß,dassesdemGe-
setzgebermitdenerstenTarifverträgen
nichtschnellgenuggehe.„Ichgehenda-
vonaus,dassesdemGesetzgebernichtrei-
chenwird“,sagtJörgHeidemannvomGe-
samtverbandderversicherungsnehmen-
denWirtschaft.„Spätestens2023kommt
danndasObligatorium.“
FabianvonLöbbecke,imVorstandder
HDILebensversicherungfürbAVverant-
wortlich,siehtdasnichtganzsodrama-
tisch.„DasSzenario‚Deutschlandrente‘
sollArbeitgeberundGewerkschaftendazu
motivieren,sichaufeinSozialpartnermo-
dellzueinigen,dassieselbstgestaltenkön-
nen,stattabzuwartenundeineZwangslö-
sungzuriskieren“,glaubter.Ernsthaftwol-
leniemanddieEinheitsrente.„Altersver-
sorgungmussfreiwilligsein“,sagtLöbbe-
cke.„Sonstwirdsiewiderwilligundnach
demMinimalprinzipbetrieben.Daswis-
senauchdiePolitiker.“Erglaubt,dassdas
SozialpartnermodellnochinSchwung
kommenwird.„DasInteresseistriesen-
groß,sowohlaufArbeitgeber-alsauchauf
Gewerkschaftsseite“,meinter.Daserste
SozialpartnermodellwerdebisEnde2019
verbindlichvereinbartsein.

DassMatthiasBeckheuteVersicherungs-
managerbeimSchraubenherstellerWürth
ist,verdanktereinemZufall.Beckselbst
wusstenicht,wasernachderSchulema-
chensollte.SeinbesterSchulfreundplante
eineAusbildungzumVersicherungskauf-
mann.„Ichdachte,eswärenett,dieAusbil-
dungzusammenzumachen“,erzähltBeck.
BereuthaterdieEntscheidungnie,obwohl
dieVersicherungsbranchealslangweilig
undangestaubtgilt.Becksiehtdasanders.
„DerBegriffVersicherungsmanagerspie-
geltnichtwider,wievielfältigundinterna-
tionaldieseTätigkeitist.“
DochdurchdasschlechteImagehaben
Industrieversicherer,MaklerundUnter-
nehmenProbleme,Nachwuchszufinden.
DurchdendemografischenWandelhaben
SchulabgängerhäufigdiefreieAuswahl
beiAusbildungs-undStudienplätzen.Die
Versicherungsbrancheziehtdabeimeist
denKürzeren.BeiUmfragenliegenVersi-

cherungsmanagerundMaklerregelmäßig
aufdemletztenPlatzderWunschberufe.
DasliegtauchanVersicherernundUnter-
nehmen.„EsfehltderBrancheannachhal-
tigemMarketing,umdemNachwuchsklar
zumachen,wassichimTagesgeschäfthin-
terdiesenJobsverbirgt“,sagtBeck.
Schulddaran,dassderBerufalsunat-
traktivangesehenwird,seiauchdieBerufs-
bezeichnung,meinter.AußerhalbDeutsch-
landheißenVersicherungsmanagerRisiko-
manager.„Dasklingtvielspannenderund
isterstmalnichtmitdemBegriffVersiche-
rungverlinkt“,sagtBeck.„Außerdemwer-
dendieSchnittmengenzwischenRisiko-
undVersicherungsmanagementimmer
größer,auchinDeutschland.“Dasmachte
dieSpartefürNachwuchskräftewiederin-
teressanter.DieAufgabeeinesRisikomana-
gersbestehtdarin,GefahrenbeiderPro-
duktion,fürdieMitarbeiteroderbeiderFi-
nanzanlagesogeringwiemöglichzuhal-
ten.Risiken,dienichtvermiedenwerden
könnenwieLieferkettenunterbrechun-
gen,könnenüberPolicenabgedecktwer-

den.FürderenEinkaufistderVersiche-
rungsmanagerzuständig.Zunehmendver-
mischensichdiebeidenBerufsfelder.
DieFirmaAdolfWürthistbeiderWürth-
GruppezuständigfürgroßeTeilederNach-
wuchs-Rekrutierungunteranderemim
Versicherungsbereich.DieAktivitäten
fasstdieFirmaunterdemNamen„Young
Talent-Pipeline“zusammen.Würthbe-
ginntbereitsinSchulenmitderRekrutie-
rungundveranstaltetInformationsaben-
defürSchülerundEltern.„Dasistwichtig,
weilElterneinenentscheidendenEinfluss
habenaufdieWahlderAusbildung“,er-
klärtManuelOehmke,Personalleiterbei
AdolfWürth.
EswirdkünftigfürFirmennichtausrei-
chen,daraufzuwarten,dassjemandsich
explizitaufeineStellebewirbt,meint
Oehmke.Errechnetdamit,dasssichUnter-
nehmenkünftigbeidenKandidatenbe-
werbenwerdenundnichtumgekehrt.

SozialeMedienwerdenimmerwichti-
ger.„WirsindaufallenbedeutenKanälen
wieFacebook,Instagram,Youtube,Xing
undLinkedinvertreten“,sagtOehmke.
„DasNetzwerk,daswirdaansprechenwol-
len,spielteineenormeRolle.“Potenzielle
Kandidatenvernetzensichuntereinander,
lesenBeiträgeundsehenVideosderAzu-
bisundtauschensichdarüberaus.„So
kommensienichtnuraufunsereKarriere-
seiten,sondernüberhauptdazu,sichfür
Würthzuinteressieren.“
DendemografischenWandelspürt
WürthvorallembeiderAnzahlderBewer-
bungen.„Siesinken–einmalinderQuanti-
tät,einStückaberauchinderQualität“,
sagter.IndiesemJahrseiennurhalbsovie-
leBewerbungeneingegangenwieimver-
gangenenJahr.GeradefürSpezialberufe
wiedenVersicherungsmanagergibtes
deutlichwenigerBewerbungen.Würthbie-
tet25verschiedeneAusbildungenundPlät-
zefürDualeStudiengängenan,dazuge-
hörtauchdieAusbildungzumKaufmann
fürVersicherungenundFinanzen.Außer-

demgibtesverschiedeneTrainee-Pro-
gramme.
VorzweiJahrenhatteRisikomanager
BeckeinenTraineefürseineAbteilungge-
sucht.„Daswarnichtsoeinfach“,berichtet
er.AuszubildendefürdenVersicherungs-
bereichsindamMarktohnehindünnge-
sät,weißer.„DiewenigenInteressenten
dannfüreinUnternehmenwieWürthzu
gewinnen,dasnachaußenerstmalnichts
mitVersicherungenzutunhat,isteineHer-
ausforderung“,erklärter.ÜberdieYoung
TalentPipelinewurdeerdannaberdoch
fündig.DieKandidatinhat2018beiWürth
begonnenundwirdimSeptemberdasein-
jährigeProgrammabschließen.
AuchManfredKaiser,verantwortlich
fürdiePersonalgewinnungimKonzern
VersicherungskammerBayern(VKB),
siehtdieUnternehmenamZug.„DerWer-
bedruckwirdimmergrößer,weilalleAuf-
merksamkeitwollen.“Deshalbreichtes
nichtmehraus,nuraufJobbörsenzupos-
ten.„WirmüssendieVorteileunsererUn-
ternehmenmehrindenVordergrundstel-
len.“DazugehörtvoralleneineguteUnter-
nehmenskultur,dasindsichVKBund
Würtheinig.

FürVersichererwiedieVKBistdasPro-
blemderNachwuchsfindungnochgrößer.
SiemüssendeutlichmehrjungeLeutefür
dieAssekuranzbegeisternalsUnterneh-
men,dienureinpaarStellenimVersiche-
rungsbereichhaben.DieVKBkonnteindie-
semJahrzumerstenMalnichtalleAusbil-
dungsplätzebesetzen.Daslagjedochnicht
anderAnzahlderBewerbungen.EinFünf-
telderStellenbliebunbesetzt,weileskei-
negeeignetenBewerbergab,berichtetKai-
ser.„Wirmerken,dassdieQualifikationen
indenBereichenAllgemeinbildung,Rech-
nenundErkennenvonZusammenhänge
nichtmehrsoausgeprägtsind.“
DieSchulveranstaltungenwieInforma-
tionsabendeundBewerbungstrainingsbie-
tetdieVKBzwaran,ihrNutzenimVer-
gleichzumAufwandseiabergering,findet
Kaiser.DeshalbprobiertderVersicherer
imNovemberetwasNeues:einenKarriere-
Tag.SchülerkönnensicheinenNachmit-
taglangBerufedirektamOrtanschauen.
SiewerdendurchverschiedeneAbteilun-
gengeführtundkönnenProjekteumset-
zen.ImMaihattedieVKBbereitseinensol-
chenTagfürStudentenveranstaltetund
warzufrieden.37Studentenkamen,20
vonihnenwarenhinterheraneinerKarrie-
rebeiderVKBinteressiert,sagtKaiser.
„WennmandieLeuteersteinmalinsHaus
bekommt,kannmansieauchfürdieVersi-
cherungsbranchebegeistern.“Zehnder
StudentenwerdenwohlindiesemJahrbei
derVKBanfangen. 

DEFGH Nr.199,Donnerstag,29.August2019 SZSPEZIAL– KONZERNE VERSICHERN 29


StreitumdieAltersvorsorge


ArbeitgeberundVersichererfürchtenbeiderBetriebsrente


einestaatlicheEinheitslösung.Diesekönntedrohen,


wennsichdieTarifparteienbeimneuenSozialpartnermodell


nichtbaldeinigwerden


EinigeExpertenbefürchten,
dassesvielleichtsogar
schonzuspätist

Somanche
Ausbildungsstelle
bleibtunbesetzt

WobleibtderNachwuchs?


FürSpezialberufewiedenVersicherungsmanagergibtesimmerwenigerBewerbungen


„DaszwingendeVorliegen
einesTarifvertrags
isteinSystemfehler.“

Unterschätzte Risiken


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