Süddeutsche Zeitung - 24.08.2019

(National Geographic (Little) Kids) #1
von ulrike nimz

Wittichenau –Das Schöneam Frühschop-
pen bei dreißig Grad im Schatten ist, dass
alles irgendwie leichter wird. Mit dem
ersten Pils legt sich ein versöhnlicher Glim-
mer über den Sonntag. Auf den Bierbän-
ken rücken die Menschen dichter zusam-
men, einfach nur sitzen und einen sitzen
haben. Dann federt auch schon der Minis-
terpräsident heran, das Sakko über der
Schulter. Vor wenigen Stunden noch ha-
ben hier auf dieser Wiese junge Menschen
getanzt, auf dem „Stadtteichfestival“, das
einmal im Jahr stattfindet. Über dem Ge-
lände schwebt eine gewaltige Discokugel,
und überhaupt sieht es in Wittichenau,
Oberlausitz, alles andere als trostlos aus.

Anfeuern


Michael Kretschmer grüßt sich durch die
Menge, greift sich das Mikro, hält eine Re-
de, irgendwo zwischen Stehsatz und Steg-
reif: 5 G an jeder Milchkanne, alle halbe
Stunde ein Zug von Kamenz nach Dresden.
„Wir machen das jetzt! Wir legen los!“ Der
Ministerpräsident klingt wie ein Familien-
vater, der den trägen Anhang überzeugen
will, in diesem Jahr woanders Urlaub zu
machen als auf dem Campingplatz. Es gibt
Applaus auf den Bänken, ein Mann hebt
seinen Becher zum stummen Prosit.
Alle 60 Wahlkreise will Michael Kretsch-
mer (CDU) bis zum 1. September besu-
chen, einige höchstpersönlich begrillen.
Man kann das einfallslos finden oder nur
konsequent – geht es im sächsischen Wahl-
kampf doch vor allem um Kohle, um die
Wurst sowieso. Lange sah es so aus, als
könnte die AfD stärkste Kraft werden im
Land und die Regierungsbildung schwie-
rig. Der Ministerpräsident hat nicht nur Ko-
alitionen mit links und rechts ausgeschlos-
sen, sondern auch mit den Grünen.
„Es geht nicht um Berlin oder Brüssel
bei dieser Wahl, sondern um unsere Hei-
mat“, ruft Kretschmer, selbst Lausitzer. Er
weiß um Probleme, Widersprüche, Hoff-
nungsschimmer im östlichsten Osten. Vie-
le Familien hier arbeiten seit Generationen
in der Braunkohle. Die Furcht vor dem Aus-
stieg und dem, was danach kommt, sitzt
tief. Der Wolf jedenfalls ist schon da. Im
vergangenen Sommer fanden Passanten
den Kadaver eines Jungtiers im nahen Ta-
gebausee, Strick um den Leib, daran ein Be-
tonklotz. Im Wittichenauer Stadtrat sitzt
trotzdem nur ein AfD-Mann und seit Neu-
estem auch ein Sozialdemokrat, Alex Schol-
ze, 26 Jahre alt. Mit Freunden organisiert
er das Stadtteichfestival, hat kaum geschla-
fen und die Hosentaschen voller 50-Euro-
Scheine. Er beobachtet den Auftritt des
Ministerpräsidenten aus sicherer Entfer-
nung, sagt: „Der ist schon in Ordnung, aber
vielleicht auch bald wieder weg, ne.“
Wie schnell das alles gehen kann, hat
Kretschmer 2017 erfahren, als er bei der
Bundestagswahl das Direktmandat in sei-
ner Heimatstadt Görlitz an die AfD verlor.
Knapp drei Monate später wurde er zum
Nachfolger des ebenfalls gestrauchelten
Stanislaw Tillich gewählt. Seit Amtsbeginn
im Wahlkampf tourt Sachsens vierter
Ministerpräsident bis in die hintersten
Winkel des Freistaates, um Hände zu
schütteln, Unmut in konkrete Politik zu
übersetzen und eine Botschaft unters Volk
zu bringen: Mit mir werden die Dinge
anders laufen, besser.
In Wittichenau hat Michael Kretschmer
nicht nur die AfD im Nacken, sondern bald
auch Sonnenbrand, also weiter zur örtli-
chen Feuerwehr. Die Kameraden haben
eine lange Tafel aufgebaut. „Gott zur Ehr’
dem Nächsten zur Wehr“ steht auf der
Wachstischdecke. Zur Begrüßung gibt es
Bier Nummer drei und einen unerwartet
sachlichen Einstieg: Was er vom Kälte-

mittel R1234YF halte, wird der Ministerprä-
sident gefragt, nach Ehrenamtsrabatten
und CO2-Steuer. Ein neues Gerätehaus
muss her, das alte füllt sich schnell mit
Dieselabgasen und hat keinen Schulungs-
raum. Überhaupt, der Nachwuchs, der
fehlt natürlich. Auf den Klempner, den
Bus, den Orthopädentermin warten ist
nicht schön. Auf die Feuerwehr warten,
will dann aber wirklich niemand.
Kretschmer hört zu, unter dem Tisch
wippt sein Fuß, als würde er ein unsichtba-
res Schlagzeug spielen. Er weiß, dass diese
Themen im Grunde Chiffren sind für die
Frage: Werden wir eine Zukunft haben?
Der Strukturwandel, sagt Kretschmer,
sei eine einmalige Chance für die Lausitz.
Kaum ein Termin vergeht, an dem er nicht
seine Vision skizziert: Sonderwirtschafts-
zone, Planungsbeschleunigungsrecht, In-
stitute und Bundesbehörden ansiedeln.
Ökonomen, die an diesen Plänen zweifeln,
wirft er Miesmacherei vor, und vielleicht
ist Michael Kretschmer auch nur ein Popu-
list, gleichwohl ein positiver. „Wenn das
hier wachsen soll, brauchen wir Leute von
außen“, sagt Kretschmer und ordert ein
Wasser. „Leute, die auch einfache Sachen
machen, die zu uns passen. Sie müssen
vielleicht nicht aus Afrika kommen, aber

aus der Ukraine, aus China, Vietnam.“ Sol-
che Sätze lösen im Netz verlässlich einen
Shitstorm aus, in der Garage der Feuer-
wehr Maukendorf erntet Kretschmer ver-
haltenes Nicken. „Ach, vom Meckern tut
doch bloß das Herz weh“, sagt einer und
schenkt in die geleerten Biergläser nach.

Kerntemperatur


Das Schlimme am Frühschoppen bei drei-
ßig Grad im Schatten ist, dass alles irgend-
wann schwerer wird, die Zunge als Erstes.
Und so macht der Ministerpräsident noch
während er sich anschnallt ein Verspre-
chen, das er im Wahlkampf unmöglich hal-
ten kann: kein Bier mehr. Hat er etwas ge-
lernt über seine Landsleute in diesen Mona-
ten des Redens? Kretschmer überlegt. Am
Autofenster fliegt die Sächsische Schweiz
vorbei. Am Straßenrand hat die NPD plaka-
tiert: „Sachsenland wählt Widerstand“.
„Die Sachsen sind heimatstolz und erd-
verwachsen“, sagt Kretschmer schließlich.
„Sie wollen Veränderungen gut begründet
sehen.“ Und der Verlust seines Direktman-
dats, war der begründet? „Es war eine de-
mokratische Wahl, deren Ergebnis man zu
akzeptieren hat“, sagt er. „Aber natürlich
trifft einen das.“

So richtig entspannen kann er seither
nicht mehr. Er misstraut Veranstaltungen,
die allzu glatt laufen. Man weiß ja nie, wer
alles daheim geblieben ist. Beim „Sachsen-
gespräch“ in Chemnitz, kurz nach den ras-
sistischen Ausschreitungen, da lag alles of-
fen. Es sei schlicht darum gegangen, die La-
ge nicht weiter eskalieren zu lassen, sagt
Kretschmer. Als Regierung zusammenzu-
stehen, und – was ihm noch wichtiger ist –
vor den Chemnitzern, den Anständigen.
Wer Kretschmer an jenem Abend im Fuß-
ballstadion erlebte, sah einen Mann, der
hart um einen demokratischen Minimal-
konsens rang, nach Tagen des Irrlichterns
begann, Grenzen zu ziehen – mit Erfolg.
Und was passiert, wenn er erneut sein
Direktmandat verliert? Kretschmer tut
das, was Leute eben tun, wenn sie lieber kei-
ne Fragen beantworten wollen. Er wischt
durch die Fotos auf seinem Telefon: histori-
sche Fliesen, hölzerne Balken. Die Familie
saniert ein Umgebindehaus in der Lausitz.
Neuestes Hobby: Bienen.

Ablöschen


Mitten in Chemnitz haben sie Sand aufge-
schüttet und Liegestühle aufgestellt. Es
gibt einen knietiefen Pool und aufblasbare

Flamingos. Der „Uferstrand“ ist Schau-
platz von „Kretschmer grillt“. Auf diesen
Terminen trägt er Schürze, versorgt die
Gäste mit Gebrutzeltem. Imker benutzen
Rauch, um ihr Volk zu besänftigen. Der Mi-
nisterpräsident macht das ganz ähnlich.
Kretschmer ist Sachsens beliebtester Po-
litiker. Bei seinen Auftritten wird er um-
ringt, das ist in Chemnitz nicht anders. Ein
junger Mann berührt ihn am Arm, Pupillen
wie Discokugeln. Er möchte dem Minister-
präsidenten die Vorzüge von Marihuana er-
läutern. Kretschmer lehnt höflich ab, wen-
det sich dem nächsten zu: Auf dessen
T-Shirt steht „Tradition statt Invasion“.

Der Mann war 2015 an asylfeindlichen
Protesten beteiligt, auch beim Sachsenge-
spräch im Stadion war er dabei. Er will wis-
sen, ob Kretschmer nach der Wahl mit der
AfD koalieren wird. Schwarz-blau, ist er
überzeugt, sei in Sachsen „Volkswille“. Der
Ministerpräsident setzt sich mit an den
Tisch, nickt in die Runde, sagt: „Ich arbeite
nicht mit Leuten, die mich Volksverräter
nennen.“ „Aber irgendwas müssen Sie ja
machen“, blafft der Mann. „Es geht nicht
um mich“, antwortet Kretschmer. „Es geht
um Sie und wen Sie wählen. Die Zeit des Kö-
nigs ist vorbei.“ Das Gespräch auch.
Man müsse ja gar nicht unbedingt einer
Meinung sein, sagt Kretschmer später bei
einer Zigarette. Aber man müsse den Men-
schen ihre Würde lassen. Bei sich selbst ist
er da nicht ganz so streng. Zum Jubiläum
der Dampfbahnroute Sachsen trug er eine
historische Heizer-Uniform, mit der er
wohl auch problemlos ins Berghain ge-
langt wäre. Er hat an der Seite von Wolf-
gang Lippert und vor großem Publikum
dessen Hit „Erna kommt“ geschmettert:
Oh mein Gott ich schäm mich / denn gestern
war ich nämlich / zu lustig.
Kretschmers Wahlkampf ist fantasie-
reich, das Team um ihn herum jung und lei-
densfähig. Auf der nächtlichen Rückfahrt
von einer Grillsession in Görlitz wird das
Wahlkampfauto von der Autobahnpolizei
rausgewunken. Zwei Beamte konfiszieren
die Personalausweise der Jungen Union
und den der Journalistin. Bange Minuten
vergehen, bis die Uniformierten aus dem
Schatten treten. Sie haben das grüne Auto
für einen Mietwagen gehalten, die vier In-
sassen für Drogenschmuggler. Und der Na-
me des Ministerpräsidenten quer über der
Karosserie? Den haben sie nicht bemerkt.
In Chemnitz wird die Schlange der
Hungrigen länger statt kürzer. Aus dem
Gasgrill schießen in unregelmäßigen Ab-
ständen Stichflammen imRammstein-For-
mat. Kretschmer blinzelt in den Rauch. Mi-
nutenlang hat er nichts gesagt außer Bitte
und Danke, Senf oder Ketchup. Es ist eine
karnivore Kommunion. Eine ältere Dame
tritt an den lodernden Rost, herausgeputzt
wie fürs Pferderennen: „Ich werde Sie wäh-
len“, sagt sie zu Kretschmer und stößt ih-
ren Gehstock in den Chemnitzer Strand.
Kretschmer lächelt, die Augen tränen:
„Steak oder Roster?“ Er sieht unendlich er-
schöpft aus und gleichzeitig froh. Für die-
sen Moment muss er nicht alles zum Guten
wenden, sondern nur Würste.

Alles wird Glut


Seit Wochen grillt sich Michael Kretschmer durch Sachsen. Es geht um die Zukunft des Landes
und auch um seine eigene. Eindrücke aus einem Wahlkampf, der mindestens so heiß wie fettig ist

Etwas mehr als eine Woche vor der Wahl
liegt dieCDU in Sachsen mit 31 Prozent
sechs Punkte vor der AfD. Damit haben
die Christdemokraten seit Anfang Juli vier
Prozentpunkte gewonnen, die AfD hat
zwei verloren.SZ

Merzig/Berlin –Das kleine Saarland hat
man schnell durchquert, in nur einer Drei-
viertelstunde braust der graue Benz von
Jörg Geller von seinem Firmengelände in
der Kreisstadt Merzig bis zum Flughafen
Saarbrücken. Geller, Geschäftsführer der
Firma Kohlpharma, hat eine Dauerkarte
für das Flughafenparkhaus. Während an-
dere beim Einstieg ihren Ausweis zeigen
müssen, sagt man zu ihm: „Hallo, Herr Gel-
ler“. Denn Geller fliegt fast jede Woche,
meistens nach Berlin. Er arbeitet dort als
Lobbyist in eigener Sache, und neuerdings
hat er einen mächtigen Unterstützer ge-
funden: Bundeswirtschaftsminister Peter
Altmaier (CDU), der ebenfalls aus dem
Saarland stammt.
Kohlpharma verdient sein Geld damit,
im Ausland billige Medikamente zu kau-
fen, neu zu verpacken und als Importware
an Apotheker zu verkaufen. Diese sind wie-
derum gezwungen, einen festen Teil ihres
Umsatzes mit Importmedizin zu erwirt-
schaften. Die Regel war einst als Sparmaß-
nahme für die Krankenkassen gedacht,
doch die Einsparungen für das Gesund-
heitswesen sind heute gering. Im vergan-
genen Jahr waren es nur schätzungsweise
0,3 Prozent der Arzneimittelausgaben.

Importfirmen wie Kohlpharma verdie-
nen dagegen gut. Wenn zum Beispiel ein
Medikament in Deutschland 1000 Euro
kostet und in Griechenland 600 Euro,
kann es der Importeur hier für 950 Euro
verkaufen. Ein glänzendes Geschäft. Da-
bei haben bei vielen Arzneimittelskanda-
len in jüngster Zeit Importe eine Rolle ge-
spielt. Die ausländische Ware lässt sich
schlecht kontrollieren. Einige Tabletten
wandern über mehrere Zwischenhändler

durch unterschiedliche Länder. Der Arz-
neimittelexperte der Deutschen Ärzte-
schaft, Wolf-Dieter Ludwig, forderte, den
Importzwang abzuschaffen, um Patienten
nicht zu gefährden. Auch Patientenverbän-
de, Apotheker und die AOK wollten ihn be-
enden. Gesundheitsminister Jens Spahn
(CDU) hatte Anfang des Jahres ebenfalls ge-
plant, diese Pflicht zu streichen, das zeigt
ein Gesetzentwurf. Zur selben Zeit forder-
ten 14 von 16 Bundesländern ihr Ende. Hes-
sen enthielt sich, einziger Gegner der Ab-
schaffung war das Saarland.
Dass es trotz dieser Kritik den Import-
zwang immer noch gibt und ein kürzlich
verabschiedetes Arzneimittelgesetz nur
die Regel leicht verändert, das hat womög-
lich auch mit Kohlpharma zu tun. Wirt-
schaftsminister Altmaier kommt aus dem
Saarland, der Firmensitz Merzig liegt in sei-
nem Wahlkreis. Mit einem Jahresumsatz
von mehr als 600 Millionen Euro bietet der
Importriese dort Arbeitsplätze für etwa
800 Menschen. Interne E-Mails und Vorla-
gen aus dem Wirtschaftsministerium, die
Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR vor-
liegen, zeigen, wie sich Altmaier seit No-
vember 2018 massiv für den Erhalt der Im-
portklausel einsetzte.
Aus den Dokumenten geht indes her-
vor: Während Altmaiers Beamte empfah-
len, einer von Spahn vorgeschlagenen Än-
derung der Importregel zuzustimmen, ist
in einer Vorlage für Wirtschaftsstaatsse-
kretärin Claudia Dörr-Voß vom 10. Dezem-
ber das Wort „Zustimmung“ mit rotem
Stift durchgestrichen und handschriftlich
„Leitungsvorbehalt“ hinzugefügt. Einen
Tag später schreibt ihr Büro an die Fachleu-
te: Altmaier wolle „dazu direkt mit Bundes-
minister Spahn sprechen“.
Überhaupt war Altmaiers Ministerium
offenbar verärgert über die Regelungswut
im Hause Spahn. So schreibt einer von Alt-
maiers Abteilungsleitern im Dezember,
das Spahn-Ministerium würde weder sei-

ne Zuständigkeit für Arzneimittelpreisver-
ordnungen „respektieren“, noch strebe
man offenbar „kollegiale Zusammenar-
beit innerhalb der Bundesregierung“ an.
Am 11. Januar meldet sich die Firma
Kohlpharma per E-Mail. „Sehr geehrter
Herr Altmaier“, heißt es darin, „wenn eine

Änderung überhaupt Sinn macht, dann wä-
re es am Besten, die Ergänzungen aus dem
Rahmenvertrag nachzuvollziehen“. Drei
Tage zuvor war die Firma in einer internen
Unterlage zu einer Abteilungsleitersit-
zung in Altmaiers Ministerium explizit er-
wähnt worden. Zur „Position“ des Wirt-
schaftsministeriums heißt es dort: „Minis-
ter-Vorbehalt (Kohlpharma)“.

Der von Kohlpharma erwünschte Ver-
trag zwischen Kassenverband und Apothe-
kern fußt auf dem alten Importzwang und
verändert die bisherige Regel nur leicht.
Die geforderte Ersparnis soll unterschied-
lich sein, je nachdem, ob der Preis unter
100 Euro, zwischen 100 und 300 Euro oder
darüber liegt. Käme diese neue Staffelung
ins Gesetz, könnte sich Kohlpharma glück-
lich schätzen. Die Regel sei „so komplex
formuliert, dass die Apotheker verunsi-
chert sind und sie deshalb wahrscheinlich
übererfüllen“, sagt Geller. „Das heißt, sie
wird für die Importunternehmen wohl zu
einer Umsatzausweitung führen“. Gute
Aussichten für die saarländische Firma.
Wenige Stunden nach Ankunft der Mail
von Kohlpharma wurde Altmaiers Abtei-
lungsleiter für Gesundheitswirtschaft in-
tern um eine Einschätzung („EILT sehr“)
gebeten, „damit wir“ dem Minister „dies
noch ergänzend zur Vorlage mitgeben kön-

nen“. Die Antwort kam prompt: Der Kohl-
pharma-Vorschlag sei „nicht tragfähig“.
Er gehe „weiter hinter“ den Gesetzentwurf
des Gesundheitsministers zurück – „und
hinter die Position der Bundesländer“.
Doch nur „wenige Tage später“, so heißt
es von Kohlpharma, habe Geller mit Alt-
maier telefoniert, von Saarländer zu Saar-
länder. Der Minister habe sich „nach den
ökonomischen Auswirkungen“ erkundigt,
keine Zusagen gemacht. Sechs Tage nach
Kohlpharmas E-Mail findet sich eine Nach-
richt aus dem Gesundheitsministerium in
den Akten: „Wie bereits angekündigt“, hät-
ten sich Altmaier und Spahn „zur Import-
regelung verständigt“. Die beiden Minis-
ter haben sich auf genau den Dreischritt
geeinigt, den Kohlpharma zuvor empfoh-
len hatte. In einer Vorlage für Altmaier
heißt es am 21. Januar: Genau so habe man
es mit Minister Spahn vereinbart, damit
bestünden nun „keine Hindernisse mehr
für einen Beschluss durch das Kabinett“.
Altmaiers Sprecherin teilt dazu mit: „Zu et-
waigen internen bilateralen Gesprächen
nehmen wir wie üblich keine Stellung.“
Warum Jens Spahn nachgegeben hat,
dazu teilt sein Sprecher lediglich mit,
„kein Gesetzentwurf“ werde „ohne Ände-
rungen vom Parlament beschlossen“. Ab-
geordnete berichten, vor allem ihre saar-
ländischen Kollegen hätten sich für den Er-
halt der Importe eingesetzt. Auch im Bun-
desrat kippte die Stimmung. Die Länder,
die sich noch im März gegen den Import-
zwang ausgesprochen hatten, stimmten
ihm Ende Juni mehrheitlich zu.
Nur vier Länder gaben zu Protokoll,
dass man bedauere, versäumt zu haben,
die Klausel „konsequent aufzuheben“.
Brandenburgs Gesundheitsstaatssekretär
Andreas Büttner sieht für diesen Um-
schwung einen Schuldigen: „Dem Saar-
land mache ich deshalb einen sehr deutli-
chen Vorwurf“, sagt er.
markus grill, kristiana ludwig

Berlin– Um Wolfgang Schäuble ist es
zuletzt still geworden, insbesondere in
Fragen, die sich um die CDU drehen. Seit
der Wahl von Annegret Kramp-Karren-
bauer im Dezember 2018 hat sich der
Bundestagspräsident nicht mehr zur eige-
nen Partei, ihrer Lage, ihren Problemen,
ihren Hoffnungen eingelassen. Umso be-
merkenswerter ist es, wie er sich jetzt zur
Debatte um einen möglichen Parteiaus-
schluss von Ex-Verfassungsschutzpräsi-
dent Hans-Georg Maaßen geäußert hat.
Schäuble sagte derBild: „Die Frage, ob
Herr Maaßen Mitglied der CDU sein darf
oder nicht, gehört in den Bereich von
Witzveranstaltungen.“
Nun könnte man Schäubles Worte als
Spitze gegen all jene verstehen, die aus
einem Interview der Parteichefin ver-
meintlich übertreibend ein Liebäugeln
mit einem Parteiausschluss herausgele-
sen hatten. Auf die Frage, ob sie über ei-
nen Ausschluss nachdenke, hatte Kramp-
Karrenbauer geantwortet, es gebe aus
gutem Grund hohe Hürden, jemanden
auszuschließen. „Aber ich sehe bei Herrn
Maaßen keine Haltung, die ihn mit der
CDU noch wirklich verbindet.“ Weil diese
Formulierung mindestens Interpretati-
onsspielräume ließ, sah sie sich später
gezwungen klarzustellen, dass sie keinen
Ausschluss des Politikers gefordert habe.
Angesichts dieses Verlaufs spricht
manches dafür, dass Schäubles Attacke
dann doch eher der Parteichefin galt. Als
Zeichen dafür, dass er sich bis heute als
Hüter auch der betont Konservativen in
der CDU versteht. Die CDU-Spitze moch-
te das am Freitag nicht kommentieren.
Maaßen dagegen bedankte sich. Er habe
sich „sehr über die klaren Worte gefreut“,
sagte er derFAZ. stefan braun

Es geht nicht
um mich. Es geht
um Sie und wen
Sie wählen.
Die Zeit
des Königs
ist vorbei.“

Kretschmer zu einem Chemnitzer

Politbarometer


Die Saarland-Connection


Hat WirtschaftsministerAltmaier ein Pharmaunternehmen aus seinem Wahlkreis begünstigt? Interne Unterlagen seines Ministeriums legen das nahe


Der Pharma-Geschäftsführer
telefonierte direkt mit Altmaier,
von Landsmann zu Landsmann

Hüter der


Konservativen


Schäuble kritisiert Debatte um
Ausschluss Maaßens aus der CDU

Gegen den Rat seiner Beamten
setzte sich Altmaier für das
umstrittene Geschäftsmodell ein

SZ-Grafik; Quelle: Forschungsgruppe Wahlen, Politbarometer-Extra Sachsen KW 34/

Politbarometer vom 23. August
zur Landtagswahl inSachsen
CDU
31%

SPD9%

Linke
14%

Grüne10%

FDP5%

FW3%

Sonstige
3%

AfD
25%

6 POLITIK HMG Samstag/Sonntag, 24./25.August 2019, Nr. 195 DEFGH


„Steak oder Roster?“ Michael Kretschmer bei einer CDU-Veranstaltung in seiner Heimatstadt Görlitz vergangene Woche. FOTO: JENS MEYER / AP

Gesundheitsminister Spahn wollte das Geschäftsmodell der Firma Kohlpharma
(im Bild das Werk in Merzig) stoppen. Bis Altmaier sich einmischte. FOTO: PR

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