Ende der Kapitalkontrollen
Ein Schritt
zur Normalität
V
or einem Jahr verließ Griechenland den
Euro-Rettungsschirm. Jetzt hakt das Land
mit der Aufhebung der letzten Kapitalver-
kehrskontrollen zum 1. September ein weiteres
Krisenkapitel ab. „Die Kapitalkontrollen gehören
der Vergangenheit an“, verkündete Ministerpräsi-
dent Kyriakos Mitsotakis im Parlament. „Damit
geht ein vierjähriger Zyklus der Unsicherheit zu
Ende, und eine neue Ära des Optimismus für
Wirtschaft und Bankensystem beginnt“, so der
Premier. Mitsotakis kann das als einen weiteren
Schritt aus der Krise präsentieren, wenn er am
Donnerstag nach Berlin kommt.
Die Kapitalkontrollen wurden vor über vier
Jahren unter der damaligen Regierung von Minis-
terpräsident Alexis Tsipras eingeführt. Bereits ei-
nige Wochen vor dem absehbaren Wahlsieg des
Linksbündnisses Syriza im Januar 2015 hatte in
Griechenland eine massive Kapitalflucht einge-
setzt. Aus Angst vor einem drohenden Staats-
bankrott und einem Austritt Griechenlands aus
der Euro-Zone transferierten viele Unternehmen
in großem Stil Gelder auf ausländische Konten.
Auch Privatkunden überwiesen Ersparnisse ins
Ausland oder ließen sich ihre Guthaben auszah-
len, um die Banknotenbündel in Schließfächern
und Verstecken zu bunkern. Tsipras und sein ex-
zentrischer Finanzminister Yanis Varoufakis ver-
schärften mit ihrem Konfrontationskurs gegen-
über den Gläubigern im ersten Halbjahr 2015 die
Krise. Zwischen November 2014 und Juni 2015
fielen die Einlagen um rund 50 Milliarden Euro –
fast ein Drittel der Depositen.
Industrieverband zufrieden
Um den Zusammenbruch des Finanzsystems zu
verhindern, ließ die Regierung Ende Juni die
Banken schließen und führte Kapitalkontrollen
ein. Anfangs durften die Griechen nur bis zu 60
Euro am Tag an den Geldautomaten abheben.
Transfers ins Ausland waren zunächst ganz ver-
boten. Das trieb Tausende kleine und mittlere
Unternehmen in die Pleite. In den folgenden Jah-
ren wurden die Beschränkungen schrittweise ge-
lockert. Abhebungen sind inzwischen nicht mehr
limitiert. Im Zahlungsverkehr mit dem Ausland
gibt es dagegen noch Restriktionen: Privatperso-
nen dürfen maximal 4 000 Euro pro Tag transfe-
rieren, Unternehmen höchstens 100 000 Euro.
Diese Beschränkungen werden zum 1. September
aufgehoben. Der griechische Industrieverband
SEV begrüßte die Liberalisierung. Damit werde
„eine bedeutende Belastung für die Glaubwürdig-
keit und die Perspektive der griechischen Wirt-
schaft ausgeräumt“, erklärte der Verband.
Die Aufhebung der Kapitalkontrollen gilt als
wichtiges Signal an ausländische Investoren und
Anleger. Sie könnte auch den Weg zu einer besse-
ren Bonität des Landes ebnen. Noch bewerten
die Ratingagenturen griechische Schuldpapiere
als „spekulative“ oder sogar „hochspekulative
Anlage“. Ein besseres Rating würde nicht nur
den Schuldendienst verbilligen, sondern auch
griechischen Unternehmen den Zugang zum Ka-
pitalmarkt erleichtern und die Liquidität der
Banken verbessern. Gute Nachrichten hatte jetzt
auch Finanzminister Christos Staikouras zu ver-
melden: Die Haushaltseinnahmen lagen in den
ersten sieben Monaten gut acht Prozent über
dem Plan. Der einstige Defizitsünder Griechen-
land hat sein Budget also im Griff. Im Handels-
blatt-Interview sagte Staikouras, er erwarte von
der Aufhebung der Kapitalkontrollen einen „wei-
teren starken Wachstumsimpuls“. Die Wirtschaft
und vor allem die Banken kämpfen aber immer
noch mit Problemen. Rund 45 Prozent aller For-
derungen sind notleidend oder akut ausfallge-
fährdet. Die Institute wollen den Bestand an Pro-
blemkrediten von derzeit 80 Milliarden Euro bis
Ende 2021 auf 26 Milliarden Euro abbauen. ghö
für Selbstständige und Kleinunternehmer sowie Er-
leichterungen bei der Einkommensteuer und eine
Senkung der Mehrwertsteuer.
Wie aber vertragen sich Steuersenkungen mit den
Haushaltsvorgaben der Gläubiger?
Wir stehen zu unseren Verpflichtungen. Aber im
Rahmen dieser Restriktionen wollen wir die best-
möglichen Lösungen finden. Unser Ziel ist ein
nachhaltiges Wirtschaftswachstum und eine Nor-
malisierung unserer Beziehungen mit den Finanz-
märkten. Damit gewinnen wir Spielraum für Steu-
ersenkungen.
Anfang Oktober müssen Sie Ihren Haushaltsent-
wurf für das Jahr 2020 vorlegen. Wird er einen
Primärüberschuss von 3,5 Prozent des Bruttoin-
landsprodukts enthalten, wie mit den Gläubigern
vereinbart?
Diese Regierung akzeptiert die Verpflichtungen, die
unser Land gegenüber seinen Partnern und Geld-
gebern eingegangen ist. Sie werden eingehalten.
Aber Premier Kyriakos Mitsotakis und Sie ma-
chen keinen Hehl daraus, dass Sie diese Über-
schussvorgaben lockern möchten. Wie wollen Sie
Ihre Kollegen in der Euro-Zone überzeugen?
Mit einem konsequenten Reformprogramm. Es
wird die Wachstumsbedingungen schaffen, die es
uns erlauben, den Primärüberschuss zu reduzieren.
Wir sind im Gespräch über diese realistischeren Zie-
le. Wir wissen ganz genau, dass Glaubwürdigkeit in
dieser Phase der entscheidende Faktor ist.
Die Geldgeber argumentieren, dass hohe Primär-
überschüsse nötig sind, um Griechenlands Schul-
den tragfähig zu machen. Was sagen Sie?
Die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung hängt
von vielen Faktoren ab. Wir versuchen bei den un-
abhängigen Variablen anzusetzen, um zu einer Er-
gebnisverbesserung zu kommen.
Das heißt konkret?
Höhere Wachstumsraten und die sinkenden Refi-
nanzierungskosten verbessern die Schuldentragfä-
higkeit. Das ermöglicht eine Senkung der Über-
schussziele. Ökonomische Untersuchungen zeigen,
dass Wachstum der Schlüssel für die Schuldentrag-
fähigkeit ist. Ein Prozentpunkt mehr Wachstum ist
um den Faktor 1,8 wirksamer als ein Prozentpunkt
Primärüberschuss.
Sie versprechen jährliche Wachstumsraten von
drei bis vier Prozent gegenüber aktuell nur knapp
zwei Prozent. Wie soll das gehen?
Mit den geeigneten Rahmenbedingungen. Dazu ge-
hören die erwähnte Steuerreform, aber auch eine
disziplinierte Fiskalpolitik, nachhaltige Staatsein-
nahmen und ein gesunder Bankensektor. Nach der
Abwärtsspirale der Krisenjahre wollen wir die Wirt-
schaft in einen nachhaltigen Aufwärtstrend bringen
- mit der Förderung von wichtigen Investitionen,
Privatisierungen, staatlichen Infrastrukturinvesti-
tionen und der Unterstützung des gesunden priva-
ten Unternehmertums.
Wann erwarten Sie greifbare Resultate?
Die ersten positiven Zeichen sind bereits sichtbar.
Das Wirtschaftsklima ist nicht nur so gut wie seit
2008 nicht mehr, der Indexwert liegt auch über
dem Durchschnitt der Euro-Zone. Die Renditen der
griechischen Staatsanleihen sind auf dem niedrigs-
ten Stand seit 15 Jahren. Der Staatshaushalt ist im
Lot, die Einnahmen liegen in den ersten sieben
Monaten über dem Plan.
Die Renditen Ihrer Anleihen gehen zwar zurück,
aber die großen Ratingagenturen bewerten grie-
chische Bonds immer noch als Ramschpapiere.
Wann steigt Griechenland in die Liga der investiti-
onswürdigen Schuldner auf?
Das Bild des Landes bei den Bonitätsbewertungen
verbessert sich bereits. Eine entscheidende Rolle
spielen dabei das Wahlergebnis von Anfang Juli, die
neue, stabile Regierung und ihre Wachstumspläne.
Die Banken gehören zu den größten Problemen.
45 Prozent aller Forderungen sind notleidend.
Wie wollen Sie die Institute stabilisieren?
Unser Ziel ist, die Banken erneut als Wachstumsin-
strumente zu etablieren, die Haushalte und Unter-
nehmen finanzieren. Größtes Problem sind die fau-
len Kredite. Die Zeitpläne für den Abbau dieser
Kreditrisiken sind realistisch und erfolgverspre-
chend. Wir arbeiten derzeit an einer systemischen
Lösung, um den Abbau der Problemkredite zu be-
schleunigen. Darüber sind wir im Gespräch mit
den zuständigen Stellen der EU und der Euro-Zone.
Die Investitionen machen nur zehn Prozent vom
BIP aus, gegenüber 20 Prozent vor der Krise. Wie
wollen Sie mehr Investoren anlocken?
Wir werden mit den Strukturreformen, dem Büro-
kratieabbau, der Steuer- und Justizreform ein neu-
es, wirtschaftsfreundliches Umfeld für lokale und
internationale Investitionen schaffen. Ich bin über-
zeugt, die Ergebnisse dieser Politik werden nicht
lange auf sich warten lassen.
Ausländische Investoren klagen über Korruption,
mangelnde Rechtssicherheit und ein komplizier-
tes Steuersystem, das sich ständig ändert. Wie wol-
len Sie diese Mängel beheben?
Wir kennen diese chronischen Schwächen und ha-
ben den Willen, sie zu beseitigen. Wir haben weni-
ge Wochen nach unserem Regierungsantritt bereits
ein Gesetz zur Reorganisation der Regierung verab-
schiedet. Die Steuerreform, die im Herbst folgt,
wird die Steuervielfalt beseitigen und stabile Rah-
menbedingungen schaffen. Die geplante Justizre-
form zielt auf eine Beschleunigung der Zivilverfah-
ren, die jetzt noch viel zu lange dauern.
Herr Minister, vielen Dank für das Interview.
Die Fragen stellte Gerd Höhler.
Griechenland: Positive Entwicklung
Bruttoinlandsprodukt (BIP)
Veränderung zum Vorjahr in %
Staatsverschuldung
in Prozent des BIP
Arbeitslosigkeit
Quote in Prozent
+2,2 %
17 5 %
18,2 %
-0,4 %
17 6 %
HANDELSBLATT • 20 19: Prognose
2015 2019
Quelle: EU-Kommission
± 0
- 2015 2019 2019
190
160
130
100
70
2015
2
21
17
13
9
Ökonom Der aus
Lamia stammende
Christos Staikouras
studierte in Athen
Ingenieurswissen-
schaften und machte
in London einen Dok-
tor in Bankwesen und
Finanzen. Der 46-Jäh-
rige arbeitete als
Analyst für die Bank
of England und lehrte
an der Athener Wirt-
schaftsuniversität.
Politiker Seit 2007 ist
Staikouras Abgeord-
neter, von 2012 bis
Januar 2015 war er
als Vize-Finanzminis-
ter unter anderem
für die Verhandlungen
mit den Gläubiger -
institutionen zustän-
dig.
Vita Christos
Staikouras
Wirtschaft & Politik
MITTWOCH, 28. AUGUST 2019, NR. 165
7