Frankfurter Allgemeine Zeitung - 02.09.2019

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SEITE 18·MONTAG, 2. SEPTEMBER 2019·NR. 203 Briefe an die Herausgeber FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


Zum Beitrag „Als wäre nie was gewesen.
Ungarns Ministerpräsident Orbán be-
grüßt mit großer Geste Merkel und von
der Leyen“ von Stephan Löwenstein
(F.A.Z. vom 20. August): So wichtig es
ist, das Zusammentreffen von Angela
Merkel mit Viktor Orbán im Licht der ge-
genwärtigen europäischen Gemeinsam-
keiten und Unterschiede zwischen
Deutschland und Ungarn zu sehen, be-
sonders in der Flüchtlingsfrage, so wich-
tig wäre es, das „Paneuropäische Pick-
nick“, in dem die Flüchtlinge Deutsche
waren, zum Anlass zu nehmen, den euro-
päischen Geist der am Zustandekommen
der undogmatischen Grenzöffnung Betei-
ligten zu würdigen. Ohne die Initiative
des damaligen Vorsitzenden der Interna-
tionalen Paneuropa Union, Otto von
Habsburg, und die humane Gesinnung
der beiden Außenminister Gyula Horn,
Ungarn, und Alois Mock, Österreich, wä-
ren die Ostdeutschen drei Monate vor
der Öffnung der Berliner Mauer nicht in
die Freiheit gekommen.
DR. H. DETLEF LÜHRSEN, MÜNCHEN

Zur Berichterstattung der F.A.Z. über
den Grönland-Deal: Ihre Berichterstat-
tung über Donald Trumps Vorhaben,
Grönland zu kaufen, lässt Fragen offen.
Die bisherigen Beiträge beschränken
sich weitgehend auf die Empörung in
Grönland und Dänemark, die man in
Deutschland teilt. Wie kann man auf die
Idee kommen, eine Insel mit ihrer Bevöl-
kerung zu kaufen? Der Kauf von bevöl-
kerten Territorien ist für uns Deutschen
ungewöhnlich, für Amerikaner nicht.
Man denke nur an den Kauf Alaskas und
Louisianas von Russland und Frankreich.
Aber auch Dänemark hat schon Inseln in
der Karibik 1917 an die Vereinigten Staa-
ten verkauft.
Warum stößt das heutige Kaufangebot
von Trump auf eine derartige Empö-
rung? Das liegt zum einen sicher am Stil
von Trumps Angebot. Man sollte aber
auch dänische Befindlichkeit nicht außer
Acht lassen. Für die heutigen Amerikani-
schen Jungferninseln erzielte Dänemark
1917 einen Betrag von 25 Millionen Dol-


lar in Gold (damals eine Menge Geld)
und konnte sich elegant seiner Sklaven-
haltergeschichte entledigen. Grönland
ist dagegen für die Dänen eine positiv be-
setzte Erinnerung an ihre ehemalige
Großmachtstellung, die neben Grönland
auch Norwegen, Teile Schwedens und
Deutschlands einschloss. Der große Man-
gel der bisherigen Berichterstattung liegt
darin, dass die Geschichte Grönlands vor
dem Kaufversuch der Vereinigten Staa-
ten 1946 ausgeklammert wurde. Dabei
haben diese nach der Besetzung Däne-
marks durch Nazi-Deutschland Anfang
1941 Grönland, das sich damals auch als
neutral erklärt hatte, unterstützt.
Nach dem Kriegseintritt Ende 1941 ha-
ben die Vereinigten Staaten wirksam ver-
einzelte deutsche Landungsunterneh-
men in Grönland bekämpft. Die kurze
Zeit der Selbstverwaltung mit Hilfe der
Amerikaner war ein wichtiger Schritt für
grönländische Autonomiebestrebungen.
DR. KARL-HEINZ GLANDORF, MICHELBACH/BILZ

Zu „Bigotte ,Political Correctness‘“, Le-
serbriefe von Dr. Ernst-Joachim Fürsen
und „Ein Hoffnungszeichen aus Vechta“
von Wilfried Kürschner in der F.A.Z. vom



  1. August: Ich möchte berichten über
    den Sprachgebrauch meiner viereinhalb-
    jährigen Enkelin: So sagte sie zu mir:
    „Gib mir doch mal bitte den Teddy!“ Das
    war aber gar nicht das, was sie meinte. Sie
    meinte: „Steh bitte auf, geh durch das Zim-
    mer, hole dir einen Hocker, und hole mir
    aus dem obersten Fach meines Spielzeug-
    schrankes den Teddy und bringe ihn
    mir!“ Das alles meinte sie mit ,gib mir‘.
    Gerade eben, als ich mit meiner Frau, ih-
    rer Großmutter telefonierte, meinte sie:
    „Gib mir bitte doch mal die Oma!“ Hier
    meinte sie nun keineswegs, dass ich auf-
    stehen sollte und so weiter, sondern sie
    bat mich darum, ihr den Telefonhörer zu
    geben (keineswegs die Oma), um ihr auf


diese Weise eine fernmündliche Verbin-
dung mit eben derselben zu ermögli-
chen. Nikes Sprachgebrauch basiert kei-
neswegs auf ihrem geringen Wortschatz
(der ist recht beachtlich für eine Vierjäh-
rige), vielmehr berücksichtigt sie bei ih-
rem „Sprechhandeln“ in intelligenter
Weise die Situation und ihr Wissen von
meinem Wissen über die Situation.
Ein solch polysemer Gebrauch von Be-
griffen fördert die Intelligenz; ihre und
auch die des Adressaten. „Politische Kor-
rektheit“ zerstört die geistige Wendig-
keit. Keiner muss mehr fragen: „Wie
meinst du das?“ Und das ist das, was tota-
litäre Ideologien (rechte wie linke) lie-
ben; Leute lassen sich leichter steuern,
wenn sie nur noch das „Richtige“ den-
ken! Orwell wusste das, als er gegen
„Neusprech“ polemisierte!
PROFESSOR DR. DR. H.C. DIETRICH DÖRNER,
BAMBERG

Europäischer Geist


Briefe an die Herausgeber


Zu „Das Nichts nach Nolde“ von Jürgen
Kaube (F.A.Z. vom 28. August): Mir
scheint, dass im Fall der Bilder Noldes die
„Political Correctness“ in absurder Weise
überdehnt wurde. Wer es anstößig findet,
im Dienstzimmer der Bundeskanzlerin
Bilder von Nolde zu entdecken, müsste
sich auch darüber empören, dass dieselbe
Bundeskanzlerin Jahr für Jahr nach Bay-
reuth pilgert, um sich die Musik des rabia-
ten Antisemiten Richard Wagner anzuhö-
ren. Kann sich jemand vorstellen, dass
sich ein italienischer Ministerpräsident
weigern würde, in seinem Dienstzimmer
ein Bild von Caravaggio aufhängen zu las-
sen, das Werk eines Totschlägers? Wer es
der Bundeskanzlerin zumuten will, bei
der Auswahl der Bilder im Bundeskanzler-
amt darüber nachzudenken, ob irgend-
wann ein Staatsgast irgendeiner ausländi-
schen Macht absichtlich und ohne Grund,
also rein böswillig, an irgendeinem Bild,
das dort hängt, Anstoß nehmen könnte,
der treibt die „Political Correctness“ in ty-
pisch deutscher Perfektion auf eine einsa-
me Spitze.


DR. ARNOLD SIEVEKING, HAMBURG


Der Leserbrief von Dr. Wolfgang Wagner
„Nicht an die Universität“ (F.A.Z. vom



  1. August) zeigt wieder einmal ein be-
    kanntes Muster. Ohne sich ernsthaft mit
    einer Wissenschaft auseinandergesetzt zu
    haben, bildet man sich eine Meinung und
    verkündet sie lauthals. Je weniger man
    weiß, umso besser, wie bei den Klimaleug-
    ner.
    Da die angegriffenen Vertreter der uni-
    versitären Theologie auf einen Text die-
    ses Niveaus vermutlich nicht reagieren
    werden, versuche ich als interessierter
    Laie eine Antwort zu geben. Hätte der Au-
    tor des Leserbriefs sich auch nur flüchtig
    einige Standardwerke der Bibelwissen-
    schaft, wie sie an Universitäten betrieben
    wird, angesehen, etwa Zenger et al. „Ein-
    leitung in das Alte Testament“ und Eb-
    ner/Schreiber (Hrsg.) „Einleitung in das
    Neue Testament“, hätte er wohl mit Er-
    staunen festgestellt, dass hierin kein einzi-
    ges Wort der Glaubensverkündigung zu


finden ist. Das ist in der Tat Wissen-
schaft! Hochinteressant auch das erst
kürzlich erschienene Buch „Geschichte Is-
raels in der Antike“ des Alttestamentlers
Bernd U. Schipper. Selbst beim Gebiet
der Dogmatik wären wohl viele erstaunt
darüber, dass hier keineswegs nur apodik-
tisch Behauptungen aufgestellt werden,
sondern ähnlich wie in der Philosophie
durchaus kontrovers diskutiert wird.
Im Gegensatz dazu kritisiere ich an den
Kirchen, dass von den Ergebnissen der
wissenschaftlichen Theologie kaum et-
was in der Verkündigung ankommt. Zwi-
schen der theologischen Bibelwissen-
schaft und etwa dem „Katechismus der
Katholischen Kirche“ liegen Welten! Sol-
che Werke bedürfen dringend einer tiefge-
henden Überarbeitung. Ich sehe in Diskre-
panzen dieser Art einen wesentlichen
Grund für den Schwund an Kirchenmit-
gliedern.
DR. GUIDO HARTMANN, KIEL

Der Artikel „Von Hausbesetzern und Ar-
beiterschließfächern“ (F.A.Z. vom 1. Au-
gust) von Hubertus Knabe: Dieser Beitrag
gibt in komprimierter Form wieder, wel-
che negativen Auswirkungen Enteignun-
gen haben können. Was sich in der DDR
betreffs Wohnraum ereignet hat, kann
man nur verurteilen. Ich selbst war betrof-
fen, als ich im Jahr 1980 eine Nutzungsge-
nehmigung für eine schimmelpilzbefalle-
ne Wohnung, selbstverständlich Außen-
WC und ohne Bad, in einem herunterge-
kommenen Hinterhaus erhalten habe.
Mit der Miete von 23 Mark konnte natür-
lich nichts erhalten werden.
Da kann man heute wirklich zufrieden
sein, wie sich die Sanierung von Wohn-
bauten vieler Städte entwickelt hat.Aller-
dings geht mein Einwand zum Woh-
nungsmarkt dahin, dass ich die immense
Wohnungsanzahl einiger Immobilienun-
ternehmen für bedenklich halte. Da
kann man ja schon fast von Zentralisie-
rung reden. Auch finde ich es bedenk-


lich, dass in Dresden in der Nähe der
Technischen Universität mit Wohnungen
für Studenten geworben wird, welche bei
einer Größe von 37 m² 777 Euro kosten
sollen. Da bleibt vom Bafög nicht mehr
viel übrig.
Weiterhin sollte beim Wohnungsneu-
bau einmal überdacht werden, ob Woh-
nungsgrößen von 150 m² und mehr bei
Wohnungsknappheit vor allem in Groß-
städten noch zu rechtfertigen sind. Es ist
natürlich nicht anzustreben, was in der
DDR im Jahr 1975 gefordert war, näm-
lich je Einwohner über 16 Jahre bis 1990
18 bis 20 m² Wohnfläche bereitzustellen
beziehungsweise jedem Haushalt bis
1980 im Durchschnitt 58 bis 63 m² zur
Verfügung zu stellen. Jetzt entstehen in
Dresden an vielen Standorten (wo vor
der Zerstörung schöne Straßenzüge exis-
tierten) gesichtslose Wohnblöcke, wo
man monatelang Aushänge „zu vermie-
ten“ lesen kann.
CLAUDIA STOSIK, DRESDEN

Mit amerikanischer Hilfe


Political Correctness


Gegen „Neusprech“


Theologie und Verkündigung


Wohnungen in Dresden


FRANKFURT, 1. September

M

ausgrau, Staubgrau, Aschgrau
oder doch lieber ein frisches
Steingrau? Wer diese Farbvari-
anten hört, erinnert sich vielleicht an Lo-
riot und eine Filmszene aus „Ödipussi“.
Ende der 1980er wollte Stoff- und Möbel-
verkäufer Paul Winkelmann mehr Farbe
und Schwung in das triste Leben eines äl-
teren Ehepaares bringen, das ganz in
Grau gekleidet in einer ebenso grauen
Welt auf dem grauen Sofa saß. 30 Jahre
später geht es um Daytonagrau, Dravit-
grau, Emerald Grey, Indiumgrau, Man-
hattangrau, Mineralgrau, Monsungrau,
Moonwalk Grey, Oxidgrau oder Urano-
grau und die Wahl zwischen matt, Metal-
lic- oder Perleffekt – und damit um eine
Vielzahl von Autolacken. Die Automobil-
konzerne werben mit immer mehr Farb-
nuancen und Namen. Seit Jahren wächst
der Anteil grauer Autos auf deutschen
Straßen. Grau ist inzwischen beliebter
als jede andere Farbe.
Nach Angaben des Kraftfahrt-Bundes-
amtes wurden im Vorjahr mehr als eine
Million Pkw in Grau zugelassen – ein An-
teil von fast 30 Prozent an allen Neuzulas-
sungen. Selbst das sonst so beliebte
Schwarz kam auf Rang zwei nur noch auf
etwa 852 000 Neuzulassungen, gefolgt
von Weiß mit 718 000 Autos. Vor einem
Jahrzehnt waren Grau und Schwarz zwar
noch etwas mehr gefragt. Das Kraft-
fahrt-Bundesamt erfasst in der Katego-
rie Grau aber sowohl graue als auch sil-
berfarbene Fahrzeuge. Und im Jahr 2009
gab es noch weit mehr in Silber lackierte
Wagen als jetzt, ihr Anteil fällt. Das zeigt
auch der Blick auf das Straßenbild.
Händler verschiedener Marken betäti-
gen diese Trends. „Grau ist zu einer coo-
len Farbe geworden“, sagt Thomas Weil,
Großkundenbetreuer von BMW in Frank-
furt. Selbst graugefärbte Haare seien nun
in. „Da ein Auto ein sehr emotionales,
aber eben auch ein sehr austauschbares
Produkt ist, versuchen viele Käufer, sich
nach außen hin mit der Farbe und ande-
ren Details auszudrücken“, sagt Weil. So
schafften sie sich etwas Individualität.
Graue Autos wirkten zudem immer sehr
dynamisch und manchmal auch frech. Sil-
berne Fahrzeuge verbinde man eher mit
konservativen, eher älteren Autofahrern.

Auch der in Europa führende Lackher-
steller BASF bestätigt das neue Interesse
an Grau. „In Europa, dem Nahen Osten
und Afrika haben Grautöne in den ver-
gangenen Jahren kontinuierlich an Be-
liebtheit gewonnen“, sagt Ralf Otte, Mar-
ketingleiter für Fahrzeugserienlacke in
diesen Regionen von BASF Coatings. Im
Vorjahr sei Grau (19 Prozent der Fahr-
zeuge) hier nach Weiß (31 Prozent) erst-
mals der zweitbeliebteste Farbbereich ge-
wesen, gefolgt von Schwarz (18 Prozent).
Dabei sei der Anteil grauer Fahrzeuge in
allen Fahrzeugsegmenten ähnlich, mit
Ausnahme von Vans (12 Prozent). Dort
dominiere Weiß.
Farbe ist ein wichtiges Entscheidungs-
kriterium für den Autokauf. „Vor allem
graue Uni-Farbtöne sind sportlich, jung
und cool“, sagt Otte. Dies gelte zudem
für Töne mit sehr zurückhaltenden Effek-
ten, die wie unifarben wirkten: „Daher
sind diese Farbtöne oft auf sportlichen,
agilen Autos zu sehen oder werden in
Kombination mit Sport-Paketen angebo-
ten.“ Grau sei außerdem eine sehr urba-
ne Farbe, da Städte generell sehr viel

Glas und Beton verarbeiteten und hier
sehr viele Grautöne zu finden seien.
Die Autohersteller setzen die Farben
der Lacke und das Zusammenspiel mit
anderen Elementen sehr bewusst ein. Sie
tun dies für kleinere und größere Fahr-
zeuge und je nach Design. „Grau kann
auch sehr elegant und fließend wirken,
zum Beispiel auf großen Karossen“, sagt
Otte. Mit Effektfarbtönen könne die Far-
be zudem die Formgebung der Karosse
unterstützen oder auch sehr zurückhal-
tend sein. Wegen dieser Vielzahl an Mög-
lichkeiten sei Grau so kompatibel mit vie-
len Modellen und Wünschen der Auto-
käufer. BASF Coatings liefert 110 graue
Farbtöne – von unifarbenen Hellgraus
bis hin zu metallischem Anthrazit. Nur
für Blau ist die Bandbreite noch größer,
hier sind es rund 130 Varianten.
Und wie kommen die Farben auf das
Auto? BASF setzt sich eigenen Angaben
zufolge meist einmal im Jahr mit den Au-
tomobilkonzernen zusammen, um über
Trends, neue Farben und Modelle zu

sprechen. Von der Entwicklung einer
Farb-Idee bis hin zum ersten lackierten
Fahrzeug können schon mal drei bis fünf
Jahre vergehen. Die Zusammenarbeit
reicht dann bis in die Lackierstraßen der
Hersteller hinein, um den optimalen Auf-
trag der Lackschichten – Tauchlackie-
rung, Füller, Basislack und Klarlack– zu
gewährleisten und später das gewünsch-
te Ergebnis zu erzielen.
Sind es die Wünsche der Kunden oder
die Angebote der Hersteller, welche die
Autos so grau werden lassen? „Unser An-
gebot orientiert sich grundsätzlich eng
an den Wünschen unsere Kunden“, sagt
Christoph Oemisch, Marketingfach-
mann von Volkswagen. Dies gelte auch
für die Farbpalette. Daher werde ein
Uni-Grauton auch für viele Modellen auf-
preisfrei angeboten. Für den VW Golf
zum Beispiel ist es das dunkle Urano-
grau. Die Metallic-Grautöne lägen preis-
lich auf demselben Niveau wie andere
Metallic-Farben.
Ohne Aufpreis gibt es zum Beispiel
auch das Mini-Grau. Hier ist es ein helle-
res Grau (Moonwalk Grey), bei dem im
Sonnenlicht leichte Effekte zu sehen
sind. Durch ein schwarzes Dach und an-
dere Elemente wie Streifen kann der
Käufer sein Fahrzeug zudem etwas von
anderen einheitsgrauen Autos absetzen.
So etwas kann aber auch unerwünschte
Effekte haben. So berichtet Weil von ei-
nem Großkunden, dessen neuer Vor-
stand eines Tages durch die Tiefgarage
gegangen sei. Dabei habe er festgestellt,
dass zu viele Autos zu „böse“ aussähen,
um mit diesen Fahrzeugen zum Kunden
zu fahren. Anlass zur Kritik gaben BMW
3er- und 5er-Modelle. Hier könne man
seit einigen Monaten auch die BMW-be-
kannte Niere und die Felgen ganz in
Schwarz bestellen, zusätzlich zu den
Fensterumrahmungen, sagt Weil. Künf-
tig dürften Fahrzeuge dieser Art nicht
mehr als Firmenwagen dieses Dienstleis-
ters bestellt werden.
Grau kann auch besonders teuer sein.
Das gilt zum Beispiel für das Daytona-
grau von Audi. Angelehnt ist der Name
an die amerikanische Rennstrecke in
Daytona Beach in Florida. Während ein
Audi Q5 in Quantumgrau oder Monsun-
grau Metallic 900 Euro mehr kostet, be-
trägt der Aufpreis für Daytonagrau mit
Perleffekt 2400 Euro. BWM lässt sich für
sein 3er-Modell in Oxidgrau Metallic mit
1950 Euro zusätzlich bezahlen, Mineral-
grau Metallic kostet dagegen 900 Euro.
Und was sagt die Farbe Grau über die
Menschen aus, die solche Fahrzeuge fah-
ren? „Grau ist eine angepasste, eher un-
auffällige und neutrale Farbe“, sagt die

Kieler Psychologin Svenja Lüthge: „Sie
wirkt seriös, solide und elegant, aber
auch diplomatisch. Jede andere Farbe
steht für klare Botschaften.“ Lüthge
sieht in der Liebe zu Grau einen Trend
hin zur neuen Mitte wie in der Politik:
„Mit dieser Nichtfarbe kann man nichts
falsch machen.“ Ganz praktische Aspek-
te für den Kauf eines Autos könnten
auch sein, ob es vorrätig sei oder ob der
Wagen pflegeleicht und praktisch sei,
sagt Lüthge: „Gerade für Deutsche ist ein
gepflegtes Auto ein Statussymbol.“
Und in der Tat wirken graue, aber
auch silberfarbene Fahrzeuge in der Re-
gel weniger schmutzig als andere. Das
merkt jeder schnell, der schon einmal
ein dunkles oder ein sehr helles Auto ge-
fahren hat. „Graue Fahrzeuge bieten den
Vorteil, dass Staub und leichte Ver-
schmutzungen weniger schnell sichtbar
sind als auf Schwarz oder Weiß“, sagt Oe-
misch. Technisch betrachtet seien graue
Lacke zwar nicht pflegeleichter als ande-
re, sagt Otte. Doch Verschmutzungen auf
Wagenfarben wie Weiß und Schwarz sei-
en deutlicher wahrnehmbar als auf in
Grau oder Silber lackierten Fahrzeugen.
Sorgen sich die Betreiber von Tankstel-
len und Autowaschanlagen, weil es nun
so viele graue, pflegeleichte Fahrzeuge
gibt? Nach den Worten des Vorstandsvor-
sitzenden ihres Verbandes BTG-Minden,
Joachim Jäckel, habe sich das Waschver-
halten der Deutschen durch die wachsen-
de Beliebtheit von Grau nicht verändert.
Durchschnittlich werde ein deutsches
Auto achtmal im Jahr gewaschen. Vor 25
oder 30 Jahren seien es noch 17 Wä-
schen gewesen, aber da habe eine Fami-
lie auch nur ein einziges Auto besessen,
das sie immer genutzt habe. Die Fahrzeu-
ge blieben ja auch nur optisch länger
schön, seien aber genauso schmutzig wie
andersfarbig lackierte Wagen, sagt Jä-
ckel. So liege es stets am Schmutzempfin-
den des Fahrers und an der Jahreszeit, ob
mehr oder weniger gewaschen werde.
Sind graue Autos zeitlos und leichter
wiederzuverkaufen? „Den Großteil der
gewählten Automobilfarben machen seit
Jahren die unbunten Farben Weiß,
Schwarz, Grau und Silber aus“, sagt
Otte: „Dies hängt sicherlich auch damit
zusammen, dass diese Töne den Ruf ha-
ben, sich leichter wiederverkaufen zu las-
sen, da sie eine neutralere Erscheinung
haben und weniger provokant sind.“
BMW-Fachmann Weil verweist auf knall-
rote Fahrzeuge, die von Leasinggesell-
schaften schon mal mit einer Reduktion
des Restwertes versehen würden. Für
graue Fahrzeuge gebe es weder Auf-
noch Abschläge.

Der Graumarkt auf deutschen Straßen


joch. Berlin, 1. September. Burger in Ver-
packungen aus Graspapier, Eis mit Holz-
löffeln und Ketchup in Waffeln: Was
nach einem umweltbewussten Restau-
rant im hippen Berliner Trendviertel klin-
gen mag, ist in Wahrheit eine Filiale der
Burgerkette McDonald’s, die mit ihrem
sogenannten „Better M Store“ im Juni
zehn Tage lang testete, wie sie Müll redu-
zieren kann. Damit springt der umsatz-
stärkste Fast-Food-Konzern der Welt,
der jüngst einen veganen Burger in sein
Sortiment aufnahm, auf den branchen-
übergreifenden Nachhaltigkeitszug. Laut
einer PWC-Studie aus dem Jahr 2018 be-
fürworten 92 Prozent der Befragten ei-
nen weitgehenden Verzicht auf Plastik.
So gilt Öko-Grün mittlerweile nicht
mehr nur als hip, sondern auch als ver-
kaufsfördernd. Aber diese Entwicklung
birgt Gefahren. Denn nicht überall, wo
grün draufsteht, ist auch grün drin; von
„Greenwashing“ ist die Rede, wenn sich
Unternehmen einen ökologischen An-
strich verpassen, in Wahrheit aber vieles
beim Alten belassen.
„Bei den Menschen steigt das Bewusst-
sein für Themen wie Klimawandel, Plas-
tikvermeidung oder vegane und tierver-

suchsfreie Kosmetik in den letzten Jah-
ren immer stärker an, die Nachfrage
nach nachhaltigen und ökologischen Pro-
dukten steigt immer mehr“, sagt Andreas
Petke, der bei der Drogeriemarktkette
Dm für Nachhaltigkeit zuständig ist. Pro-
duktalternativen wie feste Haarseife,
Holzzahnbürsten oder Produkte mit res-
sourcenschonenden Verpackungen kä-
men zunehmend gut bei den Kunden an.
Dabei hat dm schon seit längerem Natur-
kosmetik in den Regalen – und damit ver-
sucht, auf die verstärkte ökologische Sen-
sibilität von Verbrauchern zu reagieren.
Anders McDonald’s. Umweltfreundli-
ches Handeln gehörte bislang nicht zu
den Königsdisziplinen des Fast-Food-Rie-
sen: Immer wieder stand der amerikani-
sche Konzern wegen hoher Abfallproduk-
tion und schlechten Haltungsbedingun-
gen von Tieren in der Kritik von Umwelt-
schützern und Tierrechtlern. Seit März
dieses Jahres will sich McDonald’s des-
halb gezielt dem mangelnden Vertrauen
in die eigene Marke entgegenstellen. Der
„Better M Store“ in Berlin ist dabei ne-
ben Plakaten sowie Werbefilmen Be-
standteil einer Kampagne mit dem Titel
„Ob du’s glaubst oder nicht“.

Bis zum Jahr 2030 will die Fast-Food-
Kette 30 Prozent weniger klimaschädli-
ches Kohlendioxid produzieren. Um das
zu erreichen, nimmt sie Fleisch und Plas-
tikverpackungen als die größten Verursa-
cher in den Fokus. Die im amerikani-
schen Bundesstaat Minnesota ansässige
Umweltschutzorganisation „Mighty
Earth“ äußert dennoch lautstarke Kritik:
Während McDonald’s mit Verpackungen
der Zukunft experimentiere, stamme das
verwendete Tierfutter vom Futterliefe-
ranten Cargill. Diesen bezeichnen die
Umweltschützer als „schlimmstes Unter-
nehmen der Welt“. So seien wegen Car-
gill rund 800 000 Hektar Regenwald ab-
geholzt worden. „Mc Donald’s Deutsch-
land bezieht keine Produkte von Car-
gill“, sagt eine Sprecherin von McDo-
nald’s Deutschland. Dies gelte für den
deutschen Markt, für andere Märkte kön-
ne sie nicht sprechen.
Die veganen Burger des Konzerns
stammten zudem, wie „Mighty Earth“
weiter bemängelt, von der Nestlé-Toch-
tergesellschaft Garden Gourmet. „Wir
haben uns im Vorfeld verschiedene Liefe-
ranten angeschaut, die unsere Standards
und Vorgaben erfüllen können — Garden

Gourmet konnte uns dabei am meisten
überzeugen“, heißt es von Mc Donald’s
Deutschland zu den Vorwürfen. Skepti-
ker lassen sich allerdings auch hierzulan-
de finden. Als Mc Donald’s einen Werbe-
spot zum neuen veganen Burger ins Inter-
net stellte und darin auf den Konflikt um
den Hambacher Forst anspielte, folgten
Angriffe mit Farbbomben auf mehrere Fi-
lialen in Freiburg. Im Internet wird von
anonymen Aktivisten zudem zu weiteren
Angriffen dieser Art aufgerufen.
Dem Risiko des Greenwashings sind
sich auch Fachleute bewusst. „Überall,
wo Geld verdient werden kann, gibt es
auch schwarze Schafe“, sagt Michael Bil-
harz vom Umweltbundesamt. Doch man
könne und müsse mit dieser Gefahr le-
ben. Selbst die radikale Tierrechtsorgani-
sation Peta begrüßt den veganen Weg,
den McDonald’s verstärkt einschlägt.
„Die leichtere Verfügbarkeit veganer Pro-
dukte ist wichtig, um mehr Menschen für
die vegane Lebensweise zu begeistern
und so die Nachfrage zu steigern — auch
wenn sie von Unternehmen stammen,
die weiterhin mit tierischen und nicht
nachhaltigen Produkten Geld verdie-
nen“, sagt Felicitas Kitali von Peta.

Unternehmen


Das Greenwashing und seine Gefahren


Ökologisches Marketing nimmt zu, fördert aber mitunter Misstrauen / Auch McDonald’s bekommt das zu spüren


Hierzulande gibt es immer
mehr Autos in Variationen
von Grau. Das Image dieser
Farbe sagt viel über ihre
Nutzer aus.

Von Kerstin Papon


Graue Eminenz:Dieser Aston Martin ist eher ein Fall fürs Museum als für den Straßenverkehr. Foto Heritage-Images

„Grau wirkt seriös, solide,
elegant, diplomatisch. Mit
dieser Nichtfarbe kann man
nichts falsch machen.“
Svenja Lüthge,Psychologin
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