Süddeutsche Zeitung - 02.09.2019

(John Hannent) #1
Als Musiker Erfolg zu haben, ist zu gewis-
sen Teilen dem Zufall geschuldet. Natür-
lich, das Handwerk lässt sich an Musikschu-
len perfektionieren. Aber ganz ohne Glück
kommt kein Musiker aus, wenn er gehört
werden möchte. Die wenigsten schaffen es,
zur richtigen Zeit am richten Ort zu sein. Im
Rückblick führen viele Künstler ihre Karrie-
re auf den Zufall zurück: von dem Elektro-
Pop-DuoYelloaus den Achtzigerjahren bis
hin zur Münchner Rapperin Taiga Trece.
Der Zufall – oder viel mehr das Schicksal


  • spielte auch beim Münchner Solo-Künst-
    lerMailänder(FOTO: MAXIE HÖPPEL)eine große
    Rolle. Der Musiker, mit vollem Namen
    heißt er Uwe Mailänder, ist seit 2015 solo ak-
    tiv. Damals hieß er nochTHE UWSTER, ent-
    schied sich aber schnell dazu, zu seinem
    Nachnamen überzugehen. Und dass er mit
    seiner Mischung aus Folk und softem Punk-
    Rock erfolgreich ist, hat etwas mit dem Ver-
    trauen in seine Fähigkeiten zu tun, aber
    auch mit einer Portion Glück.
    Bei einem Song-Slam in der Milla kam
    ihn die Idee, selbst aufzutreten. „Es ist so
    ein Drang, auch Konzerte spielen zu wol-
    len.“ In der gleichen Nacht hat er in der Mil-
    la noch angefragt, beim nächsten Song-
    Slam ist er aufgetreten. Kurz darauf vermit-
    telte ihm ein befreundeter Booker einen
    Slot beim Kulturspektakel Gauting: Sonn-


tagmittag, eigentlich eine schlechte Zeit.
Dort hat er dann aber einen Sound-Mi-
scher kennengelernt, der ihn gut fand und
weitervermittelte. Nicht einmal eine Wo-
che später spielte er vor einem Auftritt von
LaBrassBandain einem Schlosshof. Das
ging alles viel zu schnell. Und vermutlich
war es auch Mailänder selbst ein bisschen
ungeheuer: „Ich stand auf der Bühne, war
total aufgeregt, und es war natürlich nicht
so, als könnte man Beruhigungsgetränke
zu sich nehmen“, sagt er.
Wenn er mit einem Song auftritt, dann
gibt es für ihn kein „Schema F“ für das, was
auf der Bühne passiert. „Es muss aus dem
Bauch herauskommen“, sagt er. Und mit ei-
ner ähnlichen Herangehensweise schreibt
er auch seine Songs. Wobei die Gefühle und
Ideen nicht aus dem Nichts stammen: Sein
Song „Lion King“ beispielsweise spielt auf
einen Abend und das Genießen des Nachtle-
bens mit alten Freunden in Würzburg an,
wo wer aufgewachsen ist. Wie sich das an-
hört? Scheppernde Becken, eine Akustikgi-
tarre, die an Lagerfeuermusik erinnert und
eine leicht wehklagende Stimme, die sich
an diesen Abend zurückerinnert.
In Würzburg hat Mailänder auch seine
ersten Erfahrungen in Bands gemacht. Mu-
sik war allerdings schon immer ein Teil sei-
nes Lebens, sein Vater selbst coverte ameri-

kanische Rock-Ikonen. Und dementspre-
chend lagen zu Hause Instrumente herum.
Seine erste Band hießRoggenmischbrot,
doch nach der Schule gingen sie unter-
schiedliche Wege. Mit einem Bandmitglied
spielte er von Zeit zu Zeit noch weiter Gitar-
re und entwickelte seine ersten Songs.
Auch heute greift der Musiker auf seine
Freunde zurück, um sich inspirieren zu las-
sen – aber auch, um sie an seinen Projekten
teilhaben zu lassen. So benutzt er den Pro-
beraum der Münchner Alternative Rock-
BandBlackout Problemsmit, der Schlagzeu-
ger der Band, Michael Dreilich, hat für ihn
die Songs eingespielt. Für Mailänder hatte
die Zusammenarbeit viel Neues: „Ich war
vorher noch nie mit einem Schlagzeuger
im Studio, der meine Sachen noch nie ge-
spielt oder gehört hat“, sagt er. Zwei Tage sa-
ßen sie zusammen, ein bisschen wie „Trial
and Error“, beschreibt er das Vorgehen.
Das Ergebnis: das erste Album von Mai-
länder. Es erscheint am 23. November. Die
erste Single, „ANKLET“, ist gerade am Frei-
tag herausgekommen. Das Video dazu ent-
stand in Kooperation mit den Monaco Sessi-
ons. Der Wunsch des Musikers ist es, ein-
mal im Strom aufzutreten und öfter mit Be-
gleitung spielen zu können: „Mit Bands
macht es halt immer am meisten Spaß“,
sagt er. max fluder

Stil:Folk, Punk-Rock
Besetzung:Uwe Mailänder
(Gesang, Gitarre)
Aus:München
Seit: 2015
Internet:
https://mailaendermusic.de

Mailänder


BAND DER WOCHE


Vorurteile abbauen


Schweigen gilt dem Sprichwort nach als
edel. Aber nicht mehr miteinander zu re-
den, ist für die Initiatoren von#DialogBit-
teauch nicht das Wahre. Zu ihnen zählt
auch die Münchner Autorin und Drehbuch-
studentinSophia Fritz, 22, die auf Insta-
gram unter dem NamenJosephine Frey
aktiv ist. Ihr Ziel ist es, Vorurteile zwischen
Wählern abzubauen – konkret haben sie
die kommende Wahl in Österreich im
Blick. Jeweils zwei Teilnehmer werden Kli-
schees ausgesetzt, die andere über sie ha-
ben, und teilen ihre Erfahrungen zu dem
Vorurteil. Die Reaktionen werden aufge-
zeichnet. Das Projekt soll entgegen der ur-
sprünglichen Planung weitergeführt wer-
den: „Wir werden es doch langfristig anle-
gen und sind gerade dabei, Förderungen
zu sammeln“, sagt Sophia. max fluder

Vorteile zeigen


Neue Inspiration, Blockaden und Selbst-
ständigkeit? Große Themen, die junge kre-
ative Menschen bewegen. So auchAnna-
Sophia Pohlmann, 24, undRiva Pinto, 25,
als sie dasamuse Magazinstarteten. Ihr
Ziel: die Hörer inspirieren, neue Blickwin-
kel eröffnen und vernetzen. In jeder Ausga-

be treffen sie einen Künstler direkt in sei-
nem Arbeitsumfeld. Die Fragen stellen sie
auf einer persönlichen Ebene. Dazu zeigen
sie Bilder, Artikel und Videos. Im Magazin
werden verschiedenste Bereiche vorge-
stellt: von Produktdesign über Kulturkura-
torium bis zu Musikproduktion. „Wir kön-
nen nicht mehr hören, dass es in München
keine Szene gibt, deswegen wollen wir zei-
gen, wie viel Neues die Stadt zu bieten hat“,
sagt Anna-Sophia. Und Riva fügt hinzu:
„Wir möchten den Hörern Antrieb geben,
dass andere es auch schaffen und man sich
oft einfach trauen muss.“ sarah kratzl

von wolfgang westermeier

S


pät, aber nicht zu spät. Wenn die Gäs-
te sich warm, aber noch nicht müde
getanzt haben. Wenn das erste Set
vorbei, die Nacht aber noch jung und ver-
heißungsvoll ist. Sonntag morgen um drei
Uhr. Das ist die perfekte Uhrzeit. Dann
sind die Clubs in München am vollsten,
steuert die Stimmung auf ihren Höhe-
punkt zu. Wer in München als DJ auftritt,
wünscht sich in aller Regel, für diese Zeit
von einem der großen Elektro-Clubs ge-
bucht zu werden. Fast alle jungen DJs die-
ser Stadt können davon nur träumen.
Das liegt einerseits daran, dass die nam-
haften Läden wie Harry Klein, Rote Sonne
oder Blitz an den Wochenenden fast im-
mer ein hochkarätiges Programm haben.
Die elektronische Tanzmusik ist schon lan-
ge im Mainstream angekommen, das
Nachtleben eine globale Industrie mit in-
ternationalen Superstars und teils fünfstel-
ligen Gagen. „Um für die Leute interessant
zu bleiben, müssen wir ein internationales
Booking anbieten“, sagt David Süß, der das
Harry Klein betreibt. Die verbleibenden
Zeiten an den Wochenenden – am Anfang
und am Schluss – werden in der Regel von
den sogenannten Residents bestritten:
DJs, die schon lange mit dem jeweiligen
Club zusammenarbeiten und dort regelmä-
ßig auflegen. Sie kennen das Publikum
und den Sound des Ladens, wissen, wie
man die Leute anheizt, ohne zu viel vorweg-
zunehmen. Und das Publikum kennt die
Resident-DJs, auch das ist wichtig.


Aber selbst wenn man als junger Münch-
ner DJ nicht mit gut vernetzten Residents
und weltweit gefeierten Stars in Konkur-
renz stehen würde, wäre es immer noch
sehr schwierig, einen der begehrten Wo-
chenend-Auftritte zu landen. Denn in der
Millionenstadt gibt es gerade mal eine
Handvoll Clubs, die ernstzunehmende
elektronische Musik spielen – Tendenz
schrumpfend. Im April schloss der weit
über die Stadtgrenzen hinaus bekannte
Techno-Club Mixed Munich Arts für im-
mer seine Türen. Vergangene Woche ver-
kündete das Bob Beaman sein Ende. Das
Gebäude, in dem sich das Harry Klein be-
findet, wurde verkauft und soll in ein Hotel
umgewandelt werden. Der Pachtvertrag
des Bahnwärter Thiel endet 2022. Der Wett-
bewerb um die Flächen der Stadt macht
sich auch im Nachtleben bemerkbar.
Ist München also ein hoffnungsloses
Pflaster für junge Nachwuchs-DJs? „Es ist
schon sehr schwer, da reinzukommen“,
sagt Malcolm François-Friis. Der 26-Jähri-
ge, der als DJ unter dem Namen Malcolm
François auftritt, hatte vor fünf Jahren bei
einem Newcomer-Abend im Pimpernel
sein Club-Debüt. Seitdem hatte er Gigs in
Clubs wie der Roten Sonne, Bahnwärter
Thiel und Harry Klein. Dass er an einem
Wochenende in einer dieser Läden spielen
darf, ist trotzdem noch selten. „Hier sind
die Slots einfach krass limitiert“, sagt er.
Neu ist dieser Umstand nicht. Schon in
den Neunzigerjahren, als sich die elektroni-
sche Musikszene in München gerade eta-
blierte, waren die Freiräume rar. David
Süß erinnert sich an die Zeit. „Es gab kaum
eine Möglichkeit, irgendwas zu machen“,
sagt er. Damals eröffnete er zusammen
mit Dorothea Zenker und Peter Wacha den
Techno-Club Ultraschall am ehemaligen
Flughafen Riem. „Wenn man solche Partys
nicht selbst veranstaltet hat, haben sie
nicht stattgefunden“, sagt David Süß.
Dass man es auch einfach selbst ma-
chen kann – nach den eigenen Vorstellun-
gen und mit dem eigenen Sound – zu die-
ser Erkenntnis ist auch Malcolm schnell ge-
langt. Über die Jahre hat er sich mit Partys
in stillgelegten Industriegebäuden, Open
Airs und einer Veranstaltungsreihe na-
mens „Liebe zum Detail“ einen Namen ge-
macht. „Dadurch haben wir unsere eigene
kleine Familie gegründet“, sagt Malcolm.
Dabei profitieren die Newcomer-DJs
von heute von neuen technologischen Mög-
lichkeiten. Während man früher noch eine
kostspielige Plattensammlung benötigte,
gibt es heute fast überall digitale Alternati-
ven. „Mit dem Auflegen anzufangen, ist
sehr einfach geworden“, sagt Lily Felixber-
ger, 27. Als DJ nennt sie sich Lily Lillemor
und kam vor zwei Jahren durch einen Wett-


bewerb zu ihrem ersten Auftritt: Sie schick-
te ein von ihr aufgenommenes Set an die
Veranstalterinnen und durfte gleich im
Marry Klein auflegen – so heißt das Harry
Klein für einen Monat im Jahr, wenn der
Club ausschließlich von Frauen bespielt
wird. Seitdem hatte DJ Lily Lillemor ereig-
nisreiche zwei Jahre, mit Auftritten nicht
nur in München, sondern auch in Stutt-
gart, Berlin und Budapest.
Diese neue technologische Niedrig-
schwelligkeit sorgt aber auch für mehr
Konkurrenz. „Elektronische Musik ist sehr
massentauglich geworden. Deshalb muss
man aufpassen, dass der eigene Sound
nicht untergeht“, sagt Lily. „Das ist am An-

fang natürlich schwer, weil man seinen Stil
noch nicht gefunden hat.“
Menschen, die selbst mit dem Auflegen
anfangen möchten, empfiehlt sie, zu Open-
Decks-Veranstaltungen zu gehen. „Da
kann man sich ausprobieren und man
lernt wahnsinnig viele Leute kennen“, sagt
Lilly. Auch die Veranstaltungen unter der
Woche, etwa im Bahnwärter Thiel oder im
Harry Klein, seien gute Anlaufpunkte.
„Wir versuchen, die Donnerstage komplett
mit Locals zu bespielen“ sagt David Süß.
So soll der Nachwuchs gefördert werden.
Und wer sich dort bewährt, hat durchaus ei-
ne Chance, auch mal am Wochenende spie-
len zu dürfen.

Nicht zu unterschätzen ist der Auftritt
in den sozialen Medien und auf den Musik-
plattformen. „Die spielen definitiv eine gro-
ße Rolle“, sagt Moritz Butschek. „Wer alle
für sich relevanten Kanäle gut bespielt, hat
die beste Möglichkeit, gehört zu werden.“
Der 28-Jährige ist verantwortlich für den
Blog „Two in a row“, der seit neun Jahren
die elektronische Clubszene der Stadt be-
leuchtet. Eigentlich hatte Moritz nie vor,
selbst als DJ aktiv zu werden. Bei der
Launchparty zum Blog stand er dann doch
hinter dem Mischpult, mittlerweile ist er
Resident im Bahnwärter Thiel.
Auch Laetizia Megersa, 23, misst Platt-
formen wie Soundcloud eine große Bedeu-

tung zu. Vor gut zwei Jahren lud sie dort ein
Set hoch, auf das der Booker vom Bahnwär-
ter Thiel aufmerksam wurde. Der buchte
sie daraufhin für ihren ersten Auftritt: in
der Minna Thiel vor der Hochschule für
Film und Fernsehen. Von dort aus führte
eins zum anderen: Im Sommer spielte sie
auf dem Wannda-Festival in Freimann, wo
ein Produzent eines Berliner Labels sie be-
merkte, weil sie einen Track spielte, den er
verlegt hatte. Im nächsten Monat hatte sie
einen Auftritt im Katerblau, einem der be-
rühmtesten Clubs Berlins. „Ich bin des-
halb immer noch total baff“, sagt Laetizia.
„Was für eine Anhäufung von Glück und
Zufällen.“

Auch die anderen kommen immer wie-
der auf zufällige Begegnungen zu spre-
chen. Tatsächlich aber lässt sich ein Mus-
ter erkennen: Alle vier sind hartnäckig, ha-
ben sich von einem kleinen Auftritt zum
nächsten gehangelt. Sie schrecken nicht da-
vor zurück, die Dinge selbst in die Hand zu
nehmen und eigene Partys zu organisie-
ren, sich in Kollektive einzubringen oder
an die Clubs mit neuen Ideen heranzutre-
ten. Und die vier DJs sind von einer Hinga-
be zur Musik durchdrungen. Ein Hoff-
nungsschimmer für die junge Club-Kultur
der Stadt. Denn auch München kann inter-
nationale Größen hervorbringen – das
weiß man seit Monika Kruse und DJ Hell.

„Es ist schon sehr schwer,


da reinzukommen“, sagt


DJ Malcolm François


Bis Freitag, und nicht weiter


Die Elektro-Szene in München wächst, eine Vielzahl an jungen DJs spielt tolle Sets – unter der Woche, denn für einen Wochenend-Auftritt
werden sie nicht gebucht. Warum ist das so? Eine Spurensuche mit Lily Lillemor, Laetizia Megersa, Malcolm François und Moritz Butschek

München lebt. Viele junge Menschen in der
Stadt undim Umland verfolgen aufregende
Projekte, haben interessante Ideen und kön-
nen spannende Geschichten erzählen. Auf die-
ser Seite werden sie Montag für Montag vorge-
stellt – von jungen Autoren für junge Leser.
Lust mitzuarbeiten? Einfach eine E-Mail an die
[email protected]
cken. Weitere Texte findet man im Internet un-
terhttp://jungeleute.sueddeutsche.deoder
http://www.facebook.com/SZJungeLeute. SZ

Auftritte an einem
Samstagabend „sind
einfach krass
limitiert“, sagt
DJ Malcolm François.
Er und die DJs Laetitia
Megersa, Lily Lillemor
und Moritz Butschek
(von rechts) haben es
dennoch geschafft, sich in
den Blickpunkt zu spielen.
Unten: ein Open Air im
Bahnwärter Thiel.
FOTOS: ROBERT HAAS, JAMIE SUN,
JAKOB WITTKO, JONAS HAES, PRIVAT

NEULAND


JUNGE LEUTE


R4 (^) JUNGE LEUTE Montag, 2. September 2019, Nr. 202 DEFGH

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