Handelsblatt - 22.08.2019

(ff) #1
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Grüne Anleihen

Der Bund sieht


keinen Zeitdruck


E


igentlich ist Nachhaltigkeit auch an den
Kapitalmärkten im Moment das ganz gro-
ße Thema. Doch allzu eilig scheint es die
Bundesrepublik mit einer grünen Staatsanleihe
nicht zu haben. Finanzstaatssekretär Jörg Kukies
(SPD) hat Hoffnungen auf eine schnelle Einfüh-
rung jedenfalls erst einmal gedämpft. „Wir ma-
chen uns bewusst keinen Zeitdruck, weil die Fra-
gen, die sich um die grünen Bundesanleihen ran-
ken, natürlich sehr komplex sind“, sagte er nach
einem Treffen des Green and Sustainable Finan-
ce Clusters am Mittwoch in Frankfurt. Sollte die
grüne Bundesanleihe bereits 2020 auf den Markt
kommen, müsste sie schon bald in den Emissi-
onskalender der Deutschen Finanzagentur aufge-
nommen werden, die im Auftrag des Finanzmi-
nisteriums Staatsbonds auf den Markt bringt.
Doch bislang steht nach Aussage von Kukies nicht
einmal fest, ob diese überhaupt eingeführt wird.
„Da wir nur einen Prüfungsauftrag gegeben ha-
ben, impliziert das ja auch, dass die Prüfung ne-
gativ ausfallen kann“, betonte er.
Eine der wichtigsten Prämissen bei der Einfüh-
rung einer grünen Anleihe ist, dass sie für den
Bund keine Mehrkosten bedeuten darf. „Wir
müssen beachten, dass wir nichts tun dürfen,
was zu höheren Zinsausgaben führt“, unterstrich
Kukies. Der Bund finanziere sich zurzeit enorm
effizient und günstig, und es sei wichtig, dass die
grünen Bundesanleihen dieselben Standards er-
füllen wie die bereits existierenden Papiere. An-
sonsten könnten sie gegen die Bundeshaushalts-
ordnung verstoßen oder den Bundesrechnungs-
hof auf den Plan rufen.
Auch bei der Ausgestaltung einer grünen Bun-
desanleihe gebe es noch keine Vorentscheidung.
„Da sind wir noch sehr ergebnisoffen“, so Kukies.
Diskutiert wird unter anderem die Einführung ei-
nes sogenannten „Green Addons.“ Dabei wird die
eigentliche Anleihe vom Versprechen, nachhalti-
ge Ausgaben nachzuweisen, abgekoppelt. Inves-
toren könnten eine gewöhnliche Bundesanleihe
kaufen und, bei Bedarf, ein Zusatzpapier erwer-
ben. Darin ist die Verpflichtung des Bundes ver-
brieft, über den Nennbetrag grüne Ausgaben
nachzuweisen. Dieser Nennbetrag entspricht ma-
ximal dem Volumen der zugrunde liegenden
Bundesanleihe. Wer etwa für eine Million Euro
eine Anleihe kauft und das Zusatzpapier mit dem
gleichen Nennbetrag erwirbt, hat diesem Modell
zufolge einen Green Bond über eine Million Euro
im Depot. Wie hoch der Preis ausfällt, hängt
demnach von der Nachfrage der Investoren nach
einem grünen Etikett für die Anleihe ab.
Der Vorteil dieses Modells: An der Liquidität
der Bundesanleihen, für viele Großanleger einer
der zentralen Gründe für eine Investition, ändert
sich nichts. Doch grüne Projekte werden dadurch
vorerst nicht angeschoben. Es werden lediglich
passende Ausgaben im Haushalt identifiziert, die
sich in dem Zusatzpapier verbriefen.
Eine andere Möglichkeit wäre es, den bereits
existierenden Energie- und Klimafonds (EKF) mit
einer Kreditermächtigung auszustatten. Der
Fonds könnte sich dann über die Ausgabe grüner
Anleihen finanzieren. Der EKF ist ein vom Bun-
deshaushalt abgetrenntes sogenanntes Sonder-
vermögen, das sich bislang vor allem aus den
Einnahmen des Verkaufs von CO 2 -Zertifikaten
speist. Den EKF mit zusätzlichen Mitteln vom Ka-
pitalmarkt zu stärken hätte mehrere Vorteile:
Zum einen stünde wesentlich mehr Geld für Kli-
maschutzprojekte zur Verfügung. Zum anderen
würde die Bundesregierung den Vorwurf des
Green Washings vermeiden. Allerdings liegt die
maximal zulässige Grenze, die der EKF an neuen
Schulden aufnehmen könnte, für 2020 bei knapp
fünf Milliarden Euro. Für die Auflage eines völlig
neuen Bundeswertpapiers ist das ein geringes
Volumen. Jakob Blume, Judith Henke

stitutionellen Anleger aus dem Heimatmarkt. Inlän-
dische Banken und Vermögensverwalter „können
sich wahrscheinlich nicht den Luxus leisten, durch
negative Renditen hindurchzusehen.“Im Wettbe-
werb mit Käufern wie der EZB und anderen Noten-
banken, könnten private Großanleger nicht beste-
hen. Die EZB hat zwar ihre Nettoanleiheläufe vor-
erst beendet. Doch in ihrem Auftrag erwirbt die
Bundesbank weiter Anleihen, um fällige Papiere zu
ersetzen. Im September könnte die Notenbank zu-
dem verkünden, dass sie das Anleihekaufpro-
gramm wieder anschiebt.
Ein großer Teil der am Mittwoch ausgegebenen
Bundesanleihe dürfte daher ihren Weg in die De-
pots der Zentralbank finden. Die Laufzeit bis zum


  1. August 2050 wurde so gewählt, dass sie sich für
    das Anleihekaufprogramm der EZB qualifiziert. Die
    Notenbank darf laut ihren eigenen Regeln Anleihen
    mit einer maximalen Laufzeit von 31 Jahren minus
    einem Tag kaufen. Sie darf zudem höchstens ein
    knappes Drittel aller ausstehenden Anleihen einer
    Emission halten. Das wären im Fall des nun ausge-
    gebenen Bonds knapp 670 Millionen Euro. Die lang
    laufenden Bundespapiere dürften sich auch bei an-
    deren Notenbanken trotz der geringen Rendite ei-
    niger Beliebtheit erfreuen. So legt etwa die Schwei-
    zer Nationalbank ihre Euro-Reserven zu einem Teil
    in deutschen Staatsanleihen an. Auch die chinesi-
    sche Zentralbank hat in ihrer Währungsreserve die
    Dollar-Position abgebaut und neben Gold auch eu-
    ropäische Papiere gekauft.
    Die Dominanz der Notenbanken könnte für den
    Markt für Bundesanleihen zum Problem werden,
    warnt Analyst Leister. Denn EZB, Bundesbank und
    Co. sind Investoren, die ihre Papiere bis zur End-
    fälligkeit halten. Die Anleihen werden dem Markt
    daher weitgehend entzogen. Seit der Auflage des
    Notenbank-Kaufprogramms sei der Anteil der insti-
    tutionellen Investoren um fast 30 Prozentpunkte
    gesunken. Mittlerweile hielten europäische Ban-
    ken, Vermögensverwalter, Versicherer und Pensi-
    onsfonds sowie Institutionelle außerhalb des Euro-
    Raums nur noch 35 Prozent der Bundesanleihen.


Opfer des eigenen Erfolgs
Leister erwartet daher, dass das Volumen der frei
verfügbaren Wertpapiere weiter zurückgeht. Auch
ein wachsendes Angebot sei angesichts der im
Grundgesetz festgeschriebenen Obergrenze für
die Neuverschuldung nicht zu erwarten. Die Fol-
ge: „Die Volatilität dürfte erhöht bleiben, da die
Handelsliquidität durch geringere institutionelle
Aktivitäten abnimmt.“ Die hohe Liquidität, also
die gute Handelbarkeit, gehört zu den wichtigsten
Eigenschaften von Bundeswertpapieren. Die Ren-
diten sind auch deshalb so niedrig, weil Investo-
ren wissen, dass sie innerhalb weniger Minuten
Millionenbeträge anlegen oder verkaufen können,
ohne große Abschläge fürchten zu müssen.
Dafür sind sie sogar bereit, einen Aufschlag, ei-
ne sogenannte Liquiditätsprämie, zu zahlen. Sie
verschafft dem Bund einen Vorteil bei der Refi-
nanzierung. Doch je stärker der Markt auszutrock-
nen droht, desto geringer könnte dieser Vorteil
ausfallen, so Leister. Die gestiegene Volatilität sen-
ke auch die Bereitschaft vieler Banken, an den
Auktionen der Finanzagentur teilzunehmen. „Vie-
le stellen sich die Frage, ob sich das Risiko lohnt,
die Papiere zu parken, bis die Bundesbank oder
andere Investoren sie kaufen. Die Auktion hat ge-
zeigt, dass viele Banken in der Bietergruppe nicht
mehr ohne Weiteres gewillt sind, das zu tun.“
Drohen die Bundesanleihen Opfer ihres eige-
nen Erfolgs zu werden? So weit ist es nach An-
sicht von Axa-Stratege Iggo noch nicht: „30-jähri-
ge Bundesanleihen sind nicht günstig. Aber wir
halten sie trotzdem, da sie eine Absicherung ge-
gen Schwankungen am Aktienmarkt bieten.“ Die
Zeiten, in denen es noch risikolose Zinsen gibt,
seien vorbei.

Euro-Staatsanleihen
Kurs in Prozent


*Geplant • Quellen: Bloomberg, Deutsche Finanzagentur

122,59 %

1.1.2016 20 .8.2019

15


10


115


110


105


Wir befinden


uns in einer


außerge -


wöhnlichen


Marktphase.


Chris Iggo
Chefanlagestratege
für Anleihen bei Axa

-0,11

PROZENT
betrug die
Durchschnittsrendite
bei der Auktion
der 30-jährigen
Bundesanleihe.

Quelle:
Deutsche Finanzagentur

Finanzen & Börsen


DONNERSTAG, 22. AUGUST 2019, NR. 161
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