Süddeutsche Zeitung Magazin - #35 - 30.08.2019

(Brent) #1

22 SÜ D D EU TS C H E ZEITU N G M AGA ZI N


wieder versuchte jemand, sich das Lernen
der französischen Vokabeln dadurch zu er­
sparen, dass er einfach welche aus dem Eng­
lischen oder dem Lateinischen so aussprach,
als ob er sich dabei die Nase zuhielte.
Manchmal, wenn bei uns die Konjugati­
onen nicht sitzen wollten, drohte sie auch,
den Unterricht einfach hinzuschmeißen
und stattdessen in einer Modeboutique am
nahe gelegenen Körnerplatz nach einem
weniger quälenden Job zu fragen. Und das
konnten wir natürlich schon deswegen
nicht zulassen, weil der Platz tatsächlich
nach jenem Theodor Körner benannt war,
der als einer der großen Franzosenhasser
aus der Zeit der Napoleonischen Kriege in
die Geschichte eingegangen ist.
Nun war allerdings in der DDR trotz
aller Völkerfreundschaft mit der franzö­
sischen Arbeiterklasse das Andenken
solcher Leute nicht weniger hoch gehalten
worden als davor unter den Nazis. Selbst das
von Ernst Moritz Arndt, der heute in der
Regel als grimmiger Vordenker des Natio­
nalismus verrufen ist. Die Genossen schätz­
ten ihn damals aber noch als Vorkämpfer
gegen den Feudalismus und ganz allgemein
als Propagandisten von volkstümlichen
Erhebungen gegen »die da oben«. Und zur
Zeit von Arndt, Körner und den anderen
sprachen bekanntlich die da oben Fran­
zösisch miteinander, und Deutsch allenfalls
mit den Stallknechten und den Pferden.
Wieso nun ausgerechnet Französisch zur
Universalsprache in ganz Europa wurde,
und ob es das auch verdient hatte: Das war
eine gute Frage. Die Preußische Akademie
der Wissenschaften schrieb 1784 eigens ei­


nen Wettbewerb zu ihrer Beantwortung aus


  • natürlich auf Französisch: »Qu’est­ce qui
    a fait de la Langue françoise (!) la Langue
    universelle de l’Europe ?« und: »Par où
    mérite­t­elle cette prérogative ?«
    Es würde die sogenannten Franzosen­
    fresser unter Deutschlands Dichtern und
    Denkern jener Zeit nicht weniger schil­
    lernd und nicht weniger problematisch
    machen, wenn mal ein Historiker belegen
    könnte, was ich heimlich vermute: dass ihr
    teutonischer Furor auch daher rührte, dass
    ganz einfach grammatische Konstruktionen
    wiemérite-t-ellesie in den Wahnsinn trieben.
    Mich haben sie ja auch in den Wahnsinn
    getrieben, diese Bindestrich­Monster, tun
    sie immer noch. Aber ich finde sie auch von
    großer, geradezu exotischer Schönheit. In
    meinen ersten Französischunterricht, da­
    mals in der Schule, ging ich deswegen noch
    wie in einen Laden voller blühender Orchi­
    deen. Alles war neu, und alles sah anders
    aus. Sogar die Anführungszeichen: keine
    Gänsefüßchen, sondern kleine Dreiecke.
    Direkte Rede kam im Französischen daher
    wie mit ausgestreckten Ellenbogen. Und
    der vornehme Abstand, den die Satzzeichen
    zum Satzende hielten! Gab es auch nur im
    Französischen. Jedes Ausrufe­ und jedes Fra­
    gezeichen ein abgespreizter kleiner Finger.
    Und die Akzente natürlich. Der Circonflexe
    vor allem: eine hochgezogene Augenbraue
    über dem Buchstaben. Das ô in Hôtel sah
    nicht nur erstaunlich aus – das sah aus, als
    staunte dieses schöne Wort mit offenem
    Mund über sich selber. Worte, über denen
    alle drei Akzente zusammenkamen, der cir­
    conflexe, aigu und grave, ließen an die un­


terhaltsamen Grimassen von Louis de Funès
denken, und dieser ganze Fragesatz­Salat
aus Einbuchstaben­Worten, Apostrophen
und Bindestrichen begeisterte mich in dem
gleichen Maß, in dem er mich meistens
auch überforderte.
Mag sein, dass das nicht die seriösesten
Beweggründe für den Erwerb einer Fremd­
sprache sind. Man kann sich natürlich statt­
dessen auch aus der blutigen Geschichte der
deutsch­französischen Beziehungen von
Karl dem Großen bis hoch zu Schumachers
Foul an Battiston 1982 eine Art staats­
bürgerliche Pflicht zum Vokabellernen ab­
leiten. Man kann sich vor Augen rufen, wie
viel Französisch nicht zuletzt durch den
Zuzug der Hugenotten eh schon im Deut­
schen steckt, angeblich sogar in Wörtern
wie Kuscheln, Kinkerlitzchen und dem Aus­
ruf »Ach, menno!« (Das erste kommt von
coucher,das zweite vonquincaillerie– Eisen­
waren – und das dritte, vermutlich, vonmais
non,aber nein.)
Ich könnte in der Hinsicht sogar mit
einem Onkel aufwarten, der als dunkles Ge­
heimnis aus seiner Jugend einen Einsatz in
der französischen Fremdenlegion mit sich
herumtrug. Bis in die Sechzigerjahre hinein
soll Deutsch dort ja die meistverbreitete
Sprache gewesen sein. Seine Witwe bekam
später trotzdem immer noch Veteranen­
Zeitungen auf Französisch zugeschickt. Ein­
mal zeigte ein Foto Söldner in Indochina
einen Fluss überqueren: »Traversée sur une
rivière«. »Der Traversee« sagte die alte Dame
wissend, »da waren sie immer schwimmen.«
Was auch immer der Mann ihr über seine
Zeiten dort erzählt haben mochte, hier war
es vielleicht mal ganz gut, dass jemand die
Sprache nicht verstand.
Ich aber hatte mich explizit in das
Fremdartige daran verliebt. Es war, vermut­
lich, ein klarer Fall von Exotismus. Aber das
ist immerhin ein wirksamer Antrieb. Nach
zwei Jahren fühlte ich mich bereit, in der
fremden Sprache mit den fremden Men­
schen im Sinne von Anne Berest Zungen­
küsse auszutauschen, und fuhr in Tanzstun­
denabschlussballstimmung der Jugend
Frankreichs entgegen.Cependant... Auch
das Debakel ist ein französisches Lehnwort.
Ebenso wie der Schock, der Chauvinismus
und die Arroganz.
Es wäre einfacher gewesen, stattdessen
Altgriechisch zu lernen und mit den Statuen
im Louvre ins Gespräch zu kommen. Freun­
den, die auf Englisch etwas fragten, wurde
prinzipiell auf Französisch geantwortet. Mir
hingegen, der ich es in der Landessprache

Vonwegentypischdeutsch:
EinumfassendesRauchverbot
habendiebeidenLänder
inzwischengemeinsam.
Free download pdf