SEITE N 2·MITTWOCH, 4. SEPTEMBER 2019·NR. 205 Natur und Wissenschaft FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
G
erade ist das „Gesetz für
mehr Sicherheit in der Arz-
neimittelversorgung“
(GSAV) in Kraft getreten.
Der Titel klingt vielverspre-
chend: Welcher Patient wünscht das
nicht? Neben einigen sinnvollen Passa-
gen – etwa mehr Qualitätskontrolle von
Arzneimitteln – enthält das Gesetz aber
eine Regel, bei der man sich fragt, war-
um sie zu einer solchen höheren Sicher-
heit führen soll. Es geht um Biosimilars.
Das sind Nachahmerpräparate von Biolo-
gika, also von gentechnisch hergestellten
Medikamenten. „Biologika sind ein Se-
gen für die Medizin“, sagt Wolf-Dieter
Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittel-
kommission der deutschen Ärzteschaft
(AkdÄ). „Seitdem es sie gibt, lassen sich
viele Krankheiten besser beherrschen
oder gar heilen.“ Am häufigsten werden
Biologika gegen Krebs, Autoimmun-
krankheiten oder Diabetes eingesetzt.
Gemäß dem neuen Gesetz sollen Apo-
theker ab 2022 automatisch ein Biosimi-
lar abgeben, wenn der Arzt ein Biologi-
kum verschrieben und nichts Gegenteili-
ges auf dem Rezept vermerkt hat. Die Re-
gel gilt erst in drei Jahren, weil der Ge-
meinsame Bundesausschuss in dieser
Zeit für jedes Biologikum prüfen soll, ob
ein Austausch tatsächlich möglich ist.
„Es ist wichtig und richtig, die Verbrei-
tung von Biosimilars mehr zu fördern“,
sagt Ludwig. „Aber die Regel schießt
über das Ziel hinaus: Die Entscheidung,
ob Biosimilar oder nicht, muss beim
Arzt bleiben.“
Bei chemisch hergestellten Medika-
menten, etwa Schmerzmitteln oder Anti-
biotika, gibt es die Austausch-Regel
schon seit 2002; damals ein Schritt, um
die steigenden Arzneimittelausgaben zu
begrenzen. Der Patient bekommt in der
Apotheke beispielsweise das Generikum
Acetylsalicylsäure und nicht das Origi-
nalpräparat Aspirin. Diese sogenannte
Aut-idem-Regel wird nun auch auf Biolo-
gika ausgeweitet. „Natürlich haben die
Krankenkassen ein starkes Interesse an
einem automatischen Austausch in der
Apotheke“, gibt Ludwig zu bedenken.
Denn obwohl es die preiswerteren Biosi-
milars schon seit 2006 gibt, verordnen
Ärzte immer noch siebenmal häufiger
ein Original-Biologikum anstelle eines
Biosimilars. „Und das“, so Ludwig, „ob-
wohl die Arzneimittelausgaben insbeson-
dere für Biologika stetig steigen.“
10,6 Milliarden Euro gaben die gesetzli-
chen Krankenkassen im Jahr 2017 für Bio-
logika aus, knapp ein Viertel der gesam-
ten Arzneimittelausgaben. Pro Jahr lie-
ßen sich 280 Millionen Euro einsparen,
so eine aktuelle Studie des Wissenschaftli-
chen Instituts der AOK, wenn Patienten
statt des originalen Biologikums ein Bio-
similar erhalten würden. Gäbe es mehr
Wettbewerb unter den Biosimilar-Herstel-
lern und kämen Rabatte hinzu, wie es
zum Beispiel in Großbritannien oder Nor-
wegen der Fall ist, könnten es bis zu 2,9
Milliarden sein.
Er höre immer wieder auf Ärzte-Fort-
bildungen, erzählt Ludwig, Biosimilars
würden nicht so gut wirken wie die Origi-
nale, seien von minderer Qualität oder
riefen mehr Nebenwirkungen hervor.
„Als die ersten Biosimilars auf den
Markt kamen, haben viele Kollegen we-
gen des Begriffs gedacht, die seien ja nur
ähnlich und deshalb nicht austauschbar“,
sagt er. „Die Pharmalobby der Original-
hersteller benutzte regelmäßig den Slo-
gan ,Ähnlich, aber nicht gleich‘, um Ärz-
te von der Verordnung von Biosimilars
abzuhalten.“
Fakt ist: Anders als Generika sind Bio-
similars keine identischen Kopien vom
Originalpräparat, sondern unterschei-
den sich in minimaler Weise. Das ist je-
doch ein Merkmal aller gentechnisch her-
gestellten Medikamente und keines, das
Biosimilars von Biologika unterscheidet.
Selbst jede neue Charge eines Biologi-
kums ist nie identisch mit der vorheri-
gen. „Das können sie auch gar nicht sein,
weil es große und komplizierte Moleküle
sind, die in lebenden Zellen hergestellt
werden“, sagt Ludwig. „An einem Baum
ist ja auch kein Blatt identisch mit einem
anderen.“ Die Zulassungsbehörde prüft
jedoch penibel, ob sich der Unterschied
in Grenzen hält. So muss die Pharmafir-
ma nachweisen, dass sich ihr Biosimilar
nur so wenig vom Original unterschei-
det, dass Wirksamkeit und Sicherheit im
Vergleich zum Original nicht beeinflusst
werden. Da vom Original-Biologikum
schon gut bekannt ist, wie es wirkt und
dass es sicher ist, braucht die Biosimilar-
Firma nicht alle Studien zu wiederholen,
die beim Original durchgeführt wurden.
Kurz nachdem der Entwurf des neuen
Gesetzes im Internet veröffentlicht wur-
de, kam Kritik auf. „Massive Verunsiche-
rung beim Patienten“ fürchtete die Bun-
desvereinigung Deutscher Apothekerver-
bände und einen „deutlich über das übli-
che Maß hinausgehenden Beratungsauf-
wand“, der adäquat vergütet werden sol-
le. Auch die Bundesärztekammer, die
AkdÄ und medizinische Fachgesellschaf-
ten lehnen den automatischen Aus-
tausch in der Apotheke ab, ebenso Pa-
tientenvereinigungen: „Wir befürchten,
dass das mit vermehrten Therapieabbrü-
chen einhergehen wird“, sagt Dieter
Wiek, Vizepräsident der Deutschen
Rheuma-Liga, der selbst unter einer rheu-
matischen Krankheit leidet. Man könne
Biosimilars nicht einfach so austauschen
wie Generika, sagt Klaus Krüger, Spre-
cher der Kommission Pharmakotherapie
bei der Deutschen Gesellschaft für Rheu-
matologie. „Wir werden demnächst zehn
verschiedene Biosimilars des Rheuma-
mittels Adalimumab haben. Jedes hat sei-
ne eigene Fertigspritze oder seinen eige-
nen Pen, die unterschiedlich angewendet
werden. Wer erklärt das dem Patienten?“
Bei der Behandlung mit Biosimilars
muss man unterscheiden, ob ein Patient
ein gentechnisch hergestelltes Medika-
ment neu bekommen soll oder ob er
schon eines hat und der Arzt eine Umstel-
lung vorschlägt. „Dass man problemlos
neu mit einem Biosimilar beginnen kann
statt mit einem Biologikum, zweifeln in-
zwischen weniger Kollegen an“, sagt Lud-
wig. „Aber beim Wechsel zögern immer
noch zu viele.“ Dabei haben inzwischen
Dutzende von Studien gezeigt, dass ein
Wechsel weder Sicherheit noch Wirksam-
keit der Therapie beeinflusst.
Gelegentlich wurde jedoch vom Noce-
bo-Effekt berichtet: Eine negative Ein-
stellung gegenüber dem Biosimilar wirkt
sich ungünstig auf den Behandlungser-
folg aus. So brach beispielsweise in einer
Studie aus den Niederlanden jeder vierte
der 192 Patienten die Therapie nach Um-
stellung auf ein Biosimilar vom Rheuma-
mittel Infliximab ab – entweder weil er
das Gefühl hatte, es wirke nicht, oder
weil er Nebenwirkungen bekam oder we-
gen beidem. In einer Untersuchung aus
Dänemark setzte jeder elfte der 802 Pa-
tienten das Infliximab-Biosimilar nach
der Umstellung ab, weil es angeblich
nicht wirkte – dabei war sein Rheuma ge-
nauso kontrolliert wie vorher.
Wird die Therapie in einem negativen
Kontext gegeben, so fanden Forscher von
der Universität in Turin heraus, kommt es
zu einem Anstieg von Schmerz-Botenstof-
fen und erhöhter Nervenaktivität in den
Hirnregionen, die in die Verarbeitung
von Schmerz involviert sind. Eine große
Rolle spielt aber offenbar, ob der Patient
weiß, dass er ein Biosimilar bekommt. In
doppelblinden Studien, in denen weder
Arzt noch Patient wussten, ob dieser ein
Biosimilar bekam, brachen viel weniger
Patienten die Therapie ab.
Auch wegen des Nocebo-Effekts sieht
Rheumapatient Dieter Wiek den Aus-
tausch in der Apotheke kritisch: „Das Ge-
spräch zwischen Betroffenem und Arzt
ist ein wichtiger Bestandteil der Behand-
lung, denn es kann verhindern, dass der
Nocebo-Effekt auftritt. Eine Apotheke
ist aber nicht der Ort, wo man ausführli-
che, persönliche Gespräche führen
kann.“
Rheumatologe Krüger schlägt in sei-
ner Praxis in München rund acht von
zehn Patienten einen Umstieg auf ein
Biosimilar vor, und bei den meisten
klappe das problemlos. „Vor Herausga-
be eines solchen Gesetzes sind klare Re-
gelungen erforderlich, und natürlich
muss die Arbeit auch irgendwie vergütet
werden. Es ist schon grotesk: Die Ver-
ordnung von Biosimilars spart den Kas-
sen Hunderte von Millionen. Diese leh-
nen es aber ab, den Aufwand für die oft
halbstündige Aufklärung zu honorie-
ren, der im Höchstfall vielleicht bei
zehn Euro liegt.“
Eine wichtige Frage wird aber auch
sein, was die Patienten über die neue Re-
gel denken. Warum sollten sie mit einem
Austausch einverstanden sein, wenn sie
sich an eine andere Spritze gewöhnen sol-
len? Wenn ein Risiko besteht, dass das
Biosimilar vielleicht bei ihnen nicht so
gut wirkt, auch wenn dieses Risiko sehr
klein ist? Finanziell profitieren könnten
Patienten allenfalls von geringeren Zu-
zahlungen, also etwa 5 statt 10 Euro.
Trotzdem ist sich Patientenvertreter
Wiek sicher: „Bei gleicher Qualität spre-
chen sich die meisten Betroffenen für die
kostengünstigere Alternative aus. Gera-
de chronisch kranke Patienten haben ein
Interesse daran, dass unser Gesundheits-
system finanzierbar bleibt.“
Hoffnung für Blindeliefert eine neue Stu-
die aus Lausanne. Netzhaut-Prothesen,
die Bilder der Umgebung in elektrische
Impulse umwandeln und an den Sehnerv
weiterleiten, existieren zwar bereits. Sie
können bislang aber nicht bei Netzhaut-
Ablösung, nach einem Augen-Unfall oder
wenn der Betroffene stark schielt einge-
setzt werden. Die Forscher umgingen die-
se Limitation, indem sie direkt den Seh-
nerv über zwölf winzige Elektroden stimu-
lierten. Am Hirn von Hasen konnten sie
zeigen, dass die Signale in der Sehrinde
ankamen. Jetzt wollen die Forscher die
Technik an Patienten testen. Hendrik
Scholl, Chef-Augenarzt am Universitäts-
spital Basel, ist aber skeptisch: „Der Seh-
nerv besteht aus einer Million Nervenzel-
len. Es müssten viel mehr Elektroden sti-
muliert werden.“ So würden Blinde damit
höchstens schemenhaft sehen können.
Außerdem sei die Operation sehr risiko-
reich. (few)
Die Lebensfreundlichkeit von Planeten
in anderen Sonnensystemen hängt ent-
scheidend auch vom Weltraumwetter –
den Ausbrüchen des Heimatsterns – ab.
Eine internationale Gruppe von Astrono-
men hat nun auf der Grundlage von Simu-
lationen abgeschätzt, welchen Einfluss
die bei diesen Eruptionen erzeugte hoch-
energetische Strahlung auf die Atmosphä-
re einiger der Exoplaneten hat, die bis-
lang als aussichtsreiche Kandidaten le-
bensfreundlicher Umgebungen gehandelt
werden. Im „Astrophysical Journal“ be-
schreiben sie, dass die erreichte Strahlen-
dosis auf der Oberfläche von Proxima
Centauri b, Ross 128 b und Trappist-1 e
bei erdähnlichen Atmosphären Leben er-
lauben würde. Außergewöhnlich starke,
jährliche Strahlungsausbrüche mit star-
kem UV- und Röntgenanteil wären dort
aber tödlich. (sian)
Luftverschmutzung verursacht Hirn-
krankheiten – so das Ergebnis einer in
„PLOS Biology“ erschienenen Analyse
von 152 Millionen Patientendaten aus
den Vereinigten Staaten und Dänemark.
Bei schlechter Luftqualität erhöhe sich
das Risiko für bipolare Störungen oder
Depressionen um bis zu ein Drittel, bei
Kindern sogar noch um ein Vielfaches
mehr. Die Chemikalien in der Luft, so die
Theorie, könnten Entzündungs-Signalwe-
ge beeinflussen und so zur Entstehung
der Hirnkrankheiten führen. „Wir wissen
schon länger, dass bei diesen Krankhei-
ten das Immunsystem aktiviert wird, was
im Hirn dann die krankhaften Verände-
rungen auslöst“, sagt Gregor Hasler, Psy-
chiater in der Schweiz. „Umweltgifte tra-
gen womöglich dazu bei, denn der Körper
hält sie für Fremdkörper und will sie be-
kämpfen.“ (few)
In kognitiven Testskönnen Frauen ihr
Leistungsniveau über einen längeren Zeit-
raum aufrechterhalten als Männer. Insbe-
sondere scheint sich die „Geschlechter-
Lücke“, die bei mathematischen und wis-
senschaftlichen Themen beispielsweise
im internationalen Pisa-Test zwischen
Jungen und Mädchen beobachtet wurde,
mit zunehmender Testdauer zu schließen.
Dies behaupten die Ökonomen Pau Ba-
lart und Matthijs Oosterveen in „Nature
Communications“ auf der Grundlage von
Pisa-Daten und mehrerer hundert Mathe-
matik-Tests. Gründe könnten unter ande-
rem Eigenschaften wie höhere Selbstdis-
ziplin, geringere Selbstüberschätzung,
besseres Zeitmanagement oder stabilere
Motivation der Schülerinnen sein. Die Au-
toren appellieren, diese weibliche Stärke
nachhaltiger Leistungsfähigkeit im De-
sign kognitiver Tests stärker zu berück-
sichtigen. (sian)
Wissen in Kürze
Herr Merz, wie hängen Klimawandel
und Hochwasser zusammen?
Im Zusammenhang zwischen Hochwas-
ser und Klima muss man unterscheiden
zwischen den Flusshochwassern, also groß-
räumigen Hochwasserereignissen, bei de-
nen Flüsse über die Ufer treten, und loka-
len Ereignissen durch Starkniederschlag,
die typischerweise durch Gewitter bedingt
sind.Bei Letzteren gibt es einen relativen
engen Zusammenhang zum Klimawan-
del, denn eine wärmere Atmosphäre
kann mehr Wasser speichern. Damit hat
sie ein größeres Potential für Starknieder-
schläge, die zu lokalen Überschwemmun-
gen führen. Bei Flussüberschwemmun-
gen ist der Zusammenhang nicht so direkt
ersichtlich. Es ist ein Zusammenspiel von
Veränderungen im Niederschlag, in der
Verdunstung, der Bodenfeuchte, oder der
im Einzugsgebiet gespeicherten Wasser-
menge. Oft spielt auch die Schneeschmel-
ze eine Rolle – viele Prozesse überlagern
sich also, und der Zusammenhang ist
nicht eindeutig.
Sie haben nun in einer in „Nature“ er-
schienenen Studie Messdaten aus 50 Jah-
ren von 3700 Messstellen in ganz Euro-
pa ausgewertet, um nachzuweisen, dass
der Klimawandel das Ausmaß von Fluss-
überschwemmungen verändert.
Ja, uns ist es erstmalig gelungen, für Eu-
ropa, einen ganzen Kontinent also, ablau-
fende Klimaveränderungen mit Hochwas-
ser-Abflüssen großer Flüsse in Verbin-
dung zu bringen. Wir sehen, dass sich von
1960 bis 2010 deutliche Trends abgezeich-
net haben. Das Besondere ist aber, dass
man überhaupt Muster sieht, die man mit
klimatischen Variablen oder Prozessen er-
klären kann.
Es klingt, als hätte Sie das überrascht.
Das war tatsächlich überraschend für
uns. Denn wenn man einen Pegel misst,
dann misst man alles Mögliche, das in
dem Einzugsgebiet stattfindet. Wenn bei-
spielsweise Flächen versiegelt sind, Hoch-
wasserrückhaltebecken erbaut wurden
oder sich die Landwirtschaft und ihre Ver-
fahren ändern – und das ist in den letzten
50 Jahren geschehen –, dann verändern
sich die Infiltration und das Abflussver-
halten in der Landschaft und damit Ver-
dunstung und Bodenfeuchte. Es gab Hy-
pothesen, dass man den Klimawandel in
Beobachtungsdaten nicht sehen könne,
da er überlagert ist von so vielen anderen
Einflüssen. Das zeigt aber auch: Wenn
wir hier ein „Klimasignal“ sehen, dann
muss das ursprüngliche Klimasignal noch
sehr viel stärker sein...
Und Sie sehen, dass großräumige Fluss-
hochwasser in Nordwesteuropa zuneh-
men, während sie in Süd- und in Osteuro-
pa abnehmen. Welche Klimasignale er-
klären das?
In Nordwesteuropa haben wir überwie-
gend zunehmende Hochwasserereignis-
se, die im Winter eintreten, wenn sich die
typischerweise vom Atlantik kommenden
Niederschlags-Tiefs, die Zyklonen, abreg-
nen. Winter-Niederschläge nahmen in
den letzten Jahrzehnten zu, das übersetzt
sich in einer Zunahme an Bodenfeuchte
und Hochwasserabflüssen. In Osteuropa
hingegen treten Hochwasserereignisse ty-
pischerweise im Frühling auf, denn im
kalten Winter bleibt der Schnee im Ein-
zugsgebiet liegen. Erst im Frühjahr
schmilzt er und führt zu Hochwasser. Der
Klimawandel wirkt hier anders: Im Win-
ter fällt ein größerer Anteil des Nieder-
schlags als Regen, so dass Wasser bereits
im Winter abfließt – aber eben nicht zu ei-
nem Jahreshochwasser führt. Im Früh-
jahr gibt es folglich weniger Schnee zum
Schmelzen und entsprechend weniger Ab-
flüsse. In Südeuropa nehmen die Hoch-
wasserereignisse großer Flüsse ab, dort
führt der Klimawandel insgesamt zu sin-
kenden Niederschlägen und einer erhöh-
ten Verdunstung der Bodenfeuchte.
Kann man schlussfolgern, dass in Ost-
und Südeuropa das Hochwasserrisiko ge-
nerell sinkt?
Nein. Die Kollegen aus dem Mittelmeer
hatten auch Bedenken, dass es zu Falschin-
terpretationen kommen könnte. Unsere
Studie behandelt nur die großräumigen
Flussüberschwemmungen. Bei den hier
nicht aufgeführten Sturzfluten, die im Mit-
telmeerraum auch häufig zu Todesfällen
führen, geht die Tendenz eben nicht run-
ter! Auch in Berlin gab es 2017 lokale
Überschwemmungen, 2016 gab es in Ba-
den-Württemberg und Bayern Sturzfluten
mit großen Schäden, aber das sind andere
Prozesse, die wir hier nicht betrachten,
auch weil die gegenwärtige Studie keine
entsprechenden Daten erfasst hat.
Deutschland liegt direkt an der Schnitt-
stelle der von Ihnen unterschiedenen Re-
gionen. Welches Muster zeichnet sich
bei uns ab?
Wir haben in Deutschland drei Hoch-
wasserregionen: Der nordwestliche Teil
folgt den Prozessen, wie vorhin für Nord-
westeuropa beschrieben. Dann gibt es im
Süden einen kleinen alpin beeinflussten
Teil, wo Sommerhochwasser auftreten.
Und es gibt den östlichen Teil, Elbe und
Oder, bei denen Hochwasser auch typi-
scherweise im Sommer auftreten. Tenden-
ziell nehmen Flussüberschwemmungen
im Süden und Westen zu, während sie im
Osten abnehmen.
Warum sollte man sich in Deutschland
so genau dafür interessieren?
Weil Hochwasserschutz beispielsweise
an Abflusshöhen und entsprechenden
Eintrittswahrscheinlichkeiten festge-
macht wird. Wenn man im Hochwasser-
schutz baut, will man in Deutschland in
der Regel sicher sein, gegen ein hundert-
jährliches Hochwasser abgesichert zu
sein. Ändert sich dieser Wert, sind die
Schutzmaßnahmen entweder zu niedrig
oder, ökonomisch gesehen, zu hoch.
Wie geht man mit Hochwasserrisiken
um?
Die Hochwasser von 2002 und 2013,
als Elbe und Donau beide jeweils über die
Ufer traten, sind in etwa vergleichbar.
Aus hydrologischer Sicht war das Ereig-
nis 2013 sogar etwas großräumiger mit hö-
heren Abflüssen. Trotzdem waren die
Schäden 2013 nur halb so groß, denn die
Frühwarnung war besser, Leute hatten
bessere Vorsorge getroffen, und das Kata-
strophenmanagement war besser. Die Ab-
flüsse sind das eine, aber was daraus resul-
tiert – da gibt es viele Stellschrauben, mit
denen sich effektiv Hochwasserschäden
reduzieren und verhindern lassen.
An Ihrer Studie haben 47 Autoren mitge-
arbeitet. Sie haben eine umfassende Da-
tenbank aus über 3700 Messstellen in
Europa erstellt. War das eine Herausfor-
derung?
Das sind öffentliche Daten. Abflussda-
ten werden standardmäßig von Umwelt-
ämtern, Wasserwirtschaftsämtern und
Wetterämtern erhoben. In Deutschland
liegt das in der Verantwortung der einzel-
nen Bundesländer, manchmal sind Behör-
den dann noch regional weiter unterteilt.
Man muss jeden kontaktieren. Und das
über ganz Europa. Also, ja, das war in der
Tat die größte Mühe und Herausforde-
rung dieser Studie. Den größten Teil ha-
ben die Kollegen aus Wien gemacht, vor
sechs Jahren haben sie damit angefangen.
Drei Jahre lang war eine Wissenschaftle-
rin dort im Wesentlichen damit beschäf-
tigt, Behörden zu kontaktieren, Lizenzen
abzusprechen, und die Daten aufzuberei-
ten und zu homogenisieren.
Daher reicht der Datensatz also nur bis
- Werden nun die aktuellen Hoch-
wasserdaten weiter in die Datenbank ein-
gespeist, um den Trend zum aktuellen
Zeitpunkt zu berechnen?
Nein, das wäre eine gute Idee. Tatsäch-
lich müsste man aber alle Quellen noch
einmal anfragen, um in einigen Jahren
den Trend bis jetzt zu berechnen.
Die Fragen stellteTamara Worzewski.
Ein Gespräch mit Bruno Merz vom GFZ Potsdam
Was kostet die
Sparsamkeit?
Das Klima hat Einfluss auf
die Flusshochwasser
Bruno Merz leitet die Sektion Hydrologie
am Deutschen Geoforschungszentrum in
Potsdam. Foto T. Worzewski
Wie sich der Klimawandel
darauf auswirkt, ob Flüsse
über ihre Ufer treten, war
bislang umstritten. Nun geben
Messdaten aus 50 Jahren
erstmals klare Anhaltspunkte.
Apotheker sollen ab 2022 statt
gezielt wirkender Biologika
preisgünstigere Biosimilars
ausgeben. Doch welche
Konsequenzen hat dies
für die Patienten?
Von Felicitas Witte
Biosimilars basieren auf großen
und komplexen Molekülen – ähnlich
diesem Model des Immunglobulin-
G-Antikörpers.FotoScience Photo Library
Das Gespräch zwischen
Betroffenem und Arzt ist
ein wichtiger Bestandteil
der Behandlung. Eine
Apotheke ist nicht der Ort,
wo dies stattfinden kann.
Dicke Luft in Los Angeles Foto EPA