Der Stern - 15. August 2019

(Barré) #1
1948
Die Apartheid
wird Staatspolitik
nach Macht-
übernahme der
National Party
(NP)

1950
„Group Areas
Act“: Die
Wohngebiete
werden nach
Rassen aufgeteilt

Die


Geschichte der


Apartheid


verborgen sein könnte. Plötzlich ist
da etwas. „Eine Tüte!“, ruft sie nach
oben. Sie gräbt hektisch weiter.
Könnte die Tüte Spuren von Jeffrey
Sibiya und Matthews Lerutla enthal-
ten? Zwei Männern, die im Juni 1987
erst entführt und schließlich genau-
so wie Sefolo in die Luft gesprengt
wurden. Die ebenso einem barbari-
schen Regime zum Opfer fielen, da-
mals in den Jahren der Apartheid.
Mehr als 25 Jahre ist es inzwischen
her, seit Südafrika die Rassentren-
nung hinter sich gelassen hat. Das
Erbe der Apartheid aber prägt das
Land noch immer. Zwischen 1960
und 1994 starben nach Schätzungen
allein 25 000 Menschen durch poli-
tische Gewalt. Polizei und Armee
unterhielten Sondereinheiten, die
Regimegegner entführten, folterten,
töteten. Die Kommandos verschick-
ten Briefbomben, warfen sedierte
Menschen aus Flugzeugen, selbst
mit vergifteten Zigaretten wurde
experimentiert. Die Existenz der
Todesschwadronen wurde erst im
Zuge der Aufarbeitung jener Zeit
bekannt. Auch Madeleine Fullard
ahnte damals in den Achtzigern, als
sie begann, sich politisch zu enga-

gieren, nichts von dieser Brutalität.
„Das lag außerhalb unserer Vorstel-
lungskraft“, sagt sie.

Von Mitgefangenen motiviert


Es ist Mittag geworden in Winter-
veld, die Sonne brennt hoch vom
Himmel, und Fullard hat sich in den
Schatten eines Baumes gesetzt.
Neben ihr liegen Colaflaschen,
leere Sandwichtüten und ein mar-
kiertes Luftbild des Friedhofs. Die
Exhumierung ist für heute vorbei,
ohne Ergebnis. Die Tüte, auf die Ful-
lard im Grab stieß, war leer; keine
Knochen von Sibiya und Lerutla.
„Aber in irgendeinem Armengrab
müssen die mit drin sein“, sagt
Fullard. „Die Explosion hat nicht
viel übrig gelassen. Dafür hätte man
kein eigenes Grab genommen.“
Madeleine Fullard ist 53, sie ist ein
wenig außer Atem nach der Placke-
rei, ihre blonden Haare stehen sträh-
nig vom Kopf ab. Neben ihr sitzen
ihre wichtigsten Helfer: die Argenti-
nierin Claudia Bisso, eine forensische
Anthropologin, die schon Tausende
Opfer exhumiert hat. Auch für die
Identifikation der Überreste von Che
Guevara war Bisso mitverantwort-

lich. („Nicht schwer“, sagt sie, „sein
Gebiss war gut dokumentiert.“) Und
Ambrose Ndhlovu, ein ehemaliger
Kämpfer von „Umkhonto we Sizwe“,
dem militärischen Arm des ANC.
Ndhlovu wurde monatelang im
Gefängnis gefoltert. Er ist der Ver-
bindungsmann zu den alten Kadern.
Auch Fullards Weg zur Chefin des
„Missing Persons Task Team“ be-
gann im Widerstand. In den Achtzi-
gern demonstrierte sie als Studen-
tin gegen das Regime. „Das brachte
mir einmal zwei Wochen im Ge-
fängnis ein“, erzählt sie auf der
Rückfahrt vom Friedhof. Draußen
rauschen jetzt die trostlosen Town-
ships von Pretoria vorbei. „Die Frau-
en, die ich in der Zelle erlebt habe,
kämpften noch viel konsequenter
gegen das Regime. Das hat mich
motiviert weiterzumachen.“
Nach dem Ende der Apartheid
arbeitete Fullard für die „Truth and
Reconciliation“-Kommission, die
die Verbrechen des Regimes auf-
arbeiten sollte. Zwei Jahre lang
sagten dort die Täter aus. Die Sit-
zungen wurden live übertragen, und
so lernten weiße wie schwarze Süd-
afrikaner erstmals die Foltermetho-

Listen mit Namen der Vermissten. Man schätzt, dass in den Jahren der Apartheid
etwa 25 000 Menschen durch politische Gewalt ums Leben kamen

86 15.8.2019
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