Der Stern - 15. August 2019

(Barré) #1
1970
Mehr als drei
Millionen
Menschen wer-
den in schwarze
„Homelands“
umgesiedelt

1976
Schüleraufstand
von Soweto,
Hunderte Tote

1984–1989
Unruhen in den
Townships,
Notstand wird
ausgerufen

1989
Präsident F. W.
de Klerk trifft
Mandela,
Aufhebung der
öffentlichen
Segregation

dem Seitenscheitel, den weiten Pul-
lovern, die er gern trug, sah er nicht
aus wie ein Killer. Eher wie ein Ver-
waltungsbeamter. De Kock hatte zu-
dem Angst, nach Blut zu riechen,
stundenlang versuchte er nach den
Taten den Geruch abzuwaschen. Das
alles machte ihn für viele, die ihn in
der „Truth and Reconciliation“-Kom-
mission sahen, so schaurig-span-
nend. Am Ende war de Kock einer der
wenigen, die ins Gefängnis mussten.
Nicht alle Taten seien politisch mo-
tiviert gewesen, urteilte das Gericht


  • und verhängte zweimal Lebens-
    länglich plus 212 Jahre Gefängnis.


Kooperation mit dem Killer


Madeleine Fullards Beziehung zu de
Kock begann 2013. Es gab Fälle, da
kam sie einfach nicht weiter. „Und
er musste darüber Bescheid wissen.“
So brachten eines Nachmittags drei
Wärter „Prime Evil“ heimlich in ein
Einfamilienhaus am Rand von Jo-
hannesburg. Fullard hatte Essen
kommen lassen und de Kocks ehe-
malige Kollegen von Vlakplaas ein-
geladen. Die Atmosphäre sollte
stimmen. Zu späterer Stunde
standen dann alle bei Bier und Grill-

fleisch zusammen – Täter, überle-
bende Opfer, Ermittler – und unter-
hielten sich darüber, wie das war,
damals, als man gegeneinander
kämpfte. Für de Kock hatte Fullard
einen Trainingsanzug organisiert, er
sollte sich nicht durch seine orange-
farbene Gefängniskluft gehemmt
fühlen. „Das war schon alles sehr
bizarr“, sagt die Forensikerin.
Doch es funktionierte. De Kock
gab Fullard nun Tipps, wen sie an-
rufen solle. Wo sie suchen solle. Und
Fullard nahm den Staatsverbrecher
Nummer eins mit auf ihre Expedi-
tionen. „Die Logistik war ein Alb-
traum“, erzählt sie, „wir mussten ja
immer Unterkünfte finden, wo die
Wärter ihn gut bewachen konnten.“
Regelmäßig saß nun der verurteilte
Massenmörder de Kock auf Cam-
pingstühlen unter Sonnenschirmen
und gab Anweisungen, wo man gra-
ben sollte. Jenen Sack, der die erste
Leiche enthielt, die sie durch de
Kock fand, bewahrt Fullard als
Souvenir auf: Deutlich sind rötlich-
braune Flecken darauf zu erkennen,
nicht alle stammen von der Erde.
Eugene de Kock wurde Anfang
2015 auf Bewährung entlassen. Vor

anderthalb Jahren gelang es einem
Reporter des stern, ihn in Pretoria zu
treffen. Er wirkte verwirrt, die Jahre
im Gefängnis hatten ihm offenbar
zugesetzt. Über seine Taten wollte er
nicht ins Detail gehen. Es sei eben
Krieg gewesen. Heute ist er zu kei-
nem Treffen mehr bereit.
Der Kontakt sei schwieriger ge-
worden, sagt auch Fullard, er helfe
aber weiterhin. Die Arbeit ist ja
längst nicht zu Ende. Immer häufi-
ger rufen jetzt auch Angehörige an.
„Wir spüren Druck. Die Leute wol-
len wissen, was mit ihren Söhnen
passiert ist, bevor sie selbst sterben.“
Fullard forscht inzwischen auch
zu den politischen Gefangenen, die
in den 60er Jahren gehängt wurden.
Bis zu sieben Verurteilte mussten
sich gleichzeitig mit dem Strick
um den Hals auf Fußmarkierungen
der Falltür im Gefängnis von Pre-
toria stellen. Der Körper der Exe-
kutierten, so das Gesetz, gehörte
anschließend dem Staat. Die Ange-
hörigen erfuhren nicht, wo man
die Leichen bestattete. „Umso wich-
tiger ist, dass die Familien endlich
Abschied nehmen können“, sagt
Fullard.

Nkosinam Ngalo war einer der ersten exekutierten ANC-Aktivisten. Auch seine
Überreste konnte Fullards Team identifizieren

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