Süddeutsche Zeitung - 09.08.2019

(Frankie) #1
von jan heidtmann

Frankfurt/Oder– Wenn der Außenminis-
ter, ein Ministerpräsident und ein Oberbür-
germeister zusammenkommen, ist die
Rangordnung eigentlich klar: Internationa-
les Krisenmanagement schlägt Landkreis-
reform, Landkreisreform schlägt Kitaein-
weihung. Hinzu kommt, dass René Wilke
einer recht kleinen Stadt vorsteht, Frank-
furt an der Oder, 58 000 Einwohner, rand-
ständig gelegen an der Grenze zu Polen.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar
Woidke (SPD) hat sich den Ort als Kulisse
für seinen Wahlkampf ausgesucht, unter-
stützt von Außenminister Heiko Maas
(SPD). Doch während sich die beiden an ih-
ren Statements abarbeiten, steht Bürger-
meister Wilke so selbstbewusst lächelnd
dabei, als sei er der eigentliche Regisseur
dieses Treffens.
Am Abend habe ihn seine Mutter ge-
fragt, ob er aufgeregt gewesen sei, erzählt
Wilke später. „Nö“, habe er ihr knapp geant-
wortet, er habe sich mit seinen Mitarbei-
tern vorher sehr genau überlegt, was er aus
dem Termin rausholen könne: Aufmerk-
samkeit für Frankfurt und eine Zusage, die
Bewerbung zur Kulturhauptstadt zu unter-
stützen. Beides hat Wilke bekommen.

Seit einem guten Jahr ist René Wilke
jetzt Oberbürgermeister von Frankfurt,
der erste Linke in so einem Amt. Mit mehr
als 60 Prozent der Stimmen ist er im März
2018 aus der Stichwahl rausgekommen,
der Kandidat von der AfD war da längst aus-
geschieden, weit abgeschlagen. Der neue
OB ist erst 35, und Frankfurt liegt im Bun-
destagswahlkreis von AfD-Chef Alexander
Gauland, das mehrt Wilkes Ruhm nur
noch. Und während die Linke fast überall
in Brandenburg weitgehend hilflos zu-
schauen muss, wie sie in den Umfragen ab-
schmiert, wird der OB Wilke bei einem Be-
such im Karl-Liebknecht-Gymnasium von
400 Schülern mit Jubelrufen und heftigem
Applaus begrüßt.
Im Rathaus von Frankfurt ist noch
leicht der Geruch des Reinigungsmittels
aus DDR-Zeiten zu spüren, der die Behör-
den über Jahrzehnte geprägt hat. Als er
hier eingezogen sei, habe er sich erst ein-
mal einen Computer in sein Büro gestellt,
erzählt Wilke. Sein Vorgänger habe nicht
einmal eine persönliche E-Mail-Adresse
gehabt. Wilke dagegen ist 24/7 auf allen Ka-
nälen unterwegs, Facebook, Twitter, Insta-
gram, und in der Ecke seines Büros, da
steht ein zusammengefaltetes Fahrrad.
Zwei Jahre, so habe man ihm gesagt,
würde es dauern, bis er im Amt angekom-
men sei. Wilke hat gleich in den ersten Wo-
chen die Verwaltung umgebaut und ein
neues Dezernat eingerichtet. In der Grenz-
stadt kümmert man sich dort nun um Euro-
pafragen und um Bürgerbeteiligung. Es ist
nur einer von 629 Punkten, die er in seiner
Legislatur abarbeiten will. Darunter auch
viele kleine Verbesserungen, die direkt mit
dem Leben der Frankfurter zu tun haben:
Fußwege und Sporthallen sanieren, ein
runder Tisch gegen Kinderarmut. An 198
solcher Sachen wird derzeit gearbeitet.
Martin Patzelt war der Vor-Vorgänger
von Wilke, ein CDU-Mann. Frankfurt, sagt
er, habe schon seit Jahren eine gute Kultur
des Miteinanders. Anders zum Beispiel als

Cottbus, wo die Rechtsextremen stark
sind: „Wir haben früh versucht, den Bür-
gern sehr pragmatisch klarzumachen, es
geht hier um unser Zusammenleben.“ Das
habe die Stimmung in der Stadt verändert,
die in den 1990er-Jahren auch ein massi-
ves Problem mit Fremdenfeinden hatte.
René Wilke kennt er noch als „wilden Lin-
ken“, als der sich dann zur Wahl gestellt
hat, hat er sich öffentlich gegen ihn ausge-
sprochen. „Woher soll er die nötige Erfah-
rung für dieses Amt nehmen?“, dachte er
damals. Jetzt, ein gutes Jahr später, sagt er:
„Ich glaube, dass er für diese Zeit ein guter
Bürgermeister ist.“
Dazu hat der Überfall auf den Frosch-
Club in Frankfurt beigetragen. Eine Grup-
pe arabischer Geflüchteter war im vergan-
genen Sommer in das Lokal nahe der Oder
eingedrungen, bewaffnet mit Messern und
Eisenstangen. Sie riefen „Allahu akbar“
und wüteten für ein paar Minuten, einige
Besucher wurden verletzt. Der Fall machte
bundesweit Schlagzeilen. Denn der linke
Oberbürgermeister Wilke wollte die Täter
abschieben; eine Ausweisung ist bereits
verfügt. Die Spitze der Bundespartei tobte,
aber Wilke gilt seitdem als einer, der im
Zweifelsfall für seine Stadt da ist und nicht
für die Partei. „Ich mache Politik, wie ich
sie für richtig halte“, sagt Wilke, „ich den-
ke, das ist auch linke Politik, auch wenn sie
nicht immer der Linie der Bundespartei
entspricht.“

Dass René Wilke so glänzen kann, liegt
natürlich auch daran, dass die Linke in
Brandenburg ansonsten ziemlich matt da-
steht. Seit knapp zehn Jahren regiert sie in
einer Koalition mit der SPD, gemessen an
den Wahlergebnissen ist es die Geschichte
eines ziemlich einzigartigen Abstiegs: mi-
nus 8,6 Prozentpunkte bei der Landtags-
wahl 2014, minus 5,3 Punkte bei der Bun-
destagswahl, minus 6,1 bei der Kommu-
nal- und minus 7,4 bei der Europawahl.
Derzeit handeln die Demoskopen die Lin-
ke bei 16 Prozent.
Ein Teil des Niedergangs lässt sich
leicht erklären. Die Protestwähler sind ab-
gewandert, weil die Linke nun regiert. Ein
manifester Skandal um offenbar unwirksa-

me Krebsmedikamente kostete die linke
Gesundheitsministerin das Amt. Anderer-
seits geht es Brandenburg nach zehn Jah-
ren rot-roter Regierung so gut wie nie seit
der Wende. Die Arbeitslosigkeit ist auf
dem niedrigsten Stand, die Wirtschaft
wächst, das Land hat jede Menge Polizis-
ten und Lehrer eingestellt, der Umbau der
Kohleregion in der Lausitz soll mit 17 Milli-
arden Euro unterstützt werden. Doch an
der Linken bleiben die Missstände hängen:
Kinderarmut, Niedriglöhne, das Rentenni-
veau. Einer, der die Linke sehr gut kennt,
sagt: „Das ist schon ein Rätsel, dass man so
schlecht dasteht.“
Jetzt hat die Linke angekündigt, eine
Volksinitiative gegen die Hohenzollern zu
starten, die wieder in einige ihrer alten
Schlösser in Brandenburg einziehen wol-
len. Die Formel Bürger gegen Adel ist wohl
auch der Versuch, noch ein schlagkräftiges
Thema für die letzten Wahlkampfwochen
zu finden. An den grundlegenden Proble-
men der Linken im Land ändert das nichts.
Die Zahl der Mitglieder ist innerhalb von
nur zehn Jahren um ein Drittel gesunken,
von gut 9000 auf unter 6000 im vergange-
nen Dezember. Und viele der verbliebenen
Anhänger sind inzwischen im Rentenalter.
„Dadurch sind wir nicht mehr überall so
präsent wie früher und haben das Image
als Kümmerer-Partei etwas verloren“, sagt
die Landesvorsitzende Anja Mayer. Hinzu
kommt, dass der Partei wirklich populäre

Figuren fehlen. Die beiden Spitzenkandida-
ten, die Landtagsabgeordnete Kathrin Dan-
nenberg und der Gewerkschafter Sebasti-
an Walter, kennen im Land nur wenige, mit
der Gesundheitsministerin Diana Golze ist
eine geachtete Politikerin von der Bildflä-
che verschwunden. Womit man wieder bei
Oberbürgermeister Wilke wäre. An seine
Partei gerichtet sagt er: „Es müsste darum
gehen, wieder mehr Nähe zu den Proble-
men der Bürger zu bekommen.“
Florian Vogel steht vor dem Personalein-
gang des Kleist-Forums und raucht eine Zi-
garette, Baggyjeans, langärmeliges
T-Shirt, dazu eine Wollmütze auf dem
Kopf. Der 45-jährige Stuttgarter ist der
künstlerische Leiter des Hauses, eines rie-
sigen Baus in dieser doch kleinen Stadt, die
Hauptbühne bietet Platz für über 500 Zu-
schauer. Das Forum hat kein festes Ensem-
ble, die Künstler für die 200 Aufführungen
im Jahr muss Vogel jeweils nach Frankfurt
holen. Für Travestieshows, Lesungen oder
einen Solo-Auftritt der Schauspielerin So-
phie Rois. „Es gibt vermutlich keinen Ort,
der so vorurteilsbeladen ist, wie Frank-
furt“, sagt Vogel. Aber fast alle der Künst-
ler, die dann kämen, seien begeistert von
der Stadt und von ihrem Publikum. „Der
rechte Dresscode dominiert hier nicht“,
sagt Vogel. Wie er sich das erkläre? „Weil
man den Menschen im richtigen Moment
das Gefühl gegeben hat, nicht aufgegeben
zu sein.“

Berlin –Die Impflücken bei Kindern in
Deutschlandkönnten größer sein als
allgemein bekannt. Die Barmer Ersatz-
kasse stellte am Donnerstag in Berlin
eigene Erhebungen vor, wonach im Jahr
2017 nur 88,8 Prozent der sechsjähri-
gen Kinder ausreichend gegen Masern
geimpft waren. Die Barmer präsentierte
ihre Zahlen im Rahmen ihres diesjähri-
gen Arzneimittelreports. Sie basieren
auf der Auswertung von Versicherten-
Daten. Das Robert-Koch-Institut (RKI)
gibt demgegenüber für 2017 an, dass
92,8 Prozent der Kinder vor der Ein-
schulung vollständig gegen Masern
geimpft waren. Zum Schutz der gesam-
ten Bevölkerung müssen mindestens
95 Prozent der Kinder und Erwachse-
nen gegen Masern immunisiert sein.
Die Debatte um die Masernimpfung
war in diesem Frühjahr anlässlich von
Warnungen der Weltgesundheitsorgani-
sation wieder aufgeflammt. epd


Berlin– Sechs Wochen vor der geplanten
Verabschiedung des Klimaschutzpakets
der Bundesregierung ist ein Streit darüber
entbrannt, ob eine ehrgeizigere Klimapoli-
tik über neue Schulden finanziert werden
sollte. Aus der SPD kommen Forderungen
nach einer Abkehr von der „schwarzen
Null“. Sie sei ökonomisch und ökologisch
unsinnig, sagte SPD-Fraktionsvize Karl
Lauterbach, der sich mit der Abgeordne-
ten Nina Scheer um den Parteivorsitz be-
wirbt, demHandelsblatt: „Bei Investitio-
nen in Bildung und Umwelt sollte die Schul-
denbremse nicht angewendet werden.“
Zuvor hatte die ZeitungBildvon einer in-
ternen Vorlage des Bundesfinanzministeri-

ums für die Sitzung des Klimakabinetts
am 20. September berichtet, der zufolge
die ehrgeizigen Klimaschutzziele ohne
neue Schulden nicht zu erreichen seien.
Die Ministerien hätten die Kosten ihrer Kli-
mavorschläge auf 37 Milliarden Euro bezif-
fert. Am Donnerstag betonte eine Ministe-
riumssprecherin jedoch, Finanzminister
Olaf Scholz (SPD) habe „bereits mehrfach“
darauf hingewiesen, dass im Energie- und
Klimafonds „erhebliche Finanzmittel“ für
den Klimaschutz bereitstünden. Mit der
vielfach diskutierten Bepreisung des CO2-
Ausstoßes stünden zudem weitere Einnah-
men zur Verfügung, „um trotz einer soli-
den Haushaltsführung die nötige Finanz-

kraft aufzubringen, den Kampf gegen den
Klimawandel zu führen“.
Tatsächlich liegt der Klimafonds weit
über dem Soll. Er speist sich im Wesentli-
chen aus der Versteigerung von CO2-Emis-
sionszertifikaten an Industrie und Kraft-
werke. Deren Preis aber ist seit Anfang
2018 massiv gestiegen – von knapp acht
Euro je Tonne Kohlendioxid auf fast 30 Eu-
ro. Das Finanzministerium hatte ursprüng-
lich für 2019 mit weniger als 17 Euro kalku-
liert und daraus 2,1 Milliarden Euro erwar-
tet. Die erwünschten 37 Milliarden kom-
men jedoch auch nicht zusammen.
Bundesumweltministerin Svenja Schul-
ze (SPD) bemühte sich am Donnerstag, die

Debatte nicht weiter zu befeuern. „Das
Wichtigste ist, Prioritäten zu setzen“, sagte
sie. „Dann können wir sehen, ob das Geld
nicht reicht.“ Schulze macht sich für eine
Erhöhung der Energiesteuern stark, um so
fossile Energie zu verteuern. Die Erlöse ei-
ner solchen „CO2-Steuer“ will sie aber an
die Bürger ausschütten. Auch dieses Geld
stünde also nicht zur Verfügung.
Die führenden Haushaltspolitiker von
Union und SPD lehnten eine Abkehr vom
Ziel der „schwarzen Null“ am Donnerstag
ab. „Es ist inakzeptabel, solide Finanzen
und Klimaschutz gegeneinander auszu-
spielen“, sagte der haushaltspolitische
Sprecher der Unionsfraktion, Eckhardt

Rehberg (CDU). Sowohl Kanzlerin Angela
Merkel (CDU) als auch der Finanzminister
hätten immer wieder bekräftigt, dass der
Verzicht auf neue Schulden „oberste Priori-
tät“ habe: „Vorschläge, die Schuldenbrem-
se des Grundgesetzes auszuhöhlen, sind
mit uns nicht zu machen.“ Auch Johannes
Kahrs, haushaltspolitischer Sprecher der
SPD-Fraktion, äußerte sich ablehnend.
„Ich setze mich dafür ein, dass keine neuen
Schulden gemacht werden“, sagte er. Es ge-
be immer „gute Gründe“, neue Schulden
zu machen; am Ende aber habe man im-
mer mehr Schulden: „Generationengerech-
tigkeit geht anders.“
m. bauchmüller, h. roßbach

Schaut auf diese Stadt


Die Linke regiert in Brandenburg mit, doch Umfragen verheißen ihr für die Landtagswahl nichts Gutes.
Wie den Niedergang stoppen? Ein junger Oberbürgermeister zeigt seinen Parteifreunden, wie das gehen könnte

Berlin– Die kommissarische SPD-Che-
fin Malu Dreyer hat sich offen für ein
linkes Regierungsbündnis im Bund
gezeigt. „Sollte es eine Mehrheit links
von der Union geben, müssen wir das
Gemeinsame suchen und das Trennen-
de analysieren“, sagte sie der Funke
Mediengruppe. Auf Bundesebene sei
die SPD derzeit in „einem sehr schlech-
ten Zustand“, räumte Dreyer ein. Dies
müsse sich dringend ändern. Das Ziel
bleibe, „dass wir wieder zu Mehrheiten
finden jenseits der CDU“. Der Anspruch
der SPD müsse es sein, ein solches
Bündnis anzuführen. Die Linkspartei
habe teils andere Positionen als die
SPD, Koalitionspartner seien aber nie
das Gleiche wie man selbst. Gespannt
sei sie auf Rot-Rot-Grün in Bremen,
sagte Dreyer, die als Ministerpräsiden-
tin in Rheinland-Pfalz gemeinsam mit
Grünen und FDP regiert. Linken-Partei-
chefin Katja Kipping sagte, Dreyers
Äußerung mache Hoffnung auf kons-
truktive Gespräche über neue linke
Mehrheiten. dpa


Karlsruhe– Die NPD ist mit einer Ver-
fassungsbeschwerde gegen eine Zah-
lungsverpflichtung in Millionenhöhe
wegen falscher Angaben im Rechen-
schaftsbericht gescheitert. Das Bundes-
verfassungsgericht nahm die Beschwer-
de nicht zur Entscheidung an. Es geht
um gut 1,27 Millionen Euro wegen un-
richtiger Angaben aus dem Jahr 2007.
Die NPD hält den zugrunde liegenden
Paragrafen 31b des Parteiengesetzes für
verfassungswidrig. Er sieht vor, dass
Parteien den doppelten Betrag zahlen
müssen, über den sie falsche Angaben
im Rechenschaftsbericht machen. Die
von der NPD angegriffene Norm des
Parteiengesetzes knüpft nach Angaben
der Verfassungsrichter an die Pflicht
an, wahrheitsgemäß über die Finanzen
Rechenschaft zu geben. dpa


Düsseldorf– Der Antisemitismusbeauf-
tragte der Bundesregierung fordert, die
Lehrerausbildung in Deutschland zu
verändern. „Der Umgang mit Diskrimi-
nierungen und Antisemitismus muss
verpflichtender Teil der Lehrerausbil-
dung überall in Deutschland werden“,
sagte Felix Klein derRheinischen Post.
Zudem zog Klein, der seit mehr als ei-
nem Jahr im Amt ist, eine bisherige
positive Bilanz seiner Arbeit: „Mittler-
weile haben elf von 16 Ländern eigene
Antisemitismusbeauftragte beziehungs-
weise zentrale Anlaufstellen. In drei
weiteren Ländern soll eine solche Stelle
geschaffen werden.“ kna  Seite 4


Düsseldorf– Umweltaktivisten müs-
sen bei Protesten gegen den Braunkoh-
le-Abbau in Nordrhein-Westfalen (FO-
TO: DPA) mit einem härteren Vorgehen der
Behörden rechnen: Am Donnerstag
billigte das Landgericht Mönchenglad-
bach erstmals die Anwendung des im
vorigen Dezember verschärften NRW-
Polizeigesetzes, wonach Personen, die
nach ihrer Festnahme die Feststellung
ihrer Identität verweigern, bis zu sieben
Tage in Gewahrsam genommen werden
dürfen. Das Landgericht wies die Be-
schwerde von vier der insgesamt sieben
Braunkohle-Gegner zurück, die im
Februar im Tagebau Garzweiler nach
einer versuchten Bagger-Besetzung
fünf Tage festgesetzt worden waren.


Die Aktivisten hatten Angaben zur Per-
son verweigert und sich Sekundenkle-
ber auf die Fingerkuppen geschmiert,
um die Abnahme von Fingerabdrücken
zu verhindern. Das Landgericht billigte
das Vorgehen der Behörden nun aus-
drücklich. Die Kläger erwägen eine
Beschwerde vor dem BGH.cwe


München– Die Gewinne mit Kontrastmit-
teln zulasten der Krankenkassen sorgen
für Unruhe. Bundesgesundheitsminister
Jens Spahn (CDU) will sich zwar gegenwär-
tig nicht zu den hohen Zusatzgewinnen
von Ärzten durch die Weitergabe von Kon-
trastmitteln äußern, über die NDR, WDR
und SZ berichteten. Sein Sprecher bestä-
tigt aber, dass das Ministerium unmittel-
bar nach der Veröffentlichung den AOK
Bundesverband um Aufklärung gebeten
hat. „Wenn wir auf Missstände hingewie-
sen werden, verschließen wir nicht die Au-
gen“, sagte er.
Ende vergangener Woche hatten NDR,
WDR und SZ aus internen Unterlagen von
Radiologiepraxen und Pharmaherstellern
berichtet, dass Ärzte Kontrastmittel für
Aufnahmen in Computertomografen (CT)
oder Magnetresonanztomografen (MRT)
günstig einkaufen und ein Vielfaches des
Preises in Form von Pauschalen von den
Krankenkassen erstattet bekommen. Mit
jedem MRT- oder CT-Gerät können Radio-
logen auf diese Weise knapp 100000 Euro
Gewinn im Jahr machen. Dem Gesund-
heitssystem gehen so jährlich knapp
200 Millionen Euro verloren. Der finanziel-
le Anreiz führt offenbar auch dazu, dass
Ärzte in Bundesländern mit den lukrativen
Pauschalen bei ihren Patienten häufiger

Untersuchungen mit Kontrastmitteln
durchführen als in anderen Bundeslän-
dern – und somit häufiger, als es medizi-
nisch nötig wäre. Die Mittel bergen aber,
wie jedes Medikament, Gesundheitsrisi-
ken.

Alarmiert rief der AOK Bundesverband
Anfang dieser Woche seine Mitglieder zu ei-
ner Telefonkonferenz zusammen. Dort
nannte die Vertreterin Bayerns konkrete
Preise. Demnach kaufen Radiologen in
Bayern MRT-Kontrastmittel im Durch-

schnitt für 880 Euro pro Liter ein, bekom-
men aber 3900 Euro von den Krankenkas-
sen erstattet. Bei CT-Kontrastmitteln liegt
der Gewinn demnach durchschnittlich bei
360 Euro pro Liter. Auf Anfrage will die
AOK Bayern die Preise weder bestätigen
noch dementieren. Andere Ortskranken-
kassen teilten ebenfalls mit, die Preise sei-
en vertraulich.

Laut einem internen Schreiben befas-
sen sich auch die Verwaltungsräte des GKV-
Spitzenverbands, der Dachorganisation
der gesetzlichen Krankenkassen, mit dem
Thema. Sie verlangen Aufklärung über
den Vorwurf, dass die Kassen bei den Prei-
sen nicht genau hinschauen, bevor Verträ-
ge geschlossen werden. Dazu äußere man
sich nicht, bevor die Antwort der Kranken-
kassen vorliege, sagte ein GKV-Sprecher.
Ähnlich hohe Zusatzeinkünfte durch
Pauschalen wie in Bayern gibt es in Bre-
men, Niedersachsen, Hamburg und Nord-
rhein-Westfalen. Im Gebiet der Kassen-
ärztlichen Vereinigung Nordrhein, wo die
Pauschalen erst seit Anfang April gültig

sind, soll deren Höhe nun überprüft und
„gegebenenfalls an die Marktbedingun-
gen“ angepasst werden, wie das Gesund-
heitsministerium in Düsseldorf mitteilte.
Was auffällt: In sämtlichen Briefwech-
seln zwischen Ministerien, GKV-Spitzen-
verband und Krankenkassen geht es der-
zeit nur um die Sorge, dass die Kassen mit
ihrer hohen Erstattung der Kontrastmittel
womöglich gegen das Wirtschaftlichkeits-
gebot verstoßen, dem sie laut Sozialgesetz-
buch unterliegen. Die medizinische Seite
der überhöhten Pauschalen ist dagegen
bisher nicht Gegenstand der Untersuchun-
gen. Dass Patienten durch die Fehlanreize
und den daraus resultierenden erhöhten
Kontrastmittelverbrauch Schaden erlei-
den können – für die Verantwortlichen ist
das derzeit offenbar kein Thema.
„Wir haben es hier mit einer gravieren-
den Gefährdung von Patienten zu tun, die
auch noch sehr viel Geld kostet“, sagte der
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach.
Dem müsse sich der Gesundheitsminister
stellen. Auch die gesundheitspolitische
Sprecherin der Grünen, Kordula Schulz-
Asche, forderte die Bundesregierung auf,
„für eine rasche und lückenlose Aufklä-
rung zu sorgen, ob Schaden an der Gesund-
heit von Menschen entstanden ist“.
christina berndt, markus grill

6 HMG (^) POLITIK Freitag,9. August 2019, Nr. 183 DEFGH
„Wir haben es hier mit einer
gravierenden Gefährdung von
Patienten zu tun.“
Außenminister Heiko Maas und Ministerpräsident Dietmar Woidke (von links) sind da, doch voran geht Frankfurts linker OB René Wilke über die Oder.FOTO: PATRICK PLEUL/DPA
Aufnahmen mit MRT- oder CT-Geräten wie diese sind für Ärzte manchmal leichter
zu interpretieren, wenn die Patienten ein Kontrastmittel bekommen. FOTO: MAURITIUS
Wilke will „linke Politik, auch
wenn sie nicht immer der Linie
der Bundespartei entspricht“
SZ-Grafik: Mainka; Quelle: Wahlleiter
Wahlergebnisse der Linken
inBrandenburg
Landtagswahl 2009
Bundestagswahl 2013
Europawahl 2014
Landtagswahl 2014
Bundestagswahl 2017
Europawahl 2019
Angaben in Prozent
27,
22,
19,
18,
17,
12,
Verlust:-0,
-6,
-6,
-8,
-5,
-7,
Dreyer offen für Linksbündnis
NPD scheitert vor Gericht
Antisemitismus im Lehrplan
Erfolg für die Polizei
Zuwenige Kinder geimpft
Schulden für das Klima
Führende Sozialdemokraten fordern eine Abkehr von der schwarzen Null, um ehrgeizigeren Umweltschutz zu finanzieren. SPD-Finanzpolitiker haltendagegen
INLAND
Krankenkassen in Alarmstimmung
GesundheitsministerJens Spahn fordert Aufklärung über zu hohe Pauschalen für Kontrastmittel. Doch die gesundheitlichen Risiken sind dabei kein Thema

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