P.M. History - 09.2019

(nextflipdebug2) #1

ße hinein. Die geballte Flotte kann nur
gruppenweise einfahren. Am Ende der
Passage liegt Yi mit seinen Schiffen in
einer kleinen Bucht vor Anker. Um sein
mickriges Geschwader größer aussehen
zu lassen, positioniert er Fischerboote
um die Flotte herum. Yi und seine Män­
ner wissen: Aus dieser Meeresenge gibt
es kein Entkommen. Entweder siegen
sie-oder sie sterben.
Als das erste Schiff der Japaner in
Sichtweite ist, lichtet Yi den Anker und
nimmt Kurs auf den Gegner. Der gi­
gantischen Armada entgegen, die sich
jetzt vor den Koreanern aufbaut. Einen
furchterregenderen Anblick hat keiner
der Männer in seinem Leben gesehen.
"Unsere Kapitäne verloren ange­
sichts der überwältigenden Anzahl der
Gegner ihren Kampfgeist", schreibt Yi.
Deshalb brüllt er einen Kommandeur
nach dem anderen an: "Möchtest du auf
meinen Befehl hin sterben? Möchtest
du vor das Kriegsgericht?" Das wirkt.
Vereint ziehen die Koreaner in den
Kampf. Das unablässige Donnern der
Kanonen "erzittert Meere und Berge".
Yis Männer wehren die "feindlichen


Horden" ab, die "wie schwarze Amei­
sen" versuchen, sie zu entern. "Unsere
Schiffe rammten 30 Gegner, die
uns umzingelten, und brachen
sie entzwei."
Als das Flaggschiff der Ja­
paner in Flammen aufgeht und
sinkt, lässt Yi den Leichnam
des japanischen Komman­
deurs aus dem Wasser fischen,
in Stücke schneiden und an
den Mast hängen, um die
Gegner einzuschüchtern.
Dann ändert sich die
Strömung: Jetzt fließt sie
gegen die Japaner, mit
9,5 Knoten-etwa die
Höchstgeschwindig­
keit der Schiffe. Da­
durch können die Ko­
reaner ihre Gegner
zurückdrängen, in die
Richtung, aus der sie
gekommen sind. De­
ren Schiffe verkeilen
sich in den tückischen
Fluten ineinander, Cha­
os bricht aus, dann flüchten
sie. Wieder hat Yi gewonnen. "Der
Sieg war wirklich mit himmlischer
Hilfe gemacht."

L

ange währt seine Freude nicht.
Wenig später erreicht ihn eine
Schreckensnachricht: Japanische
Soldaten haben sein Haus überfallen
und einen seiner Söhne getötet. Ver­
zweifelt notiert er: "Ich sollte sterben,
und du solltest leben. Nun bist du tot
und ich am Leben. Ich harre aus, mit ei­
nem lebendigen Körper, aber toter See­
le." In blinder Wut lässt er einen gefan­
genen japanischen Soldaten so lange
foltern, bis er gesteht, seinen Sohn um­
gebracht zu haben. Als Strafe wird ihm
die Haut abgezogen. Eine Episode, die
zeigt: Yi ist nicht nur der berechnende,
kühle Stratege, selbst ihn können die
Gefühle übermannen.
Er stirbt - natürlich - auf hoher
See. Nach Hideyoshis Tod am 18. Sep­
tember 1598 schließen seine Generäle
mit China Frieden. Den Japanern wird
freier Abzug gewährt, für die Korea­
ner ein Fanal. Sie wollen Rache. Also

Korea

bricht Yi mit seiner Flotte zu einer letz­
ten Schlacht auf. Seinem letzten Ge­
fecht. Eine Kugel trifft ihn an der linken
Brust, er bricht auf Deck zusammen.
Yis letzte Gedanken kreisen um sei­
ne Soldaten: Sein Ende könnte sie
demoralisieren. Deshalb wispert
er seinen Kameraden zu: "Sagt den
anderen Männern nichts." Sein
Tod wird erst nach der Schlacht
bekannt. Nach dem Sieg.
Das Joseon-Königreich hat
die Invasion zwar überstanden,
doch die Angreifer lassen ein
zerstörtes Land zurück: ver­
wüstet, verarmt, trauma­
tisiert, entvölkert. Zwei

RANGZEICHEN
Der verzierte Helm
gehörte einst einem
koreanischen Offizier.
Im Vergleich zu den
Japanern waren sie
schlecht ausgebildet

Millionen Menschen -
so die Schätzungen -sind um-
gekommen, 20 Prozent der Be­
völkerung. Zudem haben die Japaner
Zehntausende in ihr Land deportiert.
Und bald fallen schon wieder fremde
Truppen in Korea ein: 1627 und 1636
verheeren die Mandschu, von Norden
kommend, die Halbinsel.
Kein Wunder, dass sich die Koreaner
in den folgenden Jahrhunderten von
der Außenwelt abschotten, ihren Blick
nach innen richten. Nur zu den Chine­
sen halten sie engeren Kontakt. Die Iso­
lation bringt Korea einen neuen Spitz­
namen ein: "Einsiedlerkönigreich".
Admiral Yi Sun-sin vergessen die
Koreaner nie. Sein Name bleibt allge­
genwärtig - bis heute. Seine helden­
hafte Geschichte ist mittlerweile Stoff
unzähliger TV-Serien und Romane. Das
Idol einer ganzen Gesellschaft. •

Manuel Opitz war noch nie
in Korea - hat sich jetzt aber
vorgenommen, eines Tages Yi
Sun-sins Schrein im südkorea­
nischen Asan zu besuchen.
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