FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Wirtschaft DIENSTAG, 13. AUGUST 2019·NR. 186·SEITE 17
A
ls am 25. Mai 2014 die Ergebnisse
zum Volksentscheid über das Tem-
pelhofer Feld in Berlin eintrudelten, war
schnell klar: Das Tempelhofer Feld soll so
bleiben, wie es ist. Die Gründe dafür la-
gen auf der Hand: Der Flugbetrieb war ge-
rade einmal sechs Jahre zuvor eingestellt
worden, Nostalgiker fürchteten einen
kompletten Umbau der altehrwürdigen
Anlage und die Verwischung von bedeu-
tenden historischen Spuren in unserer
Stadt – immerhin ist Tempelhof das strahl-
kräftige Symbol der Luftbrücke und da-
mit Ausdruck von Freiheit und Neustart
einer jungen Bundesrepublik, in der wir
heute sicher und gut leben können. Hinzu
kamen Ideen für das Feld, die viele Haupt-
städter zusätzlich ängstigten. Der damali-
ge Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD)
verplante satte 2,6 Hektar für eine neue
Zentral- und Landesbibliothek. Das trieb
die letzten Zweifler ins Lager der Bürger-
initiative „100 Prozent Tempelhofer
Feld“.
Im Sommer 2019 haben Wohnungs-
mangel und Mietniveau noch einmal kräf-
tig angezogen. Weil die Ideen und die
Kraft zur Umsetzung fehlen, probiert es
der Berliner Senat nun mit Rückkäufen,
Vergesellschaftungsideen, Milieuschutz-
gebieten und neuerdings mit einem Mie-
tendeckel. Selbst für Wohnungsbaugenos-
senschaften, die für günstige Mieten be-
kannt sind, ist das zu viel Staat und auf
Sicht zu wenig Spielraum für Neubau und
Modernisierung.
Dass die Lage am Berliner Wohnungs-
markt ernst ist, sehen nun auch die Berli-
ner mehrheitlich so. Würde der Volksent-
scheid heute wiederholt, die Bauarbeiten
könnten morgen beginnen. Doch beson-
ders die Linke und die Grünen halten am
alten Status Quo fest: Keine Wohnungen
am Rand des Tempelhofer Feldes.
Dabei müsste sich gerade Bausenatorin
Katrin Lompscher für eine Bebauung des
Feldes stark machen. Für die von ihr vor-
gelegten Stadtentwicklungspläne hat es
zum wiederholten Male im Berliner Senat
kein Mehrheit gegeben. Erst im Juli laute-
te das Ergebnis abermals: nicht beschlos-
sen. Unlängst gab es beispielsweise eines
von Bürgermeister Michael Müller auf
den Deckel. Der Kritikpunkt: Der Ent-
wurf enthalte keine Vorschläge, wo zu-
sätzliche Wohnungen entstehen könnten
und wie der gesamte Bauprozess beschleu-
nigt werden könnte.
Für Katrin Lompscher ist die Wahrheit
übrigens eine andere. Jedes Jahr präsen-
tiert sie stolz, was sie für diese Stadt alles
möglich macht. Immerhin schafft sie es
seit ein paar Jahren, die Mittel, die der
Bund nach Berlin überweist, auch wirk-
lich für neue Sozialwohnungen auszuge-
ben. 89 Millionen Euro gab es 2018, 3373
Wohnungen wurden gebaut. Unter Stadt-
entwicklungssenator Michael Müller sah
das noch ganz anders aus. Der heutige
Bürgermeister der Stadt nutzte das Geld
lieber für das Stopfen von Haushaltslü-
cken und die Rückzahlung von Krediten.
Die zweckdienliche Verwendung der
Sozialbaumittel ist hier aber bestenfalls
die Pflicht. Die Kür haben Lompscher
und ihre Mitstreiter bislang gründlich ver-
geigt. Allein für das Kosmosviertel legte
der Berliner Senat 250 Millionen Euro
hin – für 1800 Wohnungen, teilweise unsa-
nierte DDR-Platte. 200 Millionen Euro
sollen es für die 670 Wohnungen in der
Karl-Marx-Allee gewesen sein.
Für das Geld, das es für das Kosmos-
viertel benötigte, hätte Berlin entspre-
chend den Kosten der von Lompscher ge-
bauten Wohnungen beispielsweise 9474
günstige Mietwohnungen in Berlin bau-
en können, einen Teil davon auf dem
Tempelhofer Feld. Neu, mit entsprechen-
dem Standard und im Herzen der Stadt.
In einem entsprechenden Mix könnte so-
dann sogar die soziale Mischung erhal-
ten bleiben. Eine Win-Win-Situation für
die Stadt. Doch dafür müsste Berlin vor
allem erst einmal die Perspektive än-
dern. Bislang glaubt die Stadt, durch För-
dermaßen in soziale Wohnraumförde-
rung alles für den entsprechenden Be-
darf zu tun. In einer zielgerichteten Sub-
jektförderung gäbe es beispielsweise an-
gepasstes Wohngeld, das die entspre-
chende Personengruppe direkt begünsti-
gen würde.
Bislang steht allerdings der Vorwurf
im Raum, dass sich besonders die Ber-
liner Linken mit dem Mangel an Woh-
nungen in Berlin ganz wohlfühlen. Auf
dem Rücken dieses Mangelzustandes las-
sen sich wunderbar Mietendeckel und
Enteignungsphantasien in der Gesell-
schaft plazieren. Bislang hat die Bau-
senatorin nichts unternommen, um die-
sen Vorwurf zu entkräften. Die promi-
nenten Rückkäufe in der Stadt kamen
bislang vor allem denen zugute, für die
die Stadt immer noch am Checkpoint
Charlie aufhört und die heute noch die
Linke wählen.
Doch mit dieser Klientelprivilegierung
endet es nicht: Die neuen Vorwürfe in der
Berliner Baupolitik fördern vor allem
zwielichtige Protagonisten zutage, die in
den Bezirken nun wieder nach oben ge-
spült werden. Matthias Schindler ist einer
von ihnen. Nach Recherchen des Berliner
Tagesspiegels ist dieser nun aktives Mit-
glied in der Genossenschaft „Diese eG“,
in der die Rückkäufe angesiedelt werden
sollen. Schindler hatte mehrere leitende
Positionen im Ministerium für Staatssi-
cherheit inne, heute gibt er unter ande-
rem das „Neue Deutschland“ heraus, zur
Blütezeit der DDR das Zentralorgan der
Sozialistischen Einheitspartei Deutsch-
lands (SED) – was man eben so macht im
Jahr 2019. Steigbügelhalter für diese Per-
sonalien ist Baustadtrat Florian Schmidt,
der eigentlich zu den Grünen zählt, aller-
dings einen mustergültigen Jungsozialis-
ten abgäbe.
Für die geplanten Rückkäufe paktiert
Schmidt in aller Öffentlichkeit mit den
Linken, und die wiederum brechen kei-
neswegs mit ihrer Geschichte. Denn ei-
gentlich war die genannte Genossen-
schaft mal gegründet worden, um ein
Stadtbad im Berliner Bezirk Lichten-
berg zu sanieren. Erst interessierten
sich die Linken für den Verein und tra-
ten ein, schließlich zog die Stasi in Per-
son von Schindler ein, jetzt muss nur
noch das mit der Vergesellschaftung
klappen, und das Berliner Märchen vom
Sozialismus 2.0 ist auf seinem Höhe-
punkt. Ach so, für die Rückkäufe ist na-
türlich keine entsprechende Finanzie-
rung hinterlegt worden. Es grenzt schon
an ein Wunder, dass Schmidt nicht
längst von seinen Aufgaben entbunden
wurde. Mit jeder neuen Verfehlung wird
die Personalakte des Florian Schmidt je-
denfalls dicker.
Für die wachsende Stadt Berlin kann es
indes nur heißen: Das Unmögliche wa-
gen, um vielen Menschen das Wohnen in
Berlin möglich zu machen. Das Tempelho-
fer Feld wird nicht die Wohnungsnot in
der Stadt allein beseitigen können. Viel
eher ist das Feld ein Teil in einem ganzen
Paket an Maßnahmen, mit denen die
Stadt die benötigten Wohnungen bauen
kann. Dachgeschossausbauten, Typenge-
nehmigungen, Baulückenkataster, aber
auch die Prüfung eines Teils der Berliner
Kleingartenkolonien, um ein paar andere
zu nennen.
Das Tempelhofer Feld kann in dieser
Gemengelage ein Signal an die Stadt sein.
Der große Feldversuch, der Startschuss
für eine Wohnungsneubauoffensive, die
diese Stadt noch nicht erlebt hat. Dafür
braucht es Grundvoraussetzungen: Die
Entscheider im Berliner Senat müssen
sich der delikaten Personalien in Senat
und Bezirken bewusst werden. Auch das
Bewusstsein, die Wohnungssituation in
der Stadt anzuerkennen, gehört dazu.
Schließlich muss es darum gehen, welche
Optionen es zur Bebauung des Tempelho-
fer Feldes gibt.
Der Autorist Landesvorsitzender der FDP Berlin.
ami.BERLIN, 12. August. Internationa-
le Klimapolitik wird in Deutschland vor
allem aus dem Etat des Ministers für
wirtschaftliche Zusammenarbeit be-
zahlt. So fiel es Entwicklungsminister
Gerd Müller (CSU) am Montag nicht
schwer, dem von Umweltministerin
Svenja Schulze (SPD) angedrohten Rück-
zug Deutschlands aus der Finanzierung
von Regenwaldprojekten in Brasilien
erst einmal die Spitze zu nehmen. Der
Amazonas-Regenwald sei die Lunge des
Planeten und von elementarer Bedeu-
tung auch für das Klima in Europa, er-
klärte Müller. Indigene, Umweltgruppen
und Regierungsvertreter hätten sich bei
seinem Brasilien-Besuch für eine Fort-
setzung der erfolgreichen Kooperation
ausgesprochen. Mit Brasiliens Umwelt-
minister Salles habe er deshalb verabre-
det, einen neuen Ansatz der Zusammen-
arbeit zu erarbeiten, um den Amazonas-
fonds fortzusetzen. „Jeder, der die her-
ausragende Klimafunktion des Regen-
waldes erhalten will, muss diese Maß-
nahmen verstärken und nicht beenden“,
sagte Müller. Deutschland sei mit 55 Mil-
lionen Euro beteiligt, Norwegens Anteil
mit einer Milliarde Euro viel größer. Re-
gierungssprecher Steffen Seibert nannte
den Erhalt des Amazonas-Regenwaldes
„ein Menschheitsthema“ mit Bedeutung
für alle. Brasiliens Staatspräsident Jair
Bolsonaro, der den Regenwald wieder
stärker wirtschaftlich nutzen will, hatte
am Sonntag erklärt, sein Land benötige
das Geld aus Deutschland nicht. Brasilia-
nische Forscher hatten dieser Tage be-
richtet, die Abholzung des Regenwalds
habe sich zuletzt wieder beschleunigt.
STANDPUNKT
tko.FRANKFURT,12. August. Im Jahr
2018 stand die deutsche Luftfahrt am
Pranger, weil sie Rekordverspätungen
verursachte. 2019 dominiert die Debatte
über die Folgen des Fliegens für das Kli-
ma, und Protestierer verkünden, nie flie-
gen zu wollen. In den Verkehrszahlen
schlägt sich das nicht nieder – die stei-
gen. Und die Deutsche Flugsicherung
(DFS) meldet Fortschritte im Kampf ge-
gen Chaos und Verspätungen.
Nicht nur in Deutschland, sondern in
ganz Europa sind Flüge etwas pünktli-
cher geworden. Dennoch flog im ersten
Halbjahr jedes Flugzeug im Durch-
schnitt 12 Minuten dem Plan hinterher,
wie aus Zahlen hervorgeht, die die DFS
am Montag veröffentlicht hat. Im Vorjah-
reszeitraum waren es 14,1 Minuten. Die
DFS sieht die Gründe für den Rückgang
darin, dass Notmaßnahmen, die in
Deutschland auf zwei Luftfahrtgipfeltref-
fen verabredet wurden, zu greifen begin-
nen: Gesellschaften haben Flugpläne
entzerrt, Unternehmen mehr Personal
eingestellt, die DFS bildet mehr aus, kur-
ze Flüge werden auf niedrigeren Höhen
gelassen, Piloten werden im Flug Einzel-
freigaben zum kurzfristigen Abweichen
von angemeldeten Routen verweigert.
In der Statistik unterscheidet die DFS
zwischen Ursprungsverspätungen, die
von 7,7 auf 6,9 Minuten je Flug gesunken
sind, und Folgeverspätungen, die sich
aus vorangegangenen Flügen ergeben.
Sie sind von 6,4 auf 5,1 Minuten zurück-
gegangen. Als Hauptverantwortliche für
Ursprungsverspätungen gelten laut der
europäischen Flugsicherung Eurocon-
trol weiter die Fluggesellschaften selbst
- mit 3,2 Minuten je Flug, Fluglotsen tra-
gen 1,1 Minuten bei. Schlechtes Wetter
führt im Schnitt nur zu 0,6 Minuten Ver-
zögerung je Flug.
Besonders die Deutsche Flugsiche-
rung war 2018 von Fluggesellschaften
kritisiert worden. Sie ist mit dem Kon-
trollzentrum Karlsruhe für einen Be-
reich des oberen Luftraums verantwort-
lich, den besonders viele Flüge in Euro-
pa durchqueren. Und gerade dort zeig-
ten sich nach Sparanstrengungen frühe-
rer Jahre Personalengpässe. Zwar befin-
den sich nur 3,4 Prozent des europäi-
schen Luftraums über Deutschland, aber
jeder dritte Flug ist über der Bundesrepu-
blik unterwegs, weil er hier startet oder
landet oder das Land kreuzt. Mit 38,
Prozent machen die Überflüge einen gro-
ßen Teil der Arbeit der DFS aus.
Und der Verkehr nimmt weiter zu. Für
ganz Europa wurden im ersten Halbjahr
4,8 Millionen von Lotsen überwachte
Flüge gezählt, 2,3 Prozent mehr als im
Vorjahreszeitraum. Mit 1,6 Millionen
Flügen hatte die DFS zu tun, das war ein
Plus von 1,3 Prozent. Prognosen deuten
darauf hin, dass sich das Wachstum ver-
langsamt. Für die nächsten fünf Jahre
prognostiziert Eurocontrol im mittleren
von drei Szenarien eine Steigerung im
Jahr von durchschnittlich 1,9 Prozent
mit abnehmender Tendenz. Für 2019
steht in der Prognose noch ein Zuwachs
von 3,4 Prozent, ab 2023 liegt die Rate
bei 1,3 Prozent oder niedriger.
Fluggesellschaften hatten zuletzt Kür-
zungen ihrer Expansionspläne angekün-
digt, weil der Preiswettkampf Gewinne
schrumpfen lässt, wenn nicht gar Verlus-
te anfallen. Die Lufthansa-Billigmarke
Eurowings wächst nicht mehr, Ryanair
und andere bekommen zu spüren, dass
neue 737-Max-Jets von Boeing wegen
des Flugverbots für diesen Typ nicht wie
geplant in die Flotten gelangen. 2018
war ein Negativrekordjahr für die Luft-
fahrtbranche: Nur 57 Prozent aller Flüge
setzten pünktlich am Ziel auf. Für den Re-
kordwert von 3,3 Millionen zu koordinie-
renden Flügen war man nicht ausrei-
chend gerüstet, räumt die DFS ein.
sju.FRANKFURT,12. August. Südko-
rea hat Japan von seiner „weißen Liste“
bevorzugter Handelspartner gestrichen.
Damit antwortet das Land auf die Ent-
scheidung der japanischen Regierung,
die Südkorea ihrerseits Anfang des Mo-
nats entsprechende Handelsprivilegien
entzogen hatte. Wie das Handelsministe-
rium in Seoul am Montag mitteilte, wird
Japan von September an als einziges
Land in einer neu geschaffenen Handels-
kategorie geführt, die Staaten umfasst,
deren Exportkontrollen „internationale
Regeln verletzen“. Der Warenaustausch
zwischen beiden Ländern unterliegt da-
mit deutlich strengeren Anforderungen.
So müssen südkoreanische Unterneh-
men zusätzliche Dokumente einreichen,
um Güter, die als heikel oder sicherheits-
relevant eingestuft sind, nach Japan ex-
portieren zu dürfen. Das Genehmigungs-
verfahren kann bis zu 15 Tage in An-
spruch nehmen. Auslöser des Konflikts
ist ein Streit über Entschädigungsansprü-
che südkoreanischer Zwangsarbeiter.
Flüge etwas weniger unpünktlich
Verspätung von 12 Minuten / Flugverkehr nimmt weiter zu
WIESBADEN, 12. August (dpa-AFX).
Noch nie waren im wiedervereinigten
Deutschland so wenige junge Menschen
ohne Arbeit wie 2018. Wie das Statisti-
sche Bundesamt am Montag berichtete,
lag die Arbeitslosenquote der Bürger
von 15 bis 24 Jahre im vergangenen Jahr
bei 6,2 Prozent. In den neuen Bundeslän-
dern betrug sie 8,6 Prozent, im alten
Bundesgebiet 5,2 Prozent. Damit profi-
tierten die jungen Menschen von der ins-
gesamt günstigen Entwicklung am Ar-
beitsmarkt. Gleichzeitig sank die Ar-
beitslosenquote für alle Erwerbsperso-
nen von 15 bis 64 Jahre noch stärker,
nämlich um nahezu zwei Drittel von
11,3 Prozent auf 3,5 Prozent. Ganz an-
ders sah es noch 2005 aus: Damals wa-
ren 15,2 Prozent der jungen Menschen
ohne Arbeit. Insgesamt nahm die Zahl
der jungen Leute seit der Wiedervereini-
gung ab. Während 1991 noch 13 Prozent
der Bevölkerung der Altersgruppe von
15 bis 24 Jahren angehörten, waren es
2018 nur 10 Prozent.
che.SINGAPUR,12. August. Vor einer
Woche erreichte der Handelskonflikt zwi-
schen Amerika und China einen Höhe-
punkt: Chinas Währung durchbrach ge-
genüber dem Dollar die Linie von 7
Yuan, und die Märkte wurden von der
Furcht vor einer Abwertungsspirale über-
rollt. Der Angriff, den der amerikanische
Präsident auf den freien Handel begon-
nen hat, schadet allen – und doch gewin-
nen zumindest einige Länder durch das
Verschieben von Fertigungs- und Liefer-
ketten.
Dabei ist es ein schlechter Witz der
Geschichte, dass genau diese eigentli-
chen Gewinner mehr und mehr in ihren
eigenen Disputen mit Peking verfangen
sind: So profitieren australische Bauern
von der Anweisung Chinas, keine land-
wirtschaftlichen Produkte mehr in Ame-
rika zu kaufen. Auf der anderen Seite
aber ringt Canberra mit der expansiven
Außenpolitik des großen Nachbarn im
Norden – dies geht bis in die Rebellion
in Hongkong, die längst schon an austra-
lischen Universitäten zwischen chinesi-
schen Studenten ihre Fortsetzung fin-
det. Und Vietnam, dass als Fertigungs-
standort immer mehr von Chinas Schwä-
che profitiert, wehrt sich zur selben Zeit
gegen Chinas Vordringen: Das angebli-
che chinesische Forschungsschiff Hai-
yang Dizhi 8 und seine Eskorte der Küs-
tenwache behinderte in den vergange-
nen Wochen Ölbohrungen in Vietnams
Wirtschaftszone im Südchinesischen
Meer.
Noch liegen keine belastbaren Zahlen
für die Verschiebung von Handelsströ-
men und die Verlagerung von Investitio-
nen durch den Handelskonflikt vor. Und
doch weisen immer mehr Unternehmen
darauf hin, dass sie überlegen, Neuinves-
titionen in Asien nicht mehr zwingend in
China vornehmen zu wollen, was bislang
praktisch die Regel war.
Die Liste jener Unternehmen, die sich
nach neuen Standorten jenseits von Chi-
na umschauen, ist lang. Sie reicht von
Apple über dessen taiwanischen Liefe-
ranten Foxconn und Spielekonzern Nin-
tendo bis zu Dell, Google oder Hewlett-
Packard. Als sei das nicht genug Last für
Peking, berichten nun Rechtsanwälte,
dass sie in den vergangenen Wochen ver-
mehrt Anfragen etwa großer japanischer
Banken bekämen, Büros aus Hongkong
nach Singapur zu verlagern – wegen der
Unruhen in Hongkong.
Bauern und Großhändler beider Sei-
ten suchen zudem neue Märkte: Die Soja-
farmer Amerikas, geschlagen vom Bann
der Chinesen, sitzen auf rund 27 Millio-
nen Tonnen Überproduktion. Bis Ende
des Jahres soll Südostasien rund die Hälf-
te der nun von China gemiedenen Boh-
nen kaufen, erklärte Jim Sutter, Chef des
amerikanischen Exportverbandes für So-
japrodukte, gerade in Singapur. Umge-
kehrt kaufen chinesische Vermarkter
deutlich mehr Fleisch in Australien als in
Amerika: Lag der Anteil Chinas am Ex-
port australischen Rindfleischs im Som-
mer 2017 nur bei gut 9 Prozent, ist er
zwei Jahre später auf fast ein Viertel ge-
schossen. Die Chinesen überholten erst-
mals Japan als größten Käufer.
Mehrere Strömungen treffen aufeinan-
der. Der Handelskonflikt selbst er-
schwert Unternehmen den Zugang zum
amerikanischen Markt aus China heraus.
Südostasien bietet hier ein gewisses Ven-
til, allen voran Vietnam. Die Volkswirt-
schaft ist auf Auslandsinvestitionen aus,
ähnlich straff organisiert wie in China,
bietet aber billigere Arbeitskraft, niedri-
gere Immobilienpreise und ein verlässli-
ches Netzwerk von Handelsverträgen.
Auch andere Länder empfehlen sich zu-
nehmend, weil sie ihre eigene Lage ver-
bessern: Der wiedergewählte Präsident
Joko Widodo in Indonesien will sein
Land endlich durch überfällige Infra-
strukturinvestitionen voranbringen. So
erwartet DHL Deutsche Post, die als Lo-
gistiker ein Seismograph für solche Ver-
änderungen ist, enorme Verschiebungen
in der größten südostasiatischen Volks-
wirtschaft: „Derzeit macht der Import
rund 65 Prozent unseres Geschäfts in
Indonesien aus“, erzählt Vincent K.C.
Yong, der für die Deutschen den Fracht-
verkehr von Jakarta aus aufbaut. „Schon
2020 wollen wir ein ausgeglichenes Ver-
hältnis von Export und Import im Fracht-
geschäft erzielen.“ Der Export aber profi-
tiert nun noch einmal, weil die Abwer-
tung des chinesischen Yuan auch die an-
deren asiatischen Leitzinsen und Wäh-
rungen drückt – tendenziell wird damit
auch die Ausfuhr aus Ländern wie Thai-
land, das die Zinsen schon Mitte der Wo-
che senkte, Malaysia oder Indonesien bil-
liger. Allen südostasiatischen Länder
kommt dabei zugute, dass sie als Binnen-
markt immer interessanter werden. Eine
wachsende Mittelschicht von geschätz-
ten 350 Millionen Menschen mit einem
verfügbaren Einkommen von rund 300
Milliarden Dollar lohnt nicht nur eine
Fertigung für den Export etwa nach Ame-
rika, sondern empfiehlt sich auch zuneh-
mend als Markt. Vietnam zeigt die Ten-
denz: Dort steigt der Umsatz des Einzel-
handels seit 2013 um 11 Prozent – und
das im Jahr.
Teurer aber wird der Import durch die
fallenden Devisenkurse. Das werden
etwa die deutschen Maschinenbauer zu
spüren bekommen, die ihrerseits mehr
und mehr Südostasien ins Visier neh-
men. Bei einer internen Umfrage antwor-
teten die Hersteller von Holzverarbei-
tungsmaschinen gerade, der Anteil Süd-
ostasiens an ihrem Gesamtumsatz solle
sich in den nächsten fünf Jahren auf
dann 9 Prozent fast verdoppeln.
„Zusammengefasst profitieren Dritt-
länder eher von den amerikanischen Ein-
fuhrzöllen gegen China als von den chi-
nesischen auf amerikanische Waren.
Asiens Wertschöpfungskette – ohne Chi-
na – gewinnt durch die amerikanischen
Zölle“, stellt Rob Subbaraman, Chef-
volkswirt der Bank Nomura, fest. Einer
Rangliste seiner Bank zufolge setzen die
Firmenchefs angesichts der wachsenden
Zollschranken vor allem auf höhere Lie-
ferungen aus Vietnam. Knapp 8 Prozent
seiner gesamten Wirtschaftsleistung
habe es schon heute dem Umleiten von
Einkaufsströmen durch den Handels-
streit zu verdanken. Tendenz rasch stei-
gend. Da vor allem die Herstellung von
Elektronikwaren, Maschinen und Mö-
beln vorangetrieben werde, folgten in
der Rangliste der Gewinner Taiwan
(plus 2,1 Prozent der Wirtschaftsleis-
tung), Chile (1,5) und Malaysia (1,3). Ih-
ren Preis für den Handelskonflikt zahlen
- nach China selbst – dessen Zulieferer
etwa in Südkorea, aber vor allem die Han-
delsdrehscheiben Singapur und Hong-
kong.
Es kommt schon zu direkten Verlage-
rungen. Zum Beispiel beim Turnschuh-
hersteller Brooks Running. Dort ent-
schied Vorstandschef Jim Weber: „Ende
des Jahres sind wir zu großen Teilen in Vi-
etnam.“ 8000 Stellen werden gerade ver-
lagert. Der Anteil von Chinas Fertigung
bei Brooks fällt dann auf 10 Prozent, der-
jenige Vietnams steigt auf 65. Der welt-
umspannende französische Sportartikel-
konzern Decathlon beschäftigt schon
80 000 Vietnamesen indirekt über ein
Netzwerk von 100 Lieferanten in Viet-
nam. Decathlon sprach auf einer Presse-
veranstaltung mit DHL gerade von ei-
nem „ausgeglichenen Verhältnis zwi-
schen Kosten und Fähigkeiten“ der Viet-
namesen. Bis 2022 soll der Export um
gut 12 Prozent auf dann 21 500 Tonnen
steigen.
Allerdings müssen auch die Vietname-
sen aufpassen – denn nicht nur Amerika-
ner und Europäer verlagern, sondern
auch Chinesen selbst: Trump erklärte
schon, Vietnam sei „Teil eines Rohrnetz-
werks“ für chinesische Firmen, amerika-
nische Zölle zu umgehen. Die Zahl derer
wächst, die in ihrem Heimatland fast fer-
tiggestellte Produkte in Vietnam nur
noch „aufpolieren“, um sie dann mit dem
Siegel „Made in Vietnam“ problemlos
nach Amerika auszuführen.
sju.FRANKFURT, 12. August. Auf-
grund des andauernden Handelskon-
flikts zwischen Amerika und China hat
sich das Weltwirtschaftsklima im drit-
ten Quartal dieses Jahres erheblich ver-
schlechtert. Der entsprechende Indika-
tor des Münchener Ifo-Instituts fiel um
7,7 Punkte auf minus 10,1 Punkte. Wie
aus den am Montag veröffentlichten Er-
gebnissen der vierteljährlichen Umfra-
ge hervorgeht, bewerten die rund 1200
befragten Fachleute aus 116 Ländern
die aktuelle Lage so schlecht wie zuletzt
zu Beginn des Jahres 2017.
Mit einer raschen Trendwende ist in-
des nicht zu rechnen. Die Erwartungen
der Fachleute haben sich im Vergleich
zum Vorquartal weiter eingetrübt – ins-
besondere die Aussichten für das
Wachstum des Welthandels werden zu-
nehmend pessimistischer. Die Verschär-
fung des Handelskonflikts zwischen
Amerika und China „belastet die Welt-
konjunktur beträchtlich“, sagte Ifo-Prä-
sident Clemens Fuest. Nach der Abwer-
tung des chinesischen Yuans droht zu-
dem die Eskalation in einen Währungs-
krieg. Die Befragten erwarten außer-
dem einen Rückgang des privaten Kon-
sums und der Investitionstätigkeit. Zu-
gleich rechnen sie mit sinkenden kurz-
und langfristigen Zinsen.
Eine Eintrübung des Wirtschaftskli-
mas sehen die befragten Fachleute in
allen Regionen der Welt. In den fortge-
schrittenen Volkswirtschaften und den
Schwellen- und Entwicklungsländern
korrigierten sie sowohl die Lagebeur-
teilung als auch die Konjunkturerwar-
tungen nach unten. Während in Euro-
pa sowohl die Beurteilung der Wirt-
schaftslage als auch die Erwartungen
für die kommenden Monate nahezu un-
verändert blieben, sanken beide Indika-
toren in Amerika. In Lateinamerika,
im Nahen Osten und Nordafrika beur-
teilten die Fachleute die gegenwärtige
Lage zwar negativer, die Zukunftsaus-
sichten revidierten sie hingegen nicht
nach unten.
Das Tempelhofer Feld bebauen
Von Christoph Meyer
Der Handelskonflikt kennt auch Gewinner
Amerikanisches Soja geht verstärkt nach Südostasien statt nach China. Foto Reuters
Südkorea entzieht Japan
Handelsprivilegien
Jugendarbeitslosigkeit
fälltauf Tiefstand
Wie den Regenwald schützen?
Koalition streitet über Millionen-Zahlungen an Brasilien
Unternehmen reagieren
auf den Streit zwischen
Amerika und China. Sie
wechseln ihre Zulieferer oder
verlagern ihre Produktion in
andere asiatische Länder.
Die Laune in der Weltwirtschaft
verschlechtert sich
Ifo-Barometer zeigt Abkühlung auf allen Kontinenten