Der Tagesspiegel - 18.08.2019

(Axel Boer) #1

BÖRSENAusblick


Trübe Stimmung


Die Angst vor der Rezession erfasst die Märkte


Hamburg/Duala/London- Piraten ha-
ben vor der Küste Kameruns ein Fracht-
schiff einer deutschen Reederei überfal-
len und mehrere Seeleute entführt. Wie
das Hamburger Unternehmen MC-Schif-
fahrt auf seiner Homepage schreibt, ka-
men die Piraten in der Nacht zum Don-
nerstag an Bord der „MarMalaita“, die in
der Millionenstadt Duala vor Anker lag.
Nach Informationen der Deutschen
Presse-Agentur sind die Crewmitglieder
möglicherweise nach Nigeria ver-
schleppt worden.
Die Piraten hättenacht der zwölfBesat-
zungsmitglieder mitgenommen. Man ko-
operiere in dem Fall mit allen relevanten
Behörden, hieß es. Drei der Entführten
sind Russen, wie das
Außenministerium
in Moskau mitteilte.
Zur Nationalität der
übrigen Crewmit-
glieder gab es keine
Informationen.
Nach Angaben
des International
Maritime Bureau
(IMB), das Krimina-
litätsfälle auf den
Weltmeeren erfasst,
gab es nur etwa eine Stunde zuvor in der
Region einen ganz ähnlichen Überfall.Da-
beienterten diePirateneinenMassengut-
frachter, stahlen Eigentum der Crew und
des Schiffseigners und nahmen neun Be-
satzungsmitglieder mit.
Normalerweise würden die Gefange-
nen von Kamerun nach Nigeria ver-
schleppt, sagte IMB-Direktor Pottengal
Mukundan am Samstag der Deutschen
Presse-Agentur in London. Dort müssten
sie ausharren, bis die Verhandlungen um
das Lösegeld beendet seien. Details zu
den aktuellen Fällen wollte er aber aus
Sicherheitsgründen nicht nennen.
Piratenüberfälle kommen sehr häufig
ander Küste Westafrikas vor. NachAnga-
bendes AuswärtigenAmts besteht vieler-
ortsin Kamerunein hohesEntführungsri-
siko.
MC-Schifffahrt wurde nach eigenen
Angaben 1986 in Hamburg gegründet.
33Mitarbeiter seienin Hamburg beschäf-
tigt, rund 400 Mann fahren demnach zur
See. dpa


Peking/Berlin- Müllberge sucht man
vergeblich in Peking. Bisher wurde viel
Müllder22-Millionen-Einwohner-Metro-
pole auf Deponiestandorte gekippt und
vergraben, etwa 40 Prozent verschwin-
den so. Im Jahr verursachen die Pekinger
knapp zehn Millionen Tonnen Hausmüll



  • und der verschmutzt Luft und Wasser.
    Erst 2035 wird ein Deponieverbot einge-
    führt,doch neueMaßnahmen derEntsor-
    gung werden jetzt ausprobiert. Durch die
    schnellwachsendeund kräftigkonsumie-
    rende Mittelschicht, zu der inzwischen
    rund 400 Millionen Bürger gehören,
    wächst die Menge an Abfall dramatisch
    an. Vor fünf Jahren, aktuellere Zahlen lie-
    gen nicht vor, produzierten die Einwoh-
    ner in den Großstädten Peking und
    Schanghai pro Kopf etwa 480 Kilogramm
    Müll/Jahr. Die Deutschen kamen damals
    auf 520 Kilogramm.
    Mülltrennung war bisher ein Fremd-
    wort in China. Obwohl Mülleimer für


drei bisvierSammelkategorienin den Hö-
fen der Wohnsiedlungen stehen, küm-
merte sich niemand darum. Auch bei der
Abholung durch kleine Müllfahrzeuge
werden von den offiziellen Entsorgungs-
unternehmen alle Müllsorten unter-
schiedslos aufgeladen. In Peking und den
anderen Metropolen finden sich überall
kleineSammelstellenderoffiziellen Müll-
entsorgung.Und inderen Schatten findet
eine erste Sortierung nach Wertstoffen
durch private Müllverwerter statt. Was
noch zuGeld gemacht werden kann, wird
dem offiziellen System entzogen und in
Wiederverwertungskanäle gelenkt.
Daneben gibt es ein komplett privat or-
ganisiertes System der Wertstoffverwer-
tung, oft in Form eines alten Lasters, an
demman dietagsüber gesammeltenWert-
stoffe gegen Geld abgeben kann und der
jeden Abend voll beladen zu den Recyc-
lingbetrieben fährt. Große Säcke für Do-
sen, Plastikflaschen, Elektroschrott und
vor allem Papier liegen dort aus. Das
Image dieser „Müllprofis“ ähnelt dem
der Flaschensammler in Deutschland. Es
sind Leute, die im Müll wühlen, um sich
noch ein paar Yuan zum Lebensunterhalt
dazu zu verdienen. Umgerechnet knapp
50 Cent gibt es für einen kniehohen Berg
Altpapier. Im Morgengrauen sieht man
dort vor allem alte Menschen, die ihre
Rente aufbessern oder Straßenkehrer,
die sich zu ihrem Verdienst noch etwas
hinzuverdienen,und dietäglich angesam-
melten Flaschen hier vorbeibringen.
Über 100 offizielle Sammelstellen gibt
es in den Bezirken der Stadt, deren Auf-
gabe es ist, den Müll sortieren. Bisher
schaffen sie das nur bei 30 Prozent des
Hausmülls. Das Ziel der Pekinger Kom-
mission für Stadtplanung ist es, bis Ende

nächsten Jahres 90 Prozent des Mülls
trennen zu können.
Leuchtende Farben in Rot, Blau, Grün
und Grau – so stehen die neuen Tonnen
jetzt in vielen Hinterhöfen Pekings. Vor
gut drei Monaten ging es los. Die neuen
Tonnen bringen nicht nur Farbe in den
Alltag der Pekinger, sondern auch einen
Hauch von Revolution mit sich. Fortan
sollen die Haushalte in den Millionen-
städten Chinas ihren Müll trennen. Und
zwar nach den Kategorien: Papier, Glas,
Plastik-Verpackungen, Restmüll. Aber
auch toxischer Abfall wie Medikamente
oder Farben und Leuchtstoffröhren sol-
len ab sofort separat entsorgt werden. In
Schanghai wurde zum 1. Juli die Müllsor-
tierung zur Pflicht. In der südchinesi-
schen Stadt Shenzhen in der Nähe von
Hongkong gilt bereits seit zwei Jahren
eine Strafe, wenn der Müll nicht sauber
getrennt wird.

Staats- und Parteichef Xi Jinping ließ
seine „Instruktionen zur Mülltrennung“
in den Staatsnachrichten kürzlich auf
Seite Eins und zu den Hauptsendezeiten
den Bürgern nahe bringen. Sein Aufruf
zeigt, wiehoch das Thema jetzt auch poli-
tisch angesiedelt ist. So sieht er, neben
den positiven Auswirkungen auf die Um-
welt und die Wirtschaft, Recycling von
Müll auch als Zeichen des „Zivilisations-
grades einer Gesellschaft“.
Schon im Sommer 2016 setzte Xi auf
dem G20-Gipfel in der ostchinesischen
Stadt Hangzhou noch mit dem damaligen
US-Präsidenten Barack Obama ein Signal
und trat dem Pariser Klimaschutzabkom-
men bei. Ebenfalls in Hangzhou forderte
erAnfang Junidieses Jahres zum Umwelt-
schutz auf. Jack Ma, Gründer der größten
Handelsplattform Alibaba, kündigte
dann an, sich mehr dem Umweltschutz
widmen zu wollen. Die Alibaba Founda-

tion hat dazu 47 Millionen Dollar in ei-
nen Umweltfonds eingezahlt. Zum Ver-
gleich: Die Leonardo DiCaprio Founda-
tion des Schauspielers hat seit 2010 Zu-
wendungen in Höhe von 80 Millionen
Dollar an Umweltprojekte vergeben.
Mit diversen Methoden übertreffen die
Chinesen alles bisher Dagewesene. In
Schanghai wurde das Sozialkreditsystem
um den Bereich „Müll“ erweitert: Seit
dem vergangenen Jahr werden in der
Stadt „intelligente Papierkörbe“ einge-
setzt, die – mit Kameras und Scannern
ausgestattet – Daten über den Müll sam-
meln. Dafür müssen sich die Anwohner
mit persönlichen Karten an diesen Gerä-
ten „einlesen“ und dann den Müll sortiert
in verschiedene Fächer werfen. Wer so
regelmäßig den Müll sortiert, verdient
sich Punkte, während diejenigen, die ein-
fach so wie bisher weitermachen, Besuch
vom Nachbarschaftskomitee bekommen

und auch schon mal gerügt werden. Dies
reichte derStadtverwaltungnicht aus, so-
dass eine Informationsplattform gestar-
tet wurde, die den kompletten Prozess
der Abfallentsorgung nachvollzieht. Da-
für wurden an den Müllwagen und den
Sammelstellen Kameras installiert, die
tausende Bilder vom Müll machen. Bei
der Auswertung der Bilder kommt dann
Künstliche Intelligenz zum Einsatz, um
zum Beispiel falsch eingeworfenen Abfall
zu identifizieren. Es kann damit auch ge-
nau nachverfolgt werden, an welchem
Ort welcher Müllwagen wie viel Abfall
gesammelt hat.
Die Berliner Müllentsorgungsfirma
Alba ist seit Jahren in China aktiv. Alba
betreibtin der Provinz Guandong eine Fa-
brikzurHausmüllverwertung.Inder Pro-
vinz Sichuan kooperiert Alba mit Part-
nern, um einen Hightech-Recyclingpark
in der Größe von 445 Fußballfeldern auf-
zubauen. Firmenchef Axel Schweitzer
lebt seit vielen Jahren in Hongkong und
Berlin. „Deutschland hat in China einen
sehr guten Ruf bei Mülltrennung und Re-
cycling und wird in den Medien oft als
Beispiel genannt“, sagt Schweitzer dem
Tagesspiegel. „Deshalb helfen wir gern,
die deutschen Erfahrungen und unsere
Recyclingtechniken an die Anforderun-
gen chinesischer Städte anzupassen.“
Seit April 2018 haben 46 chinesische
Delegationen mit über 500 Teilnehmern
Alba für Besichtigungen und Workshops
besucht, darunter ein Parteisekretär, sie-
ben Landesminister und 36 Bürgermeis-
ter, die unter anderem auch eine Haus-
müll-Aufbereitungsanlage in Reinicken-
dorf besichtigten, die Alba dort zusam-
men mit der BSR betreibt. Umgerechnet
2,7 Milliarden Euro investiert China al-
leinin diesemJahrin Mülltrennungsmaß-
nahmen. Bis Ende nächstes Jahr sollen 46
Städte an ein Netzwerk für Recycling an-
geschlossen werden. Mit zehn der 46
Städte ist Alba in Kontakt und hat seine
Konzepte vorgestellt.
Im Bestreben, China sauber zu ma-
chen, wurde in Peking eine weitere Kon-
sequenz gezogen: Seit dem vergangenen
Jahr hatChina auf 24 Abfallsorten ein Im-
portverbot verhängt. Die Einfuhr von
Plastikmüll fiel daraufhin um mehr als
die Hälfte. Deutschland und andere Län-
der müssen ihre Kunststoffe nun selbst
verwerten.

Auchwenn dieBörseam FreitagEntspan-
nungssignale sendete und der Deutsche
Aktienindex Dax nach tagelanger deutli-
cher Talfahrt um mehr als ein Prozent zu-
legte: Die Stimmung auf dem Börsenpar-
kett ist und bleibt schlecht. Mittlerweile
ziehen auch bislang standhafte Optimis-
ten den Kopf ein. Mar-
kusReinwand,erfahre-
ner Aktienstratege der
Landesbank Hes-
sen-Thüringen, korri-
giert seine Prognosen.
Deutlich. Bislang
hatte er für Ende Sep-
tember auf 12700
Dax-Punkte getippt,
jetzt reduziert er auf
nur noch 11000. Am Jahresende werden
es, so Reinwand, statt 13000 nur noch
12000 Punkte sein.
Die Revision scheint überfällig. In der
abgelaufenen Woche ist der Dax zeit-
weise auf 11260 Punkte abgerutscht.
Seit Anfang August hat er rund 6,5 Pro-
zent verloren. Wenig spricht dafür, dass
sich die Tendenz in nächster Zeit ändert.
DieAnzahlder Belastungsfaktoren hatso-
gar zugenommen: Zum US-chinesischen
Handelskonflikt, zu Brexit, Italien, Iran,
Nordkorea, gedämpften Konjunkturaus-
sichten in Deutschland gesellen sich die
Probleme in Argentinien, die Lage in
Hongkong und die Bestätigung, dass die
Deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal
geschrumpft ist.
Bleiben als Stütze der Aktienkurse nur
die weiter großzügigen Notenbanken
unddie Null- und Negativzinsen beiSpar-
anlagen und Anleihen. Hierzulande ist
die Rendite der zehnjährigen Bundesan-
leihe am Freitag auf ein neues Rekordtief
von minus 0,7 Prozent abgerutscht.
Das schlechte Umfeld trifft die Unter-
nehmen empfindlich. Gewinnprognosen
würden reihenweise revidiert, sagt Mi-
chael Bissinger von der DZ Bank. „Das
dritte Quartal dürfte kaum Besserung
bringen“. Im zweiten Quartal waren die
Gewinne der 30 Dax-Firmen um fast ein
Drittel eingebrochen. „Die Aktienmärkte
hängen derzeit am Tropf der Notenban-
ken und der Geopolitik“, sagt Daniel
Schär von der Weberbank. Man agiere
bei Aktien schon länger defensiver und
engagiere sich auch in Gold, „um im Falle
einerweiteren Verschlechterung deswirt-
schaftlichen Umfeldes die Portfolios zu

stabilisieren“. Gold gehört zu den siche-
ren Häfen. Der Preis für die Feinunze ist
zuletzt auf mehr 1500 Dollar gestiegen.
Zwar wirft das Edelmetall keine Zinsen
ab, aber es beschert Anlegern dafür keine
negative Rendite wie derzeit Sparanlagen
und Bundesanleihen.
„Der Ausverkauf kann noch in die Ver-
längerung gehen“, warnt Robert Halver
von der Baader Bank. Zumal auch in den
USA die Sorgen größer werden. Erstmals
seit 2007 gibtesdort eineinverse, unnor-
maleZinskurve: Die kurzfristigen Kapital-
marktzinsen liegendort über denlangfris-
tigen Sätzen. Das gilt als Warnsignal für
die Konjunktur und damit auch für den
Aktienmarkt. Dabei sei die Bewertung
der US-Börse ohnehin hoch, umschreibt
DZ Banker das grundsätzliche Risiko jen-
seits des Atlantiks. Wenn es dort bergab
geht,wird dasauch denDax treffen. Mög-
licherweise empfindlich.
Und die Zeichen stehen auch auf der
anderen Seite des Atlantik auf Ab-
schwung. Verständlich,dass der amerika-
nische Präsident versucht, den Zollstreit
mit China nicht eskalieren zu lassen. Der
werde nicht von allzu langer Dauer sein,
sagte Donald Trump am Ende der Wo-
che, er habe „das Gefühl, dass das ziem-
lich kurz laufen wird“. Er rechne auch
nicht damit, dass Peking Vergeltung für
die zuletzt von den USA angekündigten
Zölle üben werde. Es
liefen Gespräche zwi-
schen beiden Seiten,
und China biete hier
gute Dinge an.
Die USA und China
liefern sich seit Mona-
ten eine erbitterte
Handelsauseinander-
setzung. Anfang Au-
gust hatte die US-Re-
gierung neuen Strafzölle von 10 Prozent
auf chinesische Importe im Wert von
rund 300 Milliarden US-Dollar angekün-
digt. Diese sollten ursprünglich von Sep-
tember an in Kraft treten. Die US-Regie-
rungverschob neue Strafzölle aufzahlrei-
che Konsumgüter - darunter etwa
Smartphones, Laptopsund Spielzeug- zu-
letzt allerdings bis zum 15. Dezember.
Die chinesische Regierung drohte am
Donnerstag erneut mit Vergeltung, soll-
ten die USA weiter Strafzölle verhängen,
denn das verletze die Absprachen beider
Regierungschefs. mit dpa

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Dax

12.08.19 16.08.19
Quelle: Tsp Tsp/Pieper-Meyer

11 400

11 500

11 600

11 700

11 800

11 300

Tipps und Trends: Am Dienstag beginnt die Gamescom – Seite 22


WIRTSCHAFT


Private Müllsammlerwaren bisher die Stützen der Kreislaufwirtschaft in den Millionenstädten. Sie sortieren die Wertstoffe und verkaufen
sie weiter. Die verordnete Recyclingpolitik Pekings bedroht nun ihr Geschäft. Foto: Thomas Peter/Reuters

Modernste Anlagenstatt Müllrischkas prä-
gen zunehmend die Stadtbilder. Foto: Imago


China entdeckt


den Wert des Mülls


In Peking soll Ende 2020 mindestens 90 Prozent


des Abfalls sortiert werden. Künstliche Intelligenz


hilft beim Aufbau der Recyclingwirtschaft


Dow Jones

Quelle: Tsp Tsp/PM

25 600

25 800

26 000

26 200

26 400

25 400
12.08.19 16.08.19

SONNTAG, 18. AUGUST 2019 / NR. 23 918 WWW.TAGESSPIEGEL.DE/WIRTSCHAFT SEITE 24


Piratenüberfall


auf deutsches


Schiff


Acht Crewmitglieder


vor Kamerun verschleppt


Eine Stunde


vorher gab es


in der Region


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