Die Welt Kompakt - 19.08.2019

(Steven Felgate) #1

Wirtschaft nicht aus dem Blick
verlieren.


Die Bundesregierung setzt auf
den Wald als Verbündeten im
Kampf gegen den Klimawandel.
Welches Potenzial sehen Sie?
Der heimische Wald leidet dra-
matisch unter den Folgen des
Klimawandels. Dürre macht den
Bäumen zu schaffen, mehr als
100.000 Hektar sind bereits ver-
loren. Um unsere Wälder als
CO 2 -Speicher für den Klima-
schutz zu erhalten, müssen die
Waldbesitzer jetzt bei den not-
wendigen Aufforstungen finan-
ziell unterstützt werden. Ein
paar Euro pro Hektar genügen da
nicht.


Die zuständige Bundesministe-
rin Julia Klöckner fordert 500
Millionen Euro aus dem Ener-
gie- und Klimafonds der Bun-
desregierung. Genügt das
nicht?
Das ist nicht mehr als Symbolpo-
litik. Mit 500 Millionen Euro ist
der deutsche Wald nicht zu ret-
ten. Wir brauchen ein Gesamt-
konzept: Mehr Forschung für kli-
maangepasste Baumarten. Mehr
Forschung, wie der Borkenkäfer,
der sich gerade explosionsartig
vermehrt, wirksam bekämpft
werden kann. Das muss jetzt
schnell gehen, und zwar mit Blick
auf die Sache, nicht immer nur
auf die eigene Darstellung.


Waldbesitzer verdienen ihr
Geld mit dem Anbau von Na-
delhölzern, Laubbäume gelten
aber als klimabeständiger. Se-
hen Sie einen Ausweg aus die-
sem Dilemma?
Das bisherige Geschäftsmodell
basiert in der Tat auf der Ver-
marktung von Nadelhölzern.
Und das lässt sich nicht mal eben
auf Laubbäume umstellen. Säge-
werke müssen umgerüstet wer-
den. Die gesamte Baukultur muss
sich ändern und Holz als Bau-
stoff gefördert werden. Das ver-
ursacht Kosten, die von der Ge-
sellschaft getragen werden müs-
sen.


Gerade hat der Weltklimarat
angemahnt, dass auch die
Landwirtschaft mehr für den
Klimaschutz tun muss. Welche
Möglichkeiten sehen Sie?
Die Landwirtschaft ist ja vor al-
lem auch Leidtragender des Kli-
mawandels. Und trotzdem wird
von den Bauern immer mehr ver-
langt. Sie sollen auf Pflanzen-
schutzmittel wie Glyphosat ver-
zichten. Das hat zur Folge, dass
die Böden stärker mechanisch
bearbeitet werden müssen – die
Bauern also mehr mit dem Trak-
tor unterwegs sind und entspre-
chend mehr Diesel verbrauchen.
Durch den Verzicht auf Glypho-
sat steigen die CO 2 -Emissionen.
Wer von den Bauern die Quadra-
tur der Kreises erwartet, überfor-
dert sie. Hier muss dringend
mehr Ehrlichkeit in die Debatte.


Und wo sind die Einsparpoten-
ziale?
Ich sehe den Mehrbedarf an Die-
sel durch mehr mechanische Bo-


denbearbeitung und die daraus
folgende Notwendigkeit, auch
hier synthetische Kraftstoffe zu
nutzen. Und ich sehe die Mög-
lichkeit, elektrische Antriebe für
Landmaschinen fördern. Aber
auch hier gilt: was die Gesell-
schaft bestellt, muss sie bezahlen.

Was halten Sie von der Erhö-
hung der Mehrwertsteuer auf
Fleisch, um den Fleischkonsum
und die mit der Fleischproduk-
tion verbundenen Emissionen
zu reduzieren?
Von einer höheren Mehrwert-
steuer profitiert allein der Fi-
nanzminister. Um in der Land-
wirtschaft Veränderungen anzu-
stoßen, ist es ein völlig untaugli-
ches Instrument. Und schon gar
nicht führt es zu mehr Tierwohl
in den Ställen. Der Mehrwert-
steuersatz hat keinerlei Auswir-
kungen auf die Emissionen in der
Fleischproduktion.

Würde ein staatliches Tier-
wohllabel die Situation verbes-
sern?
Wir brauchen dringend ein ver-
pflichtendes staatliches Tier-
wohllabel, das den Verbrauchern
verlässlich zeigt, unter welchen
Bedingungen ein Tier gehalten
wurde. Die Marktwirtschaft ba-
siert auf dieser Transparenz, die
mit freiwilligen Labeln nicht zu
erreichen ist. Gerade wenn im
Zuge des Mercosur-Abkommens
Rindfleisch auf den EU-Markt ge-
langt, für dessen Produktion Re-
genwälder gerodet wurden, ist ei-
ne Kennzeichnung wichtig. Die
Konsumenten sollen eine infor-
mierte Kaufentscheidung treffen
können. Transparenz darf daher
keine Frage der Beliebigkeit sein.

Ist das geplante freiwillige
Tierwohllabel der Bundesregie-
rung nutzlos?
Die Agrarministerin arbeitet an
einer freiwilligen Kennzeich-
nung, die es schon gibt. Gebracht
hat sie nichts. Was soll man von
so einer Politik erwarten? Frau
Klöckner liegt hier falsch.

Kann Deutschland das Label
auf nationaler Ebene einfüh-
ren, oder muss es europaweit
verpflichtend sein?
Wir haben einen europäischen
Binnenmarkt. Und wir haben

einheitliche ethische Vorstellun-
gen der Gesellschaft, wie die
Tierhaltung gestaltet werden
soll. Gerade in einer gesellschaft-
lich so wichtigen Frage wie der
Tierhaltung ist es nicht akzepta-
bel, dass sich die Bundesregie-
rung hinter europäischem Recht
versteckt und so tut, als könne
sie da nichts ändern. Sie hat in
anderen Feldern gezeigt, dass es
sehr wohl geht.

Zum Beispiel?
Wenn es um Grenzwerte im Ver-
kehr oder um CO 2 -Vermeidung in
Fahrzeugflotten geht, hat die
Bundesregierung es ja auch ge-
schafft, ihre Vorstellungen
durchzusetzen.

In Brüssel wird gerade verhan-
delt, wie die Agrarmilliarden
künftig an die Bauern verteilt
werden. Sollten höhere Stan-
dards für Umwelt- und Tier-
schutz belohnt werden?
Wir können von den Bauern
nicht erwarten, dass sie zusätzli-
che Leistungen für die Gesell-
schaft erbringen, ohne dafür be-
zahlt zu werden. Die grünen Be-
rufe sind ehrenhaft, aber keine
Ehrenämter. Für zusätzliche
Leistungen muss auf europäische
Ebene mehr Geld bereitgestellt
und der Agraranteil am EU-
Haushalt entsprechend erhöht
werden.

Die EU-Kommission möchte
die Gelder doch eher kürzen.
Mittelfristig muss es das Ziel
sein, die Landwirtschaft von den
Zahlungen aus Brüssel unabhän-
giger zu machen. Das geht aber
nicht von heute auf morgen. Wir
müssen Wege finden, um ange-
messene Erzeugerpreise zu er-
zielen.

Sie sind Deutschlands einziger
Weinbauminister. Was macht
der Klimawandel mit dem
Wein?
Der Klimawandel führt dazu,
dass wir in Deutschland Rotwei-
ne produzieren, die bislang nur
in südlicheren Regionen vorka-
men. Bei uns gedeihen inzwi-
schen Rebsorten wie Syrah oder
Merlot perfekt, mit denen man
sich heute in südlicheren Regio-
nen schwerer tut. Wenn es zu
heiß ist, verlieren Rotweine an
Komplexität und Frische. Unsere
wichtigste Rebe in Deutschland,
der Riesling, hat zum Glück eine
breite Klimatoleranz und gedeiht
bei uns immer noch weltweit am
besten. Es gibt aber auch eine
Kehrseite: Wetterextreme wie
Hagel, Dürre und Starkregen set-
zen dem Weinbau auch zu. Un-
term Strich überwiegt für die
Winzer das Positive.

Wie wird der Jahrgang 2019?
Durch die Hitze gab es bei den
Reben einige Probleme mit Son-
nenbrand. Jetzt ist das Wetter
günstiger, und es kann ein richtig
guter Jahrgang werden. Aber das
entscheidet sich im Weinbau im-
mer erst auf den letzten Metern –
kurz vor der Lese der Trauben.
Das Interview wurde telefonisch
geführt.

DIE WELIE WELIE WELT KOMPAKTT KOMPAKT MONTAG, 19. AUGUST 2019 POLITIK 7


der Kandidatur von der Leyens ei-
ne Absprache mit den deutschen
Unionsparteien gegeben haben,
wonach diese den ungarischen
Kandidaten für einen Posten als
EU-Kommissar, Ex-Justizminister
László Trócsányi, unterstützen
sollten. Das würde bedeuten: von
der Leyen legt – trotz des Streits
um die Justizreformen zwischen
Brüssel und Budapest – kein Veto
gegen Trocsányi ein. Der Kandidat
könnte aber am Widerstand des
Parlaments bei den Anhörungen
scheitern.
AAAber auch die Ungarn, die sichber auch die Ungarn, die sich
wie Polen eine Normalisierung der
Beziehungen zu Brüssel und da-
durch mehr direkten Einfluss er-
hoffen, haben dem Vernehmen
nach Zugeständnisse angeboten.
So sollte der Kurs bei der umstrit-
tenen Justizreform korrigiert wer-
den. So hofft man zumindest in
Budapest, das Artikel-7-Verfahren
wegen mutmaßlicher Verstöße ge-
gen das EU-Rechtsstaatsprinzip
könnte entschärft werden. Außer-
dem will man, dass die Suspendie-
rung der EVP-Mitgliedschaft der
Regierungspartei Fidesz aufgeho-
ben werde. Ungarische Signale gab
es jüngst: Die Regierung nahm ei-
ne geplante Einführung neuer Ver-
waltungsgerichte zurück, und
strich zudem die umstrittene „Re-
klamesteuer“, die in Ungarn bis-
lang vor allem den TV-Sender RTL
traf. Von der Leyen hatte aller-
dings nicht erkennen lassen, dass
sie in der Rechtsstaats-Frage zu
Kompromissen bereit ist. Sie hatte
vielmehr sehr klare und scharfe
WWWorte an dieser Stelle gewählt. orte an dieser Stelle gewählt.
Die Visegrád-Staaten wollen
laut den Budapester Regierungs-
kreisen zudem einen neuen Modus
bei den Zahlungen an die EU. Die
Idee ist es, mehr Geld einzuzah-
len, wenn alle anderen das auch
tun, 1,3 Prozent des Bruttoinlands-
produkts. Die scheidende EU-
Kommission hatte 1,1 Prozent vor-
geschlagen. Mit der deutschen Sei-
te dürfte das nicht zu machen sein.
„Utopisch“, hieß es am Rande des
Soproner Treffens aus der deut-
schen Delegation. Die Bundesre-
publik will bei dem für die Nach-
Brexit-Zeit angebotenen ein Pro-
zent bleiben. Mehr Geld sei innen-
politisch schlicht nicht durchzu-
setzen. Das weiß Ungarn natür-
lich, für Budapest ist es eine tak-
tisch komfortable Position: Das als
EU-feindlich verschriene Land
will mehr einzahlen, die als euro-
pafreundlich geltenden Deutschen
wollen aber nicht mehr leisten. Es
gibt, das wird klar, viele Vorstel-
lungen, wie die Unterstützung von
der Leyens in politisches Kapital
umgemünzt werden soll. Nach au-
ßen wird davon sehr wahrschein-
lich beim Treffen zwischen Orbán
und Merkel nichts dringen. Offi-
ziell geht es neben dem Grenzöff-
nungsgedenken um Wirtschafts-
beziehungen.

E


ine hübsche Alliteration hat
man gewählt als Name für
das Gedenken. Zum „Pan-
europa-Picknick“ reist Angela Mer-
kel am Montag ins westungarische
Sopron. Dort wird sie zusammen
mit ihrem ungarischen Kollegen
Viktor Orbán an die Grenzöffnung
vor 30 Jahren erinnern. Die beiden
Regierungschefs werden an einem
Gedenkgottesdienst teilnehmen
und je eine kurze Rede halten.

VON BORIS KALNOKY
AUS SOPRON

Danach ziehen sie sich zu bilate-
ralen Gesprächen zurück. Jeweils
sechs hochrangige Mitarbeiter
sind dabei. Es seien keine Ent-
scheidungen oder Neuigkeiten zu
erwarten, hieß es im Vorfeld.
Trotzdem blickt man in Berlin und
Budapest mit größtem Interesse
aaauf das Treffen. Der Grund ist dieuf das Treffen. Der Grund ist die
WWWahl der CDU-Politikerin Ursulaahl der CDU-Politikerin Ursula
von der Leyen zur EU-Kommissi-
onspräsidentin. Nur mit Hilfe der
vier osteuropäischen Visegrád-
Länder – neben Ungarn sind das
Polen, Tschechien und die Slowa-
kei – konnte die konservative EVP-
Fraktion im Europaparlament die
nötige Mehrheit für die deutsche
Kandidatin erhalten. Die beiden
starken Männer des Viererblocks –
in Polen Jaroslaw Kaczynski und
in Ungarn Viktor Orbán – waren
das Zünglein an der Waage. Ausge-
rechnet die beiden Politiker, die im
Clinch mit der EU liegen. Ausge-
rechnet Orbán, der mit seiner Fi-
desz-Partei vor der Europawahl
fffast aus der EVP-Fraktion gewor-ast aus der EVP-Fraktion gewor-
fffen worden war. en worden war.
Seit der Wahl der bisherigen
deutschen Verteidigungsministe-
rin in das mächtigste Amt der EU
steht deshalb eine Frage im Raum:
Hat die CDU den osteuropäischen
Ländern etwas angeboten, um die
Stimmen zu bekommen? Gab es
einen Deal? Noch zwei Tage vor
der Wahl war CDU-Generalsekre-
tär Paul Ziemiak in diskreter Mis-
sion nach Warschau gereist. Auch
mit den Ungarn, die im Gegensatz
zur polnischen Regierungspartei
zur selben europäischen Parteien-
fffamilie gehören wie die CDU,amilie gehören wie die CDU,
dürfte es Gespräche gegeben ha-
ben. Von einem Deal will man in
ungarischen Regierungskreisen
nicht sprechen. Man habe vor der
WWWahl von der Leyens „klare Bit-ahl von der Leyens „klare Bit-
ten“ formuliert, heißt es. Dazu ge-
höre eine „Visegrad-Quote“ bei
der Besetzung von Posten in der
EU – also eine Berücksichtigung
der vier osteuropäischen Staaten
bei der Vergabe wichtiger Ämter.
Zudem soll der bisherige EU-
Kommissar für Rechtsstaatlich-
keit Frans Timmermans nicht
mehr für dieses Thema zuständig
sein. Er hatte die Regierung Orbán
mit häufig scharf kritisiert.
Laut regierungsnahen ungari-
schen Quellen soll es schon vor

Das neue Selbstbewusstsein


des Viktor Orbán


Bundeskanzlerin Angela Merkel besucht
heute den ungarischen Regierungschef

Volker Wissing,49, ist pro-
movierter Jurist. 1998 trat
er in die FDP ein und ist seit
2 011 Landesvorsitzender in
Rheinland-Pfalz. Von 2004
bis 2013 war er Bundes-
tagsabgeordneter. Seit Mai
2 016 ist er Minister im Ka-
binett von Malu Dreyer
(SPD) und stellvertretender
Ministerpräsident.

Zur
PA/ SOEREN STACHEPerson
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