Geo Epoche - 08.2019

(lu) #1

Ve rtikale -in die tiefsten Urgründe der
Musik.
Dort ist er zu Hause. Bei seinen
Eltern in Eisenach, im reformatorischen
Schatten von Luthers Wa rtburg, atmete
er vom ersten Tag an Töne.
Hier kulminierten fü nf Generati­
onen Musikgeschichte: vom Ururgroß­
vater Ve it, We ißbäcker und Dilettanr auf
dem kleinen Zupfinstrument Cythrin­
gen, über den UrgroßvaterJohann, Mül­
ler und nebenberuflicher Spielmann,
über den Großvater Christoph, Organist
in Arnstadt, bis zum Vater Ambrosius,
erst Ratsmusiker in Erfurt, dann Hof-


AN DER LEIPZIGER Themaskirche
arbeitet Bach 27 Jahre lang als Kirchen­
musiker. Hier erklingt 1727 erstmals
die >>Matthäuspassion<<, sein Monumen­
talwerk über die Leiden Christi


tromperer und Leiter des Eisenacher
Stadtpfeifer-Kollegiums. Ein üppiger
musikalischer Stammbaum, Äste und
Nebenäste schwer beladen mir Kompo­
nisten, Kapellmeistern und Virtuosen.
Doch es war auch eine Welt der
Abschiede. Schon mir zehn Jahren harre
Johann Sebastian seine Eltern, vier Ge­
schwister und einen Onkel verloren.
Sein Weg nach oben blieb davon
unbeirrt. Zäh arbeitete er sich in die
Höhe, Schritt für Schritt, Stufe um Stufe
wie auf einer To nleiter- begleitet vom
zutiefst bürgerlichen Stolz des Selfma­
deman: Nie sei er einem Meister gefolgt,
sondern durch "bloß eigenes Nachsin­
nen" zur musikalischen Reife gelangt, so
sein Sohn Carl Philipp Emanuel.
Auch sein Know-how in der Korn­
positionstechnik hat er sich auf eigene
Faust in der Freizeit erworben. Und sei-

nen Erfolg schreibt er nicht höherer
Eingebung zu, sondern der nüchternen
Beharrlichkeit des Laboranten: "Ich
habe fleißig sein müssen", sagt er, "wer
ebenso fleißig ist, der wird es ebenso weit
bringen können:'

Schon mit elf Jahren, als Schüler am
"Lyceum" zu Ohrdruf, knapp 50 Kilo­
meter von Eisenach entfernt, hat er ar­
beiten müssen für diesen Aufstieg. Im
"Kurrendechor" musste er auf Festen
und auf der Straße mit Gesang Spenden
eintreiben, um die Ausbildung abzugel­
ten. Und nur weil er mit 15 Jahren noch
seine Kinderstimme hatte, konnte er die
Lateinschule des Michaelisklosters in
Lüneburg besuchen und sich zur Gegen­
leistung als "Merrensänger" verdingen.
1703, mit 18 Jahren, tritt er seine
erste Stelle an: Wo hl als Geiger arbeitet
er sieben Monate lang am herzöglichen
Hof von Sachsen-Weimar. Noch im glei­
chen Jahr soll er für die Neue Kirche in
Arnstadt eine Orgel begutachten - und
bleibt gleich dort, als neuer Organist.
1707 wechselt er an die Kirche Divi
Blasii in Thüringens zweitgrößter Stadt
Mühlhausen: Dort komponiert er die
Kantate "Gott ist mein König", die ihn
erstmals überregional bekannt macht -
ein Meilenstein in diesem noch jungen
Genre, das Chorsätze abwechselnd mit
Rezitativen und Arien kombiniert.
1708 engagieren ihn die Herzöge
Wilhelm Ernst und Ernst August von
Sachsen-We imar als Hoforganisten und
Kammermusiker. Er bekommt 75 Pro­
zent Gehaltsaufschlag- plus Naturalien:
18 Scheffel We izen, zwölf Scheffel Gers-
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