Geo Epoche - 08.2019

(lu) #1

WOHLHABENDE BÜRGER
Leipzigs flanieren über
eine Promenade. Viele von
ihnen favorisieren bald
eine andere, gefälligere Art
der Musik. Bachs Ton­
architekturen passen nicht
mehr zum Zeitgeschmack.
Nach seinem Tod geraten sie
zunächst weitgehend in
Vergessenheit


Rivalen in Dresden die Musiker "von
Königlicher Majestät bezahlt werden"?
Dort, in der Hauptstadt Sachsens,
unter der großspurigen Ägide des Kur­
fürsten Friedrich August I., zugleich
König von Polen, gibt es ihn ja, den
Glanz, den Bach im bürgerlichen Leipzig
vermisst (siehe Seite 22). Bereits als
Prinz hat der Monarch sich von einer
Reise nach Ve nedig eine komplette
Operntruppe plus Hofkapellmeister
mitgebracht.
Und noch immer gibt der Dresde­
ner Hof enorme Summen für das Schö­
ne aus: Die Opernsänger, das Orchester
und das französische Ballett etwa strei­
chen Honorare ein, von denen Künstler
andernorts nur träumen können.
Allein der Hofkapellmeister Anto­
nio Lotti und seine Frau, die Sängerin
Santa Stella, haben in ihrer Dresdener
Zeit zusammen 10 500 Taler im Jahr
verdient- mehr als das Hundertfache
von Bachs Grundgehalt.
Immer wieder reist der Thomas­
kantor zu Konzerten und Opernauffüh­
rungen nach Dresden an die Eibe, um
etwas von dieser Pracht zu erhaschen.
Eifrig hofiert er die königliche Familie,
komponiert beflissen Huldigungen für
deren Geburts-, Namens-, Krönungs­
und Hochzeitstage.
Er schreibt 1727 eine Tr auermusik
zum To d von Friedrich Augusts Ehefrau
Christiane Eberhardine ("Lass, Fürstin,
lass noch einen Strahl") und widmet
dessen Sohn Friedrich August II. zum
Regierungsantritt auch die ersten fe rti­
gen Sätze der majestätischen "h-Moll­
Messe", die er 1749 vollenden wird.
Dabei hat er wohl gar nicht die Ab­
sicht, die Messe in einem Gottesdienst
aufzuführen. Selbstherrlich entzieht er
sie dem Dienstgebrauch, erhebt sie zu
einem Stück autonomer Kunst, einem
Meilenstein seiner Ve rmessungsarbeit


  • einem Resultat "derjenigen Wissen­
    schaft", wie er in seinem Begleitschrei­
    ben an Friedrich August II. fo rmuliert,
    "welche ich in der Musik erlangte".


Bei einem Besuch des Monarchen
in Leipzig führt Bach ein Studenten­
orchester vor die königliche Unterkunft,
um, wie die Presse notiert, "allerunter­
tänigste Abendmusik mit Trompeten
und Pauken" für den Herrscher vorzutra­
gen- eine Kantate mit dem Titel"Prei­
se dein Glücke, gesegnetes Sachsen".
König und Königin, heißt es, "ha­
ben solche gnädigst angehöret und Ihro
Majestät herzlich wohlgefallen".
Beklagenswert nur, dass Bachs ers­
ter Tr ompeter nach dem strapaziösen
Auftritt einem Schlaganfall erliegt.
Zugleich versucht Bach, sich mit
weltlicher Musik sein Kantoren-Joch
zu erleichtern. Er liefert Geselliges für
Geselligkeiten- eine "Bauern-Kantate"
für eine Feier auf dem Rittergut eines
Kreishauptmanns etwa, mit Zitaten aus
Gassenhauern wie "Mit mir und dir ins
Federbett" oder "Wa s helfen uns tausend
Dukaten".
Er komponiert dialogische drammi
per musica, "Dramen für Musik" über
mythologische Themen, denen nur noch
die szenische Umsetzung zur Oper fehlt.
Und mit einem professionellen
"Collegium musicum" unterhält er die
rauchenden und trinkenden Gäste im
Zimmermannsehen Kaffeehaus an der
Katharinenstraße- jeden Freitagabend
von acht bis zehn, bei gutem Wetter
auch mittwochnachmittags im Garten.

Endlich, im Jahr 1736, hat sein We rben
um den Dresdener Hof Erfolg: Auf
Bachs "untertänigste Bitte" ernennt der
sächsische Kurfürst ihn zum "Königlich­
Polnischen und Kurfürsdich-Sächsi-
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