Geo Epoche - 08.2019

(lu) #1
jeden Dienstag, Freitag und Samstag Karren über die
Pflastersteine und bringen Kohl, Kohlrabi, rote Rüben,
Sellerie, Rettich herbei.
Jetzt, im Winter, sind an frischem Grün allerdings
allein Brunnenkresse und Winterrapunzel zu haben. Be­
sonders vielfältig ist die Auswahl an Fisch, denn Seekar­
pfen und Stör, Saibling, Steinbeißer, Lachsforellen und
Hering dürfen die katholischen Wiener auch an den
zahlreichen Fastentagen im Jahr verspeisen.

E


ine Fahne über dem Platz zeigt den Ve r­
kaufsbeginn an; anschließend laufen die
Kunden, streng nach Stand und Rang
geordnet, durch die endlosen Reihen der
Ve rkaufsstände. Das Erstkaufsrecht haben
traditionell die Bürgerinnen, erkennbar an ihrer fe ineren
Kleidung, nach ihnen sind die Geistlichen an der Reihe,
dann das Hofgesinde - anders als die Bürgerfrauen tragen
die Dienerinnen kürzere Röcke aus derben Stoffen.
Kommt es zum Streit, weil sich einer vordrängelt
oder Händler und Interessent sich nicht einig werden über
den Preis, sind derbe Flüche im Wiener Dialekt zu hören


  • der Sprache der einfachen Leute. Bei Hofe parliert man
    meistens aufFranzösisch, Italienisch, Latein.
    Vo m Bürgermeister beauftragte Marktrichter streifen
    durch die Straßen. Sie kontrollieren, dass niemand abseits
    der vorgegebenen Plätze Geschäfte macht, andere Beamte
    prüfen die �alität der Wa ren. Übrig gebliebenen Karp­
    fen oder Heringen haben die Händler nach Marktende
    die Schwänze abzuschlagen, damit sie die Tiere später
    nicht doch als Frischware anbieten.
    Erst wenn die Fahne wieder eingezogen ist, bedienen
    sich alle anderen Wiener an dem, was noch in den Aus­
    lagen prangt. Frauen von Handwerkern ohne Bürgerrecht
    kaufen Gemüse ein, Gastwirte lassen sich Geflügel ab­
    wiegen (70 Kilo Fleisch und Fisch nimmt ein Wiener im


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Durchschnitt pro Jahr zu sich, weitaus mehr als Bewohner
anderer Metropolen wie Berlin oder London).
Später bieten die Wirte das Gekaufte in ihren Loka­
len vor allem in den Vo rstädten in mehrgängigen Menüs
an. Vier Schüsseln, gefüllt mit Speisen wie Suppe, Gemüse
und geschmortem Fleisch, sind bereits für sechs Kreuzer
zu haben - und damit selbst für einen einfachen Gesellen,
der im Sommer auf den Wien er Baustellen rund 25 Kreu­
zer am Tag verdient, zuweilen erschwinglich.
We il die Wiener Bäcker die Metropole kaum mehr
versorgen können, dürfen seit dem 17. Jahrhundert auch
Betriebe im Umland ihre Wa ren dorthin liefern. Damals
schleusten Auswärtige zudem Semmeln und Kipfel aus
weißem Mehl, die dem Adel vorbehalten waren, heimlich
nach Wien. Die einheimischen Konkurrenten protestier­
ten - und einigten sich mit dem Stadtrat darauf, das be­
gehrte Gebäck selbst zu produzieren. So müssen sich die
Bürger nicht mehr mit dunklem Brot zufriedengeben.
Die Bäcker lassen ihre Semmeln, Hörnchen und
Brezeln außer auf den Märkten auch von mobilen Brot­
händlern vertreiben, die in vielen Gassen zu fi nden sind,
unweit von Bratlbratern und Wü rstelbuden.

JEDEM, DER IN die Stadt kommt, fällt das reiche Spei­
senangebot und die Schlemmlust der Wiener auf. Den
hohen Herrschaften missfällt sie jedoch, und daher
schickt der Hof schon im 17. Jahrhundert "Häferlgucker"
los, die Küchen und Keller niederer Schichten kontrol­
lieren und besonders delikate Speisen wie edles Konfekt
verbieten. Schließlich stellt es die gottgewollte Ordnung
auf den Kopf, wenn die Handwerker so essen wie der Adel.
Während die vornehme Gesellschaft drüben in der
Hofburg nach festem Drehbuch fe iert, geht es in den
Straßen der Vo rstädte abends oft laut und wild zu. In den
Wirtshäusern, von denen es allein in der Leopoldstadt
mehr als 40 gibt, heizt häufig der We in die Gemüter an.


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