Neue Zürcher Zeitung - 17.07.2019

(Grace) #1

Mittwoch, 17. Juli 2019 SCHWEIZ 11


SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi lehnt


den Kompromiss zur Pensionskasseentschieden ab SEITE 13


Einwilder Kandidat könnte in den Nationalratswahlen


der CVP über die Zehn-Prozent-Hürde helfen SEITE 13


Radikal sind für Klimabewegte die anderen

Im Kampf gege n den Klimawandel mischen zum Teil gewaltbereite Linksextreme mit – kaum jemand erkennt sie als Gefahr


LUCIEN SCHERRER


Fast hundert Verhaftete, zahlreiche
Solidaritätsbekundungen und ganz viel
mediale Aufmerksamkeit: Mit ihrer
Blockadeaktion gegen die Grossbanken
Credit Suisse und UBS haben Klima-
aktivisten vergangeneWoche zweifel-
los einen PR-Coup gelandet. Natürlich
nörgelten einigeJournalisten und sonst
wohlwollendePolitiker, dass diese zum
Teil nicht mehr ganz jungen «Hitzköpfe»
der jugendlichenKlimastreikbewegung
schadenkönnten, zumal die weiss ge-
wandeten, Gitarren schrammelnden
und mit Clownnasen bestückten Um-
weltschützer mutmasslich gegen meh-
rere Gesetzeverstiessen.
Allein die Staatsanwaltschaft Zürich
hat bis dato 55, die Staatsanwaltschaft
Basel immerhin19 Strafbefehle erlassen,
weil die Eingänge der CS- und UBS-
Hauptsitze aus Protest gegen klima-
schädliche Bankgeschäfte blockiert
wurden. Eine beteiligte Person sitzt
in Zürich noch immer in U-Haft, weil
sie ihreIdentität nicht preisgeben will.
Die Palette derTatvorwürfereicht von
Nötigung überLandfriedensbruch,Sach-
beschädigung und Hausfriedensbruch
bis zur Hinderung einer Amtshand-
lung.Während die Mahnungen und Kri-
tik vor allem dieAktionbetrafen,erhiel-
ten deren Initiatoren viel Unterstützung.


Mit Hammerund Sichel


«Radikal», so erklärte zum Beispiel
der grüne NationalratBalthasar Glättli,
seien eben nicht die Aktivistinnen und
Aktivisten, sondern die Banken. Im
«Tages-Anzeiger» tönte es ähnlich: Es
sei «verständlich», wenn «vor allem
junge Menschen» allmählich dieGeduld
verlören. «Sie finden:Radikal ist nicht,
sich vorBankeingänge zukett en. Radi-
kal ist, in welchemTempodie Mensch-
heit gerade ihre Lebensgrundlagenzer-
stört.» Die jugendlichenWortführer der
Klimastreikbewegung um den Jung-
sozialistenJonas Kampus solidarisierten
sich sogar explizit mit den «friedlichen»
Bankblockierern und hielten fest:«Wir
lassen uns von niemandem spalten. Die
Klimabewegung kämpft vereint gegen
die Klimakrise.»
Auch wenn man über dieVerhältnis-
mässigkeit desPolizeieinsatzes geteilter
Meinung sein kann, erstaunt es doch,
wenn nun sämtliche Beteiligte nachträg-
lic h deradikalisiert oder als fehlgeleitete
«Hitzköpfe» verharmlost werden sollen.


Denn es istkein Zufall,dass bei der Pro-
testaktion Plakate mit Hammer und Si-
chel, Parolen wie «Klimakampfist Klas-
senkampf» oder Aktivistinnen mit der
Stirnbeschriftung «ACAB» (dechif-
friert: «All Cops areBastards») zu se-
hen waren:Der Protest gegen die Gross-
banken kam nicht nur, aber auch aus
de m Dunstkreis einer antidemokrati-
schen,nicht sonderlich friedlichen links-
extremen Szene.
Hinter der Aktion steht das Collec-
tive ClimateJustice (CCJ), eine grüne
Basisbewegung, die in der Schweiz
seit einigenJahren aktiv ist und laut
MediensprecherinFrida Kohlmann auf
einen hartenKern von 30 bis 35 Akti-
visten zählen kann.Wie viele linke
Klimabewegte ist das Kollektiv der
Ansicht, dass dieRettung des Plane-
ten nur gelingt, wennder Kapitalismus
zerstört wird. Die Gruppe setzt jedoch
im Gegensatz zu anderenFeinden des
Kapitals auf «spielerischeFormen des
zivilen Ungehorsams»,wie es Kohlmann

ausdrückt, und sie lehnt Gewalt gegen
Menschen explizit ab.
Bei derWahl vonVerbündeten ist
man jedoch weniger wählerisch, sofern
sich diese bei gemeinsamenAktionenan
den Kodex der Gewaltfreiheit halten.So
durften die Klimaschützer bei ihrerBan-
kenblockade nicht nur auf die Unter-
stützung von Greenpeace oder der Be-
wegung für den Sozialismus zählen. Mit
dabei waren auch Genossen desRevo-
lutionärenAufbaus oder einer Gruppe
mit demkecken Namen «Es Zündhölzli
für Banke».

Unterstützungfür Brandstifter


Der RevolutionäreAufbau um die vor-
bestrafte und mitkeiner Faser alters-
milde Genossin Andrea Stauffacher ist
seit Jahren als international bestens ver-
netzter«Taktgeber» des gewaltbereiten
linksextremen Milieus bekannt. «Scha-
den an Leib und Leben», so ist dem
jüngsten Bericht der Schweizer Nach-

ric hte ndienste zu entnehmen,würden
dort bei Auseinandersetzungen mit
Polizisten und Exponenten von ande-
ren Blaulichtorganisationen nicht nur
in Kauf genommen, «sondern in einzel-
nen Fällen offenkundig bezweckt».
Die «Zündhölzli»-Gruppe ist bisher
weniger aufgefallen, ihre Stellungnah-
men auf linksextremenWebsites wie
«Indymedia» und «Barrikade» lassen
jedoch wenig Zweifel an ihrer demo-
kratiefeindlichen,gewaltaffinen Aus-
richtung.
Die Bundesasylzentren etwa, die
von Bundesrätin Simonetta Somma-
ruga (sp.) initiiert und imRahmen
des Asylgesetzes von zwei Dritteln der
Schweizer Stimmenden befürwortet
wurden, sind für die Gruppe ein Be-
weis für das «menschenfeindliche und
rassistische Gesicht» der «Schweizer
Regierung». Daneben gibt es zahlrei-
che Links aufTexte, in denen Brand-
anschläge und andere «Aktionen» ge-
feiert werden. Besonders auf dem Kie-

ker hat man jedoch dasBasler Ausschaf-
fun gsgefängnisBässlergut,gegen dessen
Ausbau Linksextreme seit Monaten mo-
bil machen. «Wir schätzenund begrüs-
sen denWiderstand gegen dasBäss-
lergut inWort undTat», schreibt die
Gruppe auf «Indymedia».
Was mit«Widerstand» gemeint ist,
zeigen insgesamt 70 hängigeVerfahren
bei derBasler Staatsanwaltschaft.Laut
deren SprecherPeter Gill geht es um
«Sachbeschädigungen, Brandstiftungen,
Nötigung und öffentlicheAufforderung
zu Verbrechen oder zur Gewalttätig-
keit im Zusammenhang mit demBau
des Gefängnisses».Wegen «wiederhol-
ter Aufforderung» zu öffentlicher Ge-
walt hat die Staatsanwaltschaft vergan-
genesJahr mehrere Büros inBasel und
Zürich durchsuchen lassen. ImFokus
der Aktion stand derRevolutionäre
Aufbau.
Die Frage, ob die Zusammenarbeit
mit solchen Leuten zum friedlichen
Image der Klimabewegung passt, be-
antwortet Collective-Climate-Justice-
Sprecherin Frida Kohlmann so: «Ich
kenne diese Gruppen zu wenig, um sie
einzuschätzen.» Bei «Es Zündhölzli für
Banke» wisse sie überhaupt nicht, wer
dahinterstecke. Grundsätzlich wolle
man aber eine sehr offene Gruppierung
sein, «die alle solidarischen Menschen
einschliesst».

ImKlub der Diktatorenfreunde


«Solidarisch» kann bekanntlich vieles
heissen, zumal sich auch Extremisten
als Vollstrecker internationaler Solida-
rität verstehen.Dass es im CCJ we-
nig Berührungsängste gibt, zeigt sich
gerade inBasel, wo die Gruppe ent-
standen ist.Wie derWebsite desRevo-
lu tionärenAufbaus zu entnehmen ist,
gehört das CCJ dort zum «revolutio-
nären» 1.-Mai-Bündnis – zusammen
mit demAufbau, einigen unbeirrba-
ren Verehrern des «grossenVorsitzen-
den» Mao Zedong und jungkommunis-
tischenFans südamerikanischer Links-
diktaturen.
Die Demokratie hat allerdings nicht
nur ganzlinkseinenschweren Standin
Zeiten, daangeblich möglichst schnelle
und radikale Massnahmen gefragtsind.
«Die Demokratien», so leitartikelte
kürzlich der «Tages-Anzeiger», wür-
den in Sachen Klimaproblem wie alle
anderenRegierungsformen «versagen».
So etwas haben Extremisten aller Art
schon immer gerne gehört.

Protest für verhaftete Genossen:Aktivisten setzen sichvor dem Eingang der Credit Suisse in Szene. GEORGIOS KEFALAS / KEYSTONE

Zwischen Fakt und Fake unterscheiden lernen


Jugendliche greifen stark auf fragwürdige Qu ellen zurück – die Schulen versuchen Orientierung in der Informationsflut zu bieten


JÖRGKRUMMENACHER


«Medienmündigkeit ist zur Existenz-
frage der Demokratie geworden.»Das
sagt BernhardPörksen, Professor für
Medienwissenschaft an der Universität
Tübingen. DieAussage trifft in beson-
derem Mass auf die direktdemokrati-
sche Schweiz zu,die ihrVolk vierteljähr-
lich zu Abstimmungen ruft. Der Bür-
ger sollte sich eine faktenbasierte Mei-
nung bildenkönnen, um sinnvoll an der
Demokratie teilzuhaben, populistischen
Verdre hungen zumTrotz.
Mit der Medienmündigkeit ist es
aber gar nicht so weit her,seit soziale
Netzwerke die klassischen Kanäle bei
der Informationsvermittlung überflü-
gelt haben.Das gilt für Erwachsene wie
Jugendliche. Die zentraleFrage lautet:
Wielässtsich KorrektesvonManipulier-
tem –Fakt von Fake – unterscheiden?


Die anschwellende Flut an Informatio-
nen macht dieAufgabe nicht leichter.

Digitale PlattformdesBundes


Zunehmend bemühen sich deshalb Bil-
dungsinstitute, einenkompetenten Um-
gang mit Informationen zu vermit-
teln, soweit dies denn möglich ist. Digi-
tale Kompetenz ist zu einem Schlag-
wort moderner Schulbildung geworden.
Auch der Bund, interessanterweisedas
Amt für Sozialversicherungen (BSV),
hat eine nationale Plattform eingerich-
tet, um den sicheren und verantwor-
tungsvollen Umgang von Kindern und
Jugendlichen mit digitalen Medien zu
fördern. Zum Angebot gehören auch
Broschüren, die sich an Lehrkräfte und
Schulleitungen richten undTipps zur
Vermittlung von Medienkompetenz ge-
ben. Dabei geht es um den Einsatz von

Smartphones undTablets , den Umgang
mit heiklen Inhalten, Cybermobbing
und sexuellenDarstellungen, aber auch
um das Gespür für die Bewertung aktu-
eller und politischer Informationen.
Medienwissenschafter Bernhard
Pörksen machte an einem vom BSV
veranstaltetenForum in Bern klar, dass
der kluge Umgang mit Informationen
heute zur Allgemeinbildung und damit
zwingend zum Schulstoff gehöre. Ent-
sprechend ist dasThema auch im neuen
Lehrplan 21 verankert.Wie es unterrich-
tet wird, liegt in derKompetenz der ein-
zelnen Lehrkraft.
Zwei Drittel derJugendlichen, das
zeigen Umfragen, interessieren sich für
aktuelle Ereignisse in allerWelt. Tages-
aktuelle Nachrichtenkonsumieren mehr
als die Hälfte über soziale Netzwerke
wie Instagram oderFacebook, wo sich
Falschmeldungen undVerschwörungs-

theorien ungefiltert verbreiten.Etwa
ein Viertel nutzt die traditionellen, oft
kostenpflichtigen Nachrichtenportale,
wo die Gefahr bewusster Manipulation
deutlich geringer ist.
Das ist offenbar auch denJugend-
lichen bewusst: Am vertrauenswürdigs-
ten erachten sie dasFernsehen, vor den
Tageszeitungen,während Informationen
im Internet nur von einemFünftel als
glaubwürdig eingeschätzt werden.

Übertriebenund emotional


Die James-Studie der Zürcher Hoch-
schule für AngewandteWissenschaften
hat allerdings gezeigt, dass das politische
Interesse der Jugendlichen tendenziell
sinkt:Für SchweizerPolitik interessier-
ten sich bei der Erhebung imFrühling
2018 gerade noch 20 Prozent. Gut mög-
lich, dass mit der Klimastreikbewegung

aber wieder ein positiver Trend einge-
setzt hat.
Ziel des medialen Unterrichts in der
Volksschule und den nachfolgenden
Schulen ist es, den JugendlichenKom-
petenzen beizubringen, umFake-News
möglichst zu erkennen. DieJames-Stu-
die bietet eine erste Anleitung:Wich-
tigst e Elemente sind das Überprüfen
von Quellen sowie das kritische Hin-
terfragen.Fake-News, so der Hinweis,
«zeichnen sich dadurch aus, dass sie
einen übertriebenen, emotionalisieren-
den Charakter aufweisen».
Weitergehende Hilfeleistungen bie-
tet das Institut fürWirtschaftspädago-
gik an der Hochschule St. Gallen: Es
hat einen interaktiven undkostenlosen
Online-Kurs zumAufbau von Infor-
mationskompetenz entwickelt, der sich
an Lernende nach der obligatorischen
Schulzeit und deren Lehrkräfte richtet.
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