Die Welt - 22.02.2020

(Barré) #1

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22.02.20 Samstag, 22. Februar 2020DWBE-HP


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4 POLITIK *DIE WELT SAMSTAG,22.FEBRUAR


S


eit der Nachricht, dass sein
Freund Ferhat tot ist, er-
schossen in einer Café-Bar
beim gemütlichen Abend
unter Freunden, hat Sipan
nichts gegessen, kaum etwas getrunken,
viel geweint. Das berichtet sein Vater
Hamid S., der sich sorgt um den scho-
ckierten Sohn und der zwar ebenfalls
trauert um Ferhat, den er lange kannte.
AAAber er ist eben doch auch glücklich,ber er ist eben doch auch glücklich,
dass sein Sohn an diesem Abend nicht
mit Ferhat ausgegangen war.

VON HANNELORE CROLLY

Über Jahre waren die beiden jungen
KKKurden unzertrennlich, die in Deutsch-urden unzertrennlich, die in Deutsch-
land geborenen Jungs kannten sich aus
der Schule. Jetzt habe Ferhat Unvar ge-
rade eine Ausbildung als Anlagenmecha-
niker beendet, sagt Hamid S., und wenn
er ausgegangen sei, dann oft in die „Are-
na“-Bar im Westen Hanaus. Dort saß der
2 3-Jährige dann gern im Raucherraum
mit seinen kurdischen Freunden. Sipan
hat erfahren, dass die Gruppe später am
AAAbend noch ein bisschen was essen undbend noch ein bisschen was essen und
aaabhängen wollte. Drei kurdische Be-bhängen wollte. Drei kurdische Be-
kannte starben gemeinsam mit Ferhat.
WWWeitere Worte für das Geschehen zu fin-eitere Worte für das Geschehen zu fin-
den fällt Hamid S. nicht nur schwer, es
ist unmöglich. „Was soll ich sagen?“
Neun Menschen soll Tobias R. in Shis-
ha-Bars umgebracht haben, und offen-
kundig hatte er seine Waffen gezielt auf
Personen gerichtet, die danach aussa-
hen, als hätten sie einen Migrationshin-
tergrund. Ferhat und all die anderen sind
damit zwar Zufallsopfer, wurden aber
eben doch auch ganz zielsicher und ab-
sichtlich ins Visier genommen. Die Op-
fffer haben, auch wenn manche von ihnener haben, auch wenn manche von ihnen
Deutsche waren, Wurzeln in anderen
Ländern, in der Türkei, Bosnien, Polen,
RRRumänien, Bulgarien.umänien, Bulgarien.
Offiziell wird nur wenig bekannt gege-
ben über die neun Menschen. Dass sie
zzzwischen 21 und 44 Jahren alt waren undwischen 21 und 44 Jahren alt waren und
dass manche von ihnen einen deutschen
Pass besaßen, mehr wollte der General-
bundesanwalt, der die Ermittlungen
noch in der Tatnacht an sich gezogen
hatte, bisher nicht mitteilen. Doch Ange-

hörige und Freunde haben sich zu Wort
gemeldet, bei Pressekonferenzen, bei
Gesprächen mit Reportern auf der Stra-
ße und vor Fernsehkameras, und vor al-
lem auf einer Instagram-Seite. Nicht al-
lein der Täter soll im Mittelpunkt ste-
hen, so der Wunsch jener, die die Seite
eingerichtet haben, es darf nicht nur
üüüber seine Motive gesprochen und spe-ber seine Motive gesprochen und spe-
kuliert werden. Es soll auch um jene ge-
hen, deren Leben der Attentäter ausge-
löscht hat. Damit sie nicht übergangen
und vergessen werden.
Da ist etwa Gökhan Gültekin, 37 Jahre
alt, Maurer mit Nebenjob. Abends jobbte
er wie so oft auch an jenem Mittwoch-
aaabend in einem Kiosk in Hanau. Dortbend in einem Kiosk in Hanau. Dort
starb er nun an der Seite einer Kollegin.
Sein „Ein und Alles“ sei Gültekin gewe-
sen, sagte der Kioskbetreiber Christian-
Davide Rodriguez, am Morgen nach der
Tat fassungslos in eine Kamera von RTL.
Seit Jahren habe Gökhan bei ihm gear-
beitet und sei immer für ihn dagewesen.
Gökhans Vater Behcet Gültekin, schwer
krebskrank, quälte sich dann nur gut ei-
nen halben Tag nach dem Tod des Soh-
nes zu einer Pressekonferenz, um an
dessen freundliches Wesen zu erinnern.
Sein Sohn habe noch zu Hause gelebt
und ihn unterstützt, sagt Behcet, der vor
mehr als 40 Jahren aus der Türkei nach
Deutschland eingewandert ist, er sei flei-
ßig und gutmütig gewesen. Und er habe
Geld zusammensparen wollen, um sich
bald verloben und heiraten zu können.
An Gültekins Seite starb Mercedes K.,
Mutter zweier Kinder, sie wurde 35 Jahre
alt.
Ferhat, Fatih, Hamza, Mohammed,
Mercedes, Gökhan, Sedat: Viele junge
Menschen sind unter den Opfern, und
die Instagram-Seite zeigt lächelnde Sel-
fffies von ihnen, Auftritte in Festtagsklei-ies von ihnen, Auftritte in Festtagsklei-
dung, viel gute Laune. „Unsere Gedan-
ken und unsere Gebete sind bei den be-
troffenen Familien, die um ihre Toten
trauern. Möge Gott ihnen beistehen, Ge-
duld und Kraft geben. Amen“, heißt es
neben der Fotosammlung.
Ermordet wurden ein junger Bosnier,
zzzwei Männer aus Rumänien und Bulga-wei Männer aus Rumänien und Bulga-
rien sowie eine Deutsche mit polnischen
WWWurzeln, die als Kellnerin in einer derurzeln, die als Kellnerin in einer der

Bars arbeitete. Die Frau soll schwanger
gewesen sein.
In der Shisha-Bar „Midnight“ im Zen-
trum von Hanau starben zwei Men-
schen, neben dem Inhaber der 22-jährige
Hamza Kurtovic. Seine Familie soll aus
Bosnien geflohen sein, als es dort wäh-
rend des Krieges zu antimuslimischen
VVVerfolgungen kam. Die Café-Bar „La Vo-erfolgungen kam. Die Café-Bar „La Vo-
tre“ neben dem „Midnight“ war zu jener
Zeit fast leer, nur der Betreiber war da –
und wurde ebenfalls mit einem Kopf-
schuss ermordet. Laut dem Bayerischen
RRRundfunk war unter den Opfern zudemundfunk war unter den Opfern zudem
ein 34-jähriger Mann türkischer Abstam-
mung aus Regensburg, der seit Kurzem
in Hessen lebte und sich selbstständig
machen wollte.
Ein Überlebender, der 20-jährige Mo-
hammed B., berichtete dem türkischen
Sender TRT über das Drama der Nacht:
Er habe im Kreis von rund einem Dut-
zend Freunden in der „Arena“-Bar geses-
sen, als der Attentäter das Feuer eröffne-
te, sagt der 20-Jährige im Krankenbett.
Er versuchte, sich zu verstecken, wurde
aaaber in der Schulter getroffen. „Er hatber in der Schulter getroffen. „Er hat
dem Ersten, den er sah, in den Kopf ge-
schossen. Dann kam er zu uns.“ Sein
Nachbar wurde in den Hals getroffen, er
habe noch verzweifelt versucht, dessen
Blut mit einem Pullover zu stoppen. „Es
haben nur vier Menschen überlebt. Einer
davon bin ich“, sagt er weinend.
In Hanau ist aber nicht nur Entsetzen
zu verspüren, sondern auch langsam

wachsende Empörung. Als am Abend
nach der Tat Bundespräsident Frank-
WWWalter Steinmeier und Hessens Minis-alter Steinmeier und Hessens Minis-
terpräsident Volker Bouffier (CDU) eine
kurze Gedenkansprache hielten, gab es
vereinzelte, wütende Zwischenrufe.
„Heute ist die Stunde, in der wir zeigen
müssen: Wir stehen als Gesellschaft zu-
sammen, wir lassen uns nicht einschüch-
tern, wir laufen nicht auseinander“, hat-
te der Bundespräsident gerade gesagt. In
die Stille nach dem dünnen Applaus
schrie plötzlich eine Frau: „Das macht
meinen Cousin nicht wieder lebendig.“
AAAuch Behluel Yilmaz vom MAH, demuch Behluel Yilmaz vom MAH, dem
Muslimischen Arbeitskreis Hanau, kriti-
siert den Umgang mit den Angehörigen
und Betroffenen. Bei der Gedenkminute
hätten der Bundespräsident, der Minis-
terpräsident und der Bürgermeister ge-
sprochen, „aber den Betroffenen hat
man nicht die Möglichkeit gegeben zu
reden“. Dabei seien die Emotionen groß
gewesen und der Wunsch, zu erinnern
und Abschied zu nehmen. Nun wurde
fffür Sonntag ein Trauermarsch von ei-ür Sonntag ein Trauermarsch von ei-
nem Anschlagsort zum nächsten und ab-
schließend zum Marktplatz beantragt.
Einem Sprecher der Stadt zufolge ist
diese Veranstaltung auch bereits geneh-
migt. Anders sieht es jedoch mit dem an-
geblichen Wunsch einiger Angehöriger
aaaus, im Zentrum von Hanau eine öffent-us, im Zentrum von Hanau eine öffent-
liche Gedenkfeier mit Aufbahrung der
Särge auszurichten. Die Stadt sei gerade
dabei, das weitere Vorgehen zu beraten,

sagte der Sprecher. Und bei der Redner-
liste vom Abend nach der Tat habe sich
die Stadt in Absprache mit dem Bundes-
präsidialamt bewusst dafür entschieden,
nur eine kurze Gedenkminute zu planen,
keine Veranstaltung mit möglicherweise
politischen Stellungnahmen. Der Bun-
despräsident habe sich aber vor der
Kranzniederlegung mit Angehörigen ge-
troffen und ihnen sein Beileid ausge-
sprochen.
Für die Angehörigen, so Yilmaz, sei
die Belastung kaum zu ertragen. Ein Er-
mordeter hinterlasse Frau und ein klei-
nes Kind, ein anderer einen schwer kran-
ken Vater. „Und bei allen kommen zehn,
2 0, 50, 100 Leute vorbei, die ihre Trauer
teilen wollen.“ Außerdem würden viele
aaauf eine schnelle Freigabe der Leichenuf eine schnelle Freigabe der Leichen
hoffen, um sie so schnell wie möglich be-
graben zu können. Doch Yilmaz, dessen
VVVerein auch Seelsorge betreibt, bleibterein auch Seelsorge betreibt, bleibt
nichts übrig, als sie zu vertrösten. Er
weiß, dass es lange dauern kann, bis die
Spurensicherung, die Gerichtsmediziner
und Juristen ihre Arbeit getan haben und
die Familien ihre Angehörigen begraben
können. „Aber je schneller, desto bes-
ser“, so Yilmaz. „Das Abschiednehmen
wwwürde den Familien alles ein bisschen er-ürde den Familien alles ein bisschen er-
leichtern.“ Noch wichtiger allerdings sei
die Aufarbeitung der Hintergründe – und
dass nicht alles binnen weniger Tage ver-
drängt und vergessen sei. „Wenn wir kei-
ne Lehren ziehen, geschieht das immer
wieder.“

GETTY IMAGES

/ THOMAS LOHNES

S


eit dem Anschlag, sagt Mohamad
Hallak, sei in seinem Laden vieles
anders. Am Freitagnachmittag
sitzt der 39-Jährige in seinem Shisha-
Café „Infiniti“ an der Sonnenallee in Ber-
lin-Neukölln, zieht einmal tief am Mund-
stück seiner Wasserpfeife – am liebsten
raucht er Tabak mit Obstgeschmack.
„Nicht so gesund“, sagt Hallak und lacht.
Im nächsten Moment wird er ernst.

VON GELI TANGERMANN

„Unsere Gäste machen sich Sorgen“,
sagt der Mann, der vor 22 Jahren aus
den palästinensischen Gebieten nach
Berlin gekommen ist. Und einige wür-
den lieber gleich zu Hause bleiben. Nor-
malerweise sei sein Café am Freitag-
nachmittag deutlich voller.
Seit Tobias R. in der Nacht auf Don-
nerstag in Hanau neun Menschen mit
ausländischen Wurzeln getötet hat, ist
der Mikrokosmos Shisha-Bar plötzlich
ein Ort der Ängste. „Meine Freunde ha-
ben das Gefühl: Heute passiert es in
Hanau, morgen in Berlin, heute in der
Shisha-Bar, morgen in der Moschee“,
sagt Hallak. In deutschen Großstädten
gehören Shisha-Bars längst zum

Stadtbild – allein in Berlin soll es um
die 300 dieser Lokalitäten geben. In
verqualmten Räumen treffen sich vor-
nehmlich Männer mit ausländischen
WWWurzeln, trinken Tee oder Cola, spie-urzeln, trinken Tee oder Cola, spie-
len Karten oder Backgammon. Alkohol
wird in den meisten Läden nicht aus-
geschenkt. „Unsere Gäste kommen
nach der Arbeit zum Entspannen, man
will ja nicht immer nur allein zu Hause
sitzen“, sagt Hallak, der das „Infiniti“
seit 2010 betreibt. Denn in normale
Berliner Bars oder Klubs kämen viele
seiner Gäste gar nicht rein. Die Tür-
steher sähen nur die schwarzen Haare
und sagten gleich: „Für euch gibt’s
hier heute nichts.“ Außerdem seien
viele seiner Gäste Muslime, die keinen
Alkohol trinken. „Deshalb gehen sie
nicht gern in Lokale, in denen getrun-
ken wird.“
Am Freitagnachmittag ist das „Infi-
niti“ gut besucht. In einer Ecke spielen
zwei ältere Herren Karten, am Neben-
tisch sitzen vier Männer in braunen
Sesseln und brüten über einem Notiz-
buch, wieder einen Tisch weiter unter-
halten sie sich und rauchen Selbstge-
drehte. An der Wand hängt ein XXL-
Fernseher, arabische Musik dudelt im

Hintergrund, auf einer Leinwand tan-
zen sie in Hochzeitsklamotten.
Als Tobias R. in Hanau Menschen er-
schoss, saß Mohamad Hallak in seinem
Café an der Sonnenallee, wenig später
flimmerten die ersten Schreckensbilder
über den Fernseher. Natürlich sei er ge-
schockt gewesen, sagt der 39-Jährige –
allerdings habe die Ausländerfeindlich-
keit seiner Wahrnehmung nach in den
vergangenen Jahren bereits stetig zuge-
nommen. „Seit die AfD von so vielen
Menschen gewählt wird, haben die Na-
zis in Deutschland wieder
eine Lobby.“ Shisha-Bars
wie das „Infiniti“ würden
verteufelt. Als Keimzellen
für Kriminelle, als Tatorte
für zwielichtige Geschäfte.
Kallak will das so nicht
stehen lassen. „Bei uns
sind alle willkommen, im
Sommer kommen auch
viele Touristen.“ Aus der
Nachbarschaft gehörten
auch viele Spanier und Ita-
liener zur Stammkund-
schaft. „Die kommen, weil
man hier rauchen darf,
trinken einen Tee und zie-

hen dann zum Feiern weiter.“ Der
Cafébetreiber betont außerdem, dass er
seine Steuern immer „brav“ zahle, und
mit dem illegalen Tabakgeschäft, über
das immer wieder geschrieben werde,
habe er auch nichts am Hut.
Zur Wahrheit gehört allerdings auch,
dass die Polizei im „Infiniti“ in den ver-
gangenen Jahren immer wieder Raz-
zien durchgeführt hat – der Clankrimi-
nelle Nidal R., der 2018 auf offener Stra-
ße erschossen wurde, soll hier regelmä-
ßig ein- und ausgegangen sein. Moha-
mad Hallak bestreitet das
nicht. „Er war öfter hier,
hat sich bei mir aber immer
gut benommen und seine
Rechnung bezahlt. Und was
die Leute draußen machen,
interessiert mich nicht“,
sagt er. Die Razzien, findet
Hallak, brächten Läden wie
seinen in Verruf. „Die Leu-
te sagen: Die mit ihrem
Clan. Dabei habe ich keinen
Clan, sondern zwei Brüder,
und das war’s schon.“ Ge-
rade habe sein Sohn seine
Lehre zum Heizungsinstal-
lateur geschafft.

Gegen 16 Uhr kommt die erste Frau
an diesem Tag ins „Infiniti“, eine von
ihnen ist Ramona Baghdadi, gebürtige
Sächsin. „Ich gehe gern in dieser Ge-
gend essen und dann noch auf einen
Kaffee hierher“, sagt die 48-Jährige – an
diesem Freitagnachmittag wird sie von
ihrem Freund Kinan Arnouk, einem
Arzt aus Syrien, begleitet. In vielen
Shisha-Bars in Neukölln seien Frauen
allerdings gar nicht willkommen, sagt
Baghdadi. Schade sei das. „Da wirst du
sofort schief angeguckt, wenn du da
reingehst.“ Diese Ablehnung erlebten
auch viele andere Deutsche, und das
komme bei vielen Deutschen gar nicht
gut an. „Die Leute kommen her wegen
der kulturellen Anbindung, man fühlt
sich der Heimat ein bisschen näher“,
sagt Kinan Arnouk. Das mit den Män-
nern, die unter sich blieben, sei eben
ein „kulturelles Ding“.
Eine Erklärung für das, was in der
Nacht zu Donnerstag in Hanau passiert
ist, hat an diesem Nachmittag keiner
im „Infiniti“. Mal ist von „der Politik“
die Rede, dann wieder von „den Me-
dien“, oft von der AfD. Und am Ende
ist in all dem Schrecken ganz viel Rat-
losigkeit.

Die Angst ist in den Shisha-Bars angekommen


Seit dem Anschlag von Hanau wachsen die Sorgen vor rechtsextremem Terror auch in den verqualmten Läden in Berlin


N


iko Deeg ist am Freitagnach-
mittag auf den Hanauer Markt-
platz gekommen, um ein Zei-
chen zu setzen. Er ist Vorsitzender der
Jüdisch Chassidischen Kultusgemein-
de Breslev Deutschland, die ihren Sitz
in Hanau hat. Deeg trägt Kippa und
schüttelt Hände. Solidarität, sagt er,
sei, was die hessische Stadt ausmacht –
schon immer.

VON LENNART PFAHLER
AUS HANAU

WELT:Herr Deeg, wie haben Sie die
vergangenen Tage erlebt? Den An-
schlag in der Nacht auf Donnerstag
und die Reaktionen in Ihrer Stadt?
NIKO DEEG:Wir hatten am Abend gro-
ße Angst. Unsere Gemeinde, unser Le-
bensmittelpunkt, ist nur rund eine Mi-
nute vom ersten Tatort entfernt.
Plötzlich waren überall Polizisten,
Hubschrauber kreisten über der Stadt.
Es wurde bereits spekuliert, ob es wo-
möglich ein rechtsradikaler Angriff
war. Wir mussten unsere Mitglieder
beruhigen, besonders die älteren. Sie
haben mich in der Nacht angerufen,
weil sie Schlimmes befürchteten.

Der Täter hatte es offenbar auf Aus-
länder abgesehen. Vor allem Musli-
me sind unter den Opfern.
Das ist erschreckend. Ich habe die
Stadt am Tag danach in einer Art
Schockstarre erlebt. Hanau ist von
Vielfalt und Miteinander geprägt. Die
muslimische Gemeinde und wir, wir
lernen stetig voneinander, wir lernen
uns kennen, sprechen miteinander.
Deswegen ist es so wichtig, dass wir
auch jetzt zusammenstehen. Es war
bislang nicht denkbar, dass es in Hanau
zu einem Anschlag von rechts kommen
würde. Das ist nicht das Hanau, das wir
kennen. Deshalb habe ich auch keine
Angst vor weiteren rassistischen An-
schlägen hier.

AAAuch Antisemitismus wird in demuch Antisemitismus wird in dem
mutmaßlichen Bekennerschreiben
des Täters erkennbar. Erfahren Sie
auch als Jüdische Gemeinde Solida-
rität?

Gestern waren 5000 Menschen auf der
Straße. Das ist schön, aber ich weiß
auch: Es wird dieselbe alltägliche Ver-
gessenheit eintreten, die wir auch nach
Halle erlebt haben. Die Öffentlichkeit,
die wir jetzt haben, ist schnell wieder
weg. Nein, eine neue Solidarität erwar-
te ich nicht.

Wie unterstützen Sie Ihre muslimi-
schen Freunde in diesen Stunden?
Ich war schon in der Nacht der Tat in
stetigem Telefonkontakt mit den Ima-
men. Wir haben eine gemeinsame Er-
klärung abgegeben und das Attentat
verurteilt. Das Miteinander hat sofort
wieder funktioniert, wie selbstver-
ständlich. Der muslimische Rat der
Stadt hat mich auch sofort angerufen
und gesagt: Es ist uns sehr wichtig,
dass du bei unserem Trauermarsch mit
dabei bist und wir Hand in Hand gegen
die Gewalt demonstrieren.

Wo liegt in Ihren Augen die Ursache
für Taten wie diese oder die in Halle?
Die Hetze im Internet ist unser größ-
tes Problem. Wir erleben das selbst
täglich. Es gibt konstant Angriffe auf
Minderheiten, Religionen und Zuwan-
derer. Es wird immer weiter ausge-
reizt, die Grenze des Sagbaren hat
sich nach rechts verschoben. Leute
schreiben plötzlich wie selbstver-
ständlich Dinge, die vor einigen Jah-
ren noch niemand gesagt hätte. Diese
WWWelle schaukelt sich hoch. Leute wol-elle schaukelt sich hoch. Leute wol-
len Anerkennung, posten Dinge, und
wenn sie sehen, dass sie dafür auch
noch sechs Likes bekommen, dann
schreiben sie beim nächsten Mal viel-
leicht etwas noch Krasseres und be-
kommen sieben. Das ist der erschre-
ckende Mechanismus.

„Diese Welle


schaukelt


sich hoch“


Jüdische Gemeinde hielt
Anschlag für undenkbar

„Hanau ist nach dem Anschlag in einer
Art Schockstarre“, sagt Niko Deeg

LENNART PFAHLER

„„„Wenn wirWenn wir


KEINE Lehren


ziehen, passiert


das immer


wieder“


Die Angehörigen der Opfer von Hanau


fürchten, dass die Toten übersehen werden.


Ein Ermordeter hinterlässt Frau und ein kleines


Kind, ein anderer einen schwer kranken Vater


AP
/ MARTIN MEISSNER

Barbesitzer
Mohamad Hallak

GELI TANGERMANN

REUTERS

/ KAI PFAFFENBACH

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