Süddeutsche Zeitung - 22.02.2020

(WallPaper) #1
interview: sabine buchwald

E


s war am Abend des 24. Februar
1920, als ein noch weitgehend
unbekannter Adolf Hitler im
Münchner Hofbräuhaus das Pro-
gramm seiner Partei deklamier-
te, die sich von Deutsche Arbeiterpartei
(DAP) in NSDAP umbenannt hatte. Das Da-
tum gilt als Gründungstag der NSDAP. Auf
Initiative der Münchner Mitglieder von
„Die Partei“ wird es an diesem Montag von
acht bis 12.30 Uhr Mahnwachen an Orten
in München geben, die von den Nationalso-
zialisten für ihre Zwecke missbraucht oder
errichtet wurden. Danach trifft man sich
zur Demonstration am Odeonsplatz. Die
Fäden für die Aktion, die verhindern soll,
dass Neonazis diesen Tag mit Präsenz fei-
ern, laufen bei Jerome Sturmes zusam-
men. Er ist Stadtratskandidat der selbster-
nannten Satirepartei.


SZ: Mahnwachen am Rosenmontag unter
dem Motto „Fasching statt Faschos“. Ist
das ein Witz?
Jerome Sturmes: Nein, wir nutzen nur den
historischen Zufall, dass dieser Jahrestag
der Gründung der NSDAP auf den Rosen-


montag fällt. Wir setzen uns ein für ein
fröhliches, buntes München – zusammen
mit Menschen, die sich gegen Faschismus
aussprechen. Und wir wollen das Datum
neu und positiv besetzen.
Nur Spaßbremsen können also diesen Slo-
gan banal finden und missverstehen?
Als Partei, die eigentlich für Satire be-
kannt ist, verzichten wir diesmal bewusst
darauf. Wir werden nicht mit roten Nasen
auftauchen. Die Würde der Opfer zu verlet-
zen, liegt uns fern. Wir nehmen das Thema
sehr ernst und wollen das auch nach au-

ßen tragen. Die Leute um uns herum dür-
fen aber gerne maskiert kommen.
Warum deklarieren Sie Ihr Auftreten vor
den Gebäuden als Mahnwachen?
Das hat den Vorteil, dass wir aktiv auf die
Leute zugehen dürfen, was etwa bei reinen
Infoständen nicht erlaubt ist. Außerdem
bekommen wir Polizeibegleitung. Wir ver-
suchen, die Mahnwachen klein zu halten,
um die Polizei nicht übermäßig zu belas-
ten. Am Prinzregentenplatz, wo Hitler
wohnte, ist jetzt ohnehin eine Polizeiin-
spektion.
Was befürchten Sie, könnte bei der Akti-
on passieren?
Wir haben von der Stadt keine Rückmel-
dung bekommen, dass sich rechte Grup-
pen angemeldet haben. Und wir haben bis
jetzt keinerlei Drohungen erhalten. Aber
es könnte schon sein, dass das eine oder an-
dere bekannte Gesicht aus der neurechten
Szene auftaucht.
Wie werden Sie reagieren?
Nicht in die Konfrontation gehen, eher den
Kontakt zur Polizei suchen. Am liebsten
wäre uns natürlich, wenn alles friedlich
verliefe.
Warum bringen Sie diesen Jahrestag in
die Öffentlichkeit?

Die Grundidee war, die Stadt zu blockie-
ren, um Aufmärsche der Rechten zu ver-
hindern. Seit einem Jahr reden wir intern
darüber, ob und wie wir das machen. Al-
lein in dieser Zeit hat sich die politische Si-
tuation verändert. Ich hätte nicht für mög-
lich gehalten, dass wir über ein Gedenken
zum 75. Jahrestag der Befreiung von
Auschwitz diskutieren müssen. Ich finde
es absolut notwendig, sich unsere Ge-
schichte ins Bewusstsein zu rufen. Dazu ge-
hört, dass in München der Grundstein für
das NS-Regime, für den Krieg und den Ho-
locaust gelegt worden ist.
Es wird immer wieder diskutiert, ob Ge-
bäude, die den Nazis dienten, abgerissen
werden sollen. Wie stehen Sie dazu?
Dann müsste man auch das Hofbräuhaus
abreißen, wo Hitler große Auftritte hatte.
Die Gebäude sind Mahnmale der Zeit. Mit
ihrem Verschwinden würde die geschichtli-
che Bewandtnis in Vergessenheit geraten.
Wichtig ist, dass man mit offenen Augen
und Bewusstsein für die Vergangenheit
durch die Stadt geht.
Der Jahrestag fällt mitten in den Kommu-
nalwahlkampf, auch Sie kandidieren ja
für den Stadtrat. Wie verhalten sich die an-
deren Parteien zu dem Thema?

Über persönliche Kontakte sind wir an fast
alle Parteien herangetreten, auch an die
CSU. Die Linken haben ihre Kooperation
zugesagt, von den Grünen und der SPD ha-
ben wir gehört, dass sie sich aus Zeitgrün-
den nicht engagieren können. Aber ich
weiß, dass sie die Aktion gut finden. Es
würde mich freuen, wenn Mitglieder der
Parteien auftauchten, gerne auch mit Ban-
ner und Fahnen.
Also doch eine willkommene Wahlwer-
bung?
Wir wollen nicht, dass man es so
wahrnimmt. Die Aktion hätten wir so oder
so gemacht, auch wenn wir selbst nicht auf
dem Wahlzettel stehen würden. Wir haben
mit allen Bündnispartnern vereinbart,
dass es keinen Bezug zu der Kommunal-
wahl am 15. März geben darf. Das ist uns
ein großes Anliegen. Wir haben hier ein
Bündnis, das sich klar gegen Faschismus
positioniert.
Kommt Parteigründer Martin Sonneborn
nach München?
Sonneborn musste leider absagen, aber es
kommen Parteimitglieder aus ganz
Deutschland, sogar aus Berlin und Ham-
burg. Manche warten noch auf ihre Ur-
laubsgenehmigung.

Es gibt viele Orte in München, die mit dem
Wirken der Nationalsozialisten in Verbin-
dung stehen. Manche erinnern durch ihre
Architektur daran, wie etwa das neoklassi-
zistische Haus der Kunst, anderen Orten
sieht man ihre Vergangenheit nicht mehr
an – sie waren aber Schauplatz wichtiger
Wegmarken. Folgende Orte haben die Or-
ganisatoren für die Mahnwachen gewählt:

DAS HOFBRÄUHAUS (1)
In dem Wirtshaus am Platzl verkündete Hit-
ler am 24. Februar 1920 das Grundsatzpro-
gramm der NSDAP.
FELDHERRNHALLE
Unter König LudwigI. geschaffen, regelmä-
ßige Aufmärsche der Nationalsozialisten
beim Mahnmal für die Toten des Putsch-
versuches von 1923.
PRINZREGENTENPLATZ 16
Von 1929 bis zu seinem Tod hier Privatwoh-
nung von Adolf Hitler, heute Polizeiinspek-
tion 22.
ALTER BOTANISCHER GARTEN (2)
Standort des Glaspalastes, 1931 Brand des
Ausstellungsgebäudes, nach 1933 Umge-
staltung des Terrains im Auftrag von Hit-
ler, Bau unter anderem des Neptunbrun-
nens.
FÜHRERBAU
Heute Hochschule für Musik, 1937 einge-
weiht zum Staatsbesuch von Mussolini,
1938 Austragungsort der „Münchner Kon-
ferenz“.
KÖNIGSPLATZ
Konzipiert im 19.Jahrhundert von Karl von
Fischer nach griechischem Vorbild mit
Grünflächen, ab 1934 Umbau und Erweite-
rung mit Führerbau und Ehrentempel.
HAUS DER KUNST
Als „Haus der Deutschen Kunst“ gebaut,
im Juli 1937 Eröffnung der ersten Ausstel-
lung, parallel dazu die Femeschau „Entar-
tete Kunst“.
NSDAP-VERWALTUNGSGEBÄUDE
Katharina-von-Bora-Straße 10, bis Ende
1933 Palais Pringsheim, Abriss und 1934

Neubau, ab 1945 von US-Militärregierung
genutzt, jetzt Sitz von Kulturinstitutionen
wie Direktion der Antikensammlung.
NSDAP-GAULEITUNG
An der Ludwigstraße 2, gebaut 1938–39,
aktuell genutzt vom Bayerisches Staatsmi-
nisterium für Landwirtschaft und Forsten.
REICHSZEUGMEISTEREI
Tegernseer-Land-Straße 210, Verwaltung
von Bekleidung und Ausrüstung der
NSDAP, nach 1945 bis 1992 als McGraw-Ka-
serne von US-Armee genutzt, heute Poli-
zeidienststellen.
REICHSBANK, LUDWIGSTRASSE 13
Vormals Herzog-Max-Palais, Geburtsort
von Kaiserin Sisi von Österreich-Ungarn.
1937/1938 Abriss, Beginn eines Neubaus
für die Reichsbank, heute Hauptverwal-
tung der Bundesbank in Bayern.
KASERNE DER SS-STANDARTE 1 (3)
Gebaut ab 1934 in Milbertshofen, nach
1945 bis 1950 Unterbringung von Flüchtlin-
gen, bis 1968 Kaserne der US-Armee, heu-
te Ernst-von-Bergmann-Kaserne der Bun-
deswehr.
HAUS DES DEUTSCHEN RECHTS
Erbaut in den Jahren 1936 bis 1939 in der
Ludwigstraße vor dem Siegestor, Sitz der
„Akademie des Deutschen Rechts“, heute
von der Ludwig-Maximilians-Universität
genutzt.
OBERFINANZPRÄSIDIUM
Sophienstraße 6, mit Sitz der Abteilung
„Verwertung des einzuziehenden Vermö-
gens von abgeschobenen Juden“, in den
1940er Jahren tagte hier der Landtag, heu-
te Oberfinanzdirektion.
NEUE SÜDSTADT
Großes Bauprojekt zur Linderung der Woh-
nungsnot, nur Musterhäuser umgesetzt,
im Bunker an der Prinzregentenstraße 97a
ist heute die Galerie Tumulka.
LUFTGAUKOMMANDO SÜD (4)
Prinzregentenstraße 28, von 1938 bis 1945
Sitz der Münchner Verwaltungszentrale
der Luftwaffe, heute Sitz des Bayerischen
Wirtschaftsministeriums.

Agathe L. ist 86 Jahre alt, und hat in ih-
rem Leben schon einiges bewältigen müs-
sen. Jetzt allerdings, nachdem sie einer
Bande von Enkeltrickbetrügern zum Op-
fer fiel, muss sie erstmals therapeutische
Hilfe in Anspruch nehmen. „Sie wirkte ge-
brochen“, sagt ihre Tochter. Die Rentne-
rin hielt es alleine in ihrem Zuhause
kaum noch aus, sie verlor das Vertrauen
in die Menschen, „und in mich“. Am Frei-
tag sagte die Münchnerin vor dem Land-
gericht München I aus und sah der Frau
ins Gesicht, der sie vor einem Jahr ihren
Schmuck im Wert von rund 50 000 Euro
übergeben hatte. Geht es nach dem Wil-
len der Staatsanwaltschaft, soll die ange-
klagte Sandra Z., 25, wegen Bandenbe-
trugs für fünf Jahre und vier Monate ins
Gefängnis.
Die Maschen der Betrüger wechseln
ständig, die Polizei warnt und trotzdem
gelingt es den Verbrechern immer wie-
der, alte Leute mit Lügengeschichten um
ihr Erspartes zu bringen. Im Fall von Aga-
the L. (Name geändert) meldete sich am


  1. Februar 2019 ein Mann am Telefon,
    der sich als ihr Schwiegersohn ausgab.
    „Ich hätte schwören können, dass er es
    war“, sagt sie. Er erzählte etwas von ei-
    nem Unfall in Hadern, an dem er schuld
    sei, und dass er sofort 34 000 Euro benöti-
    ge. Da Agathe L. sagte, sie habe kein Geld
    im Haus, schwenkte er auf Schmuck um
    und hielt die Frau eine Stunde lang am Te-
    lefon hin, bis Abholerin Sandra Z. vor der
    Türe in Obermenzing stand. Sie sei die Se-
    kretärin seines Rechtsanwalts, log der fal-
    sche Schwiegersohn am Telefon.


„Mein Kopf hat immer Nein gesagt“,
berichtet Agathe L. „Aber mein Herz hat
gesagt, dass ich ihm doch helfen muss.“
Erst am Ende des Gesprächs, als Sanda Z.
schon mit dem Schmuck aus der Tür war,
bemerkte sie den Schwindel, schrie den
Mann am Telefon an „du hast mich betro-
gen!“. Zu spät. Zwei Wochen lang wohnte
Agathe L. völlig verängstigt bei ihrer
Tochter. Sie kehrte in ihre Wohnung zu-
rück, verbarrikadierte sich, fühlte sich
unsicher, hatte Albträume. „Ich war fer-
tig.“ Ihre Tochter sagt im Zeugenstand,
sie habe ihre Mutter noch nie so verzwei-
felt und traurig gesehen. „Als ich direkt
nach dem Anruf zu ihr fuhr, war sie kör-
perlich noch kleiner geworden.“
Sandra Z. hat noch einen weiteren Fall
in Hilden gestanden und noch einen drit-
ten in München, der allerdings im Ver-
such stecken blieb: Da hatte der Trickbe-
trüger, der aus einem Callcenter in Polen
anrief, einen Senior mit den Worten: „Er-
kennst du deinen Sohn nicht mehr“ be-
grüßt. Er und seine Frau hatten ihren
Sohn allerdings sehr früh verloren. „Mein
Mann stand unter Schock“, sagte die
80 Jahre alte Frau bei ihrer Vernehmung.
Er starb wenig später an einer Krebser-
krankung. Sie leide seitdem unter einer
extremen Angststörung, pflege alleine ih-
re behinderte Tochter und sitze abends
nur mit Kerzenlicht in ihrer Wohnung.
Sie verlasse nach Einbruch der Dunkel-
heit das Haus nicht mehr, öffne die Türe
nicht, wenn es klingelt, „und einschlafen
kann ich nur mit Hilfe von Tabletten“.
Sandra Z. hat die Taten gestanden. Im
Fall von Agathe L. jammert sie, sie habe
nicht so viel Schmuck mitgenommen,
wie die Frau angegeben hatte. „Denken
sie, wenn es weniger Schmuck war, wür-
de es der Frau heute besser gehen?“, ant-
wortet ihr der Vorsitzende Richter Mar-
kus Koppenleitner. Verteidiger David
Mühlberger plädierte für eine Haftstrafe
von zwei Jahren und acht Monaten. Das
Urteil wird in der kommenden Woche er-
wartet. susi wimmer

Für einige hat dieser Abend ganz persönli-
che Dimensionen. „Ich bin Mutter von
zwei Kindern“, sagt Katharina Jäger, Inter-
nistin und Vorstandsmitglied des Ärztli-
chen Kreis- und Bezirksverbandes Mün-
chen (ÄKBV) bei einer Diskussionsveran-
staltung über die Luft in München. „Mein
Sohn sitzt hier und guckt, was ich erreicht
habe.“ Der etwa zwölfjährige Junge winkt
der Mutter von der ersten Reihe im Semi-
narraum aus kurz zu.
Jäger hat tatsächlich einiges erreicht.
Im vergangenen Jahr entstand unter ih-
rem Vorsitz im Ausschuss „Gesunde Um-
welt und frische Luft in München“ ein Po-
sitionspapier zu den drohenden Gesund-
heitsgefahren der Luftverschmutzung in
dieser Stadt. Nun will sie die Politik damit
konfrontieren – und der Sohn, der immer
so skeptisch nachfragt, was die Erwachse-
nen fürs Klima tun, soll zuschauen. Die

Luftverschmutzung hat neben politi-
schen und persönlichen auch gesundheit-
liche Auswirkungen. Atemwegs- oder
Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlagan-
fälle, aber auch Diabetes oder Krebs gehö-
ren zu nachweisbaren Langzeiteffekten
von Schadstoffen in der Luft. Feinstaub,
Stickoxide und Ozon zählen laut Studien-
auswertungen der Deutschen Gesell-
schaft für Pneumologie und Beatmungs-
medizin zu den zehn häufigsten Risikofak-
toren in Deutschland. Die Weltgesund-
heitsorganisation schätzte schon 2013,
dass der Einfluss von Luftschadstoffen
die mittlere Lebenserwartung in Europa

um bis zu neun Monate reduzieren könne.
Dabei wolle und könne man aus medizini-
scher Sicht gar nicht abwägen, welcher
Schadstoff maßgeblich Schuld ist, sagt Jä-
ger – es sei die Mischung aus allen. Dass
München nach wie vor auf Platz eins der
deutschen Städte mit der schmutzigsten
Luft ist, sorgt den ÄKBV. Als Arzt in Mün-
chen beschäftige man sich „tagtäglich“
mit den Folgen.
Die Forderungen des Ärzteverbandes
adressiert die Medizinerin an die politi-
schen Entscheidungsträger, die sie am
Mittwochabend an einem Runden Tisch
versammelt hat. Von den Politikern wün-
sche man sich ein „viel bewussteres Be-
kenntnis“ zu einer Verkehrswende. Mün-

chen brauche einen „intensiven Ausbau“
des öffentlichen Nahverkehrs und der
Radwege, denn „so geht es nicht weiter“,
sagt Jäger.
Dass sich etwas auf Münchens Straßen
ändern soll und wird, darauf können sich
zwar alle Eingeladenen einigen. Nur über
das Wie und vor allem über die konkreten
Ausmaße der Änderungen herrscht laut-
starker Dissens. Während sich Simone
Burger von der SPD („Klimapolitik darf
nicht diskriminieren!“) mit Sonja Haider
von der ÖDP („Die Forderungen der Ärzte
gleichen unserem Programm!“) nach Her-
zenslust über die Sinnhaftigkeit einer Ci-
ty-Maut streiten, hält Hans Theiss von
der CSU und selbst praktizierender Arzt
gegen die umweltpolitischen Forderun-
gen des ÄKBV: „Das können wir uns alles
gar nicht leisten.“ Gesundheitsreferentin
Stephanie Jacobs und Peter Frei vom Bay-
erischen Umweltministerium bleiben bei
ihren Aussagen gemäßigter. Man habe be-
reits viel erreicht, ein neues Netz an Rad-
wegen ist in Planung und auch die Mess-
werte der Luft seien zuletzt etwas herun-
tergegangen. Aber an der Landshuter Al-
lee ließe sich eben auch nicht so viel gestal-
ten, solange die älteren Diesel-Fahrzeuge
dort noch fahren.
Die anwesenden Ärzte, die ihren Ver-
band auch als „Münchens Ärzteparla-
ment“ verstehen, zeigten sich mäßig über-
zeugt. Die Dringlichkeit, die sie umtreibt,
fasste der Kinderarzt Stephan Bö-
se-O'Reilly so zusammen: Ein Kollege sei
kürzlich Großvater geworden. Er freue
sich für ihn, aber wenn er an die Zukunft
seines Enkels denkt, habe er „Angst und
Sorge“. Sein Appell an die Politik: „Über-
prüfen Sie Ihre Vorschläge auf die Enkel-
Tauglichkeit.“ ekaterina kel

Die Münchner Verkehrsgesellschaft
(MVG) arbeitet vorerst weiter mit dem Il-
lustrator des Münchner Kindls zusam-
men. Dieser zeichnet nicht nur für die
MVG Spots, die auf den Bildschirmen in
U- und Trambahnen laufen. Er ist Mit-
glied der AfD und hat den Thüringer AfD-
Chef Björn Höcke im Landtagswahlkampf
vergangenen Herbst unterstützt, indem
er für die AfD einen Comic illustriert hat.
In diesem dreiseitigen Comic mit dem
Titel „Zeit für die Wende 2.0“ beklagen ei-
ne Frau und ein Mann den Zustand der
Bundesrepublik, die sie auf eine Stufe mit
der DDR stellen. Man sei „wieder auf dem
besten Weg in eine Gesinnungsdiktatur“,
heißt es etwa. Höcke tritt auch auf und
sagt: „Beängstigend, wie gleichgeschaltet
Politik, Medien, Kultur und sogar die Kir-


chen inzwischen wirken.“ Am Ende sagt
die Frau im Comic: „AfD zu wählen ist heu-
te wie eine friedliche Revolution mit dem
Stimmzettel.“ Höcke ist Anführer des Flü-
gels innerhalb der AfD, den der Verfas-
sungsschutz als Verdachtsfall einstuft.
Der Zeichner des Münchner Kindls fin-
det den Text des Comics, der ihm von der
AfD vorgegeben worden sei, „prinzipiell
okay“. Es habe sich dabei um eine norma-
le, bezahlte Auftragsarbeit gehandelt.
„Ich wüsste nicht, was verwerflich daran
wäre“, sagte der Zeichner der SZ. Nach-
dem die MVG vom politischen Engage-
ment des Zeichners erfahren hatte, wurde
intern diskutiert, wie man mit dieser Kon-
stellation umgehen soll: Ausgerechnet die
Münchner Symbolfigur wird, im Auftrag
eines öffentlichen Unternehmens, von ei-
nem Mann gezeichnet, der den AfD-
Rechtsaußen Höcke unterstützt.
Beauftragt mit den kurzen Filmen ist
laut MVG-Sprecher Matthias Korte eine
Video-Agentur, bei der „eine Vielzahl von
Menschen“ an den Spots beteiligt seien.
Derzeit sehe die MVG „keinen akuten
Handlungsbedarf“, auf einen Ausschluss
des Zeichners zu dringen. „Die laufenden
Produktionen werden wie geplant fortge-
setzt.“ Die Spots entstünden nach genau-
en Vorgaben der MVG. Das Münchner
Kindl präsentiert sich als eine Art Alltags-
held, der Tipps für die Nutzung von Bus,
Tram und U-Bahn gibt; es sei „von Haus
aus unpolitisch“, so Korte. „Trotzdem löst
das Wissen um das Engagement eines der
Beteiligten in politischen Randbereichen
natürlich Unbehagen bei uns aus.“ Ob
man die Zusammenarbeit in der bisheri-
gen Form dauerhaft fortsetze, werde man
nach weiteren Gesprächen zu gegebener
Zeit entscheiden. bernd kastner

Nach der Münchner SPD macht sich nun
auch die CSU für den Erhalt des Filmthea-
ters Sendlinger Tor stark. So beantragt
die CSU-Stadtratsfraktion, den Ankauf
der Immobilie durch die Landeshaupt-
stadt zu prüfen. „Das vom Architekten
des Prinzregententheaters Carl Gabriel
erbaute Filmtheater Sendlinger Tor ge-
hört zu den wenigen noch erhaltenen
Lichtspielhäusern aus der Anfangszeit
des Films“, sagt Richard Quaas, kulturpo-
litischer Sprecher der Fraktion. „Es ge-
hört dank seines einzigartigen Innen-
raums und der historischen Fassade zu
den bau- und kulturhistorischen Denk-
mälern einer vergangenen Epoche in der
Geschichte der Filmstadt München.“
Quaas fordert: „Nehmen wir den Oberbür-
germeister in dieser Sache doch beim
Wort: ,Wir kaufen uns unsere Stadt zu-
rück‘ und erhalten so ein Stück Münch-
ner Kulturgeschichte!“ Anfang Februar
hatte die SPD die Stadt aufgefordert, „al-
le ihr zur Verfügung stehenden Möglich-
keiten“ auszuschöpfen, um das Kino zu
retten. Kurz zuvor hatte die SZ berichtet,
dass das von Fritz und Christoph Preß-
mar betriebene Kino vor dem Aus stehe.
Birte Winkelmann, Miteigentümerin des
Hauses, hatte bestätigt, der Familie 2019
gekündigt zu haben. Fritz Preßmar pocht
indes auf einen etwaigen Formfehler und
hofft auf eine Verlängerung des Pachtver-
trages. Im Internet wurde kürzlich eine
Petition gestartet, um zur Rettung des
1913 eröffneten Kinos beizutragen. blö

Jerome Sturmes organisiert
die Mahnwachen.
FOTO: DIE PARTEI

„Wir nehmen das Thema sehr ernst“


Vor 100 Jahren wurde in München die NSDAP gegründet. Um rechte Aufmärsche an diesem Tag zu verhindern, hat die Satirepartei „Die Partei“
unter dem Motto „Fasching statt Faschos“ Mahnwachen vor Gebäuden angemeldet, die von den Nazis für ihre Zwecke missbraucht wurden

NS-Orte in München


Besser die Luft anhalten: eine Messstelle
am Stachus. FOTO: STEPHAN RUMPF

Abgezockt


und traumatisiert


Eine 25-Jährige soll mehrere
Seniorinnen betrogen haben

Klima beschäftigt Ärzte tagtäglich


Münchner Mediziner fordern von der Politik „Enkel-taugliche“ Vorschläge für die Umwelt


Zeichner darf weitermachen


MVG trennt sich nicht von Illustrator der Münchner-Kindl-Spots


Rettungsversuche


für ein Kino


Ein Alltagsheld für Fahrgäste soll die Fi-
gur des Münchner Kindls in den Spots
sein der MVG sein. FOTO: MVG


Die Frau erwartet eine
Haftstrafe – bis zu fünf Jahre

Eine City-Maut? Mehr
Radwege? Über die richtigen
Maßnahmen wird gestritten

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FOTOS: CLAUS SCHUNK, CATHERINA HESS (2), FLORIAN PELJAK


R4 MÜNCHEN Samstag/Sonntag, 22./23. Februar 2020, Nr. 44 DEFGH

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