von edeltraud rattenhuber
L
ena Ponta kann sich an diesem Mor-
gen gar nicht retten vor den Kleinen.
Die Erzieherin hat vorgeschlagen,
„Karlchen geht einkaufen“ vorzulesen.
Und schon sind die Jungs da: Der eine
schlurft zur Couch, die anderen hüpfen, ja
rennen, um Lena nur ja ganz nahe zu sein.
Dann geht es los. Nicht nur die Kinder,
auch Ponta hat großen Spaß.
Die 23-Jährige ist überzeugt, dass sie
den richtigen Beruf gefunden hat. „Dabei
hatte ich nach dem Abitur keine Ahnung,
was ich machen soll“, erzählt sie. So ent-
schied sie sich erst einmal für ein freiwilli-
ges soziales Jahr in einer Kinderkrippe.
Dort fühlte sie sich so wohl, dass sie sich
nach einer geeigneten Ausbildung als Er-
zieherin umsah. Allerdings wollte sie nicht
nur Kinder bespaßen, sondern auch das
theoretische Wissen hinter dem Beruf so
gut wie möglich vermittelt bekommen. Die
Studiengänge zur frühkindlichen Bildung
jedoch sagten ihr nicht zu. Dann stieß sie
bei ihrer Suche im Internet auf das Opti-
prax-Modell und dachte: Das ist es!
Die „Erzieherausbildung mit optimier-
ten Praxisphasen“, wie das bayerische Mo-
dell offiziell heißt, war damals, 2016, noch
ein Versuchsballon. Geschaffen wurde es
für Abiturienten wie Ponta oder Querein-
steiger aus anderen Berufen. Optiprax
führt in drei statt fünf Jahren zum Erzieher-
beruf und soll, wie andere praxisintegrier-
te Ausbildungen (PIA) in Deutschland,
durch eine Ausbildungsvergütung den Ein-
stieg attraktiver machen. Das ist dringend
notwendig. Derzeit fehlen in Deutschland
nach Schätzungen der Bertelsmann-Stif-
tung rund 100 000 Erzieher.
Laut „Fachkräftebarometer Frühe Bil-
dung 2019“ des Deutschen Jugendinsti-
tuts und der Weiterbildungsinitiative Früh-
pädagogische Fachkräfte (Wiff) ist es nicht
unbegründet, darauf zu hoffen, dass sol-
che praxisintegrierten Ausbildungen Grup-
pen zum Erzieherberuf locken, die früher
gar nicht daran dachten. Eine Prognose
zur Fachkräftegewinnung der Prognos AG
geht davon aus, dass 0,5 Prozent der 18-
bis 20-Jährigen eine Erzieherausbildung
aufnehmen würden, wenn diese vergütet
wäre. „Damit könnte ein Plus von 31000
Personen bis zum Jahr 2025 erreicht wer-
den“, sagt Wiff-Leiterin Kirsten Fuchs-
Rechlin. Allerdings könne nicht ausge-
schlossen werden, dass durch Optiprax
und Co. ein „Kannibalisierungseffekt“ ein-
trete, also junge Menschen, die ohnehin Er-
zieher werden wollten, statt in die traditio-
nelle Ausbildung in die duale gehen.
Optiprax wurde im Schuljahr 2016/17 in
Bayern als Modellversuch gestartet. Lena
Ponta ist eine der ersten Absolventinnen,
die die Ausbildung an der Städtischen
Fachakademie für Sozialpädagogik in
München abgeschlossen haben. So viele In-
teressenten hatten sich beworben, dass
Ponta zunächst nur auf die Warteliste
kam. „Ich war erst mal enttäuscht“, erzählt
sie. Doch letztlich hatte sie Glück, rückte
nach, und fühlt sich heute bestens ausge-
bildet. Eine herkömmliche Erzieherausbil-
dung hätte sie „100-prozentig nicht ge-
macht. Das wäre unattraktiv gewesen für
mich, und ich hätte es mir auch nicht leis-
ten können und wollen“.
Doch neu ist nicht nur die Ausbildungs-
vergütung, auch der Lehrplan wurde für
Optiprax reformiert. So wechseln sich im
Unterricht Praxis- und Theoriephasen ab:
Erst sind die Schülerinnen und Schüler
zwei Wochen in Krippe, Kindergarten,
Hort oder Tagesheim, dann zwei Wochen
in der Schule. Das ist anspruchsvoll. Jutta
Nachtmann, Lehrkraft an der Städtischen
Fachakademie für Sozialpädagogik in
München, sagt, „ich schlucke immer,
wenn ich lese, das Optiprax-Modell sei ei-
ne verkürzte Ausbildung“. Das Wort „ver-
dichtet“ sei viel treffender. Im Gegensatz
zu den bisherigen Lehrgängen an der Fach-
akademie, wo eine Erzieherausbildung ins-
gesamt fünf Jahre dauert, hätten die Absol-
venten keine Schulferien, sondern nur
30 Tage Urlaub im Jahr. „Das ist nicht für
alle geeignet“, sagt Nachtmann. Auch mit
den zwei Ausbildungsorten müsse man zu-
rechtkommen.
Auch Ulrike Dümlein-Diem, die Leiterin
der Münchner Krippe, in der Lena Ponta ar-
beitet, sieht Optiprax als große Herausfor-
derung für die Auszubildenden. Derzeit lei-
tet sie zwei Optiprax-Schüler im zweiten
Jahr in der Krippe an. Sie selbst hat nach
dem Abitur und einem abgebrochenen
Lehramtsstudium für Mathe und Physik
die traditionelle Erzieherausbildung ge-
macht und stellt fest, dass den Optiprax-
lern vor allem das Jahr Praktikum am En-
de und am Anfang fehle. „Bei Optiprax-
Auszubildenden hat man die totale Band-
breite, jeder bringt etwas anderes mit“,
sagt sie. Dass ein Quereinsteiger mit abge-
schlossenem fachfremdem Studium
zwangsläufig mehr Erfahrung mit Kin-
dern hat als ein 19-jähriger Abiturient, be-
zweifelt sie. Das Problem am Beruf Erzie-
her sei schon immer gewesen, „dass es ei-
gentlich jeder kann“ – oder zumindest zu
können meine. Den Unterschied vom kin-
derfreundlichen Blick zur professionellen
Begleitung müsse hier jeder lernen. Und
das gelinge nur mit einer guten Ausbil-
dung, sagt Dümlein-Diem.
An der Staatlichen Fachakademie in
München, wo Lena Ponta gelernt hat, war
die Ausbildung offenbar gut. „Von den ers-
ten Absolventinnen und Absolventen blie-
ben alle im Beruf“, sagt Nachtmann stolz.
Unter ihnen waren neben Abiturienten
auch Lehrer, Lehramtsstudienabbrecher
oder Quereinsteiger mit anderen Studien-
abschlüssen – Bankkaufleute, Mechatroni-
ker, Förster und: mehr Männer als sonst, al-
so mehr als ein Drittel. „Der Andrang war
groß“, sagt die promovierte Psycholinguis-
tin Anna Winner, die mit Nachtmann an
der Fachakademie den Lehrplan neu konzi-
pierte.
Die beiden Lehrkräfte wollten, dass das
Modell ein Erfolg wird, und verhandelten
daher hart mit der Stadt München, der Trä-
gerin der Akademie, um optimale Ausbil-
dungsbedingungen. So wurden die Opti-
prax-Auszubildenden in jeder Einrichtung
„on top“ beschäftigt, also nicht in den Stel-
lenschlüssel eingerechnet. Das wurde zu-
gesagt – selbst wenn nicht immer dafür
garantiert werden konnte, dass das in
Ausnahmefällen wegen Personalmangels
auch tatsächlich so sein würde.
Der 23 Jahre alte Lukas Biehler, mit Le-
na Ponta ein Absolvent der ersten Stunde,
wurde während seiner Ausbildungszeit
durchaus wegen Personalmangels mit An-
forderungen konfrontiert, die Auszubilden-
den eigentlich nicht zuzumuten sind. „Na-
türlich habe ich dann manchmal Sachen
übernommen, die ich noch nicht kannte“,
erzählt er. Doch er sagte auch: „Stopp, ich
übernehme hier zu viel Verantwortung.“
Biehler arbeitet heute wie seine ehemali-
ge Mitschülern Ponta in einer Krippe, fühlt
sich aber „selbstbewusst genug, mir jetzt
alles zuzutrauen, inklusiv, integrativ, Hort,
Krippe, die Arbeit mit Jugendlichen“. Die
beiden stellen der Ausbildung ein sehr gu-
tes Zeugnis aus, was aber auch an dem spe-
ziellen Modell an der Fachakademie in
München liegen kann. Verena Maier, die ih-
ren echten Namen hier nicht lesen will, hat
in der Ausbildung an einer anderen Akade-
mie in Oberbayern dagegen eher schlechte
Erfahrungen gemacht. Sie fühlte sich im
Unterricht unterfordert, was aus ihrer
Sicht daran lag, dass die Lehrpläne nicht
auf die neue Zielgruppe angepasst wur-
den. Als eine Gruppe der Auszubildenden
sich bei den Lehrern darüber beschwerte,
hieß es, neue Lehrinhalte zu entwickeln
und den Unterricht umzustellen, koste
Zeit, doch die werde ihnen nicht vergütet.
Maier hält es aber für absolut notwendig,
den Lehrplan zu entschlacken und auf ein
höheres Niveau zu heben, wenn man Abitu-
rienten bei der Stange halten wolle.
Wiff-Leiterin Kirsten Fuchs-Rechlin
teilt diese Einschätzung. „Soll die vollzeit-
schulische Ausbildung nicht einfach nur
durch die praxisintegrierte ersetzt wer-
den, sondern tatsächlich ein ‚Mehr‘ an
Schülerinnen und Schülern bringen, dann
müssen auf Fachschulebene Ressourcen
für eine Erhöhung der Ausbildungskapazi-
täten bereitgestellt werden“, sagt sie. Dies
schließe auch die Zahl gut ausgebildeter
Lehrkräfte ein. „Hier scheinen die Fach-
schulen an ihre Kapazitätsgrenzen gesto-
ßen zu sein.“ Gewährleistet werden müsse
außerdem eine gute Begleitung der Schü-
ler an beiden Lernorten. Sollen die Schüler
von einer stärkeren Praxisintegration pro-
fitieren, braucht es auch eine Erhöhung
der Ressourcen für die Begleitung in den
Kitas selbst – was andererseits bedeute,
dass die Fachkräfte dort mit einer weiteren
Aufgabe „belastet“ würden.
Trotz aller Zusatzarbeit hält es Krippen-
leiterin Ulrike Dümlein-Diem allerdings
angesichts des Fachkräftemangels in ih-
rem Beruf grundsätzlich für gut, dass es so
viele Zugänge zum Beruf gibt. „Für mich
ist das der perfekte Kompromiss“, sagt sie.
Ob Modelle wie Optiprax den Personalman-
gel aber lösen werden? Dümlein-Diem
zweifelt. Der Bedarf an Fachkräften steigt
weiter an, für Grundschulkinder soll es
von 2025 an einen Anspruch auf einen
Hortplatz geben. Und dass alle Optipraxler
nach der Ausbildung im Beruf bleiben, ist
ebenfalls nicht sicher.
Lena Ponta jedenfalls schließt nicht aus,
dass sie doch noch irgendwann studieren
wird. Was nicht schlecht sein muss. Lukas
Biehler hält eine weitere Akademisierung
des Berufs sogar für unabdingbar. Gar
nicht so sehr um des Gehaltes willen, son-
dern vielmehr, um das Berufsfeld aufzu-
werten. „Man muss deutlich machen, dass
der Beruf wichtig ist für die Gesellschaft,
dadurch steigt auch die Wertschätzung“,
sagt Biehler.
Erste Reihe oder letzte Bank?
Tendenziell hinten, wegen der besseren
Übersicht.
Influencer oder Follower?
Immer große Klappe: Klassensprecher!
Mein Hobby in der Pause?
Unterstufe: Fußballer-Sammelkarten,
Oberstufe: cool rumstehen und rauchen.
Meine größte Stunde?
Ich hatte mich die ganze Grundschulzeit
auf das Schultheater in der vierten Klasse
gefreut. Als das dann gerade für meinen
Jahrgang ausnahmsweise abgesagt wur-
de, habe ich selbst eine Aufführung organi-
siert. Max und Moritz, mit mir selbst in ei-
ner Titelrolle. Danach hab ich beschlossen,
Regisseur zu werden.
Das würde ich gern vergessen:
Felgaufschwung und Felgumschwung.
Hab ich im Leben auch nie wieder ge-
braucht.
Ein Denkmal gebührt ...
...den guten Lehrern – die machen den gro-
ßen Unterschied, unabhängig von Schul-
form und Unterrichtsgegenstand.
Lernen ist ...
...was ganz Großartiges. Ich freu mich je-
des Mal wahnsinnig, wenn ich die Gelegen-
heit bekomme, etwas Neues zu lernen.
Noten sind ...
Eine Klassenkameradin meiner Tochter
hat in der ersten Klasse im Halbjahreszeug-
nis einen Vierer bekommen. Kann man ei-
ne Sechsjährige grausamer demotivieren?
Später finde ich Noten als Vorbereitung
auf die Leistungsgesellschaft, wie sie nun
mal ist, okay.
Schule müsste ...
...es schaffen, vor allem auch die zu begeis-
tern, die nicht wie ich eine prinzipielle Lie-
be zu Büchern, Wissen und Lernen von zu
Hause mitbekommen haben.
Entschuldigen muss ich mich bei ...
Im Nachhinein ist mir so manches pein-
lich, wie ich mich in der Schulzeit gegen-
über dem anderen Geschlecht zum Dep-
pen gemacht habe. Andererseits ist Schule
wohl auch dafür da, dass man sich gegen-
seitig „ausprobiert“, auf die Nase fällt bezie-
hungsweise was auf die Nase kriegt.
Entschuldigen muss sich bei mir ...
Ach nee, nachtragend bin ich nicht.
Zur Schule hat jeder was zu sagen. War ja jeder da.
Deshalb gibt es einmal die Woche „Alte Schule“.
VieleWege führen zu einem Job in der Kita –
auch Studiengänge. Doch der „klassische“
Weg ist immer noch die Ausbildung zum
staatlich anerkannten Erzieher. In der Regel
absolviert man zunächst an einer Berufsfach-
schule eine zweijährige Ausbildung zum Kin-
derpfleger oder Sozialassistenten; für einen
Job in der Kita ist man damit bereits qualifi-
ziert. Anschließend kann man sich an einer
Fachschule oder Fachakademie für Sozial-
pädagogik, Oberstufenzentren oder Berufs-
fachschulen für Sozialwesen zum staatlich
anerkannten Erzieher weiterbilden.
Abiturienten können nach einem Prakti-
kum gleich in die Erzieherausbildung einstei-
gen. Die Dauer der Ausbildung variiert je
nach Bundesland zwischen zwei und fünf Jah-
ren. Für diesen „klassischen“ Weg gilt, dass
kein Gehalt gezahlt wird. Einige Fachschulen
erheben sogar noch Schulgeld. Wenn die
Schüler während der Ausbildung nicht mehr
zu Hause wohnen, können sie allerdings
Bafög beantragen.
Der Fachkräftemangel aufgrund des konti-
nuierlichen Kita-Ausbaus hat die Kultusmi-
nisterien in den vergangenen Jahren aller-
dings dazu bewogen, das Ausbildungssys-
tem umzugestalten und dadurch auch für
Quereinsteiger oder Abiturienten attraktiver
zu machen. Angeboten werden nun auch ver-
kürzte und vergütete Ausbildungswege, die
attraktiver sind. Damit sollen neue Zielgrup-
pen erschlossen werden. Teil dieser Strate-
gie sind die sogenannten praxisintegrierten
Ausbildungen wie zum Beispiel das bayeri-
sche Optiprax-Modell. EDEL
Lena Ponta hatte nach dem Abitur keine Ahnung, was sie machen sollte. Heute arbeitet die 23-Jährige als Erzieherin in einer Münchner Kinderkrippe – und ist
überzeugt,dass sie den richtigen Beruf für sich gefunden hat. FOTO: STEPHAN RUMPF
Stefan Ruzowitzky, 1961 in Wien
geboren, studierte Theaterwissenschaft
und Geschichte. „Tempo“, sein Regie-
und Drehbuchdebüt, gewann 1996 den
Max-Ophüls-Preis, 2008 erhielt sein
KZ-Drama „Die Fälscher“ den Oscar
für den besten fremdsprachigen Film.
Am 12. März kommt seine Verfilmung
von Hermann Hesses Erzählung
„Narziss und Goldmund“ ins Kino.
FOTO: WERNER HIMMELBAUER
ALTE SCHULE
Stefan
Ruzowitzky
Die lieben Kleinen, das liebe Geld
100 000 Erzieher fehlen in Deutschland, auch weil die Ausbildung Jahre dauert und unbezahlt ist.
Modelle wie Optiprax sind beliebt – doch ob sie den Personalmangel beheben können, ist fraglich
Verkürzte Ausbildung?
„Verdichtet“ treffe es besser,
sagt eine Ausbilderin
Grundschulkinder sollen von 2025
an Anspruch auf einen Hortplatz
haben, der Fachkräftebedarf steigt
Ganz klassisch – ohne Gehalt
FrüherFreund des Regietheaters,
kein Freund des Felgabschwungs
(^12) SCHULE UND HOCHSCHULE Montag, 9. März 2020, Nr. 57 DEFGH
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eben nach Meran oder in die Berge oder in
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