Frankfurter Allgemeine Zeitung - 03.03.2020

(Michael S) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Politik DIENSTAG, 3.MÄRZ2020·NR.53·SEITE 7


Ständig wirdvom Generationenvertrag
gesprochen,wobei oftunter geht, dass
dieserVertrag nur ein Sprachbildist. Er
läss tsichnicht aufPapier ausdrucken
und auchnicht vonden Generationen un-
terzeichnen. Er istauchnicht einklagbar
–und da wirdess chwierig.Dennimmer-
hin bildetder Generationenvertragdas
Fundament desLastenausgleichs zwi-
schen denunterschiedlichen Lebensal-
tern.DiesesFundamenthatschon Risse,
und siewerden immergrößer.Denn
nicht nurwerden die Menschen immer äl-
terund es gibtweniger Junge,die diese
Lasttragenkönnten.Eine sehrvom Indi-
vidualismusgeprägt eAltersg ruppe muss
balddie größteRentnerkohorte der deut-
schen Geschichteversor gen. Auchwan-
deltsich dergesellschaftlicheKonsens,
werfür wenaufzukommen hat.
Eine alterndeGesellschaft,wie die
deutsche sie ist, trägt alsogleich mehrere
Konflikt eaus, zwischen unterschiedli-
chen Einkommensgruppen,Geschlech-
tern,zwischen Kinderlosen undKinder-
reichen.Unddaran schließen sichgroße
Fragen an.Wiewirdangesichtsstark stei-
genderMietenin dengrößerenStädten
älteren Bürgern ein gutes Lebengaran-
tiert?Und is tder Alterungsprozessnur
mit Zuzug zustoppen–oder zumindest
der Mangel an Pflegekräften?
Alles wichtige Themen undFragen,
die NikolausvonWolffinseinemBuch


„Endlichendlich.Warumdie alternde
Gesellschaftsichneu er findenmuss“ auf-
wirft.Von Wolff, Jahrgang 1966,ist frei-
er Publizist undAutor ,erhat Philoso-
phie undVisuelleKommunikationstu-
dier t.
SeinerFeststellung, dass derGenera-
tionenvertrag angesichtsder veränder-
tenRahmenbedingungen neuausgehan-
delt werden muss,kann mannur zustim-
men. DiePolitik diskutiert auchständig
darüber,wenn auch in abgeleiteter Form.
Beider Diskussionind er großen Koaliti-
on überdie Grundrente wurde beispiels-
weise deutlich, dasseszwarauchumma-
terielle Versorgunggeht, abervor allem
um dengroßen wieunscharfenBegriff
derAnerkennungvonLebensleistung.
Dazu passt,dassdie Grundrente zwar
nunkommen soll,ihreFinanzierung
aber noch immerunklarist.Ähnlic hist
es beim Thema Erben,das nahezuvoll-
kommen durch die Gere chtigkeits- und
damitSteuerbrille betrachtet wird.
NungibtesmehrereGründe,warum
Politik undPolitiker sich so schwertun,
denGenerationenvertrag zu modernisie-
ren, und klare Aussagen scheuen. Die
könnte ndafür vonAutoren wievon
Wolffkommen, nurleiderbleibtauch
sein Essaynahezu alleAntworten schul-
dig. JenseitsvonAllgemeinplätzen(„Die
alternde Gesellschaftbetrifftalle –nicht
nurdie Alt en“, „Aus eineralterndenGe-

sellschaftdarfkeine Altengesellschaft
werden“)leist et sein Text auchsonstkei-
nen konkreten Beitrag.
In derTatist es ein Problem, dass die
Deutschen, die 1889die gesetzli cheRen-
tenversicherung erfunden haben, einVer-
trauen,aberauch eineAnspruchshaltung
gegenüber dersozialen Ordnung desStaa-
teshaben, die angesichtsder aktuellen
Entwicklungen nicht u nproblematisch
ist. DasRentensystem des 19.Jahrhun-
derts konntekeine Vorstellunghaben
vonKünstlicher Intelligenz, Digitalisie-
rung undsteigendem Bildungsniveau.
Das ausgesprochen, blättert man erwar-
tungsvollweiter –und findetbei von
Wolffnur weiter eunbeantworteteFra-
gen.
Isteine BürgerrentenachSchweizer
Vorbild eine Lösung? Sollten die Beam-
tenprivilegien aufgelöstwerden? Und
wie etwa könnt eman da sRentenmodell
umgestalten, so dassessich nicht mehr
nur ausRentenbeiträgen speist?Steuerli-
cheQuerfinanzierung, Steuern aufFi-
nanztransaktionen, Internetgeschäfte
oder Flugreisen? Der Autorkann sichlei-
der nicht dazu durchringen, für eine Opti-
on zuwerben –oder auch nurdas Für
und Wider zu diskutieren, damit der Le-
ser es tunkönnte. DasKonkretest e, das
vonWolffanbiet et,ist die Überlegung,
dass einerTheaterwissenschaftlerin
ohne Abschlu ss zugetraut werden dürfte,

nacheinerFortbildung in einerGrund-
schul eDeutschoder Sachkunde zu unter-
richten.
Am Ende seiner knappenAusführun-
genkommt derAutorauf Japan zu spre-
chen. Das Land istein interessanterFall,
schließlichhat es eine nochdeutlichältere
Gesellschaftals Deutschland,trotzdem ist
Japan alsVolkswirtschaftsehr erfolgreich
und innovativ.Wie gelingt der japani-
schen Gesellschaftdas? DieRegierungfor-
dertetwadie EntwicklungvonTechnolo-
gien, die in der Pflegezum Einsatzkom-

men können.Überhauptwerde an einer
ganzheitlichenPolitik der Alterunggear-
beitet.Aber auchhier fehlt allesWeiter-
führende,wasspätes tens an dieser Stelle
zum Ärgernis geworden ist.Fürreine Pro-
blembeschreibungen fehlt inzwischen
aber dieZeit, dasRentenmodell, für das
nicht mehr „one sizefits all“gelten kann,
braucht dringendkonstruktiveVerände-
rungsvorschläge. MONAJAEGER

NikolausvonWolff:
EndlichEndlich!Warumdie
alternde Gesellschaftsich
neu erfinden muss.
Chromaland Medienverl ag,
Chemnitz 2019.
128 S., 12,90 €.

„Ferne Nachbarn“ oder „Gleichund
dochanders“ sindgängig eBeschrei-
bungsmuster,wenn vonDeutschland und
Italien dieRede ist.Während ein Golo
Mannnochmit Pathos vonden „Schick-
salsschwestern“ Italien und Deutschland
sprechen konnte ,ist die jüngere Ge-
schichtsschreibung nüchterner gewor-
den.Allerdings bleibt sie unentschieden
zwischender Feststellungeiner „paralle-
len Geschichte“ aufder einenSeite, die
Deutscheund Italiener miteinanderver-
bindetund in vielerlei Hinsicht ähnlich
und vergleichbar macht, undauf der an-
deren Seiteder Behauptungvon „Sonder-
wegen“ hüben wie drüben, mitjeganz
einzigartigen, unverwechselbaren Merk-
malen des historischenVerlaufsinden
beidenLändern, so dasseigentlichnur
Etappenvon deren engeren oder distan-
zierte renBeziehungenrekonstruiertwer-
den können, ohnekomparatistischen Zu-
griff.
Derweil favorisiertdie i talienische Ge-
schichtsschreibung Modelle, die zur Beto-
nung derUnvergleichbarkeit de reigenen
nationalen Geschichte tendieren, und
zwar nicht zu deren Glorifizierung, eher
im Gegenteil :umaus de nTiefen der Ge-
schichtedie Schwächenund Krisender
italienischen Gegenwartsgesellschafther-
zuleiten.
Der VergleichimAllgemeinen und zwi-
schen nationalenKulturen im Besonde-
renbleibt für Historikerein schwieriges
Geschäft, aberwas er an Erkenntnisge-
winnermöglicht,beweistClaudia Gatz-
kasStudie über Italien unddie Bundesre-
publik in denersten gut drei Jahrzehnten
nachdem ZweitenWeltkrieg.Die His tori-
kerinlegt für dieseEpoche eine Parallel-
undVergleichsgeschich te zwischen den


beiden politischenKulturen nördlich
und südlich derAlpen vor, wobei ihrAus-
gangspunkt dieFragenachdem Hinein-
wachsen derbundesdeutschenund der
italienischen Bevölkerung in die parla-
mentarischeDemokratienachden Jah-
renvon Diktatur und Krieg ist,konkret:
nach derArt und Weise,wie in den bei-
denLände rn die Demokratie als Idee
undals Praxis ankam, wi esie real er fah-
renund in politischerKommunikation
angewandt underlebt wurde.
Gatzkabeabsichtigt nicht, zwei populä-
re Narrativemit Quellenmaterial zu un-
terfüttern,welche die bundesrepublikani-
sche Nachkriegsgeschichteineinem bis-
weilenteleologischen Verständnisals
„Erfolgsgeschichte“ der Demokratisie-
rung präsentieren und umgekehrtdie ita-
lienische Nachkriegsgeschichteals eine
Dauer-Krisen-Geschichte mitabsteigen-
derKurve schildern.Vielmehrinteres-
sier tsie si ch für daskonkreteErleben
undEinüben einesneuen Systems und
neuerWerte, und daher schaut sie auf ei-
nenwichti genRaum, indem sich solche
Lern-und Anwendungsprozesseverdich-
tetabspielten: aufdie Stadt.
Hamburg und Bologna sowieUlm und
Bari sind ihreHauptschauplätze, jeweils
genügend ähnlich,umals exemplarische
Fallstudienuntersuchtwerden zukön-

nen, genügend unterschiedlich,ummar-
kantedeutsch-italienische Differenzen
im Umgang mit demNeuen sichtbar zu
machen.Die Autorinfragt, wiedemokra-
tischePolitik im „postfaschistischen All-
tag“ vermittelt undrepräsentiertwurde,
und der Begriff „postfaschistisch“ (was
„postnationalsozialistisch“ einschließt)
weistdarauf hin,dasssie si ch derHaupt-
str ömung dergegen wärtigen Geschic hts-
schreibun ganschließt,welche dieKonti-
nuitäten zwischenFaschismus bezie-
hungsweiseNationalsozialismusund ita-
lienischerbeziehungsweisedeutscher
Nachkriegsgesellschaftbetont, während
sie denTopos vomradikalenNeuanfang
1945,voneiner „Stunde null“, ad actage-
legt hat. Tatsächlich kann die Autorin im
deutsch-italienischenVergleichzeigen,
dass bestimmte,von den Diktaturenge-
erbteMusternachhaltigweiterwirkten,
mandenkeandie Mobilisierung der Mas-
sen, an die zentraleRolle des„Volkes“
(„popolo“) zurLegitimierung politischer
Macht oder an dieVorstellung von„Ord-
nung“ als einervorrangigen Qualitätdes
Gemeinwesens.
Gatzkas Untersuchunggeht dasWag-
nis ein,die Mikroanalysepolitischer All-
tagskommunikation im kommunalen
Raum mit demgroßen Tableau derbei-
den Nationalgeschichte nzukombinie-
ren. Sie tut dies in begriffsstarker,gut les-
barerWissenschaftsprosa. Ihr Buchist so
reichanepisodischenErzählungen, dass
man manchmal den rotenFaden verliert.
Werdurchhält, wird mit einer Gesamtge-
schichteItaliensund Westdeutschlands
belohnt:zwischenWiederaufbau,Wirt-
schaftsaufschwung,Konsum gesellschaft
und dem,was Ende der 1960er Jahreund
in den siebziger Jahren zahlreicheZeitge-

nossen, speziell in Italien, als „Krise“ der
Demokratie interpretierten, wobei ei-
gentlic hdie Krise der traditionellenPar-
teien gemeintwar.
Denn dies isteine der zentralen Thesen
der Studie: DieÜberpolitisierung der Dik-
taturen hattedie Be völkerungen in Italien
und in Deutschland (West) durchaus nicht
per se allergischgegen allesPolitischege-
macht–wohl aberkamesnachdem Krieg
darauf an,Politikneu zukodieren. In der
Bundesrepublik hieß das, dieWiederher-
stellung einesgeordnetenstädtischen Le-
bens als eher „unpolitisch“ darzustellen,
jeden falls unideologisch, sachorientiert;
in Italienkehrte Politik als Spektakel mit
Unterhaltungswertauf die Piazza zurück,
nun aber nicht mehr durchchoreogra-
phiertwie unter Mussolini. Letztlichprä-
mierte der Souverän in beiden Ländern,
so Gatzka, die „dienstbareDemokratie“,
in derParteien undPolitikerglaubhaftma-
chen konnten, die Bürgernicht erziehen,
sondernihnen dienen und nützlichsein
zu wollen. Diesgelang zunächstden bei-
den großen Parteien in Italien, der Demo-
crazia Cristiana und demPartitoComunis-
ta,besser als SPD und CDU.Aber sie ta-
tensichschwererals diese mit der Anpas-
sung an dasVordringenvonMarkt- und
KonsumlogikenimpolitischenFeld. In
Klammerngesagt:Das wardann später
Silvio BerlusconisErfolgsrezept. Die Piaz-
zabüßteihren Reiz al sOrtpolitischerVer-
sammlungenundKundgebungenein.Je
wenigeresgelang, dieItaliene rfür dieher-
gebrachten Formen der Mobilisierung
und Partizipation zugewinnen, desto grö-
ßer erschien derVerlustanLegitimität
des politischen Systems und seiner Akteu-
re.Vielleicht denken wir deswegen heute
mit so vielNostalgie an Don Camillo und
Peppone. CHRISTIANELIERMANN

Claudia C. Gatzka:
Die Demokratie der Wähler.
Stadtgesellschaftund
politischeKommunikation
in Italien und der
Bundesrepublik 1944–1979.
Dros te Verlag,
Düsseldorf2019.
616 S., 68,– €.

POLITISCHE BÜCHER


Wiewir wurden, waswir sind


InteressanteVergleiche zwischen den „fernenNachbarn“ Deutschland und Italien nach


Lieblingsfeinde, Lieblingsitaliener:Don Camillo undPeppone–Filmszenevon1 952 FotoInterfoto


Fragen ohne Antworten


Ein misslungenerVersuch, über den Generationenvertrag nachzudenken


BRIEFE AN DIE HERAUSGEBER


Zu„Die Gefahrvonrechts“vonJasper
vonAltenbockum(F.A.Z. vom21. Fe-
bruar) und „Blutgeleckt“vonBerthold
Kohler (F.A.Z.vom22. Februar): Es ist
zweifelsfreirichtig, wasSie schreiben.
Aber keiner denkt über denUrsprung
und die Wurzeln dieser Entwicklung
nach. Eine unbestimmteAnzahlvon
Wählernist nicht in der Lage, sichintel-
lektuell mit der Geschichteoder denge-
sellschaftspolitischen Gegebenheiten
auseinanderzusetzen; siereagiertnach
dem Gefühl. Da,wo das Denken nicht
stattfindet,bestimm tGefühl. In denVer-
einigten Staaten wählen diese Men-
schen Trump, imVereinigten König-
reichden Br exit, inUngarn Orbán, in
der Türkei Erdogan und in Deutschland
die AfD.Waskönnen diese Menschen
in einer Demokratie anderes tun,wenn
die Politiker ihreMeinung missachten?
In Deutschland hatten dieVolkspar-
teien CDU und SPD die Menschen aus
dem zerstörerischen diktatorischenRe-
gime in eine anerkannteund gut funktio-
nierende Demokratie begleitet und ge-
führt.Auch Frau Merkelhattedabei ih-
renguten Anteil bis zu ihrer einsamen
Entscheidung, die sie ohneAbsprache
innerhalb Deutschlands oder Europas
traf, die Grenzen zu öffnen. Das haben
Polen, Ungarn,die Briten und andere
nicht mitgemacht. Damit wurde die eu-
ropäische Integration beschädigt.In
Deutschland, das es eben nicht „ge-
schaf ft“hat, wurde die AfDstarkge-
macht. Ein beträchtlicherTeil unserer
Bevölkerung akzeptiertnicht, dassder

Islam einTeil vonDeutschland ist.Frau
Merkelhat es sicher erkannt undwohl
deshalb ihreFührung delegiert. Die Ge-
schichte wirdihrePolitik würdigen.
Wiesollen die Menschenreagieren
oder wählen, wenn ihreMeinung und Le-
bensauffassungvonden Politikern nicht
erkannt undvertretenwird? Die AfD
und die „rechten Kräfte“werden erst
dannwieder kleiner oderverschwinden,
wenn auchdie nic ht akademischgebilde-
tenWähler das Gefühl habenwerden, in
Deutschland zu Hause zu sein.
MANFREDHEYNE, FRANKFURT AMMAIN

Die in derF.A.Z. vom27. Februarveröf-
fentlichteAuswahlvonLesermeinun-
genüber die schon längerandauernde
aktuelle politische Situation in Deutsch-
landist ein mutiger und überfälliger
Schritt, der nachdenklich macht un din
Politik undinder übrigen Medienwelt
aufhorchen lassen sollte. Die hier aufge-
zeigtenvielfältigen Meinungsinhalte,
die voneiner glaubhaften, zwar unter-
schiedlichen Sorge geäußertsind, zei-
genauch, dassdas Land mehr denn je
gespaltenist,wofür politische, teils

selbstherrliche Entscheidungen Ursa-
chesind. Wenn Leserin Barbaravan He-
cke unter(„Einzig die AfDwill Einhalt
gebieten“) ihrenTöchternrät, das Land
zu verlassen ,dann istdas kein Populis-
mus, sonderneinges tandene Sorge.
Diese Briefe-Seiteist eingroßer An-
sehensgewinn für IhreZeitung,wobei
die Vielfalt der Lesermeinungen inder
F.A.Z. immer schon ungewöhnlichbreit
gefächertwar,was inkeineranderen
Zeitung denkbarwäre.

HARRYDÖRING,BERLIN

Ichbeglückwünsche Sie zu Ihrem Mut,
mit klaren, unmissverständlichenAussa-
geneinen vermutlichgrößerenTeil Ihrer
Leserschaftvor den Kopf zu stoßen.
DenndasmussoffensichtlichderFall
sein,wenn man sichdie am 27.Februar
auf einerganzen Seiteversammelten,
vorallem dem Kommentar „Blutge-
leckt“vom22. FebruargewidmetenLe-
serbriefe zu Gemüte führt. Ichwill nu rei-
nen einzigen herausgreifen, den von
Frau Barbaravan Hecke aus Herzogen-
rath („Einzig die AfD willEinhaltgebie-
ten“). Sie äußertdortihre Erschütterung
und dasssie inzwischen im „inneren
Exil“lebe.Ich wiederum erlaube mir,
hier meiner Erschütterung Ausdruc kzu
verleihen ob der unglaublichen Ignoranz
und mangelndenUrteilskraft, die einem
aus diesem Brief entgegenschlägt.
Frau vanHecke sprichtvonder „Dik-
tatureines Wahnsinnigen“ (alswenn
ein Hitlerganz ohne das Mittun sehr vie-
ler anderer seineMordmaschinerie hät-
te in Gang setzenund haltenkönnen –
das nur nebenbei), um dann imgleichen
Atemzugdie Parallele zu ziehenzur
„De-facto-Diktatur Merkels“, der sich
dasdeutscheVolk„abermals“unterwer-
fe.Lohnt es sich, auf einen solchunge-
heuerlichenVergleichgenauer einzuge-
hen? Sie sprichtvoneinem „islamisie-
rungsfreundlichen“ grün-linken Main-
stream. Lohnt es sich, nachzufragen,
werdenn vondiesem „Mainstream“ die
„Islamisierung“Deutschlands herbei-
sehnte?Stattdessen geht es umreligiöse

ToleranzunddenKampfgegenFrem-
denfeindlichkeit (ichvermeide den Be-
griff„Rassismus“ hier durchaus be-
wusst). Sie behauptet,den „muslimi-
schenAttentätern“werde „Wohlwollen
entgegengebracht“. Lohnt es sich, über
diese Perfidie auchnur einWort zu ver-
lieren? Lohnt es sich, sichnäher mit ih-
rerVorstellungvonIntegration zu be-
schäftigen, die beispielsweise dasAb-
schneidenvon„Muslimbärten“ zwin-
gend er fordere?
Vondem Deutschland „bis 2015“
zeichnetsie ein überaus idyllisches
Bild („eine wundervolle, tolerante, frei-
heitlicheGesellschaftmit Sozialer
Marktwirtschaft“). Istdas nun unfass-
bar naiv oder durch und durch verlo-
gen? „DieZeit“ veröffentlichtjustan
dem Tag, an dem Frau vanHeckes
Brief in derF.A.Z. erscheint, eineListe
mit denNamen von182 Menschen,die
seit der deutschen Einheit durch rechts-
extreme Gewalt umgekommensind.
Hat dievorSorge brennendeLeserin
vanHecke je vomNSU gehört, hat sie
Mölln, Solingen, Rostockvergessen,
um nur einigeOrtezunennen, an de-
nen seit1990 RechtsextremistenMor-
de un dander eschwere Verbrechenver-
übthaben –anMenschen,die nicht in
ihr Weltbild passten und deshalb ihr Le-
bensrechtverwirkt hätten? Ichkann
nur fassungslos fragen: In welcher
Welt hat Frau vanHecke gelebt, inwel-
cher lebt sie?
DR.MICHAELKNITTEL,BAD HOMBURG

Die am 27.Februar erschienenenLeser-
briefe, meistals Reaktion auf den Leitar-
tikel vonBertholdKohler „Blutgeleckt“
(F.A.Z.vom 22.Februar )geschrieben,
sindmeines Erachtens ein zeitgeschicht-
li ches Dokument erster Klasse–und un-
be dingt aufzubewahren aus mehreren
Gründen! Nicht zuletztkönnten sie sich
als Weckruf in späterStundeund auch
als „Demonstration“ vonwahrhaften
Bürgern, die nicht für ihre eigenenInter-
essen auf dieStraßegehen odergar her-
umkrakeelen, erweisen.
Eine Überschriftüber einem Leser-
brief lautet „Wer Sorgenignoriert,för-
dertRadikale“. Die Botschaftlautet
also, wernicht leistet, den bestraftdas
Leben beziehungsweise der Wähler.
Nicht nur die Liste der durchAktivität
geschaffenen Beschwernisse istlang
(siehe Leserbrief Illauer). Nein, das
größteProblembesteht im Nicht-Schaf-
fenseitens derRegierung, die unter ih-
rerParole „Das schaffenwir“ segelt. Die
Fliegenbein-Zähler undPolitiker-Assis-
tenten werden ganze Listenvon„Ge-
schaf ftem“ als Gegenargument präsen-
tieren („Das gute X-Y-Gesetz...“).
Deutschland krankt aber an dem,was
fehlt, nämlicheinerRegierung, diere-

giert, das heißt Probleme löst.ImWege
steht unter anderemein Verständnis
vonDemokratie, das sie nicht mehr pri-
mär als Herrschaftsform, das heißtRe-
gierung,versteht. Es is tspeziell die Ent-
wicklung der parlamentarischen Demo-
kratie hin zur Abbildung der Gesell-
schaf timParlamentals Vielparteien-
landschaft(Thüringen lässt grüßen).
Der Koalitionszwang führt dannzuRe-
gierungen aus „Feuer undWasser“ oder
zu politischen Erpressungen.Wasdabei
rauskommtist unbekömmlich („weder,
noch“ beziehungsweise kleinster ge-
meinsamerNenner oder auchgemeinsa-
me Vernachlässigungdes Gemein-
wohls). Hinzukommt aktuellein Mitre-
gierungspartner,dem dasWasser bis
zum Halssteht, die SPD, und derRet-
tung in derRadikalisierung seiner Pro-
grammatik sucht.DiesenPartner aber
beziehungsweiseeinen noch„schlimme-
ren“ braucht die CDU,weil sie allein
nicht mehrattraktivgenug ist.Keine
schönen Aussichten; wie gut hat es da
das im Brexit geschiedene,vonvielen so
genannte„perfide Albion“, das Muster-
land der parlamentarischen Demokra-
tie!

HUBERTKÖGLER,OHLSTADT

ZumBeitrag „Die Muslime und wir“
(F.A.Z.vom26. Februar): Immer wie-
der sindPeterGauweilersdank Bildung
und Klugheit, herausragender sprachli-
cher Ausdruc ksfähigkeit und Denkwür-
digkeit seiner Standpunktesichaus-
zeichnenden Beiträgeein Lesegenuss.

DR.ANNESTEPHAN-CHLUSTIN,
WIESBADEN

Wo das Denken nichtstattfindet


Das Land mehr denn jegespalten


Erschüttertvon solcher Ignoranz


WeckrufinspäterStunde


Lesegenuss



Vonden vielen Zuschriften,die unstäglicherreichen
und dieuns wertvolle Anregungen für unsereArbeit
geben,können wir nur einen kleinenTeil veröffent-
lichen. Dabeikommt es nicht darauf an, ob sie Kritik
oderZustimmung enthalten. Oftmüssen wirkürzen,
dennmögli chst viele Leser sollenzuWortkommen.
Wirlesen alleBriefesorgfältigund beachtensie, auch
wenn wirsie nicht beantwortenkönnen.
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