18 WIRTSCHAFT Montag, 2. März 2020
Syngenta kehrt wohl bald an die Börse zurück
Die Kotierung der neuen Holding bringt die beidenGrosskonzerneChemChina und Sinochemnäher zusammen
MATTHIAS MÜLLER, PEKING
Die Anzeichen verdichten sich, dass die
AnfangJanuar neu geschaffeneSyn-
genta Holding Group in rund zweiein-
halbJahren in China an die Börse ge-
bracht wird. Entsprechende Meldungen
publiziertedaschinesischeWirtschafts-
magazin «Caixin» amWochenende. Of-
fenbar wird auch eine Zweitkotierung
ausserhalb Chinas erwogen.
Der Basler Agrochemiekonzern
wurde Mitte 20 17 für 43Mrd.$ vom chi-
nesischen Staatsbetrieb Chem China ge-
kauft. Anscheinend hatte auch der deut-
sche ChemiekonzernBASF ein Kauf-
interesse.Er stieg aber aus, weil Chem
China über andere finanzielle Möglich-
keiten verfügt haben soll, obwohl der
Staatsbetrieb bereits damals hoheVer-
bindlichkeiten in seinen Büchern hatte.
Unter normalen Umständen bekom-
men so hoch verschuldeteKonzerne
kein Geld mehr, um weitere Zukäufe zu
tätigen. Bei chinesischen Staatsbetrie-
ben im Allgemeinen und beiSyngenta
im Besonderen lagen die Dinge jedoch
anders. Chem China dürfte für die voll-
ständig fremdfinanzierteTr ansaktion
die Zustimmung vom obersten Macht-
zirkel inPeking erhalten haben. Deren
Chef, Ren Jainxin, ist für seine guten
politischenKontakte bekannt.
Im Nachhinein dürfte der amerika-
nisch-chinesische Handelskonflikt den
Machthabern inPeking bestätigt haben,
wie sinnvoll derKauf vonSyngenta war.
IhrLand ist stark von ausländischen
Zulieferern abhängig und ist seitJah-
ren Nettoimporteur von Lebensmitteln.
Die Idee beim Kauf vonSyngenta be-
stand denn auch darin, ein solches Defi-
zit zu beseitigen: Chem China hat zwar
bei der Herstellung vonDüngemitteln
seine Stärken.Bei der Entwicklung und
Produktion von Saatgut offenbarte er
jedoch Schwächen. MitSyngenta wurde
dieses Manko beseitigt.
Der Börsengangsoll Chem China
finanziell wieder mehr Spielraum ver-
schaffen. Ende September 20 19 sol-
len dieVerbindlichkeiten fast 650 Mrd.
Yuan (90 Mrd.Fr.) betragen haben.
Unter demDach der Holding mit
demFokus auf dem Agrargeschäft ist
neben den bisherigen Aktivitäten von
Syngenta auch eine Mehrheitsbeteili-
gung von74,02% anAdama enthalten.
Chem China hatte dieKontrolle überdie
Vorgängerfirma vonAdama,das israeli-
sche Agrochemieunternehmen Makht-
eshim Agan, 2011 für 2,4 Mrd. $ erwor-
ben.Darüber hinaus zählen zur Holding
auch 52,65% am Hersteller vonDünge-
mitteln Sinofert; er gehörte zuvor zu Si-
nochem, einem weiteren chinesischen
Staatsbetrieb. Unter dem Holdingdach
steht auch die 39,88%-Beteiligung an
JiangsuYangnong Chemical Group, die
bisher ebenfalls zu Sinochem gehörte
und mit der Entwicklung und Produk-
tion vonPestiziden sowie Unkrautver-
nichtungsmitteln ihr Geld verdient.
DieSyngenta-Holding gilt als klares
Indiz dafür, dass eineFusion der beiden
Chemiekonzerne Chem China und Si-
nochem, über die schon lange speku-
liert wird, in absehbarer Zeitrealisiert
wird. Diesekönnte jedoch kartellrecht-
liche Hürden schaffen.Für das Zusam-
mengehen der beiden Grossunterneh-
men spricht aus politischer Sicht viel; es
könnte auch das Schuldenproblem von
Chem China lösen.
Facebooks Libra macht Zentralbanken Beine
Während die BIZ die herkömmlichenZahlungssysteme optimierenwill, prüfendie Währungshüterdigitales Geld
PETER A. FISCHER
Augustín Carstens, der Chef derBank
der Zentralbanken (BIZ) inBasel, hält
sich nicht mehr zurück: «Die Geschwin-
digkeit derVeränderungen und deren
disruptivesPotenzial haben die Zah-
lungssysteme zuvorderstaufdie Agenda
derPolitiker gehievt», schreibt er im am
Sonntag veröffentlichten BIZ-Quartals-
bericht, der ganz diesemThema gewid-
met ist. Und er lässtkeine Zweifel auf-
kommen, dass die Zentralbanken das
Steuer wieder an sichreissen wollen:
«Die BIZ und die Zentralbanken haben
eine führendeRolle darin zu spielen, wie
diePolitik auf diese Herausforderun-
genreagiert.» Dies kann ohne Zweifel
als eine kaum versteckte Kampfansage
an private Anbieter wie das Libra-Kon-
sortium umFacebook verstanden wer-
den, das angekündigt hat, mit einer eige-
nenreservegestützten Kryptowährung,
die auf Blockchain-Technologiebasiert,
«Geld echt global machen» und den
weltweiten Zahlungsverkehr radikal
vereinfachen zu wollen.
Die Zentralbanken fürchtensich da-
vor, dass solche privaten Netzwerke eine
marktbeherrschende Stellung erlangen,
erhebliche neue Risiken schaffen, die
Nutzung vonBargeld weiterreduzieren
und den geldpolitischen Einfluss der
Zentralbanken auf dasFinanzsystem
schmälern werden.Wie sie in einer um-
fassendenAuslegeordnung aufzeigen,
wollen sie stattdessen lieber ihre eige-
nen Zahlungssysteme verbessern und
vernetzen. Zudem denken sie teilweise
über die Herausgabe von digitalem Zen-
tralbankgeld nach, das möglichst ähn-
liche Eigenschaften wieBargeld hätte.
Beschleunigte Überweisungen
Die herkömmlichen Zahlungssysteme
sind vielenorts noch langsam und teuer
- vor allem dann, wenn eine Überwei-
sung nationale (Währungs-)Grenzen
überschreitet. Das hat damit zu tun, dass
es in vielenLändern noch eineTr en-
nung zwischen demRetail- und dem
Interbankenverkehr gibt. DieBanken
haben untereinander oft unter Beteili-
gung der ZentralbankenSysteme errich-
tet, die günstige Überweisungen in Echt-
zeit ermöglichen. Einzelzahlungen wer-
den aber in vielenLändern immer noch
zusammengefasst und über Nacht sal-
diert. Wenn dann noch nationale Gren-
zen überschritten undWährungen ge-
wechselt werden müssen,dauert der
Vollzug vonTr ansaktionen oft mehrere
Tage. Vor allem bei Überweisungen in
Entwicklungsländer fallenausserdem
sehr hoheKosten an:Laut dem BIZ-
Bericht müssen Migranten für Rimes-
sen an ihreFamilien imDurchschnitt
6,8% des Betrages für dieTr ansaktion
bezahlen. Libra möchte diesem Ana-
chronismus mit der Einführung einer
durch die führendenWeltwährungen
gedeckten Kryptowährung und einem
eigenen Echtzeit-Zahlungssystem ent-
gegentreten.
Das aber ist in denAugen der Zen-
tralbanken und der BIZ nicht nötig und
potenziell gefährlich. Angebote wie
ApplePay undPaypal bauten auch auf
den existierenden Zahlungssystemen
auf, hält die BIZ fest.Wenn hingegen
Anwendungen wie Libra oder in China
Wechat und Alipay (diebereits 92%
aller chinesischen Zahlungen mit dem
Mobiltelefonabwickeln) Käufer und
Verkäufer direkt verbinden, dann ent-
stehen womöglich marktbeherrschende
Systeme, die sich zunehmend vom her-
kömmlichenFinanzsystemlösen und
ausserhalb von diesem erhebliche neue
Risiken generieren.
Die BIZ favorisiert deshalb eine Effi-
zienzsteigerung bei den herkömmlichen
Echtzeit-Zahlungssystemen derBanken.
Diese müssten nur für Einzelzahlungen
geöffnet und besser verknüpft werden.
Das SchweizerSwiss Interbank Clea-
ring (SIC), das die SIX unterAufsicht
der Nationalbank betreibt, hat dafür wo-
möglich Modellcharakter:Auf ihmkön-
nen sowohl Interbanken- wie Detail-
handelszahlungen direkt und in Echt-
zeit abgewickelt werden.Das SIC zeigt
auch, wie grenzüberschreitende Zahlun-
gen effizienter abgewickelt werdenkön-
nen. Es gewährt nämlich nicht nur in-
ländischen, sondern auch qualifizierten
ausländischenBanken direkten Zugang
und ist über dieSwiss Euro Clearing
Bank inFrankfurt direkt an dasTarget-
2-System des Euro-Raums angebunden.
Eine ähnliche Lösung hat Hongkong
mitThailand erfolgreich geschaffen. Ge-
plant ist nun, dass dasFinancial Stability
Board der Zentralbanken und das Com-
mitteeonPayments and Market Infras-
tructures eineRoadmap dazu ausarbei-
ten, wie die herkömmlichen Zahlungs-
systemekoordiniert weiterentwickelt
undbesser vernetzt werdenkönnen.
Diese soll im November den G-20-Staa-
ten zur politischen Unterstützung unter-
breitet werden.
Kommtbaldder E-Euro?
Weil Geld immer digitaler wird und die
Nutzung vonBargeld zurückgeht, ma-
chen sich auch immer mehr Zentral-
banken Gedanken darüber, obsie den
Endnutzern eine digitaleVersion von
Bargeld zurVerfügung stellen sollen.
Laut der BIZ sehen bereits mehr als ein
Drittel aller Zentralbanken die Her-
ausgabe einer digitalenWährung (Cen-
tralBank Digital Currency, CBDC) als
mittelfristige Möglichkeit.Konkret sind
17 Projekte bekannt, darunter die Ent-
wicklung einer E-Krone in Schweden,
einer digitalenWährung in China und
eines E-Euro im Euro-Raum.Auch Süd-
afrika klärt die Herausgabe eines digita-
len Zahlungsmittels als Alternative zum
Bargeld ab,ebenso wie Uruguay. Aller-
dings sind die dänische, die israelische,
die ukrainische und auch die schweizeri-
sche Zentralbank in jeweilseigenen Pro-
jekten zum Schluss gekommen, dass die
Vorteile der Herausgabe einer digitalen
Währung für den Endkonsumenten vor-
läufig zu gering und die damit verbun-
denen Risiken zu hoch seien. Ecuador
hat ein von 20 14 bis 20 16 durchgeführtes
Pilotprojekt wieder abgebrochen.
Gegenwärtig bieten Zentralbanken
(ausgewählten)Finanzinstituten direk-
ten Zugang zu digitalem Zentralbank-
geld. Diedigitalen Guthaben undForde-
rungenvon Endnutzern hingegen stam-
menvon privaten Geschäftsbanken und
Konsortien. Anders als beimBargeld
birgt ihre Nutzung das Risiko einer In-
solvenz der Gegenpartei und erlaubt
denFinanzinstituten die Geldschöpfung.
Zentralbankenkönnten E-Euro oder
E-Franken direkt oder indirekt heraus-
geben. Direkt, indem sie Endverbrau-
chern erlauben würden, bei ihnenKon-
ten zu eröffnen, womit sie allerdings
zahlreiche bankähnliche Pflichten wie
die Prüfung derKunden, die Bekämp-
fung der Geldwäscherei usw. überneh-
men müssten, oder indirekt überBan-
ken, indem diese ähnlich wie beim soge-
nanntenVollgeld jeden von ihnen gut-
geschriebenen E-Euro oder E-Franken
mit Zentralbankgeld decken müssten,
aber ihreFunktion behielten. Die (sich
noch in einem frühen Stadium befind-
lichen)Überlegungen der EZB zu einem
E-Euro drehen sich laut dem BIZ-
Report um ein direktesSystem. Die BIZ
betont zudem, dass der Anspruch an ein
digitales Zentralbankgeld als Alterna-
tive zumBargeld sein muss, dass es ein-
fach zu gebrauchen ist und ein ähnliches
Mass an Privatheit und Sicherheit bietet.
Kauftein Nutzer mit ihm ein, sollte der
Verkäufer über die E-Währungkeine
zusätzlichenDaten und Informationen
über den Käufer erhalten.Das könnte
zum Beispiel über eineTokenisierung er-
folgen, bei der die Zentralbank denWert
der E-Währung anerkennt, wenn sich
der Nutzer über einen privaten Schlüs-
sel als Berechtigter ausweist.Weil jeder
einen solchen digitalen Schlüssel erwer-
benkönnte, würde dies allgemeinen Zu-
gang erlauben und die Privatheit schüt-
zen – allerdings wäre das Risikorecht
gross, dass Guthaben verloren gingen,
wenn der Schlüssel abhandenkäme oder
bei Cyberattacken gestohlen würde.
Auch auf einer Blockchain basie-
rende DLT- Lösungen (Distributed
LedgerTechnologie) wären laut der
BIZ nicht unbedingt sicherer.Wäh-
rend in herkömmlichen Modellen das
zentrale Clearingsystem die Schwach-
stelle wäre,wäre es in der Blockchain
derKonsensmechanismus, der die de-
zentralen Eintragungenvalidiert. Eine
DLT- Lösung würde letztlich dieVali-
dierung einesTeils derForderungen an
die Zentralbankbilanz an externeVa -
lidatoren auslagern, was im Urteil der
BIZ nur dann sinnvoll wäre, wenndiese
verlässlicher oder effizienter wären als
die Nationalbank.
Verbreitete Skepsis
Grundsätzlich kritisch eingestellt gegen-
über der Herausgabe von digitalem Zen-
tralbankgeld an Endverbraucher sind
viele Zentralbanken vorläufig deshalb,
weil dies die Arbeitsteilung zwischen
denWährungshütern und den privaten
Geschäftsbanken womöglich fundamen-
talverändern und den Zentralbanken
Funktionen übertragen würde, die bes-
ser die Privatwirtschaft übernimmt. Zu-
demkönnte es Nutzern in einer Krise
dieFlucht vonBankguthaben in digi-
tales Zentralbankgeld erleichtern, was
dieFinanzstabilität gefährden würde.
Die Schweizerische Nationalbank hat
sich deswegen vorläufig explizit gegen
dieAusgabe eines E-Frankens an End-
nutzer ausgesprochen, experimentiert
allerdings in einem Pilotprojekt mit der
SIX mit der Zurverfügungstellung von
womöglich tokenisiertem Zentralbank-
geld zur Anbindung der geplanten digi-
talen Schweizer Blockchain-Börse SDX.
Allerdingskönnten derrasche tech-
nologischeWandel und derWille, die
Kontrolle nicht zu verlieren und das
Steuerrad nicht aus der Hand zu ge-
ben, dieWährungshüter trotz aller be-
rechtigten Skepsis schneller zum Han-
deln zwingen, als ihnen eigentlich lieb
ist. Das Libra-Projekt desKonsortiums
umFacebook war für sie jedenfalls ganz
offensichtlich einWeckruf.
Das Überweisen vonGeld insAusland ist heuteteuer und dauertzu lange – Kryptogeld könnte das ändern. ANINDITO MUKHERJEE/ EPA
Unstimmigkeiten
bei Subventionen
fab.· Im Artikel «BLS hat zu hohe Sub-
ventionen bezogen» (NZZ 29. 2. 20)
steht, dass in einem der entdecktenFälle
privateFirmen unterVerdacht stehen.
Das ist falsch.Vielmehr haben sich die
Unregelmässigkeiten im Bundesamt für
Verkehr (BAV) ereignet. Es geht dabei
um Anschlussgleise aufFirmenarealen,
für die der BundFinanzhilfen bezahlt.
Diese fordert er anteilsmässig zurück,
falls dieTr ansportmengen kleiner aus-
fallen als vereinbart. Nun gibt es Anzei-
chen, dass diese Mengen imBAV nicht
korrektregistriert wurden. UnterVer-
dacht steht der zuständige Mitarbei-
ter, der mittlerweile pensioniert ist.Das
Motiv ist unklar. Für Bereicherungs-
absichten gebe eskeine Anzeichen.Das
BAV geht nicht davon aus, dass er sich
bezahlen liess. Die Bundesanwaltschaft
ist eingeschaltet. Der Schaden für den
Bund liegt mutmasslich im tiefen ein-
stelligen Millionenbereich.