Die Zeit - 27.02.2020

(nextflipdebug2) #1

Religion nicht praktizierte, aber auch, weil beide Eltern
ihr Jüdischsein ganz grundsätzlich verheimlichten. Sie leb-
ten sehr abgekapselt, hatten wenige Freunde. Sie wollten
unsichtbar werden, sich anpassen.
Hat es geklappt?
Natürlich nicht. Das Irre ist ja, dass diese Assimilations-
eltern perfekte Deutsche werden wollen, aber gleichzeitig
das Deutsche aus Stolz auf ihre Herkunft immer auch ein
bisschen ablehnen. Meine Eltern haben geschimpft, die
Deutschen seien nicht gastfreundlich, immer würden sie
getrennte Rechnungen verlangen! Aber natürlich trugen sie
ihre Ablehnung nie nach außen.


Helena Janeczek spielt mit Sprache, sie lässt sich Zeit, sucht
nach Worten – im Deutschen, aber auch im Italienischen.
Deutsch spricht sie mit einem bayerisch-österreichischen Ein-
schlag. Mit ihrem Sohn, der zwischendrin von der Schule nach
Hause kommt, verfällt sie kurz in einen Mischmasch aus süd-
italienischen Dialekten, einfach so, aus Spaß. Die Sprachen
ihrer Eltern, Polnisch und Jiddisch, spricht Janeczek nicht.


Sprache hat in Ihrem Leben eine vielfache Bedeutung. Ihren
Eltern half ihr akzentfreies Polnisch anfangs dabei, sich zu
verstecken. Sprache war auch eine Form der Neuerfindung,
weil Ihre Mutter sich gern als Italienerin gab. Sprache war
aber ebenso Macht, schreiben Sie. Inwiefern?
Das ist ja das Paradoxe, dass du in dem Moment, in dem
deine Eltern dir sagen, du sollst eine Sprache perfekt ler-
nen, ein Machtinstrument geliefert bekommst, das du
sehr schnell besser beherrschst als sie. Meine Eltern hat-
ten beide einen ost euro päi schen Akzent. Ich habe Mutter
ständig genervt mit ihren Fehlern und sie korrigiert. Auch
später arteten die Streits mit ihr in einen Machtkampf aus.
Wir stritten auf Deutsch, mit der Zeit fiel ich immer öfter
ins Italienische, weil ich Italienisch besser konnte, sie zog


mich daraufhin zurück ins Deutsche. Wer eine Sprache
schlechter beherrscht, steht immer auf wackligem Terrain
und hat die schlechteren Karten.
Warum sprechen Sie kein Polnisch?
Meine Eltern hielten es für unnötig, mir meine Mutter-
sprache beizubringen. Was willst du mit Polnisch?, sagten
sie. Das war nichts wert, fanden sie. Mutter war wiederum
sehr enttäuscht, dass ich, als mein Sohn zur Welt kam, ihm
kein Deutsch beigebracht habe, weil Deutsch natürlich
einen hohen Wert hat. Aber zu dem Zeitpunkt fiel mir das
Deutsche schon nicht mehr leicht. Ich spreche doch auch
mit den Katzen Italienisch! Das ist die Sprache, die mir
natürlich vorkommt. Deshalb haben meine Eltern auch
un ter ein an der immer Polnisch gesprochen.
Haben Sie sich da nicht ausgeschlossen gefühlt?
Doch, klar. Ich habe immer versucht, meinen Namen
herauszuhören, um zu erfahren, ob es um mich ging. Ich
erinnere mich an einzelne Wörter, bałaganiarz – »Dreck-
fink« – zum Beispiel, das sagte meine Mutter ständig zu
mir, weil ich so unordentlich war. Bin ich heute noch.
Und ein paar polnische Volkslieder kann ich singen: »Ah,
ah, ah, kotki dwa ...«, das Lied von den zwei Katzen. Oder
das Lied von den Trambahnen! Wenn ich irgendwo Pol-
nisch höre, geht mir das Herz auf, auch wenn es nur Ansa-
gen in der Warschauer U-Bahn sind. Da spüre ich, das ist
meine echte Muttersprache. Ich habe eine Muttersprache,
die ich nicht spreche.
Schmerzt Sie das?
Schmerzen tut es mich nicht, aber nerven tut es mich
schon. Wenn mein Sohn aus dem Haus ist, will ich Pol-
nisch lernen. Ich hoffe, ich brauche nicht lange dafür. Mir
ist auch egal, wenn ich Grammatikfehler mache.
Wie haben Sie erfahren, dass Ihre Eltern Juden sind?
Das sickerte allmählich durch, als ich in die Pubertät kam,
und war auf einmal kein Geheimnis mehr. Dann gingen

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