Die Zeit - 27.02.2020

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  1. FEBRUAR 2020 DIE ZEIT No 10 FEUILLETON 55


An einem warmen Spätherbsttag in Madrid
sitzen Billie Joe Armstrong, Mike Dirnt und
Tré Cool, gemeinsam berühmt als Green
Day, in einer eleganten Hotelsuite, um
Werbung für ihr neues Album »Father of All
Motherfuckers« zu machen, das Ende
Februar erscheint. Das Trio aus Kalifornien,
bei dem der Sänger und Songwriter Arm-
strong Regie führt, machte Punkrock in den
USA massentauglich und wurde mit fünf
Grammys ausgezeichnet. Seine Alben
»Dookie« und »American Idiot« gelten als
Klassiker der Rockmusik.


DIE ZEIT: Ihr neues Album hat zehn Songs, ist
aber nicht mal 26 Minuten lang! Beschwert
sich da keiner bei Ihrer Plattenfirma?
Billie Joe Armstrong: Warum? Wir hatten sogar
45 Minuten eingespielt, aber dann wollten wir
die Reihenfolge der Songs fest­
legen. Das ist schon eine Kunst­
form für sich und ziemlich
stressig: Es ist wie ein Puzzle,
bei dem ein Teil nicht zu den
anderen passen will. Wenn man
da etwas Gutes gefunden hat,
sollte man es dabei belassen.
ZEIT: Stilistisch erinnern Ihre
neuen Songs oft an den Glam­
rock der Siebziger. Also Musi­
ker wie Gary Glitter, The
Sweet ...
Armstrong: ... und T. Rex oder
David Bowie! Klar, diese Art
von Rockmusik hat uns ein­
deutig inspiriert. Dazu kom­
men noch alter Soul und Funk.
Ich wollte bei den Aufnahmen
nicht wie ich klingen. In letzter
Zeit habe ich viel Prince gehört,
vor allem seine alten Sachen wie
Controversy. Da singt er ein­
drucksvoll mit Falsettstimme,
und das brachte mich dazu, es
auch mal zu probieren.
ZEIT: Weshalb wollten Sie
denn nicht mehr wie Sie selbst
klingen?
Armstrong: Ich bin jetzt 47 und
wollte noch nie so wie ich klin­
gen. Mein Leben lang habe ich
mich bemüht, wie irgendwer
anderes zu klingen. Mal wollte
ich höher singen, als ich eigent­
lich klinge, und manchmal trat
ich wütender auf, als ich es
eigentlich war.
ZEIT: Und warum wütender?
Armstrong: Ach, es war nicht
unbedingt Wut. Nennen Sie es
»durchgeknallter«. So wie einst
Little Richard gesungen hat.
Ich wollte einfach schon immer
neue Dinge in der Musik erfor­
schen und in die Struktur von
Green Day integrieren.
ZEIT: Was macht die Struktur
von Green Day aus?
Mike Dirnt: Vergessen Sie den
Begriff schnell wieder. Wir sind
ja kein Cheese bur ger, der nach
dem immer selben Rezept zu­
sammengepappt wird. Anderer­
seits: Was immer wir auspro­
bieren, klingt am Ende eben doch nach Green
D a y.
ZEIT: Sie haben große Erfolge mit Kon zept­
alben wie American Idiot gefeiert. Sind solche
ambitionierten Projekte noch zeitgemäß?
Armstrong: Die Welt hat sich einfach verän­
dert. Musik wird mittlerweile anders konsu­
miert, als Alben gedacht sind. Darin, einfach
nur noch einzelne Tracks digital zu veröffent­
lichen, liegt eine faszinierende Freiheit. Man
kann Musik einspielen und sofort rausbrin­
gen, ohne eine Ewigkeit warten zu müssen, bis
das Produkt gefertigt wurde. Das ist schon
toll. Die Mu sik indus trie ist in diesem Jahr­
tausend weniger bürokratisiert, und das hat
auch Vorteile.
ZEIT: Sie haben bei kleinen, unabhängigen
Labels begonnen und sind 1994 zu einem gro­
ßen Konzern gewechselt. Was hat sich damals
für Sie geändert?
Armstrong: Absolut alles. Vorher war unsere
Welt ziemlich überschaubar. Unser erstes Album
bei einem Major war Dookie, das dann gleich
unfassbar erfolgreich war und mit mehr als 20
Millionen Exemplaren eine der meistverkauften
Platten der Musikgeschichte wurde. Für uns
war danach alles anders.
ZEIT: Es gibt in Hamburg Menschen, die da­
mit prahlen, Sie Anfang der Neunziger in den


besetzten Häusern der berüchtigten Hambur­
ger Hafenstraße erlebt zu haben. Erinnern Sie
sich noch an das Konzert?
Dirnt: Oh! Yeah! Es war irre, irre voll. Und heiß!
Armstrong: Das war eines unserer ersten Kon­
zerte in Europa. Wir sind wohl noch nie zuvor
mit so viel Bier abgefüllt worden wie an dem
Abend in Hamburg. Gewaltige Flaschen mit
fabelhaftem Bier! Da waren wir 19 und fanden
alles super. Es war ein Abenteuer!
Tré Cool: In Hamburg sah ich zum ersten
Mal, wie ein Typ einhändig einen Joint rollte.
Es war ein Gewusel aus Hasch und Tabak,
und er verbrannte sich die Hand dabei, tat
aber so, als sei das völlig normal. Und immer­
hin ich war beeindruckt.
ZEIT: Sie haben zuletzt immer mal wieder den
Untergang der Rock­’n’­Roll­Kultur beklagt.
Woran machen Sie den fest?

Armstrong: Schalten Sie doch mal das Radio
an! Da ist leider nichts Spannendes an Rock ’n’
Roll mehr zu hören, denn Rock ’n’ Roll bedeu­
tet nichts mehr. Andererseits, wenn die Welt so
durchgeschüttelt wird wie dieser Tage, fordern
immer wieder viele Leute, dass der Rock ’n’
Roll Stellung beziehen solle, damit der Kurs der
Menschheit korrigiert werde. Was natürlich ein
seltsamer Anspruch an ein Genre ist, das nicht
mehr viel bewegt.
ZEIT: Nachdem Green Day explizit politische
Platten wie American Idiot veröffentlichten,
scheint Ihr neues Album ohne irgendein State­
ment auszukommen – oder ist das letztlich
auch als State ment zu verstehen?
Armstrong: Es ist vielleicht ein Dokument, wie
irritierend und verwirrend diese Ära für uns ist.
Natürlich sind wir fassungslos, dass weltweit
Faschisten und Rassisten in Ämter gewählt
werden. Die Ratten machen sich im Haus der
Menschheit breit.
ZEIT: Sie kritisieren auf der Bühne oft US­
Präsident Trump scharf. Brachte das jemals
Ärger?
Armstrong: Natürlich rief das Reaktionen her­
vor, insbesondere in den sozialen Netzwerken.
Der Job des Songwriters ist wie der eines Akti­
visten. Mir gibt er die Möglichkeit, meine Sicht
der Dinge zu formulieren und zu veröffentli­

chen. Auf Twitter und Face book könnte ich das
nicht. Soziale Netzwerke sind nicht mein Ding.
ZEIT: Haben Sie denn niemals soziale Netz­
werke genutzt?
Armstrong: Doch, das habe ich und bin da
auch eine Weile lang sehr deutlich geworden,
aber vor ungefähr einem Jahr ging mir auf,
dass ich das ganze Umfeld nicht mag und mir
das alles nicht liegt. Wenn ich dagegen einen
Song schreibe, lässt mir das genug Raum zur
Selbstreflexion, und letztlich finde ich so zu
einer klareren Meinung. Die wenigen Buch­
staben, die Twitter dafür bietet, sind mir zu
eng.
ZEIT: Gab es denn einen konkreten Vorfall,
der Sie darin bestärkte, soziale Netzwerke
nicht mehr zu nutzen?
Armstrong: Nein, den gab es so nicht. Aber ich
habe zur Kenntnis genommen, dass die Kom­
mentare auf meine Tweets im­
mer drastischer und finsterer
wurden. Das war oft schon
mehr, als nur mit jemandem
unterschiedlicher Meinung zu
sein. Da wurde ich zum Feind
erklärt, es ging bis zur Andro­
hung physischer Gewalt. Es war
furchterregend!
ZEIT: Ihre Band war immer
auch bekannt dafür, die Dinge
mit Humor anzugehen. Enden
auf sozialen Netzwerken die
Möglichkeiten des Humors?
Armstrong: Humor hilft im­
mer! Ein Grund dafür, dass die
Rockmusik so fade geworden
ist, liegt auch darin, dass immer
mehr Musiker nur noch tief­
schürfende Gefühle in ihre
Musik packen wollen. Wie öde!
Rock ’n’ Roll muss auch Spaß
machen. Uns ist es wichtig, mit
dem Publikum eine super Zeit
zu haben. Wir wollen der
Sound track zur nächsten Party
sein, zum nächsten Besäufnis
und zu Exzessen im Auto.
ZEIT: Aber das auch mal in
Kombination mit einer Bot­
schaft, oder?
Armstrong: Natürlich. Jedoch:
Die Botschaft allein ist uns zu
trist! Für uns ist es wirklich
wichtig, dass sich die Leute
nicht langweilen. Das Leben ist
grau genug. Natürlich haben
wir auch im Kopf, niemanden
zu verletzen. Wir achten schon
darauf, was wir tun. Aber Hu­
mor war für uns immer ein
wichtiges Element. Ich bewun­
dere alle großen Komödianten.
ZEIT: Wer ist Ihr liebster Ko­
mödiant dieser Tage?
Armstrong: Dave Chap pelle,
der ist wirklich umwerfend gut.
Der sagt, was er will, nimmt
keine falschen Rücksichten und
ist so schlau wie lustig. Letztlich
sorgt er dafür, dass wir immer
wieder mal über uns selber
nachdenken, und das ist große
Kunst.
ZEIT: Erschreckt Sie die stren­
ge Korrektheit dieser Tage manchmal?
Armstrong: Die ist eine Gefahr, der sich die
Rock­’n’­Roll­Branche stellen muss. Es ist ge­
fährlich, wenn Leute sich für irgendwelchen
Unsinn rechtfertigen müssen, den sie mal un­
bedacht in ihrer Jugend verzapft haben. Auch
mal Mist machen zu dürfen sollte ein Privileg
der Jugend sein und als solches akzeptiert wer­
den. Was nicht bedeuten soll, dass ich drasti­
sche Ausfälle gutheiße, aber man kann es mit
der Korrektheit eben auch übertreiben. Da­
von handelt der Song Fire, Ready, Aim auf
unserem neuen Album: von der Freiheit, ein­
fach mal loszufeuern, ohne sich vorab den
Kopf zu zerbrechen, ob das nun erlaubt ist
oder nicht.
ZEIT: Wann haben Sie sich zuletzt alt gefühlt?
Armstrong: Ich finde es wunderbar, älter zu
werden. Bedauerlich ist nur, dass die Erinne­
rung an so viele tolle Erlebnisse nachlässt. Was
habe ich gestern noch angestellt?
Cool: Ich habe neulich versucht, diese App na­
mens TikTok zu nutzen. Ich bin gescheitert
und fühlte mich sehr, sehr alt.
Dirnt: Ich fühle mich jeden Tag alt, aber im­
merhin sehe ich noch jung aus, und darum
geht’s doch letztlich, oder?

Das Gespräch führte Christoph Dallach

»Rock ’n’ Roll


bedeutet nichts mehr«


Green Day haben über 75 Millionen Alben verkauft.
Nun droht die Erkenntnis: Verdammt, wir werden alt!
Was macht so was mit Rockstars? Ein Gespräch

Tré Cool, Billie Joe Armstrong und Mike Dirnt (von links)
sind seit 1989 als Green Day unterwegs

Foto (Ausschnitt): Talia Herman/eyevine/ddp

394 Seiten

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«Wenn MichaelLüders einen Krimi schreibt, darfman davo nausgehen,
dass erganzgeschicktRealität mitFiktion mischt und sachliche
Zusammenhänges chafft,die niemals in einem politischkorrekten
Sachbuchers cheinen dürften. Soge lingt es ihm in diesem

fulminanten,rasend schnellen und


super spannenden Krimi


ein Szenario zu erschaffen, daseinem denkalten Angstschweiß
auf dieStirntreibt.»
AndreasWallentin, WDR5

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«Ergreifende Familiengeschichte und


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