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ie Schreinerei Liedl im nieder-
bayerischen Pfarrkirchen ist ein
traditionsreicher Familienbetrieb,
1914 gegründet, in vierter Gene-
ration geleitet von Stefan Liedl. Eine Situa-
tion wie diese haben er und sein Vater
Franz Liedl noch nicht erlebt.
Jedes Jahr stellt Liedl auf der Internatio-
nalen Handwerksmesse in München zwei
Zimmereinrichtungen vor und sammelt
Adressen potenzieller Kunden ein. Die sor-
gen ziemlich zuverlässig für 50 Prozent des
Jahresumsatzes. Doch in diesem Jahr wur-
de die Messe wegen des Coronavirus kurz-
fristig abgesagt. »Wir waren schockiert«,
sagt Franz Liedl. Gott sei Dank habe der
Betrieb noch ein Auftragspolster für wenige
Monate. Aber was dann kommt? Der
Schreinermeister weiß es nicht. »Ein biss-
chen Angst haben wir schon«, sagt er.
Noch ist die Zahl der Erkrankten in
Deutschland vergleichsweise gering, doch
längst hat das Virus die Wirtschaft infiziert,
auch im beschaulichen Pfarrkirchen.
Betroffen sind nicht nur Unternehmen,
die Waren nach China exportieren oder
von dort wichtige Teile beziehen, son-
dern auch Dienstleister, Händler und
Handwerker. Je rigider in Deutschland
versucht wird, die Ausbreitung des Virus
zu verhindern, desto schwerwiegender
sind die Kollateralschäden für die heimi-
sche Wirtschaft. Weil Messen abgesagt
und Geschäftsreisen gestrichen werden,
brechen Hotels und Restaurants die
Umsätze weg, Reiseanbieter und Flug -
linien leiden.
Und das ist erst der Anfang. Sobald die
Vorratslager leer sind, werden Unterneh-
men, die auf Teile aus China angewiesen
sind, die Produktion einschränken oder
gar stoppen müssen. Sollte sich das Virus
weiter ausbreiten, werden möglicherweise
ganze Belegschaften ausfallen. Die Ver-
braucher werden weniger konsumieren,
weil sie sich zu Hause am sichersten fühlen,
Im Extremfall würde vielen Unterneh-
men die Liquidität ausgehen, sie müssten
Konkurs anmelden. Die Arbeitslosigkeit
würde ansteigen. Banken würden in Schief -
lage geraten.
Ob ein solcher Extremfall eintritt, ver-
mag derzeit niemand zu sagen. Alles hängt
davon ab, wie schnell es gelingt, das Virus
unter Kontrolle zu bringen. Kein Ökonom
kann daher prognostizieren, wie tief der
Absturz sein wird, und ob es anschließend
schnell, in einem v-förmigen Verlauf,
wieder bergauf geht. Oder langsam, also
u-förmig, oder, wie bei einem L, erst mal
gar nicht.
Wie gefährlich sie die Lage einschätzt,
demonstrierte die amerikanische Noten-
bank Fed am Dienstag: Obwohl die US-
Wirtschaft noch floriert, senkte sie den
Leitzins um einen halben Prozentpunkt.
Angst vor dem Absturz
KonjunkturPolitiker und Notenbanker suchen nach Wegen, um die Folgen
der Corona-Epidemie für die Wirtschaft gering zu halten.
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ALEXANDER MERTSCH / PLAINPICTURE
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