Die Zeit - 12.03.2020

(backadmin) #1
gelang, haben das nur wenige Beobachter zur
Kenntnis ge nommen.
Jetzt steht ihm die Schlacht seines Lebens
bevor, denn bis zum CDU-Parteitag am


  1. April werden Laschets Konkurrenten Fried-
    rich Merz und Norbert Röttgen alles unterneh-
    men, um in den Mittelpunkt der öffentlichen
    Aufmerksamkeit vorzudringen. Wer Chef der
    CDU ist, wird wahrscheinlich auch Kanzler-
    kandidat. Und wer Kanzlerkandidat der Union
    ist, kann natürlich Kanzler werden. Es ist die
    Verkettung denkbarer Folgen, die den Kampf
    um den CDU-Vorsitz so brisant macht. Armin
    Laschet, Kanzler der Bundesrepublik Deutsch-
    land – ist das vorstellbar?
    Als er im Mai 2017 die nordrhein-westfäli-
    sche Landtagswahl gegen die damalige SPD-
    Ministerpräsidentin Kraft gewann, glich dies
    einem Wunder. War Hannelore Kraft nicht die
    Heldin der Marktplätze? Die ihre Genossen so
    sehr von sich überzeugte, dass sie eine Weile
    als mögliche Kanzlerkandidatin der SPD ge-
    handelt wurde? Und war Laschet nicht der
    ewige Zweite? Der Herausforderer, der keinen
    Biss hat, kein Charisma? Der blass ist, aus-
    tauschbar, weich? Wie konnte so einer in die
    Staatskanzlei einziehen?
    Gelten die Gesetze der Machtpolitik nicht
    mehr? Armin, der Zauderer, gegen Friedrich,
    den Zauberer: Hat Laschet in diesem Wettstreit
    eine Chance?
    Armin Laschet ist ein Politiker, der schon
    immer unterschätzt worden ist. Es kann ein gro-
    ßer Vorteil sein, unterschätzt zu werden, zumin-
    dest dann, wenn man eine Wahl gewinnen will.
    In gewisser Weise hat Laschet die Macht in
    Nordrhein-Westfalen gar nicht erobert, er hat sie
    aufgefangen, als sie von der SPD abfiel. Noch im
    Mai 2017, wenige Tage vor der Landtagswahl,
    beschäftigte er sich mit der Frage, welche Worte
    er wohl bei einer Niederlage wählen solle. So er-
    zählt es einer seiner Vertrauten. Ihm werde, habe
    Laschet erklärt, kein Zacken aus der Krone fal-
    len, wenn er weiterhin nur Oppositionspolitiker
    sein sollte. Auch so könne das Leben wei ter-
    gehen. Noch heute gibt es Momente, in denen
    Laschet darüber staunt, wie weit er es gebracht
    hat. Man könnte es auch so ausdrücken: Beim
    Aufstieg hat er sich unschlüssig beobachtet. Er
    hat sich selbst nicht kommen sehen.
    Macht ihn der Gedanke, vielleicht in Zu-
    kunft ins Kanzleramt zu ziehen, schon heute
    nervös? Laschet schweigt eine Weile, dann ant-
    wortet er: »Ich habe Respekt vor dem Amt.«
    Einige seiner Parteifreunde haben ihn öfter
    für etwas gelobt, das bei Spitzenpolitikern selten
    ist: Niederlagen-Kompetenz. »Armin Laschet
    ist ein Stehaufmännchen«, so sagte es einmal
    Serap Güler. Die 39-jährige Staatssekretärin mit
    türkischen Wurzeln, die im Düsseldorfer Inte-
    grationsministerium arbeitet, hat Armin Laschet
    ihren Einstieg in die Politik zu verdanken, sei-
    netwegen trat sie 2009 in die CDU ein. Drei
    Jahre später rückte sie in den Bundesvorstand
    der Partei auf. Im Jahr 2012, als die CDU bei
    den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen
    unterging, erlebte Serap Güler, wie der damalige
    Spitzenkandidat Norbert Röttgen frustriert da-
    vonschlich und auf sein Mandat im Landtag
    verzichtete. Als Bundesminister für Umwelt
    wurde Röttgen von der Kanzlerin entlassen.


Laschet hingegen versuchte, in den Trümmern
der Partei neues Leben zu entdecken. Schon
zwei Jahre zuvor war er an einem Widersacher
abgeprallt, als er mit Karl-Josef Laumann,
dem heutigen So zial mi nis ter in Nord rhein-
West falen, um den Frak tions vor sitz im Landtag
gestritten und diesen Kampf verloren hatte.
Im Frühjahr 2017 wirkte es lange so, als
koste ihn nicht einmal der Wahlkampf viel
Energie, weil er von wortgewaltigen Angriffen
auf die politische Gegnerin nichts wissen woll-
te. Bei ihm sah alles so nebensächlich aus, ob-
wohl er sich die ganze Zeit aufrieb.
Laschet hatte Glück, weil die Linkspartei
knapp an der Fünfprozenthürde scheiterte, des-
halb nicht in den Landtag einzog und weil nur
wenige Tausend Wählerstimmen den Ausschlag
dafür gaben, dass Laschets CDU mit der FDP
eine Koa li tion in Düsseldorf bilden konnte, die
noch heute regiert. Aber diese Portion Glück
kann nicht erklären, warum jemand, der als
Nebenfigur galt, das Rennen für sich entschied.
Das Glück kann auch nicht erklären, warum
jemand auf Zustimmung stieß, der auf Aus-
gleich bedacht ist, statt Fronten zu eröffnen. Ist
das politische Klima nicht überall aggressiver
geworden? Offenbar gibt es eine nur unzu-
reichend ausgeleuchtete Verbindung zwischen
dem Politiker Laschet und dem Zustand, in
dem sich das Land gerade befindet.

A


ls Laschet Ende Februar vor der
Bundespressekonferenz erklärte,
dass er für den Vorsitz der CDU
kandidieren und Jens Spahn, den
Bundesminister für Gesundheit,
im Falle des Erfolgs zum Stellvertreter machen
werde, war das ein über raschen der Schachzug,
den ihm kaum jemand zugetraut hatte. Mit
Spahn stellt er einen erklärten Konservativen an
seine Seite, dem – im Gegensatz zu Laschet –
niemand unterstellt, bloß eine Marionette Mer-
kels zu sein. Spahn ist das, was Laschet nicht ist.
Spahn ist jung und von einem Ehrgeiz erfüllt,
der ihn vor wenig zurückschrecken lässt.
Als es im nordrhein-westfälischen Wahlkampf
des Jahres 2017 zunächst so aussah, als werde es
der CDU-Spitzenkandidat Laschet nicht schaffen,
sprach Spahn bei Parteikollegen vor, die schon von
Laschet besucht worden waren, und versuchte,
ihnen einzuschärfen, dass er Laschets Nachfolger
an der Spitze der Landespartei werden müsse.
Spahn ist kein Trümmermann wie Laschet, es ist
umgekehrt: Auf Laschets Trümmern sollte Spahns
Höhenflug starten. So ist es dann nicht gekom-
men, weil Laschet die Wahl gewann.
Bis vor wenigen Monaten hatten die beiden
nur verächtliche Worte für ein an der übrig. Vor
Kurzem jedoch, so berichten es Parteifreunde
der beiden, sei Laschet auf Spahn zugegangen,
um ihm die Tandem-Lösung vorzuschlagen.
Zunächst habe Spahn gezögert, sich aber später
dazu entschlossen, als er eine einfache Rech-
nung aufgemacht habe: Gegen Merz habe
Spahn allein nicht viel zu gewinnen, die politi-
sche Spielfläche sei zu ähnlich. Und Spahn ist
erst 39 Jahre alt. Ihm liefe nicht die Zeit davon,
falls er mit seinem Teamchef Laschet die Wahl
vergeigen sollte.
Dass Laschet auf die Idee kam, Spahn poli-
tisch einzuspannen, hat einen sehr praktischen
Grund. Dieser Grund besteht aus Männern, die
man vor langer Zeit Panzerreiter nannte. Sie

2017: Angela Merkel hilft Laschet
im Wahlkampf. Gegen Hannelore Kraft
gilt er als chancenlos – und wird
Ministerpräsident von NRW

18 DOSSIER


hießen so, weil sie im frühen Mittelalter bewaff-
net und gepanzert auf ihren Pferden saßen. Sie
erlebten unter Karl dem Großen den Höhe-
punkt ihrer Macht. Eine Gruppe von Panzerrei-
tern wurde auch Schock kaval le rie genannt, weil
sie die Feinde schwer beeindruckte und ihnen
Furcht einflößte. Die Panzerreiter verliehen
dem Herrscher das Gefühl, in Ruhe das Reich
verwalten zu können, während die Schock-
kavallerie seine Gebietsansprüche sicherte.
Die Rolle des Panzerreiters könnte künftig
Jens Spahn übernehmen, falls sich Laschet als
CDU-Chef durchsetzen sollte. Einen Vorläufer
für dieses Modell gibt es schon. Herbert Reul,
der 67-jährige CDU-Innenminister Nordrhein-
Westfalens, ist Laschets wichtigster Vertrauter
im Landeskabinett. Reul hat sich als Hard liner
einen Namen gemacht, er ist Laschets derzeiti-
ger Anführer der Schock kaval le rie.
Spricht man Laschet auf seinen Innenminis-
ter an, dann erzählt er ein Erlebnis während
eines gesetzten Dinners mit Managern aus der
Wirtschaft. Die Geschäftsleute hätten sofort ihr
Besteck zur Seite gelegt und lange applaudiert,
als er den Namen Reul in seiner Ansprache nur
kurz erwähnt habe. »Innere Sicherheit ist für
mich ein ganz, ganz wichtiges Thema«, sagt
Laschet, »der Staat muss hier stark sein.«
Wo Reul ist, ist der Konflikt nicht weit. An
ihn hat Laschet die Aufgabe delegiert, im Land
aufzuräumen, und der Minister nimmt diese
Aufgabe so unsentimental wahr, dass es kracht


  • etwa während der Aus ein an der set zun gen um
    den Ham bacher Forst. Fragt man Laschet, in-
    wiefern er ein Konservativer sei, dann will er
    dieses Wort nicht gelten lassen. Christlich, das
    natürlich, aber konservativ? Dazu will ihm
    nichts einfallen. Das ist bei Reul ganz anders.
    »Er ist auch sehr konservativ«, sagt Reul aner-
    kennend über Laschet. »Er ist verlässlich, sehr
    katholisch, er liest viel. Er ist gut in Grundsatz-
    reden, er ist kein Sprücheklopfer. Er hat ein
    Fundament. Er ist ein Menschenfischer, er kann
    ein neuer Johannes Rau werden.«
    Reul sieht seine Aufgabe darin, verloren ge-
    gangenes Vertrauen in den Staat zurückzuge-
    winnen, indem er die Law-and-Order-Politik
    verwirklicht, die Laschet ankündigte. Die Poli-
    zei geht heute systematischer als früher gegen
    arabische Banden und gegen Clan-Kriminalität
    vor. Der Innenminister lässt es sich nicht neh-
    men, die Polizei am Einsatzort zu beobachten.
    Er sitzt auch schon mal in einer Shisha-Bar im
    Ruhrgebiet und erlebt eine Razzia mit.
    Als sich der nordrhein-westfälische In te gra-
    tions mi nis ter Joachim Stamp von der FDP im Juli
    2018 über ein Gerichtsurteil hinwegsetzte und den
    mutmaßlichen Bin-Laden-Leibwächter Sami A.
    nach Tunesien abschob, nahm Laschet den
    Minister zunächst in Schutz, und Reul erklärte,
    die Entscheidungen von Richtern sollten »dem
    Rechtsempfinden der Bevölkerung entsprechen«.
    Später entschuldigte sich Reul für diesen Satz.
    Im Hambacher Forst, einem Wald, den der
    Energiekonzern RWE für die Förderung von
    Braunkohle roden lassen wollte, ließ Reul die
    Polizei aufmarschieren, um die Baumhäuser der
    protestierenden Menschen zu räumen. Erst ein
    Gericht machte die Rodungspläne zunichte, und
    viele Tausend Menschen zogen in das Protestge-
    biet, um den Sieg über RWE und die Landesregie-
    rung zu feiern. Es war auch ein Sieg über Herbert
    Reul. Wann immer Reul für Pannen im Polizei-


apparat verantwortlich gemacht wird, und das
geschieht öfter, lässt Laschet ihn walten. Selten hat
er darüber überhaupt ein Wort verloren. »Er mei-
det Konflikte, und wenn es doch dazu kommt,
trägt er diese Konflikte blutarm aus«, sagt einer
von Laschets Parteikollegen.
Reul genießt bei Laschet eine Sonderstel-
lung, weil er ihm die Schmutzarbeit abnimmt.
Er hilft Laschet dabei, den mittleren Kurs bei-
behalten zu können, ohne dass sich der Regie-
rungschef vorwerfen lassen muss, unbequemen
Themen auszuweichen. Laschet hat sich für
eine schwarz-grüne Richtung entschieden, er
hat viele Freunde bei den Grünen, obwohl er –
wie die nord rhein- west fälischen Ministerpräsi-
denten vor ihm – einer effektiven Klimapolitik
meist im Weg steht. Auch Laschet beugt sich
den Interessen der Großindustrie, die in Nord-
rhein-Westfalen noch immer eine dominierende
Rolle spielt.
In den Augen seiner Kritiker ist Laschet ein
Ewiggestriger, ein unbelehrbarer Anhänger der
Kanzlerin, eine Merkel als Mann. Nicht einmal
auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise in
Deutschland rückte Laschet von ihr ab. Er
mochte es nicht, wenn Politiker von einer
»Flüchtlingswelle« sprachen. »Welle«, das Wort
klang ihm zu sehr nach einer Bedrohung.
Der versöhnliche Konservatismus, der Laschet
ausmacht, dieser lächelnde, fürsorglich wirkende
Kumpel-Konservatismus, der nicht einmal das
Wort »konservativ« noch zulässt, wäre nicht
denkbar ohne den Null-Toleranz-Konservatismus
des Innenministers Reul. Man könnte es so zu-
sammenfassen: Laschet hält seinen Konservatis-
mus durch, indem er dessen Kern zerkleinert und
stückchenweise nach außen schiebt, in den
Machtbereich wichtiger Minister.
Noch heute steht Laschet ein CDU-Politiker
zur Seite, der sich schon lange als Panzerreiter
profiliert hat: der 67-jährige Wolfgang Bosbach.
Zuletzt hat Bosbach die 16-köpfige Sicherheits-
kommission der Landesregierung ge leitet, die
vertraulich arbeitete und in den kommenden
Wochen ihren Bericht über Defizite der inneren
Sicherheit und über Lösungswege vorstellen
wird. Es geht viel um den Kampf gegen Terro-
risten und Cyberkriminalität. Die Büros von
Bosbach und Laschet lagen nicht weit von ein-
an der entfernt.
Bosbach sagt über Laschet: »Er hat einen
gesunden Ehrgeiz, ist aber kein Zocker. Er bie-
tet für die politische Konkurrenz wenig An-
griffsfläche, und die muss sich daher schon
mächtig anstrengen, um Argumente gegen ihn
und seine Politik zu finden.« Vor vielen Jahren,
während einer gemeinsamen Dienstreise nach
Syrien und Jordanien, fiel Bosbach auf, wie
stark sich Laschet über Politik definiert. Die
Reise dauerte mehrere Tage, aber Laschet habe
nicht ein einziges Mal über unpolitische The-
men gesprochen. Man weiß nicht recht, ob
Bosbach ihn dafür bewundert oder ob er sich
bloß über Laschet wundert.
Seit anderthalb Jahren – das berichtet einer
seiner Berater – vergehe kein Tag, an dem sich
Laschet nicht die Frage stelle: Wie komme ich
nach Berlin? »Er hat nie den Fehler gemacht, zu
sagen: Mein Platz ist nur in Düsseldorf«, meint
Bosbach. Schon im Sommer 2018 brachte Ger-
hard Schröder in einem stern-Interview Armin
Laschet als Kanzler ins Spiel. Eine erstaunliche
Empfehlung des So zial demo kra ten Schröder.

1994: Laschet, 33 Jahre alt, mit seinen
Kindern bei der Stimmabgabe in
Aachen. An diesem Tag erringt er ein
Mandat für den Bundestag

2018: Ein Auftritt als kümmernder
Landesvater. Laschet besucht die
Zeche Prosper-Haniel in Bottrop,
einige Wochen vor der Schließung

Armin und die Panzerreiter Fortsetzung von Seite 17

Kleine Fotos: BILD Fotoservice; Patrik Stollarz/AFP/Getty Images; Federico Gambarini/dpa (v.o.)

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