Handelsblatt - 17.02.2020

(Ann) #1

E


igentlich sah sich der
Verbraucherzentrale
Bundesverband (VZBV)
auf gutem Weg. Nach
den ersten Verhand-
lungsrunden vor Weihnachten hat-
ten sich Volkswagen und die Ver-
braucherschützer Schritt für Schritt
im Dieselstreit angenähert, ein
schneller Kompromiss schien mög-
lich. Das am vergangenen Freitag
vom VW-Konzern verkündete Ende
der Gespräche hat die Verbraucher-
schützer völlig überrascht. VZBV-Vor-
stand Klaus Müller verurteilt am
Sonntag bei einem Besuch in der
Handelsblatt-Redaktion das Vorge-
hen von VW.

Stimmt es, dass Sie von der Aufkün-
digung der Vergleichsverhandlun-
gen durch VW am vergangenen Frei-
tag völlig überrascht worden sind?
Sogar noch morgens um 8.30 Uhr
hatten uns die Anwälte von Volkswa-
gen den Entwurf für eine Rahmen-
vereinbarung zugesandt. Wir dach-
ten, dass wir kurz vor dem Ende der
Verhandlungen standen. Uns war
klar, dass wir eine schnelle Entschei-
dung brauchen, weil das Verfahren
sonst nicht mehr rechtzeitig abwi-
ckelbar gewesen wäre. Volkswagen
hatte darauf gedrängt, dass wir vor
Mai fertig sein müssten. Dann trifft
der Bundesgerichtshof möglicher-
weise eine Grundsatzentscheidung in
der Dieselfrage.

Warum ist dieser Termin so wichtig?
Volkswagen hat als unverhandelbare
Bedingung für den Vergleich gestellt,
dass die ganze Konstruktion vor dem
BGH-Termin komplett fertig ist. Das
ist aus Verbrauchersicht alles andere
als optimal, aber es war die einzige
Möglichkeit, überhaupt über einen
Vergleich zu sprechen. Die gesamte
Operation stand so unter einem Zeit-
druck. Dafür hätten rechtzeitig neue
Seiten im Internet programmiert
werden müssen, das ist ein großer
Aufwand. Es hätte alles funktionie-
ren müssen. Der BGH kann eine Ent-
scheidung treffen, die einen Ver-
gleich mit deutschen Dieselkunden
noch teurer macht, aber sicher ist
das nicht. Deshalb also diese Eile aus
Sicht von VW.

Sie hätten also im März und im April
vor einem riesigen Berg an Arbeit
gestanden?
Genauso ist es. Deshalb dachten wir
am Freitagvormittag um 11.53 Uhr,
als die entsprechende Mail von
Volkswagen einging: Prima, die Eini-
gung ist zum Greifen nah. Doch zu
unser aller Erstaunen liefen um 12.
Uhr die ersten Meldungen, dass
Volkswagen die Verhandlungen ab-
bricht.

Für Sie gab es keine Indikation, dass
ein Scheitern droht?
Überhaupt nicht. Die Verhandlungen
waren zwar manchmal auch laut und
kontrovers. Das gehört dazu, wenn
es um viel Geld geht. Aber wir waren
uns ganz sicher, dass wir auf einem
guten Weg sind. Auch wenn es Spitz
auf Knopf stand wegen des großen
zeitlichen Drucks.

Was waren die Streitpunkte in den
Verhandlungsrunden?
Der Vergleich hätte immer aus meh-
reren Komponenten bestanden. Was

ist die Gesamtsumme, die Volkswa-
gen zahlt? Wie verteilt sich das auf
die einzelnen Autofahrer? Da gab es
eine zentrale Kontroverse: Wir ha-
ben gesagt, dass wir uns an der Logik
der Individualvergleiche orientieren
wollten, die Volkswagen in den Ein-
zelverfahren abschließt. Nach unse-
rem Stand sind das zwischen zwölf
und 18 Prozent des Kaufpreises, die
Volkswagen als Entschädigung zahlt.
Mit rund 15 Prozent liegen wir genau
in der Mitte, das war akzeptabel.

Was sprach dagegen?
Das wollte Volkswagen nicht. VW
plante ein Matrixmodell, das Ent-
schädigungen zwischen 1 350 und
6 257 Euro vorsieht, also eine Split-
tung nach Alter und jeweiligem Mo-
dell. Das kann man so machen. Für
den Einzelnen ist es aber komplett
intransparent, ob Volkswagen die
richtige Summe auszahlt. 15 Prozent
vom Kaufpreis kann jeder sofort
selbst überprüfen. Wir hätten uns
dann aber doch auf eine solche Ma-
trix eingelassen, wenn die dritte und
letzte Komponente des angestrebten
Vergleichs gestimmt hätte: Wie
kommt das Geld von A nach B?

Da gab es ein weiteres Problem in
den Verhandlungen?
Angesichts der Kürze der Zeit gab es
bei Volkswagen Angst vor Betrügern.
Aber genauso müssen die Verbrau-
cher sicher sein können, dass das
Geld auch wirklich ankommt. Des-
halb konnten wir nicht einfach ein Pa-
pier unterschreiben, die Klage zu-
rückzuziehen, aber bei der Abwick-
lung komplett auf VW vertrauen.

Abwicklungsfragen eines Vergleichs
standen zuletzt im Mittelpunkt?
Darüber haben wir in den letzten
Runden sehr fokussiert gesprochen.
Im vergangenen Mittwoch hatten wir
Volkswagen noch einmal einen sehr
detaillierten Leistungskatalog zuge-
sandt. Außerdem haben wir schwe-
ren Herzens eine zweite Variante vor-
geschlagen: VW wickelt das gesamte
Zahlungsprozedere ab, und unsere
Anwälte kontrollieren nur. Das war
das Äußerste, um einen schnellen
Vergleich noch zu ermöglichen.

VW wirft Ihnen vor, Sie hätten zu ho-
he Anwaltskosten verlangt. Was sa-
gen Sie dazu?
Volkswagen behauptet jetzt, die An-

wälte verlangten nachträglich 50 Mil-
lionen Euro. Das ist falsch. Es ging im-
mer darum, wie wir die Verteilung
dieses gesamten Betrags von 830 Mil-
lionen Euro an die betroffenen Auto-
fahrer rechtssicher und verbraucher-
freundlich abwickeln würden.

Wie ging es dann weiter?
Nachdem wir diesen letzten Vor-
schlag machten, haben wir im Detail
darauf keine Rückmeldung mehr be-
kommen. Im Nachhinein kann man
natürlich zu dem Schluss kommen,
dass uns das hätte misstrauisch ma-
chen sollen. VW hatte uns dann sogar
noch vorgeschlagen, dass wir eine
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft nen-
nen sollten, die zum Schluss über-
prüft. Das wäre für uns okay gewesen.

Trotzdem kam später die Absage?
Offensichtlich hatte sich Volkswagen
das nicht mal so eben spontan über-
legt. Es gab dazu sofort eine Internet-
seite, also alles war vorbereitet. Auch
der Vorstand hat dazu getagt. Wir fin-
den, Volkswagen stellt sich mit dieser
Entscheidung in die Tradition des ei-
genen Dieselbetrugs. Der VW-Kon-
zern hat jetzt ein zweites Mal betro-

Verbraucherzentrale kritisiert Dieselrückzug


„Der VW-Konzern hat ein


zweites Mal betrogen“


VW und der Bundesverband der Verbraucherzentralen standen kurz vor


einer Lösung im Dieselstreit. Doch der Konzern brach die Verhandlungen


ab. Verbraucher-Vorstand Klaus Müller fühlt sich von VW übergangen.


830


MILLIONEN
Euro sollen die
Teilnehmer der
Musterklage bekommen.

Quelle: Volkswagen

Klaus Müller:
Deutschlands oberster
Verbraucherschützer
liegt im Clinch mit VW.

Unternehmen & Märkte
MONTAG, 17. FEBRUAR 2020, NR. 33
16
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