Handelsblatt - 17.02.2020

(Ann) #1
M. Buchenau, M. Koch, A. Müller
Stuttgart, Berlin, Düsseldorf

A


m 19. August vergange-
nen Jahres ging Bundes-
wirtschaftsminister Pe-
ter Altmaier (CDU) in
die deutsche Kartellge-
schichte ein. Der CDU-Politiker ge-
nehmigte den Zusammenschluss des
mittelständischen Metallverarbeiters
Zollern aus Sigmaringen mit dem ös-
terreichischen Autoteileproduzenten
Miba – gegen den Beschluss des Bun-
deskartellamts und gegen die Emp-
fehlung der Monopolkommission.
Eine solche Ministererlaubnis für
Fusionen gab es in Deutschland erst
zehnmal. Altmaier konstatierte Ge-
meinwohlgründe, weil der fusionier-
te Gleitlagerhersteller bedeutsam für
Energiewende und umweltpolitische
Ziele sei. Damit liege ein überragen-
des Interesse der Allgemeinheit vor.
Gleitlager sind ein wichtiger Teil von
Windrädern. Die Entscheidung diene
ebenso dem Erhalt eines wettbe-
werbsfähigen Mittelstands.
Der CDU-Politiker stand damals
unter hohem Druck eben aus dem
Mittelstand. Hatte er doch zu Beginn
des vergangenen Jahres in seiner In-
dustriestrategie den Mittelstand weit-
gehend außen vor gelassen und ge-
sagt, es brauche mehr deutsche und
europäische Champions. Und jetzt
verwehrten die Kartellwächter rein
nach ihren Richtlinien nachvollzieh-
bar eine deutsch-österreichische Liai-
son. Aber ein Verbot hätte vor allem
dem japanischen Weltmarktführer
genutzt. Altmaier also erlaubte die
Fusion.
Geht es nach dem aktuellen Refe-
rentenentwurf für die 10. Novelle des
Gesetzes gegen Wettbewerbsbe-
schränkungen (GWB), für den die
Wirtschaftsverbände am Dienstag zur
Anhörung geladen sind, wird ein
Wirtschaftsminister künftig wahr-
scheinlich nicht mehr in eine solche
Lage kommen. Kartellrechtler haben
sich die Novelle, die unter dem Stich-
wort Digitalisierung geführt wird, ge-
nauer angeschaut und kleine, aber
entscheidende Details entdeckt, die
für den Mittelstand sehr relevant sind.
Durch das Ersetzen eines „oder“
durch ein „und“ in dem Gesetzestext
wird es künftig für Mittelständler na-
hezu unmöglich, noch einmal eine
Ministererlaubnis für eine bereits
vom Kartellamt abgelehnte Fusion zu
bekommen. Bislang konnte eine Mi-
nistererlaubnis nur erteilt werden,
wenn sie „im überragenden Interesse
der Allgemeinheit ist“ oder wenn sie
„gesamtwirtschaftlich Vorteile“
bringt. Künftig muss eine Fusion aber
beide Kriterien zugleich erfüllen.
„Das ist unrealistisch für einen Mittel-
ständler“, sagt Matthias Karl, Partner
und Kartellrechtsexperte bei Gleiss
Lutz. Weil Mittelständler immer zu
klein seien, um gesamtwirtschaftlich
Vorteile, sprich Einfluss auf das ge-
samte Bruttosozialprodukt in mess-
barer Größe zu haben.

Nur zwei Ministererlaubnis-
se in zehn Jahren
In den letzten zehn Jahren gab es
zwei Sondergenehmigungen von Fu-
sionen. Professor Rainer Bechtold,
Honorarprofessor an der Universität
Würzburg, äußerte sich bereits in ei-
nem Beitrag zur ersten Fassung des
Referentenentwurfs vor einigen Mo-
naten: „Wenn die Änderungsvor-
schläge Gesetz werden, ist es jeden-
falls auf der Basis der bisherigen Fall-
praxis kaum vorstellbar, dass es
überhaupt noch einmal zur Erteilung
einer Ministererlaubnis kommt.“
Rechtsanwalt Karl formuliert schär-

fer: „Die vom Ministerium geplanten
Änderungen führen ohne Not zur
faktischen Abschaffung dieses wichti-
gen Ausnahmeinstruments, und ge-
nau das ist offenbar beabsichtigt.“
Ein Sprecher des Bundeswirtschafts-
ministeriums widerspricht: „Die Kri-
tik ist abwegig. Das GWB-Digitalisie-
rungsgesetz zielt gerade darauf ab,
die Interessen der mittelständischen
Wirtschaft zu schützen.“
Das Unternehmen Zollern jeden-
falls ist ein halbes Jahr nach Altmai-
ers Erlaubnis zufrieden: Es sei ein
„mutiges Signal des Wirtschaftsminis-
ters an den Mittelstand“, sagt Zollern-
Chef Klaus Friedrich Erkes. Es zeige,
dass dieses Instrument in Ausnahme-
fällen gebraucht werde, um innovati-
ven Initiativen aus dem deutschen
und europäischen Mittelstand eine
Zukunft zu geben und „auch künftig
einen Ausverkauf nach Asien zu ver-
hindern“. Die bisherige Zusammen-
arbeit mit den Österreichern verlaufe
erfolgreich, trotz der Verzögerungen
bei der Genehmigung.
Und die drohen nach dem Referen-
tenentwurf noch größer zu werden,
sagt Karl. Denn im Entwurf ist noch
ein weiterer notwendiger Schritt vor-
gesehen. „Wenn jetzt die betroffenen
Unternehmen zunächst den Rechts-
weg gegen die Untersagung zum OLG
Düsseldorf einschlagen müssen, be-
vor überhaupt der Antrag auf Minis-
tererlaubnis gestellt werden kann,

vergehen bestimmt anderthalb bis
zwei Jahre“, sagt der Kartellexperte
Karl. Ein so langer Zeitraum sei der
„Todesstoß“ für jede M&A-Transakti-
on. Gerade Hidden Champions aus
der „Old Economy“ werde dann oft
nur noch die Wahl bleiben, ihr Unter-
nehmen Investoren aus Asien anzu-
dienen, bei denen es keine Wettbe-
werbsprobleme gibt.
Die Rechtswegregelung könnte et-
wa für die Automobilzulieferer im
Zuge der Transformation zur Elektro-
mobilität ein echtes Problem werden.
Denn um bei sinkender Nachfrage
überhaupt bestehen zu können,
kann es durchaus sinnvoll sein, wenn
sich zwei deutsche Autozulieferer in
der Verbrennungstechnologie zusam-
menschließen. Das Kartellrecht wür-
de dies künftig erschweren.
Mit Hochdruck wurde der Referen-
tenentwurf am 24. Januar vorgestellt,
bis zur Verbändeanhörung am Diens-
tag blieb nicht viel Zeit, um sich mit
der komplizierten Materie auseinan-
derzusetzen. In Stellungnahmen der
Mittelstandsverbände ist die Reso-
nanz überraschend positiv, weil sie
der Digitalisierung Rechnung trägt
und versucht, die Marktmacht der
großen finanzkräftigen Digital-Platt-
formen zu begrenzen. Aber es gibt
auch Kehrseiten und Fallstricke. Kar-
tellexperte Karl sieht noch weitere
gravierende Änderungen, die ohne
Not den deutschen Mittelstand be-

sonders treffen. Im Paragraf 39a
kann das Bundeskartellamt ein Un-
ternehmen durch Verfügung auffor-
dern, jede Übernahme anzumelden.
Dabei wurde die Umsatzgröße des
kaufenden Unternehmens von 500
Millionen auf 250 Millionen Euro he-
rabgesetzt und die Größe des Über-
nahmeziels auf mehr als zwei Millio-
nen festgelegt. Die Kartellwächter
können damit früher eingreifen.
„Diese Regelung öffnet eben die
Schleuse, auch gegen Transaktionen
des ,kleinen‘ Mittelstands vorzuge-
hen. Dieser Eingriff ist unverhältnis-
mäßig“, findet Karl von Gleiss Lutz.

Mehr Fingerspitzengefühl
Auch Autoprofessor Stefan Bratzel
vom Center of Automotive Manage-
ment sieht Probleme bei der digita-
len Transformation seiner Branche.
„Es wird eine enorme Konsolidie-
rungsphase geben. Die Autozulieferer
sind ja gezwungen, digitale Kompe-
tenzen massiv zuzukaufen“, sagt
Bratzel. Wenn hier das Kartellamt
früher einschreite, könnte das für
konventionelle Autozulieferer die
Umstellung auf neue Zukunftsge-
schäftsfelder erschweren. Da sei sehr
viel Fingerspitzengefühl gefragt.
Kartellexperte Karl hat noch einen
weiteren Haken in dem Referenten-
entwurf gefunden. Auf den ersten
Blick gebe die Erhöhung der Bagatell-
marktschwelle von 15 auf 20 Millio-
nen den Unternehmen mehr Freihei-
ten. Bagatellmärkte sind so unbedeu-
tend, dass sich die Fusionskontrolle
nicht darum kümmert. „Das Problem
ist, dass das Wort ,insgesamt‘ einge-
führt wurde. So kann das Kartellamt
jetzt selbst sehr verschiedene Ni-
schenmärkte zusammenfassen“,
warnt Karl. Die Schwelle von „insge-
samt“ 20 Millionen könne auf diese
Weise schnell überschritten werden,
Und die Kartellwächter wären zum
Eingreifen befugt. Das sei für Hidden
Champions, die in kleinen Märkten
stark sind, ein echtes Problem. Es
dränge sich der Verdacht auf, dass in
dem Gesetz das nachgeholt werde,
was das Kartellamt zum Beispiel
beim Fall Miba/Zollern gerne als In-
strument gehabt hätte.
Auch diesen Punkt kontert das
BMWi. Es verweist auf unveröffent-
lichte Stellungnahmen der Verbände,
die dem Handelsblatt inzwischen
vorliegen. Der Mittelstandsverbund
ZGV, der nach eigenen Angaben
230 000 mittelständischen Unter-
nehmen vertritt, führt in seiner noch
unveröffentlichten Stellungnahme zu
den Regelungen des Entwurfs im Be-
reich Fusionskontrolle aus: „Die Er-
leichterungen, die mit diesen Ände-
rungen für mittelständische Unter-
nehmen verbunden sein werden,
werden sich bei Konsolidierungsvor-
haben positiv bemerkbar machen
und sind deshalb zu begrüßen.“ In ei-
ner Stellungnahme des Verbandes
die Familienunternehmer, der dem
Handelsblatt vorliegt, heißt es: „Hier
stellt sich die Frage, ob nicht große
Marktteilnehmer einen solchen Baga-
tellwert dazu ausnutzen könnten,
mittels einer Vielzahl großer Kleinun-
ternehmen vorsätzlich ‚unter dem
Radar‘ zu verbleiben.“
Wie stark die Einwände der Kar-
tellrechtler bei den Anhörungen ver-
fangen, bleibt abzuwarten. Ob und
gegebenenfalls welche Änderungen
des Referentenentwurfs erfolgen, will
das BMWi auf Grundlage aller einge-
henden Stellungnahmen und der An-
hörung der betroffenen Verbände so-
wie der Länder entscheiden. Dabei
würden die Interessen der mittelstän-
dischen Wirtschaft in besonderer
Weise berücksichtigt, heißt es.

Wettbewerb


Schärfere


Schwerter für


Kartellwächter


Der Referentenentwurf für die Novelle des


Wettbewerbsrechts enthält Regelungen, die


mittelständischen Unternehmen Fusionen


erschweren. Für eine Ministererlaubnis werden


die Hürden noch höher als bisher.


Peter Altmaier:
Der Wirtschaftsminister
erteilte 2019
die vielleicht letzte
Ministererlaubnis.

AP

Die neue


Regelung


öffnet die


Schleuse,


auch gegen


Transaktionen


des ‚kleinen‘


Mittelstands


vorzugehen.


Matthias Karl
Kartellrechtsexperte
bei Gleiss Lutz

Unternehmen & Märkte
MONTAG, 17. FEBRUAR 2020, NR. 33
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