Der Standard - 17.02.2020

(Nancy Kaufman) #1

8 |MONTAG,17. FEBRUAR 2020 Chronik DERSTANDARD


Eine Agentur,die
Betreuungskräfte aus dem
Osten nach Österreich
vermittelt, profitierte über
Jahrevon hohen Straf-
forderungen und harten
Klauseln. Dem soll ein
Riegelvorgeschoben
werden–wieder einmal.

Gabriele Scherndl

schein–abhängig, argumentieren
die anderen. Vom VKI heißt es
dazu etwa, eine Betreuerin gebe
„dadurch die Kontrolle aus der
Hand“, auch wenn das legal sei.
Problematischer jedoch sieht
der VKI die Strafzahlungen, die
sichinvielenVerträgenR.sfinden.
Da istetwa eine Strafe von 890
Euro vorgesehen, wenn die zu
pflegende Person innerhalb der
ersten drei Monate kündigen will.
Dass die Agentur und ihre Leis-
tung überflüssigwerden,soll eine
andere Klausel verhindern:Arbei-
ten Familie und Betreuerin einein-

24-Stunden-Betreuung mitKnebelverträgen

D


ie Welt der 24-Stunden-
Betreuung ist eine kleine
Welt. Auch wenn sich darin
rund 60.000 Betreuerinnenund
eine Hundertschaft an Vermitt-
lungsagenturen bewegen, stoßen
jene, die nach Missständen fragen,
immer wieder auf dieselbenNa-
men.Einer dieser Namen ist jener
von R., dessen Vermittlungsagen-
tur in Österreich und der Slowakei
sitzt. Und der über Jahreein ge-
schicktes und lukratives System
aufgebaut hat, in dem vor allem er
profitiert.
SchonvorzweiJahrenmussteR.
19Klauseln,diesichinseinenVer-
trägen fanden, unterlassen. Da
ging es etwa um 3000 Euro Strafe,
die eine Betreuerin zahlenmuss-
te, wenn sie die Verschwiegen-
heitspflicht verletzt. Oder um
10.000 Euro Strafe, die eine pfle-
gebedürftige Person zahlen muss-
te, wenn sie eine Betreuerin ab-
wirbt oder von Bekannten abwer-
benlässt–selbstwenndieseschon
seit drei Jahren nicht mehr bei ihm
arbeitet. Nach einer Verhandlung
mit dem Verein für Konsumenten-
information(VKI)darferdieseund
sinngleiche Bestimmungen nicht
mehr verwenden.


HoheStrafzahlungen


Ganz rundläuft es jedoch noch
nicht. Frauen, die für R. arbeiten,
sprechen davon,dass sie nicht zur
Gänze oder unregelmäßig bezahlt
würden. Sie schicken Bilder von
Strafmahnungen,diesievonR.be-
kommen haben, voller Verzweif-
lung, weil sie so viel Geld nicht ha-
ben, und legen Verträge und Rech-
nungen vor, derenInhalt sie stut-
zig macht. Etwa wegen Service-
pauschalen und hoher Fahrtkos-
tenabzüge, aber auch, weil R. den
Betreuerinnen ihre Zahlungsvor-
gänge abnimmt: Dank einer Inkas-


sovollmacht geht der Bruttolohn
direkt an ihn, er überweist den
Rest an die Betreuerinnen weiter.
Oder lässt sie von den Fahrern bar
übergeben, wie manche Betreue-
rinnen erzählen.
Inkassovollmachten werdenin
derBetreuungsbranche aus zwei
Richtungen betrachtet: Sie neh-
men den Frauen, von denen die
meisten nicht fließend Deutsch
sprechen, Aufwand ab, argumen-
tieren die einen. Sie machen eine
selbstständige Personenbetreue-
rin –und das ist jede von ihnen,
zumindest auf dem Gewerbe-

halb Jahre nach Vertragsende er-
neut zusammen,könnenbis zu
8000 Euro Strafe anfallen.
Klauseln wie diese finden sich
immerwiederinVerträgenvonBe-
treuerinnen,nichtnurbeiR.Inder
Branche gedeihen auch deshalb
Missstände, weil sie unter prekä-
ren Bedingungentätig ist: ein Pfle-
genotstand steht auf der einen, die
Suche nach Wohlstand auf der an-
deren,der osteuropäischen Seite.
Die 24-Stunden-Betreuungist ein
Geschäftsmodell, das sich in enor-
mem Tempo über Sprach- und
Ländergrenzen hinweg entwickelt

hat, was eine rechtliche Regulie-
rung erschwert.
Doch R. sticht heraus. Wolfgang
SchmittistJuristundbeimVKImit
der Causa R. betraut: „Es gibt an-
dere Agenturen, die nicht zu 100
Prozent rechtskonforme Klauseln
verwenden“, sagt er, „aber R. fällt
ungut auf“–einerseits, wenn es
um den Umgang mit Betreuerin-
nen und zu betreuenden Personen
gehe, andererseits mit Vertrags-
brüchen. In Beschwerden von den
Kunden R.s an den VKI ist etwa die
Rede davon, dass Betreuerinnen
nicht ausgebildet, unwilligoder
gar bösartig seien,dass kein Kun-
dendienst erreichbar sei und auch
denFamilienteureExtrakostenbe-
rechnet worden seinen. Der VKI
betont, dass es sich dabei um Vor-
würfe handelt, die man nicht über-
prüfen konnte.

Klauselnkünftig verboten
Doch zumindest einige Prakti-
ken sind R. künftig verboten. In
einem Teilvergleich mit dem VKI
wurde kürzlich erreicht, dass drei
weitere Klauseln nicht mehr ver-
wendet werden dürfen, darunter
etwa die Kündigungsklausel und
ein Passus, in dem es heißt, eine
Betreuerindürfe, wenn die Fami-
lie den Vertrag kündigt, bis zum
nächsten Abholtermin im Haus
bleibenund haushalterische Tä-
tigkeiten verrichten.Zwei Klau-
seln sollen noch verglichenwer-
den, sagt Schmitt, geschehe dies
nicht, müsse ein Richter entschei-
den. Etwa jene, die die Strafe von
bis zu 8000 Euro ermöglicht, wenn
eine Betreuerin ohne Agentur mit
der Familie arbeitet–auch einein-
halb Jahre, nachdem die Zusam-
menarbeit über R. beendet wurde.
Ein Brief, datiert mit Jänner, der
demSTANDARDvorliegt, fordert
genau so eineStrafe ein. 6000 Euro
soll eine Betreuerin zahlen, weil
sie ohne R. als Mittler weiterhin
bei einer Familie arbeitete–Fami-
lie und Betreuerin hätten das ge-
meinsam beschlossen, sagt die Be-
treuerin. Und dass sie nicht zah-
len wird: „Er hat mir schon genug
Geld gestohlen.“
DER STANDARD konfrontierte
R. mit sämtlichen erhobenen Vor-
würfen.Erl ießüberseinenAnwalt
ausrichten, dass diese nicht der
Wahrheit entsprächen, daher wol-
le er keine inhaltliche Stellung
dazu abgeben.

600 Millionen Euro fließen allein in Österreich in die 24-Stunden-Betreuung. Innerhalb der Branche
aber herrschen Missstände, unter denen sowohl Betreuerinnen als auch Betreute leiden.

Foto: Getty Images

/iStockphoto

Länder überziehen
Lehrerstellenpläne

Wien–Viele Bundesländer über-
ziehen die Planstellen für die Leh-
reranallgemeinbildendenPflicht-
schulen wieder stärker. Insgesamt
wurden im Schuljahr 2018/19 die
rund 61.000 genehmigten Plan-
stellen um 2000 überschritten,
zeigt die Beantwortung einer par-
lamentarischen Anfrage. (APA)


RechtlicheKonsequenzen
nachU-Bahn-Unfall

Wien–Nach dem tödlichen Unfall
an der U6-Station Am Schöpfwerk
am Samstagabend prüfen die Wie-
ner Linien rechtliche Schritte
gegen einen Beobachter. Wie eine
Sprecherin demSTANDARDbe-
stätigt, geht es dabei um Aufnah-
men, die direkt nach dem Unfall
gemacht und an Medien gespielt
wurden.ZumUnfallhergangheißt
es, die Frau habe sich im Tür-
bereich aufgehalten und sei vom
Fahrer angewiesen worden, ent-
weder ein- oder auszusteigen.
Nachdem die 31-Jährige ausge-
stiegen sei, habe sich der Fahrer
vergewissert, dass niemand mehr
hinter der gelben Linie stehe, und
sei abgefahren. Die Frau habe sich
erst danach wieder dem schon
fahrenden Zug genähert, so die
Sprecherin. (red)


KURZGEMELDET


Grüne imWiener Gemeinderatwerden jünger


DieHälfte der erstenzehn hat bereits einenSitz im Rathaus


Oona Kroisleitner

I


nden Reihender HalleEim
Wiener Austria-Center staunte
die grüne BasisSamstagabend
nichtschlecht,alsbei der Landes-
versammlungderWienerParteidie
Liste nplätze fünfbis 14 aufder
Bühne verkündetwurden.Denn
beigleichbleibender Mandatszahl
derGrünen im Gemeinderat wären
nur nochfünfder zehn aktuellen
Abgeordnetendabei.
Zuvorwurde bereitsdas „Spit-
zenteam“von Vizebürgermeisterin
Birgit Hebeingewählt. Platz zwei
ergatterte GemeinderatPeter
Kraus,hinter ihm landete Querein-
steigerin JudithPühringer,die ihre
Wahl als Zeichenfür die Öffnung
derPartei wertete. Ihrfolgt der der-
zeitige KlubsprecherimRathaus,
David Ellensohn,der si ch „glück-
lich“ zeigte, Teildes Vierer-
kleebl atts zusein.Allerdings: Die
dreihinter Hebeinhatte nkeine
weiteren Gegenkandidaten in
ihremWahlblock.
Ganz anders gestaltete sich die
SuchenachdenPlätzenfünfbis14:
DerGroßteil der 49Bewerber woll-
te hier punkten.ZehnAbgeo rdne-
testellendieGrünenaktuellimRat-

haus–Hebein führtalsRegierungs-
mitglied seit2019keinMandat
mehr. Für die anstehende Wien-
Wahl,die voraussichtlichim
Herbst stattfindet, harrtdie Partei
aufStimmenzuwächse.
Zwarmussten die Ökosbei der
vergangenen Wien-Wahl im Jahr
2015 ein kleines Minus einstecken
undkamennur noch auf 11,8 Pro-
zent. Dochschnittensie beiden
beidenbundesweitenWahlenim
Jahr 2019 in Wiendeutli ch besser
ab. Zuletzt erreichtendie Grünen
im Herbst beider Nationalratswahl
20,7 Prozent–das istein Plus von
fast 15ProzentpunktenzurWahl
2017 bzw.von rund vierProzent-
punkten zum Jahr 2013.

Hoffen auf Zugewinne
Auf ein Mandatsplus muss nun
Gemeinderat NikiKunrath hoffen.
Erwurdevondenrund700Mitglie-
dern undUnterstützer nlediglich
auf Listenplatz 13 gesetzt. Kunrath
war erst 2019 in denRathausklub
nachgerückt, als Hebeinden Job als
Stadt-Vize antratund ihren Sitz
verli eß.DieGemeinderäteHansAr-
senovic undBarbaraHuemermit
den Listenplätzen 16 und18haben
hingegenschlechteChancenauf

einen neuerlichen Einzug.Ihr
Mandatverteidigenkonnten neben
Kraus und Ellensohn auch Jennifer
Kickert(Listenplatzfünf),Ursula
Berner (sieben) undMartin Margu-
lies (acht). In ihre Mitte drängtedie
–überraschend weitnach vornege-
wählte–Junggewerkschafterin
Viktoria Spielmann, sieerreichte
Platz sechs.Rüdiger Mareschund
Birgit Meinhard-Schiebel verlas-
sen den Klub nach der Wien-Wahl
freiwillig.
Dieserdürfte in dernächsten Pe-
riode um einiges jünger werden.
Während aktuell sieben derzehn
Gemeinderäte über 50 Jahre alt
sind, finden sich unterden ersten
zehnKandidatennachHebeinnur
vier, dreiKandidaten sind unter 35
(aktuell istKraus dereinzige Ge-
meinderat unter 35). ImSchnitt
sind die Top-elf-Kandidaten rund
zehnJahre jünger alsdie aktuellen
Abgeordneten.Der LehrerFelix
Stadler istmit 24 Jahren und Platz
elf der Jüngste, der auch ohneZu-
gewinne einziehen würde. Aber
auchdie Ex-Parlamentarierin Berî-
van Aslan unddie Donaustädter
Klubchefin derGrünen,Heidi Se-
quenz,(neun und zehn) wären da-
bei. Kopf desTages Seite 20

Ermittlungenwegen


Falschaussagegegen


Polizisten nach Demo


Wien–InZusammenhang mit der
Auflösung der Klimademo am


  1. Mai 2019, im Zuge derer Poli-
    zeibeamte den Aktivisten Anselm
    Schindler unter einem anfahren-
    den Einsatzbus auf dem Boden fi-
    xierten und erst im letzten Mo-
    ment wegrissen, wird gegen einen
    der beteiligten Beamten nun auch
    wegen Falschaussage ermittelt.
    Das bestätigte die Staatsanwalt-
    schaft Wien dem ORF.
    Grund der zusätzlichen Ermitt-
    lungen ist die Aussage des betref-
    fenden Polizisten beim Landes-
    verwaltungsgericht Wien (LVwG
    Wien). Dieses beurteilte die Amts-
    handlung als teilweise rechtswid-
    rig. Ein Handyvideo des inkrimi-
    nierten Einsatzes ließ bei der
    Richterin Zweifel an den Aussa-
    gen des Beamten aufkommen. Sie
    habe daraufhin bei der Staats-
    anwaltschaft Wien eine entspre-
    chende Sachverhaltsdarstellung
    eingebracht, sagte LVwG-Spre-
    cherin Beatrix Hornschall.
    Insgesamt wird in Zusammen-
    hangmitdemPolizeieinsatzgegen
    sieben Beamte wegen des Ver-
    dachts der Körperverletzung
    unter Ausnützung einer Amtsstel-
    lung ermittelt. (red)

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