Der Standard - 17.02.2020

(Nancy Kaufman) #1

6 |MONTAG,17.FEBRUAR2020DBildung ERSTANDARD


Der LehrerAndreasFernerarbeitetsich inseinemKabarettprogramm
am Schulsystem und dessen Beteiligten ab.Bei Smartphones und
digitalemUnterricht istfür ihn aber Schlussmit lustig.

„Das Handy istein

Unterrichtszerstörer“

A


ndreas Ferner ist vieles: Kabaret-
tist,Schauspieler,Moderatorund
vor allem eines–Lehrer, und das
seit 20 Jahren. An einer privatenWiener
Handelsakademie unterrichtet er kauf-
männische Fächer. Für schwierige Schü-
lerinnen und Schüler bringt der 46-Jäh-
rige viel Verständnis auf, war er doch laut
Eigenbeschreibung selbst kein einfaches
Kind. Aktuell steht Ferner mitChill amal,
Fessorauf der Kabarettbühne–esist mitt-
lerweileseindritt es Programm mit Bil-
dungsschwerpunkt. Die Schulaufsicht
krachtbisla ng nur als Gast ins Kabarett
hinein.


STANDARD: Ist das Kabarett eine Art
Eigentherapie?
Ferner:Es bietet mir die Möglichkeit, Din-
ge abzuarbeiten, die mich an der Bil-
dungspolitik oder an den Medien, wie sie
Lehrer und Schule sehen, stören. Auf der
Kabarettbühne kann ich zurückschlagen
und zeigen, was es heutzutage bedeutet,
Lehrer zu sein–nämlich nicht nur ein
Halbtagsjob mit langen Ferienzeiten.


STANDARD:Fühlen Sie sich als Lehrer zu
wenig wertgeschätzt?
Ferner:Immerheißtes, Bildung ist das
Wichtigste. Nur die Leute, die die Bil-
dung vermitteln–also die Lehrkräfte –
werden nicht entsprechend behandelt.
Ichkönnte natürlich sagen, dass mir das
nach 20 Jahren im Geschäft egalist –ist
es aber nicht. Man kann nicht die Besten
wollen und gleichzeitig den Job madig
machen.


STANDARD:Ist der Umgang mit Eltern
dementsprechend schwierig?
Ferner:Ich habe da keine Probleme. Aber
viele Kolleginnen und Kollegen berichten
mir, dass Eltern immer forscher auftreten
und auch schneller mit dem Anwalt dro-
hen. Dabei könnte man doch vieles im Ge-
spräch miteinander gut regeln.


Standard:Womit haben Sie in Ihrem
Schulalltag am meisten zu kämpfen?
Ferner:Es wird sehr viel über angebliche
Schulprobleme gesprochen, die gar nicht
so große sind –etwa das
Kopftuch. Für mich heißt
das größte Problem Smart-
phone. Gegen ein Handy an-
zukämpfen ist fast unmög-
lich. Ich habe mit einer Klas-
se einmal ein Experiment ge-
macht. Wirhaben eine Stun-
de lang die Handys laut auf-
gedreht und geschaut, wie
vieldareinkommt:Eswarer-
schütternd–mehr als 300
Unterbrecher auf allen mög-
lichen Kanälen. Nur Anrufe
gab es keine. Jede Nachricht
lenkt ab. Das Handy ist ein
Unterrichtszerstörer.


Standard:Was machen Sie? Abkassie-
ren?
Ferner:Es gibt ständig Diskussionen. Das
Beste wäre: im Spind wegsperren. Oder
gar nicht mitnehmen. Es sollte jedenfalls
nicht zur Kernaufgabe eines Lehrers ge-


hören, zu kontrollieren, ob das Mobiltele-
fon verstaut ist.

Standard:Bildungsminister Heinz Faß-
mann denkt an Tablets für alle.
Ferner:Wir kämpfen ja jetzt schon so mit
der Smartphonesucht! Was den Einsatz
von Handys im Unterricht anlangt:Das
müssenmirdieBildungsexperten,dieda-
vonschwärmen, einmalerklären, wie das
geht. Ich bin für den französischenWeg,
die habendas Handy strikt verboten.

Standard: Ist das Handy der einzige
Störfaktor im Unterricht?
Ferner:Verglichen mitmeinen Anfangs-
jahren ist es schon viel schwieriger ge-
worden. DieErziehung wirdimmer stär-
kerindie Schuleverlagert, es gibt Kin-
der, die kaum ein „Nein“kennen und
keine Grenzen.Das mitRuhe, Disziplin
undOrdnung –oh, das klingt konserva-
tiv! Ichmeine,ein gutes Unterrichts-
klima istunter diesen Gegebenheiten
schwierigerzuerreichen. Normalerwei-
se gelingt es mir trotzdem. Aber wenn ich
einen schlechten Tag habe,tue ich mir
schwer.

Standard:Immer wieder wird über Ge-
walt und Mobbing an Schulen geredet ...
Ferner:...wobeiesfürunsLehrergarnicht
so leicht ist, da einzugreifen, weil vieles
davon versteckt läuft. Bei Handgemengen
versuche ich einzugreifen, auch mit Hu-
mor. Da sage ich zum Beispiel: Schlagen
bitte nur, wenn ich nicht in der Klasse
bin! Dann löst sich das meist schnell auf.
Aber es kann nicht sein, dass wir Lehrer
jetzt auch noch die Antimobbinglösungs-
profis sind–dagibt es Profis, die sicher
mehr bewirken. Also ich oute mich hier-
mit: Ich bin kein Mobbingexperte!

Standard:Sagenwir, heute ist ein guter
Tag, und Sie können etwas am Bildungs-
system ändern. Was wäre das?
Ferner:Mich stört diese Zwiespältigkeit.
Wir setzen auf all diese zentralen Testun-
gen wie Pisa oder Zentralmatura. Gleich-
zeitignehmenReformenwiedieneuemo-
dulare Oberstufe wesentliche Leistungs-
faktoren raus. Das passt nicht zusammen.
Will ich mit den asiatischen Hochdruck-
ländernkonkurrieren,mussichsehrstark
aufLeistungsetzen.Odermanlegteseben
entspannter an–dann braucht es diese
Vergleiche nicht. Was will ich? Asiati-
schen Hardcore oder Gemütlichkeit mit
Spaß? Beides hat seine Berechtigung, bei-
des hat seine Vor- und Nachteile. Nur wir
machen so ein schwieriges Mittelding.

Standard:Wie viel in Ihrem Programm
ist erfunden, was ist echt?
Ferner:Sagen wir so: Dass irgendetwas
komplett erfunden ist, kommt nicht vor.
Es ist alles zumindest aus der Wirklich-
keit hergeleitet und auf ähnliche Art und
Weise passiert. Natürlich überspitze ich.
Meinen Schülern scheint es zu gefallen –
ich habe gar nicht so wenige bei mir im
Publikum sitzen.

ANDREAS FERNER(46) arbeitet als Lehrer in
Wien und tritt regelmäßig als Kabarettist auf.

Andreas Ferner versucht’s auch im Unterricht oft mit Humor: „Schlagen bitte nur,
wenn ich nicht in der Klasse bin!“ Bei Mobbing setzt er auf den Rat von Experten.

Foto: Matthias Cremer

INTERVIEW:PeterMayr, Karin Riss

KoboldinPoldi muss zurück an den Start


Die umstrittene Schuleinschreibe-App wirdneu aufgesetzt, die Projektkosten belaufen sich auf 150.000 Euro


Karin Riss

P


oldi trägt ein feuerrotes
Kleid und eine farblich pas-
sende Mütze. Mit dieser
Ausrüstung steht sie jetzt am Be-
ginn eines gaaaaaanz, gaaaaaanz
großen Abenteuers. Die Koboldin
aus der neuen Schuleinschreibe-
App für angehende Volksschul-
kinder spricht betont langsam, für
manche Ohren sogar ein wenig
enervierend. „Los geht’s“, auf in
den Computer-Zauberwald!
Insgesamt 26 Pilotschulen ha-
ben sich freiwillig gemeldet und
in den vergangenen Wochen erst-
mals mit dem Programm gearbei-
tet. Die Rückmeldungen an das
Bildungsministerium waren ge-
linde gesagt durchwachsen. Als
Sofortmaßnahmeverkündeteman
im Haus am Wiener Minoriten-


platz: Das Online-Screening soll
doch nicht wie geplant bereits im
kommenden Schuljahr verpflich-
tend zum Einsatz kommen.
Stattdessen setzt man jetzt auf
Freiwilligkeit. Das neue Tool, mit
dem österreichweit erstmals ein-
heitliche Kriterien zur Feststel-
lung der Schulreife zur Anwen-
dung kommen würden, „soll so at-
traktiv werden, dass die Schulen
selbst danach fragen“, erklärt Ge-
neralsekretär Martin Netzer.
Ziel sei auch gewesen, Förder-
bedarf, oder auch herausragende
Fähigkeiten bei Kindern früh zu
erkennen–quasi als Unterstüt-
zung für die Lehrkräfte. Die Ent-
scheidung über Schulreife oder
nicht bleibt auch bei dem neuen
Verfahren in den Händen der Pä-
dagoginnen und Pädagogen. Noch
ist die Hilfe nicht angekommen:

Zu lang,zuviel, zu schwierig–das
sind kurz gefasst die Hauptkritik-
punkte am digitalisierten Schul-
einschreibeprozess.
Im Ministerium will man
schnellreagierenunddiebiszu
Minuten Testzeit, die pro Kind in
der realen Einscheibesituation an-
gefallen sind, verkürzen: „Wir
wollen auf 20 bis 25 Minuten her-
unterkommen“, gibt Netzer die
Richtung vor. Dafür müssen na-
türlich auch die Aufgaben deut-
lich reduziert werden–was auf
der anderen Seite Probleme mit
der Aussagekraft bringen kann.

Leichteres Handling
Fix ist: Jene Aufgaben, mit
denen besondere Begabungen von
Kindern identifiziert werden sol-
len, wird es in einer neuen App-
Version nur noch als Option ge-

ben. Wenn Poldi die Kinder also
auffordert, bis zu fünf Zahlen aus
dem Gedächtnis wiederzugeben,
wird das künftig nur noch einen
Teil der Fünfjährigen erreichen.
Auch um den Arbeitsaufwand
der Lehrkräfte will man sich küm-
mern: Ihnen soll das Handling da-
mit erleichtert werden, dass sie
nach dem Update nicht mehr zwi-
schen Touchscreen und beglei-
tend zum Einsatz kommenden
Aufgaben auf Papier wechseln
müssen–esgeht in Richtung al-
les online. Einzig eine Übung, mit
der explizit grafomotorische Fä-
higkeiten der Kinder ermittelt
werden, bleibt bei der Papier-und-
Bleistift-Version. Ob Poldi auch
eine andere Stimme bekommen
soll, ist noch nicht geklärt.
Für das auf zwei Jahre angesetz-
te Projekt wurden im Bildungsmi-

nisterium rund 150.000 Euro bud-
getiert, sagt Generalsekretär Net-
zer –inklusive wissenschaftlicher
Begleitung durch ein Team von
Entwicklungspsychologen der
Uni Graz. Auch die anstehenden
neuen App-Entwicklungsschritte
seien in diesem Betrag bereits ent-
halten. Wenn dann alle genannten
Änderungen erfolgt sind, hofft
Netzer, „dass wir damit etwa ein
Viertel der Schulen erreichen“.

Warten auf die Zahlen
Ob Poldi trotz der Kritik die re-
gionalen Unterschiede bei der
Entscheidung über Vorschule
oder erste Klasse einebnen konn-
te, lässt sich derzeit noch nicht sa-
gen –die Zahlen zu den eben erst
abgeschlossenen Schuleinschrei-
bungen werden erst in den kom-
menden Wochen ausgewertet.

Ichbin für den
französischenWeg,
die haben das
Handystrikt
verboten.


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