Frankfurter Allgemeine Zeitung - 20.03.2020

(Nandana) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Feuilleton FREITAG,20. MÄRZ2020·NR.68·SEITE 11


A


ls ic hdies schreibe, sind be-
reits 8141 Menschen an Co-
vid-19gestorben, undTausen-
de weitere, hoffentlich nur
Tausende,werden nochsterben, bevor
ein Impfstoffentwickelt undverfügbar
gemacht wird. Ichsitze zu Hause, hier in
NewYork, und beobachte, wie dieZah-
len steigen, „in Echtzeit“ oder so „echt“,
wie Zeit nun erfahrbar wird: 8142,
8143, 8144. Das istwohl meine Aufga-
be.ZuHause zu sitzen und aufZahlen
schauen. Niemand hat mir befohlen, das
zu tun. Niemand hat mir Anweisungen
gegeben. DieStadt- undBundesstaatsre-
gierungen haben nur die Barsund Re-
staurants, Museen und Galerien,Kon-
zertsäle und Theatergeschlossen und er-
warten, dassdies ausreicht, um mich
und acht MillionenNachbarnvon den
Straßenfernzuhalten.
Es heißt jetzt,dasseine Quarantäne
unmittelbar bevorstehe. Siebeginnt
Montag oder Dienstag oder Mittwoch,
definitiv Mittwochum12Uhr,definitiv
Mittwoch um 17 Uhr.Man sagt,die Ar-
meewerdeanrücken, um die Quarantä-
ne durchzusetzen und/oderinfizierte Be-
reiche zu desinfizieren und/oderTeststel-
len undFeldkrankenhäuser zu errichten
und/oder unser Bio-Gemüse an die Haus-

tür zu liefernwie dieFahrradkuriere von
Amazon oder WholeFoods, nur dass
ihreFahrräder Panzer sind.
Wasnoch? U-Bahnund Busse wür-
den niemalsausgesetzt, heißt es,weil sie
vonKrankenhausmitarbeiternbenutzt
werden. Dann: DieNutzung der U-Bahn
und der Bussewerdeauf Krankenhaus-
angestelltebeschränkt.Und wassollen
die tun?Vielleicht einfachinden Kran-
kenhäusernleben, so wie diePatienten,
zu denen sie unweigerlichwerden?
Falls das alles nicht klargenug war,
lassen Sie es michnoch einmalversu-
chen: Es gibt überhauptkeine Klarheit.
Niemand inNewYorkweiß, aufwener
hören soll, wir wissen nur,auf wenwir
nicht hören sollten:Trump.Aber wir
sind uns noch immer nicht sicher,ob
nicht aufTrumpzuhören auchbedeutet,
dasswir nicht auf seineStellvertreterhö-
rensollten. Die beidenjetzt in denNach-
richtenpräsentestenkanntevor einer
Wochenochkeiner: Der schmierigeund
juristischversierteAlexAzar,offenbar
unserGesundheits- und Arbeitsminis-
ter, warfrüher Pharma-Manager und
Pharma-Lobbyist.Und unser Sanitätsin-
spekteur,Vizeadmiral JeromeAdams, of-
fenbar ehemaliger Gesundheitskommis-
sar in Indiana unter MikePence, alsder
heutigeVizepräsident noch Gouverneur
vonIndianawar, wirkt wie ein billiger
Fitness-Trainer auf einemsinkenden
Kreuzfahrtschiff.
Die beiden Mitwirkenden dieserReali-
ty-Show,die mir am bestengefallen,
sind Dr.AnthonyFauci, Leiter des Bun-
desamts für Infektionskrankheiten, der
aussieht und klingt wie Don DeLillo
(„Dasschlimmste Szenarioist,dassSie
entweder nichts tun oder dassIhre Maß-
nahmen zur Eindämmung nicht erfolg-
reichsind“),und Dr.RobertRedfield,
Leiterder Seuchenschutzbehörde, der
mit Abe-Lincoln-Bart redlichwirkt.Das
sind die Leute, dievonmeinen Bildschir-
men zu mirsprechen, ichbemühemich,
keine Widerworte zu geben. Ichlebe al-
lein und habekeineHaustiere, nicht ein-
mal eine Fledermausoderein Schuppen-
tier.DieseLeutesind meine einzigeGe-
sellschaft.
Vergessen Sie CNN.Denken Sie an
IhreLieblingsfilme, an Serien, die in
NewYorkspielen–die werden zwar in
Torontooder im Hollywood-Studioge-
dreht, aber egal: Denken Sie an Ihre
Lieblingsfiktionen. ErinnernSie sich,
wie getrenntvoneinander dieseexistie-
ren, ohnesichjezuüberschneiden: Nie-
mand bei „Seinfeld“ weiß, wasbei
„Friends“passiert;niemandimSpike-
Lee-Film wandertherüberindas Werk
von–darfich ihn noch erwähnen? –
Woody Allen.
Jedes Bildschirm-New-Yorksteht für
sich–wie jetzt in derRealität, mit den
unterschiedlichenRegierungsanweisun-
gendes Landes,des Bundesstaates, der
Stadt. Jederzieh tseine eigeneNewYor-
kerShowab, ohnedassesKommunikati-
on gibt,und das Publikum istgegangen,
ersetzt durch GelächtervomBand –mit
starkerPfeifatmung.
Ichglaube, das einzigeNew York,in
dem Charakter einteragieren, istdas
NewYorkder sichgegenseitig bewerben-
denSuperhelden-Filme. Jene, in denen
die Stadt in Gefahr istund nachihren

X-Men schreit oderNotsignaleanBat-
manschickt .Aber es gibtkeineSuper-
Truppe patriotischer Mutanten, diejetzt
Gothamrettenwerden. Das Beste,was
wir tunkönnen,ist,uns in unserem Bat-
man-Pyjama in eine Ecke zu verkrie-
chen, unser Batman-Toilettenpapierzu
rationieren und uns daran zu erinnern,
dasseshöchstwahrscheinlich artüber-
greifende Experimentewaren oder ein
artübergreifenderUnfall,was unsdie Mi-
sereeingebracht hat.Wir haben seitei-
ner WeilegenugvonFledermäusen.
OhnezuverlässigeSuperhelden, ohne
zuverlässigePolitiker haben wir nur
noch die Ironie. Damit meine ich, dass
vordieserPandemiedie amerikanische
PolitikineinemGenerationenkonflikt
feststeckte, MillennialsgegenBabyboo-
mer –und jetzt scheint es, als ob dieVer-
änderung vonder Natur vorgegeben
wird .Die Opfer dieserPandemieschei-
nen in z weiLager zufallen,die der Im-
mungeschwächten und der Älteren. Die
Jungen,vondenen die Gesünderengröß-
tenteils unversehrtbleibenwerden, wer-
denumdie Ersteren trauern,aber nur so
tun, als trauerten sie um die Letzteren.
Ichwill nicht herzlos sein,nur ehrlich:
Jung eAmerikaner ohne Anstellungund
ohne Krankenversiche rung haben wirt-
schaftlichgesehen allen Grund, nicht
drinnen zu bleiben.Sie haben jedenAn-
reiz,die Infektion unter ihren Elternzu
verbreiten. Immerhin haben ihreEltern
denPlanetenzerstörtund ihreZukunft
gestohlen.Wenn sie dafür nichtRache
nehmenwollen, istdas entweder einZei-
chen ihrerFeigheit oderihrer Liebe. Seit
dieGeschäfte geschlossen wurden, ist
derHungerlohn,den sie alsFreiberufler
erhalten, in Rauchaufgegangen. Ihre
Erbschaften, so sie dennwelche erwar-
tendurften, sind mit demAbschmieren
derBörse zusammengeschrumpft.
Undals die Colleges undUniversitä-
tenden Unterricht absagten und ihre
Unterkünfte zwangsräumten, sind sie
nachHausegegangen–inihreEltern-
häuser –, aber erst nachdem sie sicherge-
stellt hatten, dasssie keine Symptome
hatten. Meiner Meinung nachhätten sie
bleiben sollen,wenn sie ihreFamilien
nicht infizierenwollten. Sie hätten ihre
Wohnheimeverbarrikadieren und pro-
tes tieren sollen. Ichdachte, zum Protes-
tieren seienStudentengemacht, aber
vielleicht wissen Millennials das nicht.
Online-Schule und Home Office haben
nun alle unsereKontakte zu virtuellen
gemacht. Schon jetzt istesein Klischee,
sichzusorgen, dass, selbstwenn es si-
cher ist, wieder in den Klassenraum
oder ins Bürozugehen,weniger Men-
schen zurückkehrenwerden und dass
mehr und mehrvomLeben in derAbge-
schiedenheitstattfinden wird: mitKa-
meraund Mikrofon, aber ohne Hose.
Hierist ein Tipp eines Schriftstellers,
derschon vorBeginndieserPandemie
viel zu Hausegesessen hat:Werproduk-
tivsein will,musseineHose anhaben.
Undnoch ein paar andereTipps, die
Sprach ebetreffend: VonBeginndieser
Pandemie anwardie Terminologie wi-
dersinnig. Der Diskurs erinnertmichan
dieHIV-Krise mit ihren alarmistischen
Binärfragen:Werist positiv ?Wer istne-
gativ?Haben Sie sichtestenlassen? Ha-
benSie si ch geschützt? DieWortwahl ist
unaufrichtig undgefährlich. Covid-19 ist
einCoronavirus,kein Blutvirus, das viel
schwerer zu bekommen und viel schwe-
rerloszuwerden istals alles,wasdie
Atemwege betrifft.Man bekommt Co-
vid-19 nicht durch ungeschützten Sex
odergeteilte Injektionsnadeln, sondern
durch das Anfassen vonTürgriffen,
durch Husten, Niesen.
Das istder Grund dafür,dassfastalle
vonuns es haben oder irgendwann ha-
ben werden –was wir nachweisenkönn-
ten, wenn wirgenügendTestshätten,
wenn dieTests einheitlich wärenund kei-
nen Mindestschwellenwert für ein positi-
vesErgebnisaufwiesen.Zu Beginn des
Ausbruchs im englischsprachigenRaum
schienen es nur berühmte Leutezube-
kommen, aber dannstelltesichheraus,
dass, wie die Logik esvermuten lässt,
nur berühmte Leutegetestetwurden:
TomHanks, RitaWilson, IdrisElba, die
Basketballer der NBA.
Wirwerde nnochherausfinden,dass
die Anzahl der infiziertenProminenten
im Vergleichzur Anzahl dernicht promi-
nenten Infiziertendas Verhältnisvonbe-
rühmten und nicht berühmten Men-
schen in der Bevölkerung widerspiegelt.
Allerdings bin ichgerade nicht sicher,ob
sichbald nochunterscheidenlässt, wer
berühmt istund wernicht,wenn ein Jahr
oder mehr nur mit Internetmedien die
durchlässigeGrenze völlig aufheben
wird.Unddann wirdein panischer und
einsamer Schriftsteller in einemKeller
den abgedroschenenund offensichtli-
chen Vergleichziehen zwischen dem In-
ternet und einerPandemie,weil beides
nicht durch Grenzen eingehegtwerden
kann. Es sei denn, man lebt in China.

Ausdem EnglischenvonJan Wiele.

Joshua Cohen,Jahrgang 1980, ist
Schriftsteller.Auf Deutscherschien vonihm zu-
letzt derRoman „Auftrag für Moving Kings“.

Als Zeichen derkulturellenNähein Zeiten
der politisch-sozialen Distanz erscheinen die
Beiträge dieser Serie auchinanderen inter-
nationalen Zeitungen,etwa im „Corrieredella
Serra“, in „Politiken“ und in der „Presse“.

D


as Erste, wasdie Corona-Pande-
mie aus denRegalen derLebens-
mittelgeschäfteverschwinden
ließ,warenNudeln–ausgerechnet Nudeln,
wasfür eine hintersinnige Doppelironie
derGeschichte! Dennzum einenstammt
die älteste erhalteneNudelder Welt aus
demselben Landwie dasVirus, undzum
anderenwarenNudeln daserste Lebens-
mittel derMenschheitsgeschi chte, dessen
Verbre itungpandemische Dimensionen er-
reichte.Dassollt eman sich auf derZunge
zergehen lassen,wennman im engstenFa-
milienkreis beiverordneterSelbstisolation
seine Hamsterkäufezubereitet.Allerdings
wäre es wünschenswertgewesen ,das Vi-
rushättesichmit de rselbenGeschwindig-
keit ausgebreitet wiedie Teigwaren. Dann
hätten wir jetztnocheine Schonfristvon
ein paartausen dJahren.
Wahrscheinlichhaben wir–umdie
Analogien auf die Spitze zu treiben–die
Existenz der ältestenallerNudeln einerge-
waltigenNaturkatastrophe zuverdanken.
Viertausend Jahrelang lag die fünfzigZen-
timeter langeUrnudel ausHirsemehlinei-
nerversiegelten Schachtel, auf die Archäo-
logen im Jahr2005 bei Grabungen am Gel-
ben FlussimNorden Chinas stießen. Die
Positionender Skelette deuten darauf hin,
dassdie Menschenvoneiner Flutwelle er-
tränkt wurden, bevorsie ihreNudeln auf-
essenkonnten. DerFund bedeutetaller-
dingsnicht ,dassdie Chinesenauchdie Er-
finder derTeigwaren sind.Wahrschein-
lichaßman sie schon viel früher überall
dort,wo Getreide angebaut wurde. Dass
indeskein anderesVolk so früheine exqui-
si te Nudelküchekultivierte,ist unstrittig
und auchkein Zufall,weil sic hkaum eine
andereKulturnation seit jeher sostarkfür
seineKochkultur interessiertwie China.
„Für dasVolk kommt das Essen dem Him-
mel gleich“, heißt es in einerKalligraphie
aus dem zweiten Jahrhundert, und der
Dichter LinYutangbefand in den dreißi-
gerJahren desvergangenen Jahrhunderts:
„Wennetwasden Chinesen zuvölligem
Ernstzwingt, so istesweder dieReligion
nochdie Bildung, sonderndas Essen“ –
eine schöne und sehr empfehlenswerte
Einstellunggerade inZeiten vonCorona.
Auf welchenWegendie Nudel ihren
WegnachEuropa und schließlichindie
ganze Welt fand, verliertsichimDunkel
der Geschichte. Eine Legende lautet, dass
die Araber bei ihremVordringen nachSi-
zilien im neunten JahrhundertNudeln im
Gepäckhatten und mit ihrer Leiden-

schaftfür Pasta die Italiener infizierten.
Eine andere, längstals Humbug enttarnte
Legende wirft MarcoPolo in die Manege,
der angeblichbei seinenReisen zumKai-
ser vonChina auf den Geschmackkam,
die Nudeln seinen Landsleuten als Souve-
nir mitbrachteund ihnen damit dasTor
zu einemkulinarischen Himmelreichauf-
stieß –beide Legendenstimmen nicht,
weil Nudeln schon imRömischenWelt-
reich bekanntwaren.
Heutejedenfalls gibt esNudelnrund um
den Globus, als Spätzle, Maultaschen oder
Pelmeni,Glasnudeln,Reisnudeln oder
Kasnudeln, Laksha, Soba oder Ramen,
und seit1995 feiertman am 25.Oktober
sogar einenWeltnudeltag. DiegrößteNu-
delvielfalt aberkann Italien für sichrekla-
mieren,wasschon Goethe 1787bei einer
Reise nachNeapel auffiel:„Ein zarter,
starkdurchgearbeiteter,gekochter,inge-

wisse Gestaltengepres ster Teig vonfei-
nem Mehle“ fand sein Wohlgefallen –
ganz im Gegensatzzum futuristisch-fa-
schistischen Dichter Marinetti,der 1930
mit denWorten „Basta la Pastasci utta!“
dieAbschaffungeiner „absurden italieni-
schenReligion“verlangte: desNudelfana-
tismus, der zu „Schwäche,Pessimismus,
Inaktivität,Nostalgieund Neutralismus“
führe.
Soweit is tesnatürlichnichtgekom-
men, dieganze Welt schätzt nochimmer
italienischeNudeln, am liebstenmit Toma-
tensauce–eine Kombination,die füruns
nacheiner Liebesheirat zweier schon im-
mer füreinander bestimmter Ingredien-
zien schmeckt.Dabeikameserstdreihun-
dertJahrenachder Entdeckung Amerikas
und der präkolumbischen „tomatl“ zu der
Vermählung.Wirdürfenaber auchnicht
die dunklenKapitel der Geschichtever-

schweigen, fürchterliche Schändungen der
Nudelngerade in Deutschland durch Fer-
tiggerichtewie Miracoli, eines dergrößten
kulinarischen Kapital verbrechen der
Nachkriegszeit, oder durch Bologneseaus
der Tüte,die kurz hinter der englischen
Scheußlichkeit „MacandCheese“ ran-
giert, unschuldigen Makkaroni, die unter
überbackenemKäse begraben werden.
Wirhaben zurzeit vielZeit zumKo-
chen, die wir uns mitganz simplen Spa-
ghetti Bolognesenachdeutschem Ge-
schmackvertreibenkönnten, also mitTo-
maten,wasfür echteItaliener ein Sakrileg
ist, aber sei’sdrum: Am bestengemischtes
BiohackfleischinOlivenöl sanftanbraten,
kleingewürfelte Schalotten und feinge-
schnittenen Knoblauch dazugeben, sal-
zen, pfeffern undreichlichdoppeltkon-
zentriertes Tomatenmarkvermengen,
dann ein, zwei gute Dosen mitgestückel-
tenTomaten unterrühren, mit Oregano,
Majoran, Thymian und Lorbeerblättern
würzen und eine halbe Stunde langkö-
cheln lassen–fertig istdie Sauce,die ga-
rantiertallen Kindernschmeckt.
Die fortgeschritteneVarianteder Pas-
ta-Küche für all jene, die auchMehl ge-
bunkerthaben, istdas Selbermachen der
Nudeln mit einer klassischen Imperia-Pas-
tamaschine. Das hat den doppeltenVor-
teil, dassman damit vielZeit totschlagen
und Kinder bestens beschäftigenkann –
unsereeigene Erfahrung zeigt:Wenn sie
erst einmal an derKurbel der Imperiage-
dreht haben,wollen sie nie wieder davon
lassen. Fürden Teig knetetman 100
Gramm Hartweizengrieß, 200 Gramm
Weizengrieß, zwei Eier und Salz zu ei-
nemglattenTeig undwalzt ihn in der Ma-
schine schrittweise platt, indemman ihn
immer wieder bei einer immergeringeren
Plattendicke durch die Imperiakurbelt.
Die Béchamelsauce macht man aus je-
weils zwei Esslöffeln Butter und Mehl, ei-
nem halben Liter Milch, Salz undgeriebe-
ner Muskatnuss: Butter zerlassen, Mehl
einrühren, Milchdazu und erhitzen, aber
langsam, damit es nicht klumpt.Das Ra-
goutkann manganz nachdem eigenen
Geschmackaus der Bolognese herleiten
und mit Speck, Staudensellerie oder Brü-
he aufpeppen. Dann belegt man eine ofen-
festeFormmit beliebig vielen Schichten
abwechselnd ausTeig, Ragout, Béchamel
undParmesan, wobei Käse und Sauce
den Abschlussbilden. Eine halbeStunde
bei 180 Grad in den Ofen, und Corona ist
zumindesteinen schönenAbend langver-
gessen. JAKOB STROBELYSERRA

Im Frühlinggebe es einen Moment, in
dem dieNatur erotisiertsei, hat David
Hockneyeinmalgesagt.Essehedann so
aus, als sei Champagnerüber die Büsche
gegossen worden. Hockneyhat schonim-
mer seineFreudeander Naturund ih-
remunendlichen Reichtum anMotiven
im Wechselder Jahreszeiten in frischen,
leuchtendenFarbenvermittelt.Jeälter
er wird, desto üppigerist seinePalette,
wassichwohl auch aus seinerVerwen-
dung derdigitalenTechnologie erklärt.
Ausder Abgeschiedenheit derNor-
mandie,wo der 82 Jahre alteBrite
zurzeit lebt, haterjetzt diese Vitalität
ausströmenden Osterglockenals Hoff-
nungsträgerindie vonder Corona-Pan-

demie auf denKopf gestellte Welt ge-
setzt mit der Botschaft: „Denkt daran,
dass derFrühlingnicht gestrichen wer-
den kann.“David Hockney hatdas Bild
am Mittwochauf seinemiPadmit der
Brushes-Anwendunggemalt,die der
technophileKünstlerschon seiteinigen
Jahrensogewandt einsetzt wie Pinsel
und Zeichenstift.
Die vorwenigenWochen in derLon-
donerNationalPortrait Galleryeröffne-
te,jetzt leidernicht zugängliche Ausstel-
lung, die eineWerksbesichtigung durch
sein ePorträtzeichnungenvonden fünfzi-
gerJahren bis in die Gegenwart ist, zeigt
eineganze SerievonSelbstbildnissen,
für die er die Leinwand gegenden Bild-

schirmausgetauscht hat. Sie sindeine
ArtSelfie-Tagebuch. So, wieder Künst-
ler dieWandlungen derNatur durchdie
Jahreszeitenfesthält, zeichnetersich
selbst zu verschiedenenTageszeitenin
unterschiedlichenStimmungenund Be-
kleidungen,mal grimassierend, mal lä-
chelnd, oftmit einer Zigarette
zwischen den LippenintrotzigerMiss-
achtung der Gesundheitsapostel.
SeinenWegzugaus Kalifornien nach
fünfundfünfzig Jahren dorthatteermit
der „zensorischen Einstellung“ zumRau-
chen in Los Angeles begründet.InFrank-
reichsei es ihmgestattet,gleichzeitig zu
essen und zu rauchen. DieFranzosen
wüssten dasLebenzugenießen.Vor

zwei Jahrenhat er sichinein aus dem
Jahr1650 datierendesHaus in derNor-
mandieverliebt,umgebenvonObstbäu-
men,Hagedornhecken und Holunder-
büschen,die seineKunstnähren.
David Hockneyhält es mit dem
Spruchauf einemburgundischenWein-
gut:„Wenn sie trinken,sterben sie;
wenn sie nicht trinken, sterbensie
auch.“ Derweil zeichneterunermüdlich
weiter .Mit seinen prallen Osterglocken
voreinerLandschaft,die nochnicht aus
demWinterschlaf erwachtist,ruftDa-
vid Hockneydie uralte Frühlingssymbo-
lik vonAufer stehung undNeugeburtin
Erinnerung. Einerhellendes, lebensbeja-
hendesZeichen in trübenTagen. (G.T.)

Denkt daran, dass der Frühling nichtgestrichen werden kann


MEINFENSTER

GESCHMACKSSACHE


ZURWELT

WerTrost sucht,

braucht Nudeln

PrickelndeLandschaft:David HockneysOsterglockenals Hoffnungsträger in eine rschwerenZeit Abbildung David Hockney

Hose anziehen


nicht vergessen


Aufzeichnungen aus


demKellerloch


einer amerikanischen


Millionenstadt.


VonJoshua Cohen,


NewYork


Fast alle Restaurants sindgeschlossen und die


Menschen zur Selbstisolationverdammt. Das ist


die beste Gelegenheit, um zu Hause zukochen.

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