Süddeutsche Zeitung - 25.03.2020

(Wang) #1
von michael bauchmüller
und benedikt müller

Berlin/Köln– Das Szenario wirkt seltsam
vertraut. Ein Erreger verbreitet sich von ei-
nem Markt in Asien nach Europa. Reisen-
de bringen das Virus nach Deutschland,
dann breitet es sich in mehreren Wellen
aus. Die Symptome: Fieber und trockener
Husten. In der ersten Welle infizieren sich
29 Millionen Menschen hierzulande, in der
zweiten 23 und in der dritten 26 Millionen.
Also fast alle.
So steht es in einer Risikoanalyse von


  1. Beteiligt waren damals verschiedene
    Bundesbehörden, sie sollten ein „außer-
    gewöhnliches Seuchengeschehen“ durch-
    spielen, „das auf der Verbreitung eines
    neuartigen Erregers basiert.“ Auch das Bun-
    desamt für Bevölkerungsschutz und Katas-
    trophenhilfe (BBK) war mit von der Partie,
    etwa mit Blick auf kritische Infrastruktu-
    ren, die eine Pandemie in Mitleidenschaft
    ziehen könnte. Allen voran: die Energiever-
    sorgung. „Der Betrieb kritischer Infrastruk-
    turen ist an vielen Stellen auf hoch qualifi-
    ziertes und spezialisiertes Personal ange-
    wiesen, dessen Ausfall weit reichende Fol-
    gen haben kann“, so die Analyse – etwa „bei
    der Steuerung von Übertragungsnetzen“.


Wie groß ist also die Gefahr für die
Stromversorgung, da sich nun tatsächlich
das neuartige Coronavirus ausbreitet?
Droht eine Krise in der Krise? In Österreich
ergriff jüngst der Versorger Wien-Energie
drastische Schritte. Er ließ 53 Beschäftigte
in Wohncontainer in der Nähe der Kraft-
werke umziehen, widmete Besprechungs-
zimmer in Schlafsäle um, schaffte Wasch-
maschinen her und stellte Mitarbeiter zum
Kochen ab. „Wir sind als Energieversorger
auf Krisensituationen vorbereitet“, sagt
Alexander Kirchner, bei Wien-Energie für
den Betrieb der Anlagen zuständig. „Trotz-
dem ist das eine besondere Situation.“
So weit gehen hiesige Versorger bisher
noch nicht. „Derzeit sehen die Unterneh-
men kein Risiko für die Versorgungssicher-
heit“, heißt es beim Stromverband BDEW.
Aber angesichts der zunehmenden Kran-
kenfälle sowie der Dauer der Pandemie
müsse die Lage „immer wieder neu bewer-
tet werden“. Entscheidend sei, dass das
Personal bereitstehe. Denn in Kraftwerken
und Netzleitwarten arbeiten zwar jeweils
nur wenige Menschen. Die aber sind umso
wichtiger für die Versorgung.
Daher haben Energiekonzerne schon
vor Wochen ihre Pandemiepläne aus den
Schubladen gekramt und aktualisiert. Bei
Deutschlands größtem Stromerzeuger

RWE etwa arbeiten die Beschäftigten in
den Leitwarten der Kraftwerke nun in mög-
lichst großem Abstand voneinander, so ein
Sprecher. Auch seien die Kraftwerker in
Schichtgruppen eingeteilt, die sich nicht
begegnen sollen.
In den Kraftwerken von Uniper arbeiten
die Beschäftigten ebenfalls in rotierenden
und geschlossenen Mannschaften, wie ein
Sprecher berichtet. Der Betrieb sei derzeit
nicht gefährdet. Die frühere Eon-Tochter
betreibt Gas-, Kohle- sowie Wasserkraft-
werke, handelt und vertreibt Energie. Ihre
Händler, ansonsten bekannt für viele gro-
ße Bildschirme am Arbeitsplatz, wickeln ih-
re Geschäfte nun aus dem Home-Office ab.
Mindestens genauso wichtig wie Kraft-
werke ist freilich, dass Netze die Energie zu
den Kunden bringen. Angesichts wachsen-
der Ökostromanteile ist die Steuerung der
Netze anspruchsvoller geworden, es gibt
mehr Aufs und Abs. In den vergangenen
Tagen ist der Anteil erneuerbarer Energien
sogar noch gestiegen: Weil der Shutdown
auch Deutschlands Strombedarf sinken
lässt, kommen an sonnigen Tagen wie die-
sen Dienstag zur Mittagszeit schnell mal
80 Prozent des Stroms aus Ökoquellen.
Gerade weil das Stromnetz eine kriti-
sche Infrastruktur ist, nehme man das
Virus sehr ernst, heißt es beim westdeut-
schen Übertragungsnetz-Betreiber Am-
prion. „Grundsätzlich sind wir in unseren
Leitwarten für alle Notlagen gerüstet, weit
über die derzeitige Bedrohung durch das
Coronavirus hinaus.“ Auf weitere Ein-
schränkungen, etwa der Bewegungsfrei-
heit, sei man vorbereitet. Ob das auch hei-
ßen kann, dass Beschäftigte in den Leitwar-
ten einziehen, will Amprion nicht sagen.
Im Verteilnetz zu den Häusern hat der
hiesige Marktführer Eon nach eigenem
Bekunden diverse Maßnahmen ergriffen,
um Kontakte seiner Beschäftigten zu mini-
mieren. „Wir sind auf alle denkbaren Kri-
senszenarien gut vorbereitet, um die Ver-
sorgung mit Strom und Gas sicher auf-
rechtzuerhalten“, sagt eine Sprecherin.
Die zuständige Aufsichtsbehörde lässt
sich seit einigen Wochen über die Vorkeh-
rungen informieren. „Die Bundesnetzagen-
tur nimmt die Situation ernst“, sagt ein
Sprecher. Die Netzbetreiber seien nach Ein-
schätzung der Behörde aber bestmöglich
vorbereitet, die sichere Versorgung zu ge-
währleisten. „Eine besondere Gefährdung
der Strom- und Gasversorgung ist nicht er-
kennbar. Das sieht das Katastrophen-
schutzamt BBK ähnlich. „Nach allen Er-
kenntnissen, die wir haben, ist die Strom-
versorgung gesichert und die Betreiber
sind auf verschiedene Szenarien vorberei-
tet“, sagt BBK-Präsident Christoph Unger.
Und das bei einem Ereignis, das bei dem
Planspiel 2012 noch als „bedingt wahr-
scheinlich“ eingestuft wurde: einmal alle
100 bis 1000 Jahre. Statistisch gesehen.

Wer infolge der Corona-Krise seine Strom-
oder Gasrechnung nicht bezahlen kann,
muss sich zunächst keine Sorgen um das
Licht oder die Heizung in seiner Wohnung
machen. Mehrere Versorger kündigen an,
dass sie während der Pandemie möglichst
keine Anschlüsse sperren wollen, darunter
der hiesige Marktführer Eon oder die Gasag-
Gruppe aus Berlin. Die baden-württember-
gische EnBW will nach eigenem Bekunden
zudem Sperren aufheben, die sie in den
vorigen Wochen verhängt hat, und hierfür
keine Gebühren verlangen.
Der Bund der Energieverbraucher hat
alle Versorger dazu aufgefordert, Sperren
während der Corona-Krise auszusetzen und
vorerst keine neuen zu verhängen. Diese

seien derzeit „unverhältnismäßig und da-
mit unrechtmäßig“.
Allerdings gibt es auch hier Entlastung
für betroffene Verbraucher – von Staats we-
gen. Ähnlich wie Mieter, die nun ihre Woh-
nung nicht mehr bezahlen können, dürfen
auch Strom- und Gaskunden ihre Zahlun-
gen säumig bleiben. Am Montag verab-
schiedete das Kabinett ein Gesetz, das ein
„Moratorium für die Erfüllung vertraglicher
Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen“
vorsieht. So werde gewährleistet, dass Ver-
braucher nicht von Strom und Gas abge-
schnitten werden, „weil sie ihren Zahlungs-
pflichten krisenbedingt nicht nachkommen
können“. Bis zum 30. Juni können Verbrau-
cher, die Corona-bedingt einen „angemesse-

nen Lebensunterhalt“ gefährden würden,
die Zahlung aussetzen – ohne Folgen.
Zuletzt haben Versorger hierzulande
knapp 300 000 Stromsperren sowie 33 000
Gassperren jährlich verhängt, wie die Bun-
desnetzagentur berichtet. „In Zeiten, in de-
nen der Einzelne aufgefordert ist, überwie-
gend zu Hause zu bleiben, und Hygiene das
A und O ist, halten wir eine Energiesperre
für unverhältnismäßig“, sagt Wolfgang
Schuldzinski von der Verbraucherzentrale
Nordrhein-Westfalen. Nach einer Erhebung
des Branchenverbands VKU hatten aller-
dings ohnehin die allermeisten Versorger zu-
letzt darauf verzichtet, säumigen Kunden
den Hahn zuzudrehen. Deren Zahl aber dürf-
te demnächst noch steigen. MIBA, IKT

Strom und Gas fließen auch an säumige Kunden


München –Die Corona-Krise macht sich
immer stärker auch in der Bau- und Immo-
bilienwirtschaft bemerkbar. Auf manchen
Baustellen geht nichts mehr voran, weil es
an Personal oder Material fehlt, auch der
Verkauf von Häusern und Wohnungen ist
ins Stocken geraten. Das geht aus einer Mit-
gliederbefragung des Bundesverbandes
Freier Immobilien- und Wohnungsunter-
nehmen (BFW) hervor.
„Es knirscht in allen Bereichen“, sagt
BFW-Präsident Andreas Ibel. Etwa 43 Pro-
zent der befragten Unternehmen beklagen
Engpässe bei Lieferketten, vor allem im
Rohbau, aber auch im Sanitärbereich, bei
Elektroinstallationen oder Heizungen. Es
fehlen Fliesen, Türen und Fenster. Auch
Hausanschlüsse können laut BFW oft
nicht verlegt werden. „Wenn es nur an ei-
ner Stelle hakt, geht dann oft gar nichts
mehr“, sagt Ibel. Viel hängt im Einzelfall da-
von ab, wo die Materialien oder Bauteile
herkommen. „Wer in Italien bestellt hat,
steht nun vor einem Riesenproblem.“
Auf vielen Baustellen fehlen laut BFW
außerdem die Bauarbeiter und Handwer-
ker. Vor allem Subunternehmen beschäf-
tigten Mitarbeiter aus dem Ausland. Schon
vor der Corona-Krise sei es schwer gewe-
sen, Personal zu finden. „Jetzt ist das auf
vielen Baustellen unmöglich“, sagt Ibel.
Laut der Umfrage rechnen schon jetzt 76
Prozent der befragten Unternehmen mit
Bauverzögerungen von bis zu drei Mona-
ten. Zu solchen Verzögerungen kommt es
auch, weil in vielen Behörden derzeit keine
Baugenehmigungen bearbeitet werden. Et-
wa 40 Prozent der befragten Unternehmen
berichten, dass Entscheidungen in Kom-
munen ausgesetzt wurden.
Neben dem Neubau sind auch Arbeiten
an bestehenden Gebäuden betroffen. Sa-
nierungen stocken, manche Reparaturen
werden nicht mehr erledigt. „Viele Hand-
werksunternehmen wollen aus Angst vor
Ansteckung nicht mehr in die Mietwohnun-
gen rein“, berichtet Ibel. Auch beim Ver-
kauf von Wohnungen mache sich die Krise
bemerkbar, viele Käufer hätten ihre Reser-
vierungen storniert. Zu groß sei die Unsi-
cherheit über die wirtschaftliche Entwick-
lung und den eigenen Arbeitsplatz. Unklar
ist auch, wie es mit den in den vergange-
nen Jahren extrem gestiegenen Immobili-
enpreisen weitergeht. Bauträger, die teure
Grundstücke eingekauft haben, müssen
Wohnungen auch entsprechend teuer ver-
kaufen – sonst gehen ihre Kalkulationen
nicht auf. andreas remien


Es kommt auf einige wenige Beschäftigte in Leitstellen und Kraftwerken an. FOTO: JOCHEN TACK/IMAGO

Vorsicht in der Leitwarte


Wohncontainer am Kraftwerk, getrennte Schichtgruppen: Wie Energiefirmen ihr
Personal in der Corona-Krise schützen, um die Stromversorgung zu sichern

Die Energieversorgung
in Deutschland sei sicher,
sagen Aufsichtsbehörden

DEFGH Nr. 71, Mittwoch, 25. März 2020 (^) WIRTSCHAFT 17
Wohnungsbau
gerät ins Stocken
Den Firmen fehlen Material,
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