Süddeutsche Zeitung - 21.03.2020

(C. Jardin) #1
BezugspersonMeine Kinderfrau Chris-
tel kenne ich, seit ich drei Monate alt bin.
Ich war viel bei ihr, habe teilweise sechs
Wochen bei ihr gewohnt, wenn meine
Eltern wegen ihrer Engagements unter-
wegs waren. Sie hat mich behandelt wie
ihr eigenes Kind, bei jedem Heimwehträn-
chen war sie da, sie hat alle Sachen ge-

macht, die sonst Eltern machen. Heute
lebt sie noch immer in demselben Haus
wie früher, und sie betreut jetzt meine
Tochter. Sie ist eine tolle Oma, und unse-
re Leben sind noch immer sehr miteinan-
der verbunden.
Meine Jugend war geprägt von Verän-
derungen. Ich habe acht Mal die Schule
gewechselt und mehrere Jahre in Wien ge-
lebt. Ich kann mich noch sehr gut an eine
Situation in der zweiten Klasse erinnern:
Da sagte die Lehrerin zu einem Aufsatz:
Das schaut aber schiach aus, und ich ha-
be mich bedankt, weil ich dachte, das
sieht schön aus. Dass „schiach“ umgangs-
sprachlich hässlich bedeutet, wurde mir
erst später erklärt. Ich habe dann in jeder
fremden Stadt, in der ich war, begonnen,
mich an die Sprache anzupassen, den
Akzent zu imitieren. Das ist mir immer
leichtgefallen, und heute hilft es mir in
meinem Beruf.

KinderbildDas bin ich mit meinem Va-
ter, dem Schauspieler Ulrich Mühe. Das
ist ein Foto, das zu DDR-Zeiten ganz offi-
ziell gemacht wurde, ich nehme einmal
an, es ging um einen Film, für den er ein
Interview gegeben hat. Ich habe das Fo-
to ausgesucht, weil es viel erzählt über
Bekanntheit und den Umgang mit der
Öffentlichkeit. Damals hatte ein derma-
ßen privates Foto nicht so ein Echo wie
heute, es gibt einige Fotos von meinen
Eltern mit mir kleinem Zwerg, da wurde
nicht besonders viel darüber nachge-
dacht. Ich finde dieses Bild wahnsinnig
schön und ich freue mich darüber, dass
es existiert. Aber ich war auch eine Zeit
lang nicht sehr glücklich darüber, dass
es solche Fotos gibt, vor allem, wenn die
dann immer wieder rausgekramt und ir-
gendwo abgedruckt wurden, ohne mich
zu fragen. In bestimmten Phasen des Le-
bens macht das etwas mit einem. Jetzt
bin ich selbst Mama, und ich weiß, wie
schwierig es ist, in Bezug auf meine
Tochter mit der Öffentlichkeit umzuge-
hen. Ich habe mich dagegen entschie-
den, sie zu zeigen, und ich bin auch sehr
sensibel, was das Posten von Kinder-
fotos in sozialen Netzwerken betrifft.

HerausforderungDie Terroristin Beate
Zschäpe zu spielen – das ging ans Einge-
machte, es gab Nächte, in denen ich
nicht schlafen konnte. Um einen Zugang
zu so einer Figur zu finden, muss man
wissen, was in ihr vorgeht. Und das ist
dem, woran ich glaube, vollkommen ent-
gegengesetzt, ich bin unter Freigeistern
aufgewachsen. Ich hatte keine Strategie,
um die negative Energie zu bewältigen,
die bei der Arbeit für „Mitten in Deutsch-
land: NSU“ aufkam. Aber es hat mir ge-
holfen, dass ich damit nicht alleine war.
Albrecht Schuch, der Darsteller von Uwe
Mundlos, hat Sebastian Urzendowsky,
der Uwe Böhnhardt spielte, und mir in
der Vorbereitung Jena gezeigt, wo er auf-
gewachsen ist. Wir waren gemeinsam
auf Diät und haben viel Sport gemacht.
Es hat mir auch geholfen, den NSU-Pro-
zess zu beobachten. Ich saß erst in dem
Teil des Gerichtssaals, in dem die Öffent-
lichkeit war. Weil ich dort aber keinen
Blick auf die Angeklagte Zschäpe hatte,
habe ich mich zu den Journalisten ge-
setzt, mit Block und Stift, und so getan,
als gehörte ich dazu. Irgendwann gab es
den Moment, in dem Zschäpe einer
Frau, die ihr gegenübersaß, ein Lächeln
geschenkt hat. Das war für mich ein
Schlüsselmoment, um sie zu spielen.
Denn ich erkannte, dass nie jemand
böse geboren wird.

VorbildJenny Gröllmann, meine Ma-
ma, war eine sehr strahlende und hu-
morvolle Frau. Ich habe mir viel abge-
guckt von ihrem sozialen Dasein. Ich
möchte aber hier nicht so viel über sie er-
zählen, und ich rede nach wie vor nur
sehr ungern über meine Eltern. Das Bild
muss am Theater entstanden sein. Ich
selbst habe noch nie Theater gespielt,
obwohl ich in einer Theaterfamilie groß
geworden bin. Aber ich würde gerne ein-
mal dorthin, einfach der Vollständigkeit
halber. Ich habe keine Schauspielausbil-
dung, ich mache seit meinem zweiten
Film Coachings, um mich auf meine Rol-
len vorzubereiten. Was ich auch mag:
das Ausprobieren mit den Kollegen, das
Kennenlernen vor dem Dreh, denn
Spielen hat immer mit Vertrauen zu
tun. Und ich orientiere mich an Leuten,
die ich toll finde, zum Beispiel Iris Ber-
ben, mit der ich gerne Zeit verbringe.

SammelleidenschaftWas soll ich sagen:
Ich liebe Schuhe und ich liebe Schmuck!
Das Foto habe ich bei mir zu Hause ge-
macht, als sich während der Berlinale alle
möglichen Sachen für den roten Teppich
stapelten, die High Heels und die Ta-
schen, und ich habe mich einfach nur
darüber gefreut. Für mich können Schu-
he übrigens nicht hoch genug sein, da
freut sich auch meine Stylistin jedes Mal,
weil ich mich nicht beschwere. Ich finde,
dass hohe Schuhe die meisten Outfits
besser und schöner machen, und ich bin
dann auch größer. Ich kann gut damit lau-
fen und eine ganze Nacht durchtanzen
und das mache ich dann auch.

AnfängeDas bin ich mit 15 Jahren, bei
den Dreharbeiten zu meinem ersten Film
„Große Mädchen weinen nicht“. Die Ge-
schichte dazu: Als ich mit Freunden in
einem American Diner saß, wurde ich die
ganze Zeit von der Regisseurin Maria von
Heland beobachtet. Ich bin dann recht
entnervt hinausgelaufen, aber sie kam
mir hinterher und sagte, sie wolle mich
für ihren Film gewinnen. Sie habe schon
über 300 Mädchen gecastet, und keines
sei geeignet. Ich erhielt die Zusage, und
der Film brachte den Stein ins Rollen. Mir
wurde klar, dass es das ist, was ich ein
Leben lang machen möchte. Zwar bin ich
als Kind zweier Schauspieler mit dem
Theater aufgewachsen, ich war immer
hinter den Kulissen und habe mich wohl-
gefühlt, auch mit dem Schlag Mensch. Es
ist ja nicht immer einfach, mit Schauspie-
lern zusammen zu sein. Aber es ist natür-

lich etwas vollkommen anderes, selbst zu
spielen. Von meinem ersten Drehtag an
hatte ich Freude daran. Ich sollte die Stra-
ße entlanggehen, die Kamera ist vor,
hinter und neben mir gelaufen – und ich
habe keine Minute damit gehadert.
Ich liebe es, mich mit einer fremden
Person zu beschäftigen und ihr Leben ein-
zuhauchen. Je nachdem, was eine Figur
mir bietet und von mir verlangt, tauche
ich komplett darin ein. Dabei ist es mir
wichtig, sie in dem Moment, in dem ich
sie erschaffe, zu verstehen. Auch und ge-
rade die Figuren, die nicht so leicht von
der Hand gehen. Wie etwa die Terroristin
Beate Zschäpe, die ich in der Reihe „Mit-
ten in Deutschland: NSU“ gespielt habe.
Ich habe versucht, einen Zugang zu ihr zu
finden, einen Punkt, an dem ich sie an-
packen und in gewisser Weise auch lie-
ben kann.

HELL’S KITCHEN (LXI)


FOTOALBUM


WendepunktMit dem Film „November-
kind“ bin ich ins Erwachsenenfach ge-
rutscht. Ich spiele darin eine Tochter und
ihre Mutter, als diese jung war. Die Mut-
ter floh aus der DDR und ließ ihre Tochter
zurück, was diese aber erst herausfinden
muss. Ich war damals 21, und es war ein
Traum, in einer so vielschichtigen Ge-
schichte spielen zu dürfen, in der es um
die Suche nach den Wurzeln geht. Und es
war auch noch eine Doppelrolle! Danach
habe ich mich als junge Schauspielerin
ernst genommen gefühlt.

HistorischDas bin ich mit Katja Rie-
mann und Thomas Sarbacher, die in dem
Mehrteiler „Unsere wunderbaren Jahre“
meine Eltern sind. Ich spiele eine von drei
Schwestern einer großbürgerlichen Fabri-
kantenfamilie im Sauerland. Es ist die
Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, alles
verändert sich in Deutschland – nur mei-
ne Figur ist gefangen in den rechten Über-
zeugungen, mit denen sie aufgewachsen
ist und die sie nie hinterfragt hat. Jetzt ist
der Krieg vorbei, ihr Ehemann kommt
nicht aus der Gefangenschaft zurück,
und sie wird gezwungen, darüber nachzu-
denken, ob sie nicht vielleicht mit einer
anderen Gesinnung durchs Leben gehen
sollte. Es ist eine Figur, die nicht leicht zu
verstehen ist, und genau das interessiert
mich an ihr.

von christian zaschke

Das Briciola hat zu. Das Rudy’s hat zu.
Mitte der Woche hat auch mein Friseur
Robert aufgegeben. Niemand will sich
gerade die Haare schneiden lassen. Der
Amish Market hat noch auf, ein Glück,
sie packen dort unermüdlich neue
Nudeln in die Regale, und weil dies
Hell’s Kitchen ist, sorgen sie dafür,
dass die Regale zu gleichen Teilen mit
günstiger Pasta sowie mit eher nicht so
günstiger Pasta von De Cecco gefüllt
werden.
Auch das Westside Home Center hat
noch auf, das ist fast genauso wichtig.
Es gibt dort alles, was nicht essbar ist.
Als am Dienstag mein Fieberthermome-
ter den Geist aufgab, kaufte ich im
Westside eine neue Batterie, obwohl
ich das Haus nicht mehr verlassen
wollte, und ja, ich kaufte auch eine
Ersatzbatterie. Der Gouverneur von
New York sagte, er erwarte den Höhe-
punkt der Ausbreitung des Virus in
45Tagen. Ich habe mich daher auf die
lange Strecke eingestellt.


Freitag vergangener Woche hatte
ich schon damit begonnen, mich zu
Hause einzubunkern, aber dann um elf
Uhr abends beschlossen, noch ein letz-
tes Mal bei Cy vorbeizuschauen, dem
schwer tätowierten Chefkellner im
Briciola. Die Köche waren schon gegan-
gen, Cy schloss ab, wir tranken Wein,
er rot, ich weiß, und wir hielten Ab-
stand. Um halb zwölf klopfte ein Paar
an der Glastür. Cy schüttelte den Kopf.
Sie klopften erneut. Cy öffnete die Tür.
Ob es noch ein Glas Wein gebe, fragten
sie. Cy schaute mich an. „Ich hab nichts
dagegen“, sagte ich.
Es kommt selten vor, dass Cy einen
ausgibt, aber an diesem Abend schenk-
te er beständig nach, ohne zu bonieren.
Der Wein leuchtete, und das Paar er-
zählte herrliche Geschichten von der
Motoryacht des Milliardärs, auf der
beide arbeiten, sie als Köchin, er als
Ingenieur. Ich dachte nicht eine Sekun-
de an das Virus.
Um kurz vor zwei ging ich schließ-
lich nach Hause. Auf dem Anrufbeant-
worter meines schwarzen Bürotelefons
war eine Nachricht von meinem
Freund John. Er lebt mit seiner Familie
abgeschieden in einem riesigen Haus
in Connecticut. Er habe Waffen, sagte
er, außerdem habe er drei Generato-
ren, und in seinem Swimmingpool
habe er 40 000 Gallonen Trinkwasser.
Noch bestehe kein Grund zur Sorge.
Aber das werde sich ändern, sagte er.
Ich solle bitte einen Notfall-Ruck-
sack bereithalten und mich schon ein-
mal mit dem Weg ans nordwestliche
Ende der Bronx vertraut machen. Soll-
te in New York alles zusammenbre-
chen, wovon er mittelfristig ausgehe,
werde er mich dort abholen, sagte er.
John hat einen kruden Sinn für Humor,
aber ich fand’s nicht unwitzig und ging
lächelnd ins Bett.
Am nächsten Morgen erinnerte ich
mich nur vage an die Nachricht. Ich
hörte sie erneut ab. Nordwestliches
Ende der Bronx. Zu Fuß, dachte ich,
müsste das in knapp vier Stunden zu
schaffen sein.


Die SchauspielerinAnna Maria Müheist dafür bekannt, mit ihren Rollen in die Tiefe zu gehen. Während


sie ihre Fotos auf dem Handy anguckt, hält sie immer wieder inne – ganz so, als wolle sie sich in die


Zeit zurückversetzen, in der sie entstanden sind. Derzeit spielt die 34-jährige Berlinerin im ARD-Dreiteiler


„Unsere wunderbaren Jahre“ eine Frau, die nicht wahrhaben will, dass die Vergangenheit vorbei ist


protokolle: verena mayer

RATTELSCHNECK


Rucksack


In seinem Swimmingpool
habe er 40 000 Gallonen
Trinkwasser, sagte John

FOTOS: DPA PICTURE-ALLIANCE / KALAENE JENS, DDP IMAGES, DPA/GEORG WENDT, PRIVAT(4),SCHWARZ WEISS FILMVERLEIH, IMAGO STOCK

46 GESELLSCHAFT Samstag/Sonntag, 21./22. März 2020, Nr. 68 DEFGH

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