Süddeutsche Zeitung - 21.03.2020

(C. Jardin) #1
von anne goebel

A


ls der Tennisspieler Michael
Stich aus Pinneberg 1992 seine
Lebensgefährtin Jessica Stock-
mann in Südfrankreich heira-
tet, ist das für Deutschland eine
große Sache. Stich ist zwar der ewige Zwei-
te hinter Boris, aber immerhin: Südfrank-
reich, Provence, das hat Klasse. Die Braut
trägt Mini, Stich ein Sakko aus Glanzstoff.
So richtig nach großer Welt sieht auf den
Fotos von der Hochzeit aber eigentlich nur
eine aus: Eine zierliche junge Frau in
schwarzem Nadelstreifenanzug, roter Kra-
watte und flachen Schuhen, die Haare
straff hochgesteckt. Damals kennt sie
noch niemand. Auftritt Barbara Feltus,
„compagne de Boris“, wie die französi-
schen Zeitungen schreiben.
Wer sich heute mit Barbara Becker ver-
abredet, trifft eine Frau, die immer noch
auffällt. Das hängt nicht in erster Linie mit
Prominenz zusammen. Es liegt eher an
dem, was man altmodisch ihre Erschei-
nung nennt. Erkennbar nicht mehr jung,
aber jugendlich schmal, aufrechte Hal-
tung, heiseres Lachen, fast faltenfreie
Haut: keine durchschnittliche 53-Jährige
jedenfalls, die da in Jeans und Flanellpull-
over im Blue Spa des Münchner Hotels Bay-
erischer Hof sitzt. Die Luft ist schwül vom
nahen Schwimmbecken, Becker hat nicht
den Hauch eines Schweißfilms im Gesicht
und gießt aus zwei Kannen eine erstaunli-
che Mischung aus Kräutertee und Oran-
gensaft in ihre Tasse. „Schmeckt superle-
cker“, sagt sie. „Mein Immungetränk.“
Womit man praktischerweise schon mit-
ten im Thema ist: Gesundheit, Vitalität, ihr
neues Buch über „Better Aging“ (Die Barba-
ra Becker Formel, Gräfe und Unzer Verlag).


Es geht mal nicht, trotz des Wörtchens „im-
mun“, um die coronakranke Welt an die-
sem windigen Märzvormittag – beim Tref-
fen ist die große Krise gerade erst am Anrol-
len. Becker hat trotzdem ein Fläschchen
Desinfektionsgel sichtbar neben ihre
Handtasche platziert, was eine vernünfti-
ge Idee ist. Klar und ohne Umschweife geht
es auch weiter im Gespräch mit Barbara Be-
cker, geborene Feltus, geschiedene Tennis-
heldengattin, Löwenmutter zweier Jungs,
Wahlamerikanerin unter Palmen, zuletzt
„Let’s dance“-Teilnehmerin auf RTL und
Deutschlands erste Diversitäts-Frau, als es
das Wort noch lange nicht gab. Nach einer
Stunde ist klar: Die backfischhafteBabsist
eine ferne Erinnerung, so weit weg wie der
Beckerhecht. Hier sitzt eine Frau, die
längst ihre eigene Marke etabliert hat.
Das neue Buch zur Lebensmitte mit ein-
gängigen Tipps für Frauen („Erwecke die
Kraft in Dir“) steht in einer Reihe von Pro-
jekten, mit denen die gebürtige Heidelber-
gerin seit ihrem Umzug nach Florida hier-
zulande präsent blieb. Die Vielfalt ist schon
erstaunlich, Becker entwarf in den vergan-
genen fünfzehn Jahren Mode, Tapeten
und Gardinen oder brachte eine Schmuck-
kollektion auf den Markt. Und zeigte vor al-
lem in Ratgebern und DVDs als sehnige Fit-
nesstrainerin am weißen Strand von Fis-
her Island den Deutschen immer wieder,
wie man seine Figur in Form hält. Ist das
nicht ziemlich viel Körperkult? Antwort:
„Bewegung macht mich glücklich.“
Dass sich mit Rastlosigkeit auch Enttäu-
schungen ganz gut übertünchen lassen, ei-
ne Weile zumindest, wird man von Barbara
Becker so nicht hören. Es sind eher beiläufi-
ge Sätze, in denen die Einsamkeit der ers-
ten Jahre als Alleinerziehende anklingt.
„Man kann auch an einem ganz fremden

Ort Wurzeln schlagen. Das ist tatsächlich
machbar“, ist so ein Satz. Er wirkt munter,
sagt aber viel mehr aus über den tiefen Ver-
lust von Vertrautem als über neu gewonne-
ne Sicherheit. Die Söhne Noah und Elias
sind sechs und ein Jahr alt, als Barbara Be-
cker 2000 nach siebenjähriger Ehe mit den
Kindern in die USA zieht. Es folgt ein in
Deutschland beispielloser öffentlicher Ro-
senkrieg um Sorgerechte und Geld. Am En-
de soll ihr Boris Becker 30 Millionen Mark
gezahlt haben. „Ich weiß, dass ich privile-
giert bin.“ Um ihre Existenz zu sichern,
muss sie keine Pilatesmatten verkaufen.

Dass die Produkte erfolgreich sind, hat
natürlich mit dem prominenten Namen zu
tun. Auch wenn sich die Leute nicht mehr
auf der Straße nach ihr umdrehen, als Bar-
bara Becker bleibt sie für immer die interes-

sante Schöne an der Seite des Tennisidols.
„Ein deutscher Held“, sagt sie, wenn die Re-
de auf ihren Ex-Mann kommt. Die Beckers
verkehren freundschaftlich, es gibt kleine
gemeinsame Auftritte wie neulich auf Eu-
rosport, wo sie sich rhetorisch ein paar Bäl-
le zuspielen über ihr recht unterschiedli-
ches Tennisniveau. Barbara Beckers zwei-
te Ehe mit dem belgischen Künstler Arne
Quinze endete 2011, vor ein paar Monaten
ging die Beziehung zu ihrem deutlich jün-
geren Lebensgefährten in die Brüche. „Ich
habe gelernt: Das mit dem Prinzen auf
dem weißen Pferd, der mich rettet, funktio-
niert nicht. Und vor allem habe ich gelernt,
ich brauche das auch gar nicht.“
Das hört sich zwar nach den Motivati-
onssprüchen aus dem Buch über selbstbe-
wusstes Altern an. Andererseits sitzt da die-
se strahlende Frau in der Hotellounge, mit
Silberschmuck, hochgebundenem Haar
und Sneakers in Camouflage-Muster, als
wolle sie jeden Moment eine halsbrecheri-
sche Fitnessübung absolvieren – kann so
jemandem ein Mann gerade bitter fehlen?

Was den ersten betrifft, den weißen Ritter
Boris aus Leimen: Google Bilder spuckt ei-
ne melancholische Zeitreise in die frühen
Neunziger aus. Boris und Babs auf der FC-
Bayern-Tribüne, er mit Koteletten, sie mit
Rastalocken. Oder in feiner Abendgardero-
be beim Staatsempfang mit Johannes Rau
und Jacques Chirac samt Gattinnen. „Klar
waren wir ein schönes Paar“, sagt Barbara
Becker. „Wir waren cool. Und wir haben so
viel Zustimmung erfahren in unserem An-
derssein, das war großartig.“
Anderssein ist in ihrem Leben immer
ein Thema gewesen. Als Tochter einer Leh-
rerin und eines schwarzen GI habe sie früh
erfahren, wie es ist, nicht wirklich dazuzu-
gehören. „Ich bin aufgewachsen in dem Be-
wusstsein, so blond wie meine Freundin
werde ich nie.“ Allerdings glaubt Becker,
dass das Unangepasste auch an ihrem We-
sen lag. „Ich fiel immer auf, nicht nur we-
gen meiner Hautfarbe. Ich mochte es
schon als junges Mädchen, besondere Tei-
le zu tragen. Riesige Ohrringe, solche Sa-
chen.“ Die Extravaganz hat später, im

Scheidungs- und Boulevardkrieg, auf un-
gute Weise eine Rolle gespielt als angebli-
che Verschwendungssucht.
Barbara Becker spricht viel von Gelas-
senheit und der Kunst, sich selbst zu mö-
gen. Das passt bestens zum Zeitgeist –
aber in ihrem Fall steckt mehr dahinter.
Glitzernder Aufstieg, Höhenflug, Abgrün-
de. Dass die Landung äußerlich weich war
mit einem Anwesen in Miami und sehr viel
Geld, ist das eine und für jeden sichtbar.
Die Villa, der Strand, Pilates im Morgen-
licht. Dass sie als Frau mit dunkler Hautfar-
be Diskriminierung erlebt hat und erlebt,
das andere. „Es gibt keinen schwarzen
Menschen, der nicht mit Rassismus kon-
frontiert wird.“ Das können offene Angrif-
fe sein oder unterschwellige Herabsetzun-
gen durch Wörter wie „rassig“ oder „exo-
tisch“, mit denen Zeitschriften sie charakte-
risierten. „Die alte Pocahontas-Geschich-
te“, sagt sie, „die Frau als fremdländischer
Schmuck. Für mich sind solche Adjektive
kein Kompliment.“ Umso wichtiger findet
sie die klare Abgrenzung von der AfD in
der deutschen Politik. Und: „Bei euch pas-
siert wenigstens etwas, es gibt Demonstra-
tionen. Bei uns ist so jemand Präsident.“
Was ihr noch fehlt im amerikanischen
Exil? „Der Geruch von Wald. Und die deut-
sche Sprache.“ Inzwischen ist der Tee aus-
getrunken, Zeit zu gehen, um noch Freun-
de zu treffen vor dem Abflug nach Florida.
Barbara Becker hat die Kapuze ihres Hoo-
dies übergestülpt und eine futuristische
Sonnenbrille in Senfgelb aufgesetzt. Eine
Frau vom Nebentisch eilt herbei. „Ich ken-
ne Sie, arbeiten Sie bei der Aerospace?“ Ei-
ne bizarre Situation, Barbara Becker schüt-
telt lächelnd den Kopf und nickt der Frau
im Gehen zu. Wobei, von einem anderen
Planeten, ein bisschen stimmt das ja.

Die bewegte


Frau


Buchautorin, Fitnesstrainerin,


Designerin: Barbara Becker,


die einst einen deutschen Tennishelden


heiratete, hat ein glänzendes


Portfolio. Ein Treffen in München


Sie war schon immer etwas
anders. Wegen ihrer Hautfarbe,
aber auch ihrer Unangepasstheit

DEFGH Nr.68, Samstag/Sonntag, 21./22. März 2020 STIL 55


Eine Macherin, die
gerne auffällt: „Die
Barbara-Becker-Formel“
heißt ihr gerade
erschienenes Buch,
ein Ratgeber für
„Better Aging“.
FOTO: DDP IMAGES/ANDREAS GORA

Dem König der


Löwen begegnen.


Ein Angebot der Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner Str. 8, 81677 München.

München ist aufregend, besonders wenn man die
Hotspots und die wirklich interessanten Geschichten
kennt. Der Pumuckl wurde hier erfunden und die
bei Jugendlichen so beliebten Schuhe der Marke
Dr. Martens auch. Im Museum hängt eines der ersten
Wimmelbilder der Kunstgeschichte. Es ist fast 500
Jahre alt! In der Stadt lässt sich zudem ganz Europa
an einem Tag erleben: Franzosen-Viertel, Englischer
Garten, ein Hauch von Athen, alles mit italienischem
Flair und surfen kann man auch noch – mitten in der
Stadt. Und dann die bayrischen Könige! Einer hat doch
tatsächlich wie Heidi Klum Topmodels gecastet.

Cooles Wissen München
Claudia Wagner
ISBN: 978-3-86497-507-3
176 Seiten I 14,90 €

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