Süddeutsche Zeitung - 11.03.2020

(Frankie) #1
von moritz baumstieger

München –Die Lageist ernst in Libanon,
das dürfte spätestens seit Samstag jedem
klar sein. Seit Tagen hatte es Gerüchte ge-
geben, am Nachmittag verkündete Hassan
Diab tatsächlich eine historische Entschei-
dung: „Wie können wir unsere ausländi-
schen Gläubiger bezahlen, wenn viele Men-
schen in den Straßen sind und nicht genü-
gend Geld haben, um sich Brot zu kau-
fen?“, fragte der Premier rhetorisch.
Er hätte es auch schlichter so formulie-
ren können: „Wir sind pleite.“ Am Montag
wäre eine Anleihe im Wert von 1,2 Milliar-
den US-Dollar fällig gewesen. Wäre. Denn
die Zahlungsfrist ließ die Regierung mit An-
sage verstreichen, zum ersten Mal bedien-
te Libanon seine Verbindlichkeiten nicht.
Trotz des Ernstes der Lage macht die
von Jahrzehnten der Dauerkrise abgehärte-
te Bevölkerung ihre Witze. Als kurz nach Di-
abs Erklärung Bilder auftauchten, die ei-
nen Priester in einem Kleinflugzeug zeig-
ten, der sein Land aus der Luft mit einem
Segen gegen das Coronavirus zu immuni-
sieren versuchte, witzelten im Netz bald
die ersten: „Kann er nicht auch ein paar
Runden über der Zentralbank drehen?“

Dort, in dem siebenstöckigen Bau in Bei-
ruts Finanzviertel Hamra, vermuten viele
Libanesen eine der Hauptursachen für die
Wirtschafts-, Währungs- und Zahlungskri-
se. Um nach Ende des Bürgerkrieges das
für den Wiederaufbau nötige Kapital anzu-
ziehen, setzte der Zentralbank-Chef Riad
Salamé auf kreative Methoden: Er koppel-
te die eigene Währung an den Dollar und
schrieb den Wechselkurs bei etwas über
1500 libanesischen Pfund fest – potenziel-
le Investoren mussten so keine Kurs-
schwankungen fürchten. Um die von Im-
porten abhängige Wirtschaft des Landes
am Laufen zu halten, war von nun an ein
steter Zufluss an Fremdwährung nötig –
im Gegensatz zu anderen Staaten, die das
Instrument der Wechselkursbindung nur
temporär zur Überwindung von Krisen nut-
zen, gilt Salamés Regel bis heute.
Und das Kapital floss auch lange, vor al-
lem die in Frankreich und Südamerika an-
sässige Diaspora legte ihr Geld zu attrakti-
ven Zinsen in der alten Heimat an. Liba-

nons Banken finanzierten die hohen Erträ-
ge der Kunden, indem sie dem Staat hoch-
verzinsliche Staatsanleihen abkauften. Ei-
ne Art Schneeballsystem, das den Reich-
tum der eng mit dem Bankensektor verwo-
benen politischen Klasse vermehrte.
Bis das System eben nicht mehr funktio-
nierte: Mit seinen 4,5 Millionen Einwoh-

nern hat das Land an der Levante heute Ver-
bindlichkeiten in Höhe von 90 Milliarden
Dollar, 170 Prozent des Bruttoinlandspro-
duktes, wie Diab zugeben musste. Der Dol-
lar, der im Libanon quasi Zweitwährung
ist, wird auf dem Schwarzmarkt mit über
2600 Pfund gehandelt. Teils ist Fremdwäh-
rung nicht einmal mehr zu horrenden Prei-

sen zu bekommen, manche Wechselstu-
ben haben einfach geschlossen. Es gibt
schlicht kaum mehr Dollar im Land, die De-
visenreserven hätten ein „kritisches und
gefährliches Maß“ erreicht, gab Diab zu.
Die Nöte der Regierung kennt das Volk
jedoch schon lange. Um eine Kapitalflucht
zu verhindern, limitieren die Banken seit

Monaten die Möglichkeiten zum Geldabhe-
ben. Mehr als 100 oder 200 Dollar be-
kommt fast keiner mehr im Monat, egal,
wie der Kontostand auch sein mag.
Ein „Weiter wie bisher“, das gestand Di-
ab mit seiner Ankündigung ein, ist nicht
mehr möglich. Wie es stattdessen weiterge-
hen soll, darüber wollte das Kabinett am
Dienstag beraten, Ergebnisse lagen bis
zum Abend keine vor. Die Frage führt im
Land jedoch nicht erst seit dem Wochenen-
de zu schärfsten Auseinandersetzungen:
Eine Protestbewegung, die teilweise Hun-
derttausende Menschen aus allen Bevölke-
rungsschichten auf die Straße bringt, for-
dert eine Generalinventur. Das Proporzsys-
tem, das den verschiedenen Glaubensgrup-
pen Teilhabe an der Macht sichern sollte,

wollen sie ebenso entsorgen wie das Wirt-
schaftssystem und die politische Kaste –
das Urübel Libanons sei der Klientelismus,
beklagen sie. Tatsächlich fühlen sich viele
Entscheider im Land wohl zunächst sich
selbst, dann ihren Wählergruppen und erst
zuletzt Libanon als Ganzem verpflichtet.
Zwei Folgen unter vielen sind, dass es
selbst in der modernen Metropole Beirut
weder funktionierende Stromversorgung,
noch eine Müllabfuhr gibt.
Bereits Mitte Februar bat die Regierung
den Weltwährungsfonds um Rat, wie sie
Schulden neu strukturieren könnte. Eine
strikte Austeritätspolitik – weniger Ausga-
ben, höhere Steuern – ist nur schwer mög-
lich, wie Diab bereits andeutete: Tatsäch-
lich haben viele Libanesen Schwierigkei-
ten, Brot zu kaufen, nach Schätzungen der
Weltbank leben 40 Prozent der Einwohner
unter der Armutsgrenze. Subventionen zu
verringern würde sie hart treffen.
Auf dem Märtyrerplatz im Herzen Bei-
ruts, wo der harte Kern der Protestbewe-
gung in Zelten campiert, zeigten einige De-
monstranten in den vergangenen Wochen
immer wieder in Happenings, welche Lö-
sung sie favorisieren: Sie trafen sich zum
gemeinsamen Haareschneiden unter frei-
em Himmel – und wollten damit für den so-
genannten „Haircut“ werben: Anstatt das
Geld bei den kleinen Leuten einzusparen,
solle die Regierung doch einfach die Kon-
ten der Reichen rasieren, die so viele Zin-
sen eingestrichen haben.

Endgültig pleite


In Libanongeht fast nichts mehr. Die Regierung lässt ihre Gläubiger leer ausgehen. Bankkunden können nur noch begrenzt
Geld abheben. Die Bürger demonstrieren in der Hauptstadt – und fordern: Jetzt sollen mal die Reichen zahlen

München– Nach dem Ölpreis-Absturz am
Montag ist Russland zu neuen Verhandlun-
gen mit Saudi-Arabien bereit. Ein Kompro-
miss bei der Reduzierung der Öl-Förder-
mengen sei nicht ausgeschlossen, sagte
Kremlsprecher Dmitri Peskow. Auf dem Öl-
markt hatte zum Wochenauftakt ein regel-
rechter Preiskampf begonnen: Der Ölpreis
stürzte so heftig ab wie zuletzt vor 29 Jah-
ren. Ein Fass der Ölsorte Brent kostete zeit-
weise nur noch gut 30 Dollar.
Hintergrund des Preisverfalls ist, dass
sich Russland und Saudi-Arabien in der
vergangenen Woche nicht auf neue Begren-
zungen der Ölfördermenge aufgrund des
Nachfrageschocks in Zusammenhang mit
der Corona-Krise einigen konnten. Das Kö-
nigreich kündigte daraufhin an, deutlich
mehr Öl fördern zu wollen und die Preise
seiner wichtigsten Ölsorten zu senken.
Auch Russland, der Weltexporteur Num-
mer zwei, gab seinen Ölkonzernen alle För-
derquoten frei.
„Die Türen sind nicht geschlossen“, sag-
te Energieminister Alexander Nowak nun
im russischen Staatsfernsehen. Russland
sei bereit, seine Zusammenarbeit mit dem
Ölkartell Opec und den in der Opec+ verein-
ten Förderländern fortzusetzen. Nowak
geht davon aus, dass es Monate dauern
könne, bis sich der Ölpreis erhole.
Nahezu zeitgleich hat jedoch Saudi-Ara-
bien den Konflikt noch einmal verschärft
und seine Ankündigung wahr gemacht,
künftig deutlich mehr Öl zu fördern. Die
staatlich kontrollierte Ölfördergesell-
schaft Saudi Aramco gab bekannt, ihre För-
dermenge deutlich anzuheben. Die Förder-
menge solle im April um mehr als ein Vier-
tel auf 12,3 Millionen Barrel je Tag steigen,
teilte der Konzern mit. Im Februar hatte
Saudi-Arabien etwa 9,7 Millionen Barrel je
Tag gefördert.
Nowak reagierte – trotz zuvor noch mil-
der Töne – umgehend: Auch Russland kön-
ne seine Förderung um 500 000 Barrel pro
Tag anheben. Damit würde die russische
Förderung auf einen Rekordstand von 11,
Millionen Barrel pro Tag steigen. Konkrete
Ankündigungen gab es aus dem Land je-
doch bislang noch nicht.
In Russland sorgte der Öl-Crash zu Be-
ginn der Woche für große Turbulenzen.
Der Rubel verlor massiv an Wert gegen-
über dem US-Dollar und dem Euro. Die Ak-
tien von Energiefirmen wie Rosneft, Lukoil
und Gazprom fielen um zwischenzeitlich
12 bis 15 Prozent. Danach verloren auch rus-
sische Technologieaktien. dpa, vit


Viele Bürger sind so arm,
dass sie sich selbst
Brot kaum leisten können

Über eine Art Schneeballsystem
konnten Libanesen im Ausland
ihren Reichtum weiter vermehren

20 HF2 WIRTSCHAFT Mittwoch,11. März 2020, Nr. 59 DEFGH


Proteste in Beirut gegen die Regierung in Libanon: In der Hauptstadt des Landes funktioniert die Stromversorgung nicht
richtig. Eine regelmäßige Müllabfuhr gibt es auch nicht. FOTO: ALI HASHISHO/REUTERS

Russland will


verhandeln


Moskau sucht einen Kompromiss
im Ölstreit mit Saudi-Arabien

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