Handelsblatt - 11.03.2020

(singke) #1
Thomas Hanke Paris

F


rankreichs Staatspräsi-
dent Emmanuel Macron
steht nicht unter Quaran-
täne, auch wenn sein Kul-
turminister Franck Ries-
ter positiv auf das Coronavirus getes-
tet wurde. Aber Macron hat seit zwei
Wochen alle Reisen ins Ausland und
auch seine Besuche in der französi-
schen Provinz eingestellt. Wenn er
den Präsidentenpalast verlässt, dann
nur noch, um Krankenhäuser, Ge-
sundheitszentren, Virenforscher
oder die Nationale Leitstelle für Kata-
strophenfälle aufzusuchen.
Macron macht sich zum ersten
Kämpfer gegen die Coronavirus-
Epidemie. Er fürchtet vor allem de-
ren wirtschaftliche Folgen. Notwen-
dige Schutzmaßnahmen wie auch
panik artige Reaktionen könnten
Frankreich in die Rezession schicken.
Einen „Schock der Ungewissheit“
und eine „möglicherweise scharfe
Verlangsamung“ der Wirtschaft er-
wartet François Villeroy de Galhau,
Gouverneur der Banque de France.
Dauert dieser Abschwung deutlich
länger als bis zum Ende des ersten
Vierteljahrs, würde die Reformdivi-
dende erst einmal ausfallen, auf die
der Präsident hofft: Mehr Arbeit,
mehr Kaufkraft, damit will er zweifeln-
de Wähler wieder für sich gewinnen.
Epidemie und wirtschaftliche
Schwäche könnten zu keinem
schlimmeren Zeitpunkt für Macron
auftreten: Sein politisches Immun-
system ist geschwächt. Am kommen-
den und am darauffolgenden Wo-
chenende finden die Kommunalwah-
len statt. Da wollte der Präsident
seine Partei La République en
Marche (LaREM) lokal verankern.
Frédéric Dabi, Chef des großen
Meinungsforschungsinstituts Ifop,

glaubt daran nicht. LaREM erwarte
eine „Beresina“, sagt er. Seit Napole-
on im Winter 1812 auf dem Rückzug
an diesem Fluss im heutigen Weiß-
russland 45 000 Soldaten verlor, ist
„Beresina“ in Frankreich die Meta-
pher für eine schreckliche Niederla-
ge, so wie Austerlitz für einen strah-
lenden Sieg steht.
„Das wahrscheinlichste Ergebnis
ist, dass LaREM nur die viertstärkste
Kraft sein wird, das kann Emmanuel
Macron nur schwächen“, erwartet
Dabi. Nach jetzigem Stand hat die
Präsidentenpartei nur in einer Groß-
stadt, Lyon, noch die Chance, vorn
zu liegen. Alle anderen Metropolen
gehen den Umfragen zufolge an Kan-
didaten der Grünen, der Rechten
und der Sozialisten. Besonders bla-
mabel: In der Hauptstadt Paris, in
der LaREM bei der Parlamentswahl
2017 so abräumte wie nirgendwo
sonst, liegt die Kandidatin Agnès Bu-
zyn nur auf dem dritten Platz. Bis vor
Kurzem war sie noch Gesundheitsmi-
nisterin, das Gesicht des Kampfs ge-
gen die Corona-Epidemie.

Verlorene Wette?
Die Wahl kann zum Wendepunkt für
Macron werden. Sie könnte dem Prä-
sidenten mit Brief und Siegel bestäti-
gen, dass er drauf und dran ist, die
politische Wette seines Lebens zu
verlieren: Linke und Rechte an den
Rand drängen und LaREM als neue
Kraft etablieren, an der niemand vor-
beikommt – das war sein Ziel.
Nun wäre sein Generalsekretär
Stanislas Guerini schon zufrieden,
wenn LaREM am übernächsten
Sonntag 10 000 der insgesamt
500 000 Gemeinderatsmitglieder
stellen würde. Eigentlich sollte ein
Sieg in den Städten und Gemeinden
Macron die beste Startposition für
die Präsidentschaftswahl im Mai

2022 sichern. Diese Strategie liegt
nun in Trümmern.
Plötzlich muss Macron ein Szena-
rio ins Auge fassen, das noch Ende
2019 unmöglich erschien: Er könnte
bei der Präsidentschaftswahl in zwei
Jahren bereits im ersten Wahlgang
ausscheiden. Der ungestüme Refor-
mer, der europäische Hoffnungsträ-
ger, der 2017 wie ein Komet der Hoff-
nung am politischen Himmel er-
schien: verglüht nach nur einer
Amtszeit? Er hätte die Chance ver-
passt, sein Land wirklich zu moder-
nisieren, eine neue politische Kultur

des sozialen Dialogs zu etablieren
und die Franzosen mit Europa zu
versöhnen.
Was Frankreichs Partner zudem
mit Sorge erfüllt, ist die Möglichkeit
einer Stichwahl zwischen Marine Le
Pen und einem von der extremen
Linken unterstützten Grünen. Die
französischen Grünen sind nicht ver-
gleichbar mit den deutschen, sie ha-
ben sich immer als eine weit links
stehende Partei verstanden. Kom-
men Macron und seine Partei in die-
sem Jahr nicht wieder auf die Beine,
droht Frankreich zu einem unkalku-

Emmanuel Macron


Wie ein Komet vor


dem Verglühen


Am Sonntag wählen die Franzosen neue


Kommunalparlamente. Die Partei des Präsidenten


wird dabei wohl unterliegen. Es wird Zeit für


Emmanuel Macron, einen neuen Kurs zu bestimmen.


90


PROZENT
der von Macron
beschlossenen
Steuer- und
Abgabensenkungen
kommen den
Reichen zugute.

Quelle: Wirtschafts -
forschungsinstitut OFCE

Mäßige Stimmung trotz guter Wirtschaftsdaten

Aktuelles Meinungsbild zu Macrons Politik, Anteil der Befragten in %

Arbeitslosenquote
in Frankreich in Prozent

Bruttoinlandsprodukt in Frank-
reich zum Vorjahr in Prozent

... zufrieden
32 % 66 %

... unzufrieden

Ich bin mit Macrons Politik ...

Kommunalwahl in Paris
Aktuelle Wahlumfrage zu den Spitzenkandidaten in Prozent 2

Anne Hidalgo
Rachida Dati
Agnès Buzyn

PS (Sozialisten)
LR (Republikaner)
LREM (Macrons En Marche)

26 %
23 %
19 %

8,4 %

HANDELSBLATT

1) Stand: Februar 2020; 2) Stand: 10.3.

Prognose Prognose

Quellen: Ifop, Ipsos Sopra-Steria/Franceinfo, IWF

Keine Aussage

2015 2020

11

10

9

8

+1,3 %

2015 2020

+

+

+

±

Wirtschaft & Politik
MITTWOCH, 11. MÄRZ 2020, NR. 50
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