WISSEN
Nr. 2 / 8.1.2022DER SPIEGEL 119
Gawlik, der am Joint Research Center
der Europäischen Kommission im
italienischen Ispra die europäische
Abwasserforschung koordiniert. PCR-
Labore würden befürchten, so Gawlik,
dass die Abwasseruntersuchung die
Anzahl der lukrativen Tests von
Einzelpersonen überflüssig machen
könnte: »Diese Befürchtung ist aber
unbegründet, denn die beiden Test-
methoden ergänzen sich.« Doch
aufgrund der Gegenwehr von Labo-
ren sei bereits Abwassertestern die
staatliche Unterstützung entzogen
worden.
Wahr ist aber auch: Noch ist die
abwasserbasierte Epidemiologie im
Fall von Sars-CoV-2 nicht vollständig
standardisiert, viele Faktoren beein-
flussen den Nachweis von Virus-RNA
im Abwasser. Starke Regenfälle bei-
spielsweise können es teils verdünnen,
ein hoher Sauerstoffgehalt beschleu-
nigt den Abbau von Virenpartikeln,
lange Kanalisationsleitungen verzö-
gern den Zufluss bis zur Entnahme-
stelle teils um mehr als 30 Stunden.
Unermüdlich arbeitet Gawlik da-
ran, Daten aus aller Welt zusammen-
zuführen, abzugleichen und zu stan-
dardisieren. Seit Januar ist er in regel-
mäßigem Kontakt mit den Vertretern
diverser EU-Staaten. Und für Mitte
Februar hat er Vertreter von Firmen
zu einem Onlinetreffen eingeladen,
darunter Fluglinien, Reedereien,
Flughafenbetreiber, Wasserbetriebe
und Hotels. Die Abwassertestung
könnte ein zusätzliches Sicherheits-
netz für die nächste Reisesaison auf-
spannen, hofft er.
Gawlik erzählt die Geschichte von
einem Schiff, das den Hamburger Ha-
fen anlief und dessen gesamte Besat-
zung negative Coronatests vorweisen
konnte. Dennoch fanden Tester im
»Schwarzwasser« aus den Klos Viren-
partikel. Als das Schiff einige Tage
später in den nächsten Hafen einlief,
waren die Tests fast der gesamten Be-
satzung positiv.
Die Abwassertestung hat sich
schon lange bewährt bei der Abschät-
zung des Drogenkonsums. Antwerpen
war 2020 Europas Kokain-Haupt-
stadt, gemessen an den Rückständen,
in etwa 80 Städten im Auftrag der
Europäischen Beobachtungsstelle für
Drogen und Drogensucht entnom-
men. Amphetamin ist besonders
im kroatischen Zagreb beliebt,
Metamphe tamin im tschechischen
Ostrava, bei Ecstasy (MDMA) liegt
Amsterdam vorn.
Schon in der Vergangenheit erwies
sich die Kloakentestung als nützliches
Kläranlage bei
Frankfurt am Main:
Abwassertests
bewähren sich bereits
bei der Überwachung
von Polioviren oder
Kokainkonsum
10
Tage
bevor die offiziellen
Fallzahlen vorliegen,
kann Abwasser
schon verraten, dass
eine neue Infektions-
welle anrollt.
ollo / Getty Images
2022-02SPAllWissen457932202_OmikronAbwasser20-118119 1192022-02SPAllWissen457932202_OmikronAbwasser20-118119 119 06.01.2022 23:41:3806.01.2022 23:41:38