Spektrum der Wissenschaft Spezial - Biologie Medizin Hirnforschung Nr3 2017

(Ann) #1

dürften die Menschen generell dunkle Augen und Haare
sowie eine dunkle Haut gehabt haben. Aber mit der Zeit
traten Dutzende Mutationen auf, die eine hellere Pigmen-
tierung bewirkten. Ein paar davon sind so alt, dass sie
schon bei Afrikanern vorkommen. Bei außerafrikanischen
Bevölkerungen erscheinen diese Genvarianten allerdings
häufiger. Doch die meisten solchen Mutationen sind
jüngeren Ursprungs und für bestimmte Menschengruppen
charakteristisch. So verleiht eine Veränderung im Gen
TYRP1 manchen Bewohnern der Salomonen im Pazifik ihre
blonde Haarfarbe. Rotschöpfe gehen auf eine Veränderung
im MC1R-Gen zurück, das vorher für dunkles Haar sorgte.
Bei blauen Augen – nicht nur von Europäern – scheint
immer eine Mutation im HERC2-Gen beteiligt zu sein, die
wahrscheinlich vor mehr als 9000 Jahren auftrat. Die helle
Haut der Europäer wiederum hängt mit einer Abweichung
im Gen SLC24A5 zusammen. Dass sich diese Variante
noch nicht im Erbgut von Skeletten aus jener Zeit findet,
zeugt davon, wie rasch sich Hellhäutigkeit ausgebreitet
haben muss. Überhaupt hat sich die Pigmentierung, auch
von Haaren und Augen, in Bevölkerungsgruppen mitunter
wohl verblüffend schnell gewandelt.


Genvariante gegen Körpergeruch
Auch weniger auffällige Merkmale variieren zwischen
Menschengruppen – zum Beispiel die Konsistenz des
Ohrschmalzes. Bei den meisten Menschen ist es feucht
und klebrig, doch viele Ostasiaten produzieren eine tro-
ckene, schuppige Substanz, die nicht verklebt. Anthro-
pologen wissen das seit mehr als 100 Jahren, aber erst
jetzt fanden Genetiker die Ursache: eine zwischen 30 000
und 20 000 Jahre alte Mutation im Gen ABCC11, die sich
auch auf die Schweißdrüsen auswirkt. Riecht der Achsel-
schweiß unangenehm und hat man klebriges Ohrschmalz,
besitzt man ziemlich sicher die Ursprungsversion des
Gens. Menschen mit der Mutation haben weniger Bedarf
an Deodorant.


Vor etwa 45 000 Jahren trat in Afrika eine Mutation
auf, die Menschen vor der Malaria tertiana schützt, die
der Erreger Plasmodium vivax hervorruft. Dieser Para-
sit zählt heute zu den beiden weltweit vorherrschenden
Malariaerregern. Früher war er auch in Europa häufig.
(Der andere ist P. falciparum; er erzeugt die besonders
gefährliche Malaria tr opica.) P. vivax entert rote Blutkör-
perchen mittels eines auf ihnen sitzenden Moleküls,
genannt Duffy-Rezeptor. Bei der betreffenden Mutation
ist dessen Gen namens DARC defekt, und der Rezeptor
fehlt. Der Erreger kann die Blutzellen daher nicht befallen.
Im Afrika südlich der Sahara tragen 95 Prozent der Be-
völkerung das mutierte Gen, in Europa und Asien da-
gegen nur 5 Prozent.
Unter Evolutionsprozessen pflegen wir uns gewöhnlich
vorzustellen, dass »gute« Gene »schlechte« ersetzen.
Unsere eigenen genetischen Anpassungen aus der jüngs-
ten Zeit bezeugen hingegen die große Bedeutung evolutio-
närer Zufälle. Denn vorteilhafte Mutationen bleiben keines-
wegs automatisch erhalten. Entscheidend dafür sind
vielmehr sowohl der Zeitpunkt ihres Auftretens als auch
die Größe der betreffenden Population.
Ich selbst erfuhr hiervon zum ersten Mal in den 1990er
Jahren als junger Student an der University of Michigan
in Ann Arbor. Dort lehrte der als Malariafachmann bekann-
te Anthropologe Frank Livingstone (1928 – 2005). Zeit seines
Forscherlebens untersuchte er die populationsgeneti schen
Zusammenhänge verschiedener Malariaresistenzen, darun-
ter jene Form, die mit der Sichelzellenanämie zusammen-
hängt.
Vor mehr als 3000 Jahren dürfte in oder bei Afrika
eine Muta tion in einem der Gene für den roten Blutfarb-
stoff Hämoglobin aufgetaucht sein, der Sauerstoff bindet.
Wenn jemand das veränderte Gen von beiden Eltern ge-
erbt hat, also doppelt besitzt, entsteht abnormes Hämo-
globin, so genanntes Hämoglobin S. Bei Sauerstoffmangel
und körperlicher Anstrengung werden die roten Blutzellen

Viele Merkmale heutiger Menschen entstanden erst in den letzten 30 000 Jahren. Dazu gehören etwa
helle Haut, blaue Augen, kräftiges, glattes, dunkles Haar und Milchverträglichkeit im Erwachsenenalter.


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