DEUTSCHLAND
34 DER SPIEGELNr. 19 / 7.5.2022
E
s gibt da die eine Erzählung über Ste-
phan Mayer, sie handelt von einem bo-
denständigen Politiker aus Oberbayern,
der den Menschen zugetan ist und bei Bun-
destagswahlen in seinem Wahlkreis Altötting
Rekordwerte einholte. Als dieser Stephan
Mayer, ehemals Parlamentarischer Staatsse-
kretär beim Bundesinnenminister, Ende Fe-
bruar überraschend zum CSU-Generalsekre-
tär auserkoren wurde, gab er keine großen
Interviews, sondern reiste, wie Parteifreunde
berichten, zu den Kreisverbänden, um zuzu-
hören – das sei in der Partei gut angekommen.
Auf Parteivorstandskollegen wirkte Mayer
»in sich ruhend«, ein angenehmer Kontrast
zum hyperaktiven Parteichef Markus Söder,
er war offenbar eine Idealbesetzung.
Noch am Montag konnte man auf einem
Platz im sauerländischen Olpe den besonne-
nen CSU-Generalsekretär beobachten. Am
Rednerpult machte Söder Wahlkampf für die
nordrhein-westfälische CDU, neben der Büh-
ne stand Mayer und winkte einer Reporterin
im Publikum freundlich zu.
Es gibt da aber noch eine andere Erzäh-
lung über Stephan Mayer. Sie handelt von
einem Politiker, der seit Jahren regelmäßig
ausrasten und Kritiker massiv angehen soll.
Einem Reporter der »Bunten« soll er nun
angedroht haben, ihn »zu vernichten«, weil
dieser eine Geschichte über ein angeblich
bislang unbekanntes Kind des CSU-Politikers
veröffentlicht hatte. Nachdem die »Bild«-
Zeitung über die mutmaßliche Drohung be-
richtet hatte, trat Mayer als Generalsekretär
zurück, aus »gesundheitlichen Gründen«,
keine 24 Stunden nach dem gut gelaunten
Auftritt in Olpe.
Die Affäre bringt nicht nur Parteichef Söder
in Bedrängnis, der nach zwei Monaten schon
wieder einen neuen Generalsekretär suchen
muss. Sie wirft vor allem die Frage auf, wie be-
kannt Mayers mögliche charakterliche Defizite
in der Partei waren, wie die Verantwortlichen
damit umgingen – und warum sie ausgerechnet
dem offenbar so dünnhäutigen Parteifreund
eine so belastende Aufgabe übertrugen.
Das Amt des Generalsekretärs ist einer der
wichtigsten Posten der CSU, Bewerber müs-
sen schlagfertig und charmant sein, ein dickes
Fell haben und geschickte Wahlkampfstrate-
gen sein. Noch dazu, wenn eine historische
Wahl ansteht: Nach derzeitigen Umfragen ist
sogar eine Regierung ohne CSU nach der bay-
erischen Landtagswahl im Herbst 2023 nicht
ausgeschlossen – etwa, wenn sich der jetzige
Koalitionspartner, die Freien Wähler, mit Grü-
nen, SPD und FDP gegen die Christsozialen
verbünden sollte.
Mayer schien auf den ersten Blick der rich-
tige Mann für diese Herausforderung zu sein,
»ländlicher Raum, konservativ, katholisch«,
so beschrieb Söder Mayers Profil. Tatsächlich
wirkte Mayer als Staatssekretär im Bundes-
innenministerium nach außen stets kontrol-
liert, ein nüchterner Jurist, der geschliffen
formulieren kann.
Doch die Parteifreunde hätten nicht über
Insiderkenntnisse verfügen müssen, um den
anderen Stephan Mayer zu kennen, vieles
stand in der Zeitung. Vorwürfe verbaler Tief-
schläge und Bedrohungen ziehen sich wie ein
roter Faden durch seine Karriere.
2008 zum Beispiel geriet Mayer auf der
Münchner Wiesn mit zwei Österreichern an-
einander, sie versperrten ihm den Weg. Fast
sei es zu einer Schlägerei gekommen, so be-
richtete es das Boulevardblatt »tz«. Mayer,
damals seit sechs Jahren Abgeordneter, habe
sich aufgeplustert, mit seiner Visitenkarte ge-
wedelt und gerufen: »Wisst ihr, wer ich bin?«
Langjährige Abgeordnete erinnern sich an
eine Szene aus dem Sportausschuss vor mehr
als zehn Jahren. In einer Sitzung habe Mayer
nicht aufgehört zu sprechen, mehrfach habe
ihn die damalige Vorsitzende Dagmar Freitag
(SPD) freundlich auf das Ende seiner Redezeit
hingewiesen, schließlich habe sie mit der Glo-
cke geläutet. Mayer sei daraufhin ausgerastet
und sei Freitag derart massiv angegangen,
dass man fast Angst bekommen habe.
2013 verursachte Mayer nach dem Besuch
eines Starkbierfests in Marktl am Inn einen
Auffahrunfall, mit mindestens 170 Kilometer
pro Stunde rammte er in einem Tunnel ein
Auto – erlaubt war eine Geschwindigkeit von
- Mayer musste wegen fahrlässiger Körper-
verletzung 8000 Euro Strafe zahlen und be-
kam zwei Monate Fahrverbot. Als das regio-
nale »Wochenblatt« darüber berichtete, habe
Mayer die Journalisten bedroht, »auf wirre
und völlig inakzeptable Weise«, wie das Blatt
schrieb. »Der Anstand gebietet uns, den ge-
nauen Sachverhalt nicht zu veröffentlichen.«
Als Mayer 2018 schließlich im Innenminis-
terium von Horst Seehofer Parlamentarischer
Staatssekretär wurde, fiel er dort einigen un-
angenehm auf. Er wollte eine Mitarbeiterin
aus seinem Abgeordnetenbüro ins Ministe-
rium holen und legte sich mit der Personal-
ratsvorsitzenden und der Gleichstellungsbe-
auftragten an, es ging ums Gehalt und die
Frage einer Befristung. Mayer soll den Frauen
mit einem Artikel in der »Bild« gedroht haben,
Der Wüterich
UNION Weil er einen Reporter bedroht haben soll, trat Stephan Mayer
als CSU-Generalsekretär zurück. Vorwürfe verbaler
Tiefschläge durchzogen seine Karriere – was wusste die Parteispitze?
CSU-Politiker Mayer in München 2020: »Wisst ihr, wer ich bin?«
Frank Hoermann / Sven Simon / picture alliance