In der Schwebe
Der Suiziddes Nationaltorwarts Robert Enke
im November 2009 war ein Schock für
die Leistungsgesellschaft, nicht nur im Fußball.
Zehn Jahre später zeigt sich, wie viel
sein Tod verändert hat – und wie wenig
von holger gertz
V
or der Uniklinik für Psychiatrie
in Heidelberg steht eine meter-
hohe Eisenskulptur. Ein Mann,
so sieht es aus, drückt sich an
Stelzen vom Erdboden ab und
bewegt sich mit großen Schritten durch
die Luft. „Mann ohne Schwerkraft“ heißt
das Kunstwerk, es ist uneindeutig, viel-
schichtig. Ist ein Mann ohne Schwerkraft
privilegiert, weil er beinahe fliegen kann?
Oder vermisst er den Boden unter seinen
Füßen, den sicheren Boden? Ist er befreit,
oder ist er verloren?
In der Klinik hinter der Skulptur hat
Petra Dallmann ihr Büro, Schwimmfans
werden sich an sie erinnern. Mit der deut-
schen Freistil-Staffel hielt sie jahrelang
mit der Weltspitze mit, 2001 Weltmeister,
2004 Bronze bei den Olympischen Spielen
über 4 x 200 Meter, Besetzung Alm-
sick/Dallmann /Buschschulte /Stockbau-
er. Es gab die Medaille, und zur Medaille
gab es – weil der Wettbewerb in Athen statt-
fand, sozusagen als sporthistorische Reve-
renz – für jede auf dem Siegertreppchen
einen Lorbeerkranz. Der ist danach bei ei-
nem Umzug verloren gegangen. Aber die
Medaille hat sie noch, sagt Dr. med. Petra
Dallmann, Stationsärztin der Klinik für
Allgemeine Psychiatrie in Heidelberg. Mit
gerade 40 Jahren hat sie zwei Karrieren ge-
macht, als Sportlerin, als Medizinerin.
Man muss dem Druck standhalten, um
das zu schaffen. Dallmann ließ sich schon
als Schwimmerin nicht plattmachen vom
Druck. In der Staffel wird der Einzelsport-
ler zum Teamplayer, die Staffel ist eine Ket-
te, und wenn ein Glied versagt oder bricht,
kann man die ganze Kette vergessen. Die
Ansprüche, die an eine Staffelschwimme-
rin gestellt werden, ähneln den Ansprü-
chen an einen Fußballtorwart: Anker sein,
für sich selbst, für die anderen.
Sie habe sich nichts geschenkt, sagt Pe-
tra Dallmann. „Im Nachhinein würde ich
ein paar Dinge anders machen. Ich erinne-
re mich an ein Trainingslager, da hatte ich
nachts Fieber und Schüttelfrost und habe
dann morgens trotzdem zwei Stunden trai-
niert. Da hätte ich mir hier und da schon
mal jemanden gewünscht, der mich er-
muntert, mal ’ne Pause zu machen.“
2009 hat Petra Dallmann bei der WM
mit den anderen noch einmal Staffelsilber
gewonnen, danach war die Karriere vorbei.
Aber das Jahr 2009 prägt ihre Arbeit als
Ärztin bis heute, wegen 2009 steht das Kli-
nikum Heidelberg jetzt auf einer deutsch-
landweiten Liste von Zentren für „Seeli-
sche Gesundheit im Sport“. Wegen 2009
bieten sie hier, unter Dallmanns Leitung,
die psychiatrische Sprechstunde für Leis-
tungssportler an. All diese Angebote exis-
tieren, damit sich nicht wiederholt, was am
- November 2009 passiert ist. Da hat sich
Robert Enke umgebracht.
Der Nationaltorwart und Kapitän von
Hannover 96 war depressiv, das kam nach
seinem Tod raus, weil Enke seine Krank-
heit verborgen hatte, verbergen musste.
Zehn Jahre später steht eine Frage im
Raum: Was hat sich nach Enkes Tod geän-
dert? Man kann sie auf verschiedenen Ebe-
nen beantworten, es ist wie beim „Mann
ohne Schwerkraft“, den man, je nach Stand-
punkt, so oder so sehen kann. Eine Varian-
te: Nichts hat sich geändert. Eine andere
formuliert Petra Dallmann in ihrem Klinik-
büro: „Einiges hat sich geändert, das ist ja
auch objektiv messbar. Es gibt jetzt ein-
fach ein Netzwerk. Und dass es offizielle
Anlaufstellen gibt, an die man sich auch
anonym wenden kann, das ist neu.“
Robert Enke musste damals erst nach ei-
nem Therapeuten suchen, inzwischen hat
die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie
gemeinsam mit der Robert-Enke-Stiftung
Fachleute und Kliniken in ganz Deutsch-
land miteinander in Verbindung gebracht,
rund 70 Psychiater und Psychotherapeu-
ten gibt es, die – wie Petra Dallmann – psy-
chische Erkrankungen bei Leistungssport-
lern diagnostizieren und behandeln kön-
nen, ambulant oder stationär. Gleichzeitig
wird die psychosoziale und biologische For-
schung vorangetrieben.
Die Leistungsgesellschaft attestiert sich
selbst, dass sie reagieren muss, wenn wel-
che nicht mithalten können. Das ist eine
bemerkenswerte Leistung der Leistungs-
gesellschaft.
An dieser Stelle trennt sich die Echtwelt
von der Populärkultur, wo ein Sportler im-
mer noch Kampfmaschine im Heldenkör-
per ist, ein auf Gewinnen programmierter
Roboter. Als neulich die Leichtathletik-
Weltmeisterschaft in Doha stattfand (und
die Marathonläuferinnen in der dampfi-
gen, heißen Nacht von Katar reihenweise
kollabierten und in Rollstühlen davonge-
fahren wurden), legte das ZDF trotzdem
den WM-Song unter seine WM-Spots.
„Hoch“ von Tim Bendzko, eine Durchhalte-
hymne zum Mitklatschen: „Und wenn ich
glaube, meine Beine sind zu schwer, dann
geh ich noch mal tausend Schritte mehr.“
Zur Präzisierung: Robert Enke war de-
pressiv, die entsprechende Disposition hat-
te sich schon früher angekündigt, richtig
Besitz von ihm ergriff die Krankheit nur in
wenigen kurzen Phasen seines Lebens, er
ging gestärkt daraus hervor, wie die Sport-
ler immer sagen. Beim letzten Mal schaffte
er es nicht. Er ist nicht depressiv gewor-
den, weil er ausgepfiffen worden ist oder in
der Nationalmannschaft auf die Bank ge-
setzt wurde oder imKickerzu oft eine
schlechte Note bekommen hat.
Dass ein Mensch Depressionen kriegt,
weil ihm die gegnerische Fankurve „Arsch-
loch“ rüberruft, dieser Kausalzusammen-
hang wäre zu simpel. Dass aber jemand
seine Depression verheimlicht und eine
Behandlung verweigert, weil er fürchtet,
nach einem Outing von den Fans als Irrer
beschimpft oder von den Medien als nicht
belastbar abgestempelt zu werden, das
war bei Enke so, und nicht nur bei Enke.
Wer will ein weiches Ziel sein?
Der Fußball mit seinen Ritualen hat ihn
nicht krank gemacht, der Fußball mit sei-
nen Ritualen hat ihm aber auch nicht gehol-
fen, wieder gesund zu werden. So steht es
schon in der exzellenten Biografie seines
guten Freundes Ronald Reng: „Wenn er
Monate für eine Therapie aussetzte oder
gar in eine Klinik ginge, würde er es nicht
verheimlichen können. Was käme dann
nach der Therapie, nach der Klinik? Wäre
er stark genug, unter der Beobachtung der
Medien als der Depressive wieder ein
Comeback zu schaffen?“
Was hat sich geändert, nach Enkes Tod?
Dass über Depressionen mehr geredet
wird. Manchmal wird über die Behandlung
von Depressionen auch gestritten, zwi-
schen Sportpsychiatern und Sportpsycho-
logen hat sich eine Debatte entwickelt.
Die Psychologen seien dafür da, die
Wettkampftüchtigkeit der Athleten wie-
derherzustellen, vor allem, wenn sie beim
Verein angestellt sind, der die Sportlerkräf-
te braucht. So sagen es Psychiater, die sich
wünschen, der Sache mehr auf den Grund
zu gehen. Die Ärztin Dallmann sieht es an-
ders, sie sagt: „Ich kenne es als richtig gute
Zusammenarbeit mit den Sportpsycholo-
gen aus der Region. Die haben mir schon
viele Sportler zugewiesen oder rufen auch
an, wenn sie eine Frage haben. Da kann ich
nicht erkennen, dass sie die seelische Ge-
sundheit nicht im Blick hätten.“
Was hat sich geändert, nach Enkes Tod?
Einige Fußballer wagen sich ans Licht, mit
eigenen Reflexionen. Früher, zu Zeiten der
Gras- und Eisenfresser, gingen sie mit
schwierigen Themen auf gepflegtem Phra-
senschwein-Niveau um. Früher hat der
Fußballtrainer Max Merkel gesagt: „Im
Training habe ich mal die Alkoholiker mei-
ner Mannschaft gegen die Antialkoholiker
spielen lassen. Die Alkoholiker gewannen
7:1. Da habe ich gesagt: Sauft’s weiter!“ Frü-
her hat der große und ewig heisere Boxtrai-
ner Ulli Wegner gekrächzt: „Det Volk will
Sieger, keene Schlappschwänze.“ Er gilt als
jemand, der sein Ohr ganz dicht an der See-
le der Boxer hat, aber er sagt Tzüche, wenn
er Psyche meint.
Inzwischen schreibt der Weltmeister
Per Mertesacker, genannt Merte, in seiner
Autobiografie: „Es gibt wenige Menschen
in diesem Business, die wirklich viel über
die Gefühlswelt und insbesondre ihre
Schwächen reden.“ Und Mario Götze lässt
sich monatelang für eine Dokumentation
begleiten, „Being Mario Götze“. Heraus
kommt dann nicht einfach ein Promotion-
Filmchen, sondern tatsächlich ein Stück,
das den Blick zulässt ins Innere eines Man-
nes, der mit 22 das entscheidende Tor im
Weltmeisterschaftsfinale geschossen hat.
Größeres kann einem Fußballer nicht pas-
sieren, das ist der Segen dieses Tores und
sein Fluch. Götze hat viel mitgemacht seit-
dem, er ist nicht der deutsche Messi gewor-
den, im Moment ist er eine Art Rein-raus-
Angreifer bei Borussia Dortmund.
Mario Götze sagt in diesem Film: „Das
ist dann auch der Punkt, woran man ge-
messen wird, was einem selber Druck
macht. Ich habe definitiv damit zu kämp-
fen, dass die Assoziation vom Tor automa-
tisch übertragen wird, in jedem Spiel.“ Und
Fabian Götze, sein älterer Bruder, ergänzt:
„Ich glaube, dass da ganz viele Menschen
auch dran kaputtgehen können. Und ich
glaube, dass das soziale Umfeld ihm schon
immer noch Halt gibt.“
Ein wesentlicher und entscheidender
Halt ist natürlich, dass – nach allem, was
man weiß – weder Götze noch Merte de-
pressiv waren oder sind, anders als Enke.
An einem Abend im November kann
man erkennen, welche Tiefenwirkungen
die Tragödie um Robert Enke hat, in jeder
Richtung. Zwei Schauplätze: In Hannover
platzt das Theater am Aegi aus allen Näh-
ten, es wird ein Dokumentarfilm über Ro-
bert Enke uraufgeführt, anschließend gibt
es eine Podiumsdiskussion, auf der Bühne
sind Uli Hoeneß, Präsident des FC Bayern,
und Enkes Witwe Teresa, Vorsitzende der
Robert-Enke-Stiftung. Seit seinem Tod ist
sie es, die sich mit Freunden und Experten
dafür einsetzt, Depression zu enttabuisie-
ren, natürlicher mit ihr umzugehen. Die
Stiftung schickt ihre Botschafter in Schu-
len und Vereine, wo sie Vorträge halten. Zu-
letzt wurde eine Virtual-Reality-Brille ent-
wickelt, um die Erlebniswelt eines depres-
siv erkrankten Menschen fühlbar zu ma-
chen. Es ist eine beharrliche und ernsthaf-
te Basisarbeit, für die Teresa Enke an die-
sem Abend vom Publikum belohnt werden
wird, am Ende gibt es Standing Ovations.
Am zweiten Schauplatz, in Bochum, fin-
det zeitgleich ein Zweitligaspiel statt, Bo-
chum gegen Nürnberg, bei Nürnberg sind
die ersten vier Torwarte alle verletzt, des-
wegen steht ein 18-Jähriger im Tor, sein
allererstes Profispiel. Bei einem Treffer
stellt er sich ungeschickt an, da singen
Bochums Fans: „Fünfter Torwart, jeder
weiß, warum!“ Bei Twitter schreibt einer:
„Von Enke mal gar nichts gelernt.“ Das ist
wahrscheinlich gut gemeint, bagatellisiert
aber doch das Leiden eines Depressiven.
In Hannover sitzt Teresa Enke auf der
Bühne, sie sagt, ohne von den Szenen aus
Bochum zu wissen: „Wenn ein Spieler aus-
gepfiffen und beschimpft wird, dann ist
das ganz schlimm. Aber es hat nichts mit
Robert zu tun, nichts mit seinem Suizid zu
tun. Der Fußball wird immer so bleiben,
der Fußball ist so, und die werden sich
nicht mit Wattebällchen beschmeißen.“
In Bochum übrigens hat der Bochumer
Keeper die eigenen Fans aufgefordert, das
Gesinge gegen den Kollegen im anderen
Tor zu lassen. Was sich aber insgesamt
nicht geändert hat, ist das aufgeladene
Drumherum im Fußball, es wäre auch naiv
gewesen, daran zu glauben. Ein Ereignis
verändert nicht das Verhalten einer Gesell-
schaft. „Det Volk will Sieger“, das gilt ja
nach wie vor. Fußballer sind Gladiatoren,
im Fußball kann jeder rauslassen, was er
anderswo im Griff behalten muss, er hat so-
gar eine Legitimation dafür, er hilft schließ-
lich seiner Mannschaft, wenn er ans Tages-
licht zerrt, was den Gegner irritieren könn-
te. Das Gekeife im Stadion ist, so gesehen,
klarer motiviert als die billige Häme im
Netz gegenüber einem Minister, der nach
einer Rede stolpert und vom Podium fällt.
Es war nie anders. Der frühere Bundes-
trainer Sepp Herberger bekam kurz vor
dem WM-Sieg in Bern 1954 Briefe ins Quar-
tier geschickt, in denen ihm empfohlen
wurde, sich einen Strick zu nehmen und
sich am nächsten Baum aufzuhängen.
„Aber möglichst so, dass der Strick nicht
zerreißt, damit man diesen hinterher noch
verwenden kann.“ Der frühere Bundestrai-
ner Berti Vogts trug ein Gedicht vor, um sei-
ne Kritiker zu besänftigen: „Ein bisschen
mehr Liebe und weniger Hass, ein biss-
chen mehr Wahrheit – das wäre doch was.“
Leipzigs Sportdirektor Ralf Rangnick,
der wegen eines Erschöpfungssyndroms
mal kurz raus war aus dem Geschäft, wur-
de in Dortmund begrüßt mit einem Trans-
parent: „Burn-out Ralle: Häng dich auf!“ In
Köln brüllte ein Vorsänger aus dem Fan-
block per Megafon dem Stuttgarter Tor-
wart Ron-Robert Zieler entgegen: „Zieler,
mach es wie Enke!“ Kurz vor Enkes
viertem Todestag wurde ein lebendiges
Schwein in der Hannoveraner Innenstadt
ausgesetzt, es trug einen Vereinsschal und
die aufgemalte 1, Enkes Rückennummer.
Das alles ist nach dem Tod von Enke pas-
siert, und sicher, es waren Einzelfälle, und
sicher, der Fußball ist so. Aber wenn man
die anonymen Geschichten im Netz dazu-
rechnet, ergibt sich ein Panorama, vor dem
man auch 2019 im Fußballbetrieb keinem
Depressiven raten würde, preiszugeben,
was mit ihm los ist. Auch das gehört zum
kompletten Bild. „Die Gesellschaft kann
damit derzeit noch nicht umgehen“, hat En-
kes Psychiater Valentin Markser in einem
Interview erklärt: „Leider haben insbeson-
dere die Fans nicht dazugelernt.“ – „Ich ha-
be keine großen Veränderungen im Fuß-
ballgeschäft feststellen können“, sagte in
der WamS Jörg Schmadtke, zu Enkes Zei-
ten Sportdirektor bei Hannover 96.
Zehn Jahre nach Enkes Tod ist viel pas-
siert und zugleich wenig. Das Thema De-
pression im Sport hat eine klar umrissene
Symbolfigur: Robert Enke. Es ist ein biss-
chen wie bei Greta, die auch das Emblem
ist für ein Thema, eine Debatte, Greta hat
etwas in Bewegung gebracht, aber natür-
lich gibt es Ignoranten da draußen, Igno-
ranten sind immer besonders hartnäckig.
Und manchmal packt man es fast nicht:
DieBild-Zeitung hat am Donnerstag „die
letzten 50 Stunden des Robert Enke“ nach-
gezeichnet, in Ausführlichkeit breiten zwei
Autoren aus, was Enke kurz vor dem Tod
gemacht hat („Abends gucken sie ,Bauer
sucht Frau‘“), es soll ein Protokoll sein,
aber es ist pathetischer, indiskreter, schau-
lustiger Mist, garniert mit der Zeile: „Wie
der Nationaltorwart alle täuschte, um
seinen Selbstmordplan zu verwirklichen.“
Klingt zynisch, wie ein Vorwurf.
Denn Enke wirkte in seinen letzten Ta-
gen, Stunden entspannter als vorher, aber
das war keine Täuschung. Der Entschluss,
sich zu töten, hatte ihn innerlich entlastet.
Er sah endlich einen Ausweg. Er war jetzt
ein Mann ohne Schwerkraft, befreit und
verloren zugleich.
Die Philosophin Susan Neiman hat ge-
sagt: „Erwachsen werden heißt, die Unge-
wissheiten anzuerkennen, die unser Leben
durchziehen, und – schlimmer noch – oh-
ne Gewissheit zu leben, aber einzusehen,
dass wir unvermeidlich immer nach ihr
suchen werden.“
Bei der Uraufführung der Dokumentati-
on über Robert Enke, im Theater am Aegi,
geht es auch darum. Um die Suche nach Ge-
wissheiten, die immer vergeblich bleiben
muss. Denn, das zeigt ja Enkes Geschichte:
Gewissheit gibt es nicht. Zum Geburtstag
seiner Frau schrieb Enke 2009 ein Gedicht,
es klingt ganz leicht nach Eugen Roth.
Reng hatte das Gedicht in seinem Buch,
jetzt wird es in dem Film noch mal zitiert,
Teresa Enke liest es vor, die letzte Strophe.
„Ich mach mir keine großen Sorgen, /
das Heute geht, es kommt das Morgen. /
Nur eins ist sicher, hör auf mich: / Ich brau-
che und ich liebe Dich.“
Das war im Februar 2009. Die Gewiss-
heit war: Es geht ihm gut. Die Gewissheit
war: Alles liegt noch vor ihm. Dann wurde
er von der Depression wieder überwältigt,
im November brachte er sich um.
Am Wochenende wird der sogenannte
deutsche Fußball an Robert Enke erin-
nern, DFB und die Robert-Enke-Stiftung
rufen zur #gedENKEminute auf, bei allen
Spielen am Sonntag wird es also eine
Schweigeminute geben, auch bei Bayern –
Dortmund am Samstag. Das Spiel wird
weltweit in mehr als 200 Länder übertra-
gen. Am eindrucksvollsten weltweit sin-
gen die Liverpooler Fans, aber wer je dabei
war bei einer Gedenkminute für die 96
Opfer der Stadionkatastrophe von Hills-
borough, der wird festgestellt haben, dass
sie auch am eindrucksvollsten schweigen
können. Kein Huster, kein Mucks, wie in
Wimbledon vor dem Matchball. Sie schwei-
gen, weil es ihnen ernst ist.
In Deutschland brüllen die Fans gern
mal was dazwischen, aber wenn die Ge-
schichte von Robert Enke ihnen irgendet-
was bedeutet, sollen sie still sein.
Anmerkung der Redaktion:Wenn Sie sich selbst
suizidgefährdet fühlen, kontaktieren Sie bitte um-
gehenddie Telefonseelsorge (www.telefonseel-
sorge.de). Unter der Hotline 0800-1110111 oder
0800-1110222 erhalten Sie Hilfe.
DEFGH Nr. 259, Samstag/Sonntag, 9./10. November 2019 HF2 DIE SEITE DREI 3
Der Fußball mit seinen
Ritualen hat Robert Enke
nicht krank gemacht,
er hat ihm aber auch nicht
geholfen, gesund zu werden.
FOTO: WITTERS SPORT-PRESSE-FOTOS
Es wird eine Schweigeminute
geben am Sonntag. Mal sehen,
ob auch geschwiegen wird
Es gibt haufenweise Ignoranten
da draußen. Und Ignoranten
sind halt besonders hartnäckig
Als in Katar die Marathonläufer
kollabierten, gab es im ZDF dazu
Bendzkos Durchhaltehymne
Was hat sich geändert,
nach Enkes Tod?
Vieles, sagt die Ärztin Dallmann