verteilt er laut Experten des Rettungsfonds
Ifas jedes Jahr über das Land. Staub, Salz
und schlechtes Wasser haben viele Men-
schen in Karakalpakistan krank gemacht.
Die Sterblichkeit von Kindern und Müttern
ist dort deutlich höher als im Rest Usbe-
kistans, es gibt mehr Tuberkulosefälle und
chronische Atemwegserkrankungen.
Nicht weit vom alten Kapitän wohnt
Perdegul Assanowa, sie hat 36 Jahre lang
als Krankenschwester in der Klinik von
Mujnak gearbeitet. Sie trägt ein weißes
Kleid, ein weißes Kopftuch. Auf ihrem
Fensterbrett stehen Konservendosen, aus
denen grüne Kletterpflanzen wachsen. Sie
hat nie ans Weggehen gedacht.
Stolz legt sie eine sowjetische Urkunde
auf den Tisch neben das Brot. „Veteran der
Arbeit“, steht darauf. Als es den See noch
gab, kamen die Kranken in die Klinik, wur-
den gesund, und gingen wieder. Dann aber
kamen neue Krankheiten nach Mujnak,
und sie gingen nicht: Anämie, Hepatitis,
Krebs, Tuberkulose. Sie sei kein Wissen-
schaftler, sagt die Veteranin der Arbeit,
aber das Wasser mit seinen Pestiziden, das
einseitige Essen, der Salzstaub in der Luft
seien sicher der Grund für all das gewesen.
Die Menschen, so erzählt man sich in
Mujnak, hatten früher ganz klare Augen,
weil sie viel Fisch aßen. Jetzt seien die Au-
gen getrübt vom Staub.
Dagegen sollen Büsche helfen, vor al-
lem die Pflanzenart Saxaul. Der Präsident
hat angeordnet, dass jede Provinz Usbe-
kistans Traktoren nach Mujnak schicken
muss, insgesamt 530 Fahrzeuge. Damit
und mithilfe der Armee ist es diesen Win-
ter gelungen, knapp eine halbe Million
Hektar Wüstenboden zu bepflanzen, so
viel wie in den vergangenen 20 Jahren zu-
sammen. „Meiner Schätzung nach werden
20 Prozent davon überleben“, sagt Fonds-
leiter Sokolow über die Sträucher. „Aber
auch das wäre schon was.“ Noch besser
wäre Gras, um Sand und Staub festzuhal-
ten. Doch Gras zu finden, das in der Wüste
überlebt, ist schwer. Ein neues Innovations-
zentrum in Nukus, der größten Stadt der
Region, soll es trotzdem versuchen.
Fährt man von Mujnak Richtung Süden,
quasi dem Wasser nach, gelangt man nach
Nukus. Baumwoll- und Weizenfelder säu-
men die Straße. Daneben verlaufen Was-
sergräben, sie werden zwischendurch zu
schlammigen Tümpeln, manchmal badet
eine Kuh darin. Etwa ein Drittel des Was-
sers versickert in diesen Kanälen, bevor es
zu den Feldern gelangt.
Die Regierung will mehr Gräben beto-
nieren, mehr Tröpfchen- und Sprenkel-Be-
wässerung nutzen, mehr Wein und weni-
ger Baumwolle anbauen, mehr Weizen und
weniger Reis. Doch bisher werden laut Ifas
jedes Jahr nur etwa ein Prozent der land-
wirtschaftlichen Fläche auf sparsame Be-
wässerungsmethoden umgestellt.
Auf einer Obstplantage nördlich von
Nukus testen sie, was in dieser trockenen,
salzigen Region überhaupt wachsen kann.
Auf einem kleinen Feld stehen Reihen von
Spalierobst, vor allem Apfelsorten. Pap-
peln umrahmen die Plantage, um den
Wind abzuhalten. Doch als der große
Staubsturm vor einem Jahr kam, hat das
wenig genützt. Die Gärtner mussten da-
nach jedes Bäumchen einzeln abwaschen.
Das usbekische Forschungsinstitut für
Gartenbau, Weinbau und Weinbereitung
hat die Plantage angelegt. Ayapbergen
Tolibayev leitet seit dem Frühjahr die Ab-
teilung des Instituts in Karakalpakistan.
Auf der Plantage haben Gärtner 2013 die
ersten Bäume gepflanzt, drei Jahre später
gab es die erste große Ernte. „Jetzt sehen
wir, welche Sorten für die Region geeignet
sind“, sagt Tolibayev.
Den Usbeken schmeckt vor allem der
süße Apfel Golden Delicious, der hält sich
auch über den Winter. Im Prinzip haben
die Gärtner heimische und importierte Sor-
ten gemischt: Die Wurzeln stammen aus
Usbekistan und sind an das Klima ge-
wöhnt. Was oben drauf sitzt, Äste und
Früchte, Äpfel, Pflaumen, Quitten, stam-
men aus dem Ausland. In zwei der Reihen,
wo das Feld besonders salzig war, stehen
kleinere Quitten. Um zu zeigen, dass man
selbst in sehr salzigen Boden etwas pflan-
zen kann, erklärt Ayapbergen Tolibayev.
Die Baumsetzlinge verschenken sie an
Privatleute, Betriebe müssen zahlen.
Außerdem schulen die Gärtner andere dar-
in, die Bäume zu pflegen und richtig zu
bewässern. Die Nachfrage ist groß, die
Baumschule wird wachsen.
Der Flug von Nukus in die usbekische
Hauptstadt Taschkent dauert anderthalb
Stunden. Vom Flieger aus sieht man Felder
im satten Grün vor der Stadt. Das Ministeri-
um für Wassermanagement gehörte frü-
her zum Landwirtschaftsministerium, heu-
te ist es eigenständig. Der Minister spricht
im runtergekühlten Konferenzraum viel
darüber, wie sie Wasser sparen wollen. Er
spricht auch über den kasachischen
Damm. „Damals haben wir unsere Unzu-
friedenheit geäußert“, sagt er. Aber am
Ende zählen gute nachbarschaftliche Bezie-
hungen. Niemand weiß schließlich, was
passiert, wenn das Wasser in der Region
nicht mehr für alle reicht.
Die Regierungen der fünf Länder spre-
chen zwar darüber, wie sie das Wasser der
Flüsse unter sich aufteilen. Usbekistan löst
das Problem teilweise so, dass es Strom
von den Wasserkraftwerken in Tadschikis-
tan und Kirgisistan einkauft, sagt der
Minister. Die öffnen dann die Dämme
ihrer Wasserspeicher und Usbekistan be-
kommt mit dem Strom gleichzeitig das
Wasser, das es für seine Felder braucht.
Und was ist mit dem Aralsee? Die Ant-
wort des Ministers dürfte dem Kapitän in
Mujnak nicht gefallen. „In der heutigen
Situation“, sagt er, „ist es unmöglich, die
Rückkehr des Aralsees in Erwägung zu
ziehen.“
DEFGH Nr. 259, Samstag/Sonntag, 9./10. November 2019 HF2 WISSEN 39
2000
Einst lagen die beiden
Städte Mujnak und Aral
direkt am See. Durch den
Rückgang des Wassers
verschwinden Inseln und
werden zu Festland.
2018
Heute liegen zwischen
Mujnakund der Wasser-
grenze etwa 150 Kilometer
Wüste, die Touristen mit dem
Jeep zurücklegen können.
Durch den Kokaral-
Staudamm ist es auf der
kasachischen Seite gelungen,
das Wasser zu halten.
Ungefähre Küstenlinie
im Jahr 1960
Insel der
Wiedergeburt
Insel
Barsakelmes
Insel
Kokaral
Wüste Aralkum
Amudarja-Delta
Kanal
Aral
Mujnak
Mujnak
Aral
Kokaral-
Staudamm
50 km
50 km
Syrdarj
a
Wüste Aralkum
Kleiner
Aralsee
Großer
Aralsee
USBEKISTAN KASACHSTAN
00 km
Syrdarja
DerAralsee wareinstdasviertgrößte
BinnengewässerderErde.SeitJahrenaber
verschwindetdasWasserkontinuierlich–
undmit ihmdasLeben
Eine Wüste aus Salz
VON FELIX HÜTTEN UND SARAH UNTERHITZENBERGER
Quellen: cawater-info, Fonds zur Rettung des Aralsees (IFAS), Nasa Earth Obseratory;
Fotos:Reuters, Nasa
A
m
u
d
ar
ja
Das Wasser im Amudarja-
Delta soll mit Dämmen
gestaut werden, bevor
es in der Wüste Aralkum
verdunstet. Kanäle verteilen
das Wasser auf mehrere Seen;
der Fischbestand erholt sich.
Dämme im
Amudarja-Delta
Dämme, die zum Teil fertig
gestelltsind oder noch gebaut
werden
Kanäle oder kleinere Flüsse
Kanäle, die erneuert werden
Mujnak
Der Salzgehalt im Aralsee
variiert je nach Gebiet
bzw. Wasserstand und ist
gut zwei- bis viermal so
salzig wie das Wasser in
Ozeanen.
0
20
40
60
80
00
20
SalinitätGramm pro Liter
1960 1970 1980 1990 2000 2009
9
23
95
102
Der Aralsee war stets flach, nie
mehr als69 Meter tief. Deshalb
verdunsten anfangs jedes Jahr
50 km3 Wasser. Diesen Verlust
können die Flüsse nicht mehr
ausgleichen.
1960 1980 1990 2000 2010 2018
80
Wasseroberflächein Tausend Quadratkilometer
60
40
20
0
69
39
(^157)
Muynak
1960 1980 1990 2000 2010 2018
60
40
20
0
Wasserpegelin Metern 1986: Der Aralsee
zerfällt in den
Großen und Kleinen
Aralsee
2007: Der Große
Aralsee zerfällt in
den westlichen
und östlichen Teil
Kleiner Aralsee
östlichesBecken
westliches Becken
Großer Aralsee
53
41
42
27
24
Seit 1960 hat der Aralsee
1014 km3an Wasser verloren,
das entspricht etwa der
21-fachen Wassermenge
des Bodensees.
1960 1980 1990 2000 2010 2018
200
Wasservolumenin Kubikkilometer
800
400
0
1083
403
(^10069)
DerMensch hat den See
austrocknen lassen.
Zurück bleibt eine Brach-
fläche aus Salz und Staub.
Nach dem großen Staubsturm
mussten dieGärtner alle
Bäumchen einzeln abwaschen